Boris Spasski fährt 26 Stunden und hat viel Humor
Einmalig: PEGASUS IGM Chess-Summit 2013 in Dresden

Von der Kreativität der Dresdner Schachorganisatoren zeugt eine
Veranstaltung, die weltweit einzigartig ist. Beim Pegasus IGM Chess Summit 2013
trafen sich drei Tage lang und bereits zum zweiten Mal Figurenkünstler, die das
75. Lebensjahr erreicht haben oder älter sind. Die betagten Meister des Spiels
logierten auf Einladung des schachbegeisterten Unternehmers Dr. Rainer Maas
wieder im Aparthotel „Villa Freisleben“. Das schöne Haus liegt im Dresdner
Stadtteil Blasewitz. Eine noble Gegend, in diesem Viertel liegen, ähnlich wie im
berühmten Weißen Hirsch, die schönsten Villen der Elbestadt.
Als Schachreporter freut man sich immer auf die Begegnung mit solchen
Koryphäen wie Boris Spasski, Mark Taimanow, Fridrik Olafsson, Wolfgang Uhlmann,
Burkhard Malich, Klaus Darga, Hajo Hecht, Borislav Ivkov, Jewgeni Wasjukow,
William Lombardy und anderen Schachhelden von einst. In diesem Jahr kamen mehr
Figurenkünstler als bei der Premiere 2012. Es hat sich schnell herumgesprochen,
was für ein großartiges Treffen dieser Schachgipfel ist. Die Organisatoren geben
sich jedes Mal sehr viel Mühe, den betagten Gästen, die aus allen
Himmelsrichtungen kommen, den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen.
Boris Spasski liegt gerade im Bett, als ich am späten Nachmittag im
Hotel eintreffe. Ich darf mich zu ihm setzen, und wir reden über unsere letzte
Begegnung in Dresden. Sie liegt fast fünf Jahre zurück. Ende 2008 war der 10.
Weltmeister Ehrengast der Schacholympiade. Zwei Jahre später erlitt Spasski
seinen zweiten Schlaganfall. Seither ist der an den Rollstuhl gebunden. Doch
seiner Schachleidenschaft tut das keinen Abbruch. Boris lebt seit einem Jahr
wieder in Moskau, und er kam von dort mit dem Zug zu dem Treffen der
Schachveteranen. Eine lange Reise, er war 26 Stunden mit seiner Begleiterin
unterwegs, um die ehemaligen Großmeister-Kollegen zu treffen! „Fliegen ist zu
riskant“, meinte der Arzt. Seinen Humor hat Boris aber immer noch nicht
verloren. „Bald laufe ich wieder Marathon“, sagte er schon Anfang des Jahres,
als ich ihm per Telefon zu seinem 76. Geburtstag gratulierte.
Spasski findet die Idee des PEGASUS IGM Chess Summit großartig. Man
müsse dem Sponsor Dr. Rainer Maas dankbar sein und allen Schachfreunden um Dr.
Dirk Jordan, die an der Organisation des Treffens mitgewirkt haben. Es sei
wichtig, die Veteranen des Schachs nicht zu vergessen. Im vergangenen Jahr waren
es acht Großmeister, die sich in Dresden trafen. Diesmal sind es schon 13
gewesen. Das ist Kasparows Lieblingszahl. (Er wurde am 13. April geboren und ist
13. Schachweltmeister). Wie zu hören war, wurde König Garri auch als Special
Guest nach Dresden eingeladen, aber er lebt derzeit nicht in Europa. „Nächstes
Jahr werden wir vielleicht 26 sein“, scherzt Spasski.
Zwei Zimmer weiter wohnt William Lombardy. Auf ihn sind alle gespannt,
denn er war lange nicht mehr in Europa. Der amerikanische Großmeister aus New
York war ein enger Freund Bobby Fischers und dessen Sekundant beim 1972er
WM-Match gegen Spasski in Reykjavik.

William Lombardy
Der heute 75-jährige Lombardy kann auf ein sehr bewegtes Leben
zurückblicken. 1957 wurde er in Toronto Juniorenweltmeister, wobei er 11 Punkte
aus elf Partien erzielte. Ein Fischer-Ergebnis! William Lombardy spielte von
München 1958 bis Buenos Aires 1978 zwanzig Jahre lang bei Schacholympiaden für
sein Land. In seiner Jugend war er ein wilder Bursche. So fuhr Lombardy beim
Turnier der Nationen in der bayrischen Landeshauptstadt als 20-Jähriger ein Auto
zu Bruch, wie er sich noch heute schmunzelnd erinnert. Später wurde William
Lombardy katholischer Priester, wodurch seine Schachkarriere ins Stocken geriet.
Nachdem er das Kirchenamt aufgegeben hatte, heiratete er im reifen Alter von 45
Jahren.

William Lombardy, Burkhard Malich

Borislav Ivkov, William Lombardy
Schach spielt Lombardy heute nur noch zum Spaß in kleineren Turnieren.
Sein Begleiter in Dresden ist der amerikanische Großmeister Robert Hungaski.
„Ich bin seit etlichen Jahren sein Schüler und habe eine Menge von ihm gelernt,“
sagt der aus Chonnecticut stammende Hungaski, der heute in New York lebt.
Beim traditionellen Empfang am Abend auf Schloss Albrechtsberg hat der
Reporter bei seiner ersten Begegnung mit Lombardy die Gelegenheit, noch viele
spannende Geschichten aus dessen interessantem Leben zu hören. Zwischen ein paar
Gläsern guten Weines spielt William auch eine freie Partie gegen einen
Schachamateur aus Sachsen und fegt ihn natürlich vom Brett. DSB-Präsident
Herbert Bastian und der frühere Sportdirektor Horst Metzing sind ebenfalls da.
Zu den geladenen Gästen auf Schloss Albrechtsburg gehört auch wieder USA-Student
Georg Meier, der in Dresden wie schon im vorigen Jahr das ZMDI Open mitspielt
und nach sechs Runden in Führung liegt. Er freut sich, Lombardy ebenfalls zu
treffen.

Meier, Hungaski, Lombardy
Dresdens Sportbürgermeister Winfried Lehmann, der viel für das Spiel
der Könige übrig hat, betont in einer Rede die Rolle der Stadt als
Schachmetropole. DSB-Präsident Herbert Bastian pflichtet ihm bei und lobt die
enge Kooperation mit Dirk Jordan und seinem gesamten ZMDI-Team. Diese sei sogar
noch ausbaufähig. Anschließend zeichnet Wolfgang Uhlmann die besten Dresdner
Nachwuchstalente aus, ehe er gegen Bastian auf dem Großfeld ein Konditionsblitz
austrägt. Der Jüngere von beiden hat Weiß und gewinnt, weil die Uhr der
Schachlegende eher abgelaufen ist.
Ein paar Meter weiter sitzt an diesem lauen Sommerabend die komplette
Familie von Mark Taimanow. Der Großmeister aus St. Petersburg war schon 2012 mit
Ehefrau Nadeshda und den beiden Kindern in Dresden. Er ist mit 87 Jahren der
Älteste aller anwesenden Gäste. Auch der frühere FIDE-Präsident Fridrik Olafsson
aus Island und seine Gattin sind gern wieder nach Dresden gekommen.
Am meisten umlagert aber ist der Tisch von Boris Spasski. Er wird von
vielen Autogrammjägern bestürmt und setzt seinen Namenszug geduldig auf Fotos,
Poster oder Buchseiten. Das Fernsehen interviewt ihn, er spielt sogar eine
Showpartie gegen die junge Dresdnerin Filiz Osmanodja. Sie hat Weiß und eröffnet
mit 1.e4. Spasski spielt Caro-Kann und erlaubt seiner Gegnerin – ganz Gentleman
– ihn nach etwa zehn Zügen a la Reti mattzusetzen. „Ernsthafte Partien spiele
ich heute nicht mehr“, sagt Boris anschließend. Aber ich analysiere gern und
schaue mir Partien der Schachelite im Internet an.“

Osmanodja - Spasski
Robert Hübner gibt derweil im Inneren des Schlosses ein Uhren-Handicap
an acht Brettern. Der Großmeister aus Köln wird erst in gut zehn Jahren 75,
wurde aber als Ehrengast zu diesem Schachgipfel eingeladen.

Robert lässt keinem seiner Gegner, darunter auch Sponsor Dr. Rainer
Maas, eine Chance. Im Vorjahr gelang dem Mäzen beim Simultan gegen den
Österreicher Andreas Dückstein, der auch dieses Jahr mit seiner Frau angereist
ist, ein stolzer Sieg.
Am nächsten Vormittag unternehmen die Schachveteranen eine Exkursion in
die Sächsische Schweiz, ehe der Höhepunkt des Events heranrückt. Es ist ein
Schachmatch mit lebenden Figuren vor der weltberühmten Frauenkirche. Das
Lebendschachensemble aus Ströbeck präsentiert bei hochsommerlichen Temperaturen
diese Partie und begeistert das Publikum auch mit mehreren Tanzeinlagen, unter
anderem zu Musik aus dem Musical „Chess“. Eine große Leistung, wenn man bedenkt,
wie warm und schwer die Kostüme sind, die der Kleidung der Bauern und
Bürger in Ströbeck um 1850 nachempfunden wurden.

Vor der Partie

Sröbecker Schachkinder

Ein Bauer
Beim Spiel dirigiert wird das Ensemble von den großen Meistern. Ein
deutsches Team in der Besetzung Uhlmann, Malich und Darga spielt gegen Russland
mit Spasski, Taimanow und Wasjukow. Die Sonne knallt vom Himmel, als geballte
Schach-Kompetenz aufeinanderprallt. Die Deutschen wollen unbedingt ihre
Niederlage aus dem Vorjahr an gleicher Stelle wettmachen.

Malich, Uhlmann, Darga

Team Deutschland

Team Russland: Tajmanow, Spasski, Wasjukov
Diesmal führen sie die weißen Steine und eröffneten mit 1.c4. Es folgt
1… e5, und die Englische Partie verläuft in strategischen Bahnen. Trotz eines
vorgeschobenen Freibauers am Damenflügel kann das Uhlmann-Team das Turmendspiel
nicht gewinnen. Remis nach etwa eineinhalb Stunden Spielzeit unter dem
Glockengeläut der Dresdner Frauenkirche.

Wolfgang Uhlmann beim Konditionsblitz
Alle sind zufrieden und begeben sich jetzt zum Gala Dinner in ein
Nobelrestaurant, das sich direkt am Dresdner Neumarkt befindet. Bei gutem Essen
und Wein vergehen die Stunden wie im Fluge. Zwischen den Menü-Gängen wird noch
ein Blitzturnier von Zweierteams im K.-o-System ausgetragen.

Das Blitzfinale

Taimanow kann's noch
Im Finale treffen Mark Taimanow und Hajo Hecht auf Herbert
Bastian und Gernot Gauglitz. Sieger wird das deutsch-russische Duo. Die
Schachhelden von einst haben sich an diesem langen Abend noch viel zu erzählen
und sagen am Ende unisono: „Im nächsten Jahr kommen wir gern wieder.“

Unterdessen fand am Wochenende in Dresden auch das ZMDI Open seinen
Abschluss. Das Turnier endete mit einem Sieg von GM Samuel Shankland (USA). Er
erzielte 7,0 Punkte aus neun Partien und verwies die punktgleichen Michail
Oleksienko (Ukraine) und Georg Meier und dank besserer Feinwertung auf die
nächsten Plätze. Im Rahmenprogramm des Opens 2013 gab es am Samstag auch ein
stark besetztes internationales Blitzturnier. Es wurde bei der FIDE zur
ELO-Auswertung eingereicht. Insgesamt 24 Titelträger, darunter 7 Großmeister,
nahmen teil. Nach 17 spannenden Runden konnte IM Matthias Dann das Turnier für
sich entscheiden. Er holte sich den ersten Platz ganz knapp vor GM Georg Meier.
Dritter wurde IM Matthias Blühbaum.
Von Dagobert Kohlmeyer