Wie Indien den Zuschlag für die 44. Schacholympiade erhielt

von André Schulz
18.03.2022 – Nachdem die FIDE Russland als Ausrichter der 44. Schacholympiade suspendiert hatte, bewarben sich einige andere Verbände als Gastgeber. Am schnellsten war die All Indian Chess Federation. Innerhalb einer Woche war die Organisation unter Dach und Fach und auch die Garantiesumme von 10 Millionen Dollar stand bereit. "The Indian Express" berichtet, wie das möglich war.

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Eigentlich hätte die 44. Schacholympiade schon 2020 in Khanty-Mansiysk stattfinden sollen, doch die Corona-Pandemie verhinderte die Durchführung. Der Austragungsort wurde in der Folge von der FIDE nach Moskau verlegt. Am 24. Februar 2022 überfiel Russland jedoch seinen Nachbarn Ukraine und verließ damit die Gemeinschaft der friedlichen Völker.

Die FIDE entzog dem Russischen Schachverband darauf das Recht zur Austragung der Schacholympiade und suchte einen neuen Gastgeber. Innerhalb kurzer Zeit erklärte sich die All Indian Chess Federation zur Ausrichtung bereit. Die 44. Schacholympiade wird nun in der Nähe von Chennai stattfinden. "The Indian Express" berichtet, wie es möglich war, dass die FIDE und der Indische Schachverband den Umzug der Schacholympiade so schnell unter Dach und Fach bringen konnten.

Die Schacholympiade ist gemessen an der Teilnehmerzahl eine der größten Sportveranstaltungen der Welt. Die Ausrichtung ist für den Gastgeber allerdings eine teure Angelegenheit, denn er lädt die Teilnehmer ein und sorgt am Turnierort für ihre Unterbringung und Verpflegung. Und dann kommenden noch die eigentlichen Organisationskosten hinzu. Im Laufe der Jahrzehnte ist das Turnier mit immer mehr Teilnehmern auch immer größer und immer teurer geworden. 

Die Idee der völkerverbindenden Schacholympiade geht auf das Jahr 1924 zurück. Am Rande der Olympischen Spiele in Paris wurde die FIDE, der Weltschachbund, gegründet. 1927 wurde dann in Folkstone die erste offizielle Schacholympiade durchgeführt. Auch Deutschland war einige Male Gastgeber: 1930 in Hamburg, 1936 in München, aber diese Schacholympiade in Nazideutschland fand keine allgemeine Anerkennung und es nahmen nicht alle Verbände teil, 1958 in München, die große Schacholympiade 1960 in Leipzig, 1970 in Siegen und zuletzt 2008 in Dresden. Vor ein paar Jahren gab es noch einmal Bestrebungen, wieder eine Schacholympiade nach Deutschland zu holen, aber im Deutschen Schachbund konnte man sich nicht auf einen Austragungsort einigen, mit dem man sich bei den deutschen Kommunen und dem Innenministerium als Geldgeber und schließlich bei der FIDE bewerben konnte.

Die unglaublich kurzfristige Zusage des Indischen Schachverbandes, die Ausrichtung der 44. Schacholympiade zu übernehmen, ist geradezu ein Wunderwerk. Mit der riesigen Schachbegeisterung in Indien kann man offenbar Berge versetzen. In einem Beitrag berichtet "The Indian Express", wie das in so kurzer Zeit möglich wurde.

Kurz nachdem bekannt wurde, dass die FIDE dem Russischen Schachverband die Ausrichtung der 44. Schacholympiade entzogen hatte, meldete sich der Sekretär der All India Chess Federation, Bharat Singh Chauhan, bei FIDE-Präsident Arkady Dvorkovich und erklärte die grundsätzliche Bereitschaft der AICF zur Durchführung jeder Art von FIDE-Schachveranstaltung. 2013 war die AICF schon Organisator des Weltmeisterschaftskampfes zwischen Anand und Carlsen und hat später auch noch Jugend-und Juniorenweltmeisterschaften ausgerichtet.

Bharat Singh Chauhan saß gerade in einem Zug auf dem Weg nach Neu-Dheli, als er seine Nachricht schickte. In kurzer Zeit kam eine Antwort zurück, die nur aus einem Wort bestand. "Olympiade?" Chauhan bat um einen Tag Bedenkzeit, um die Möglichkeiten zu klären. Am folgenden Tag konnte er die Bereitschaft Indiens zur Bewerbung mitteilen und dann dauerte es nur eine Woche, bis die AICF als Ausrichter feststand. In der einen Woche musste Chauhan eine Reihe von Parameter klären. So verlangt die FIDE vom Bewerber für die Ausrichtung der Schacholympiade eine Garantie von nicht weniger als 10 Millionen Dollar. 

Chauhan traf sich mit Schachfreunden aus den Bundesstaaten Gujarat, Delhi und Tamil Nadu, um zu prüfen, an welchem Ort man in so kurzer Zeit eine Schacholympiade auf die Beine stellen könnte. Chauhan fand die Unterstützung von Schachtrainer Srinath Narayanan, der einen Termin mit dem Chief Minister von Tamil Nadu M.K. Stalin (nicht verwandt oder verschwägert) vermittelte. M.K. Stalin sagte in kürzester Zeit die Bereitstellung der finanziellen Garantie zu.

Als Austragungsort fasste man Mahabalipuram, eine Autostunde von Chennai entfernt und direkt am Meer gelegen, ins Auge. Dort gibt es eine starke Schachkultur und das Klima ist nicht so heiß, wie beispielsweise in Delhi.

Mahabalipuram ist auch als bedeutender archäologischer Fundort bekannt.


 

Zusammen mit einigen Beamten der Bundesregierung fuhr Chauhan nach Mahabalipuram und buchte dort innerhalb eines Tages in 23 Hotels vor Ort 2000 Zimmer, davon 1200 Zimmer mit Meerblick. Ein Spielsaal wurde auch gefunden. Das Turnier wird im Four Points Sheraton stattfinden.

Neben dem Indischen Schachverband gab es noch einige weitere Bewerber, aber keiner konnte innerhalb so kurzer Zeit die Garantiesumme aufbringen. Bei der Festlegung der organisatorischen Rahmenbedingungen stand Chauhan in ständigem Austausch mit den FIDE-Offiziellen.

„Wir haben das Angebot Indiens natürlich begrüßt. Es gab nur wenige Bewerber mehr, aber wir haben eine klare Frist gesetzt – und nur Indien konnte rechtzeitig ein angemessenes Angebot abgeben. Das unterstreicht die große Arbeit der AICF, denn man muss gut vorbereitet sein, um so kurzfristig auf ein so großes Ereignis vorbereitet zu sein“, sagte FIDE-Generalsekretär Emil Sutovsky.

Indien gehört jetzt schon zu den am schnellsten wachsenden Schachgemeinschaften. Eine Vielzahl von jungen indischen Spielern nimmt sehr erfolgreich an internationalen Turnieren teil. Die neue Generation wird bald bis in die Weltspitze vorstoßen. Die Schacholympiade in Indien wird dem indischen Schachboom weitere große Impulse geben. "Das Interesse am Schach in Indien wird explodieren", ist sich Srinath Narayanan sicher.

Artikel in "The Indian Express"...


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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