
ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan.
Es kann nur Einen geben
Von André Schulz
Zum ersten Mal seit 1934 ist Deutschland
wieder Schauplatz einer Schachweltmeisterschaft. Ab Dienstag, 15 Uhr messen
Weltmeister Viswanathan Anand (Indien) und sein Herausforderer Wladimir Kramnik
(Russland) in der Bundeskunsthalle in Bonn in ihre Fähigkeiten und ihr
Geschicklichkeit im Umgang mit den 32 Schachfiguren auf 64 Feldern.
Für die meisten ist Schach nur ein Holzbrettspiel, doch für die über den ganzen
Globus verteilte Schachszene ist es intellektuell anregender Sport, der in
zahlreichen Wettkämpfen und Turnieren organisiert ist und der in der
Weltmeisterschaft – dem Wettkampf aller Wettkämpfe gipfelt.
Jeder Schachspieler, der an Vereinsmeisterschaften oder internationalen
Turnieren teilnimmt, wird vom Deutschen Schachbund oder dem internationalen
Schachverband FIDE (Fédération Internationale des Échecs) in ein
Bewertungssystem integriert und erhält eine Wertungszahl (Elozahl), die seine
Spielstärke ausdrückt. Hobbyspieler liegen bei 800 Elo, Großmeister wird man mit
mehr als 2500. Die 30 weltbesten Spieler haben mehr als 2700 Elo. Unter ihnen
ist eine einzige Frau, Judith Polgar. Bester Spieler aller Zeiten war Gari
Kasparow mit 2849 Elo (Eloliste vom Juli 2000), Weltmeister von 1985 bis 2000.
Nach Kasparows Rücktritt hat kein Spieler mehr so wie er die Szene dominiert.
Derzeit liegen sechs Spieler dicht bei dicht an der Spitze der Weltrangliste,
darunter Anand als Vierter und Kramnik als Sechster.
Wettkämpfe zur Ermittlung des weltbesten
Schachspielers hat es schon vor mehr als 200 Jahren gegeben, aber erst mit dem
Wettkampf Wilhelm Steinitz gegen Adolf Anderssen 1866 wurde der Titel
„Schachweltmeister“ gebräuchlich. Seither gilt der Österreicher Steinitz als
erster Weltmeister des Schachs. Ihm folgte als einziger Deutsche in der
Geschichte der Schachweltmeisterschaften Emanuel Lasker nach. Nach dem Sieg über
Steinitz 1894 in den USA hielt Lasker den Titel 27 Jahre lang – das ist Rekord –
bevor er ihn an Capablanca verlor.
Bis 1948 lag das System der Schach-Weltmeisterschaften in den Händen des
jeweiligen Titelhalters, der mehr oder minder nach Gusto einen Herausfordere
wählte. Alexander Aljechin war der letzte Weltmeister nach diesem System. Als
Aljechin 1946 starb, übernahm der schon 1926 gegründete Weltschachbund FIDE die
Organisation und ermittelte den ersten Weltmeister mangels lebenden Titelhalters
in einem Turnier. Michail Botwinnik gewann es und verlor erst 1963 endgültig den
Titel an Tigran Petrosian, nachdem er sich zuvor gegen Wassili Smyslow (1958)
und Michael Tal (1961) zweimal die verlorene Krone in Revanchekämpfen zurück
erobert hatte. Auf Petrosian folgte Spassky (ab 1969) und 1972 saß Spassky dann
Robert Fischer im Aufsehen erregendsten Schachwettkampf aller Zeiten gegenüber.
Fischer gewann – und verschwand.
Auf Fischer folgte der stromlinienförmige Anatoly Karpow, der einige
Psychokriege gegen seinen mehrfachen Herausforderer Viktor Kortschnoj bestritt,
von denen die „Schlacht von Baguio“ 1978 in Baguio City der brutalste war. Der
Nervenkrieg auf den Philippinnen inspirierte sogar die Abba-Komponisten Ulvaeus
und Benny Andersson zum Musical „Chess“.
Im Jahr 1984 betrat Gari Kasparov mit Wucht die Szene und entriss Anatoly Karpow
im zweiten Anlauf den Weltmeistertitel. Kasparow musste in den folgenden Jahren
mehrmals gegen Karpow seinen Titel verteidigen, bis er dann zusammen mit Nigel
Short 1993 seine Zusammenarbeit mit der FIDE aufkündigte und die WM-Krone
privatisierte.
Im Jahr 1994 kam die Schachwelt in den Genuss von zwei WM-Zyklen mit
Kandidatenwettkämpfen und folgenden Wettkampf um den Titel. Kasparow gründete
mit dem Geld seines Sponsors Intel eine Konkurrenzorganisation zur FIDE, um mit
dieser die Weltmeisterschaft „professioneller“ zu vermarkten. Die FIDE gab aber
nicht klein bei und zog unbeirrt ihren eigenen Zyklus parallel durch. So gab es
nun zwei Schachweltmeister.
Dieser unbefriedigende Zustand dauerte bis zum 2006. Inzwischen hatte Wladimir
Kramnik Kasparow in London im Jahr 2000 im Wettkampf besiegt. Der Weltmeister
der FIDE hieß Weselin Topalow. Der lang ersehnte Wiedervereinigungswettkampf
wurde vereinbart und fand unter allerdings skandalösen Nebentönen in Elista
statt. Nachdem Topalow die ersten beiden Partien verloren hatte, protestierte er
gegen Kramniks Toilettenbesuche und unterstellte seinem Gegner, dort unerlaubte
Computerhilfe bekommen zu haben – womit er einen in Spielerkreisen hinter
vorgehaltener Hand vorgetragenen Vorwurf, der Topalow selbst seit dessen
überragenden Turniersieg beim FIDE-WM-Turnier in San Luis 2005 begleitet, gegen
seinen Gegner richtete.
Der Protest führte zum Eklat, nachdem das Appellationskomitee Kramniks Toilette
schließen ließ und dieser zur vierten Partie nicht erschien. Das mit Topalow
befreundete Appellationskomitee wurde vom FIDE-Präsidenten Kirsan Iljumjinow
abgesetzt. Mit Mühe konnte der Wettkampf zu einem halbwegs regulären Ende
geführt werden. Kramnik gewann ihn im Stichkampf.
Im folgenden Jahr führte der Weltschachbund die WM im Turniermodus durch. Die Verträge mit Mexiko City hat die FIDE schon unterschrieben, bevor der Wiedervereinigungswettkampf Kramnik-Topalow ins Gespräch kam. Kramnik hatte jedoch immer schon betont, dass er nur den Wettkampf als angemessene Form für die Weltmeisterschaft betrachtete. Er ließ sich dennoch zur Teilnahme am WM-Turnier in Mexiko überreden, unter der Voraussetzung, dass er bei einem Titelverlust eine Revanche gegen den Sieger erhält. Anand gewann. Diese Revanche findet nun in Bonn statt.
„Einen Skandal wie in Elista wird es in Bonn
nicht geben“, betonte Kramnik gerade erst im Interview, auch Anand hat sich in
dieser Richtung geäußert. Beide Spieler schätzen sich als faire Sportsleute und
wollen den Kampf ausschließlich auf den dafür vorgesehen 64 Feldern führen. Auch
das übliche Säbelrasseln vor dem Wettkampf ist weitgehend ausgeblieben.
Auf die Geheimniskrämerei in Bezug auf die Sekundanten wollte man indes nicht
verzichten. Kramnik hat sich wie schon vor seinem Wettkampf gegen Deep Fritz vor
zwei Jahren mit seinem Team zur Vorbereitung in ein kleines Örtchen im Saarland
zurück gezogen. In Interviews für die russischen Presse und nun auch für die
deutsche erläuterte der russische Spitzengroßmeister, wen er als Sekundanten von
Anand erwartet, nämlich den Dänen Peter-Heine Nielsen, den bei Bonn lebendenden
Usbeken Rustam Kasimdjanow und den norwegischen „Wonderboy“ Magnus Carlsen. Er
selbst werde in Bonn schachlich von seinem Landsmann Sergei Rublewski, dem
Franzosen Laurent Fressinet und – Überraschung – vom Ungarn Peter Leko
unterstützt. Da man heute aber als Sekundant gar nicht mehr vor Ort sein muss,
sondern auch gut über das Internet kommunizieren kann, könnten Großmeister wie
Evgeny Bareev, Miguel Illescas oder Loek van Wely, mit denen Kramnik auch früher
schon zusammen gearbeitet hat, auch problemlos von außerhalb helfen.
Anand hat die Zusammenarbeit mit Carlsen weder geleugnet noch bestätigt. In der
Gerüchteküche wurden indischen Großmeister wie Ganguly und Kunte als Sekundanten
genannt. Das Interesse an den Sekundanten des Wettkampfgegners begründet sich
darin, dass jeder Spieler auch Spezialist bestimmter Eröffnung ist. Wer also
beispielsweise Van Wely im Team hat, interessiert sich möglicherweise für die
Botvinnikvariante, die Anti-Moskauer Variante oder die Sweshnikov-Verteidigung
im Sizilianer. Leko ist u.a. ein großer Kenner des Marshall-Angriffs.
Von den Experten werden Kramnik Vorteile im Wettkampf eingeräumt, während Anand
im Turnier seine Stärken hat. Vor seinem Sieg über Kasparov galt Kramnik aber
eher als Wettkampfschwächling, nachdem er z.B. überraschend das
Ausscheidungsmatch gegen Alexei Shiorv verloren hatte. Inzwischen hat Kramnik
durch die Siege über Kasparov, Leko (Wettkampfsieger nach Gleichstand) und
Topalov (Sieger nach Stichkampf) seine Wettkampfhärte bewiesen.
Anand sagt man nach, dass er die direkte Konfrontation Mann-gegen-Mann in den
Wettkämpfen nicht mag. 1995 spielte er als Herausforderer gegen Gari Kasparow,
kam aber mit dessen Minenspiel und Körpersprache nicht zurecht und unterlag
unter Wert. Mit Ausnahme der Mini-Wettkämpfe gegen Karpov und Shirov bei FIDE-Weltmeisterschaften
und Schnellschachwettkämpfen hat Anand seitdem kein wirklich bedeutendes langes Match mehr gespielt.
Sollte es hingegen zu einem Stichkampf kommen, könnten die Vorteil wieder auf
Seiten von Anand liegen, der als weltbester Schnellschachspieler gilt.
Im Wettkampf kommt es darauf an, seine Schwarzpartien sicher zu remisieren,
während man mit Weiß versucht, einen vollen Punkt zu machen. Mit dieser schlicht
wirkenden Strategie war Kramnik gegen Kasparov überaus erfolgreich, als er die
bis dahin unterbewerte Berliner Verteidigung anwandte und von Kasparow nicht ein
einziges Mal bezwungen werden konnte. Auch die Bilanz der beiden Kontrahenten in
den bisherigen Treffen bei Turnieren spricht für Kramnik. Neben zahlreichen
Remisen gewannen beide immer mit den weißen Steinen – Anand zweimal, Kramnik
sechs Mal. Kramnik ist zudem „beidhändig“. Er kann 1.e4 oder 1.d4 (bzw. 1.Sf3)
eröffnen, je nach Matchstand variieren und verschafft Anand damit auch ein
größeres Arbeitsgebiert für die Vorbereitung. Der Titelverteidiger konzentriert
sich in seiner Eröffnungswahl auf 1.e4 – die Eröffnung mit dem Damenbauer sieht
man beim Inder nur ganz selten.
Mit den schwarzen Steinen hat Kramnik mit der Russischen Verteidigung (1.e4 e5
2.Sf3 Sf6) und der Berliner Variante (1e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 Sf6 4.0-0 Sxe4)
zwei Eröffnungen gegen 1.e4 im Repertoire, die nur ganz schwer zu knacken sind.
Immerhin gelang es dem deutschen Spitzenspieler Arkadij Naiditsch jüngst beim
Turnier in Dortmund, Kramnik zu überraschen und seine Verteidigung zu knacken.
Vielleicht hatte Anand diese Neuerung auch schon gefunden, doch nun ist sie
verbrannt: Ein zweites Mal wird Kramnik sich hier bestimmt nicht überraschen
lassen. Mit den schwarzen Steinen hat Anand gegen 1.e4 eine Reihe von
Verteidigungen im Repertoire, darunter die Najdorfvariante (1.e4 c5 2.Sf3 d6
3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6) , die Tajmanovvariante (1.e4 c5 2.Sf3 e6 3.d4
cxd4 4.Sxd4 Sc6) und den Marshallangriff (1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6
5.0-0 Le7 6.Te1 b5 7.La4 0-0. 8.c3 d5) . Falls Kramnik mal 1.e4 spielen möchte,
kann Leko ihn gegen den zweischneidigen Marshallangriff bestens beraten. Gegen
1.d4 greift Anand entweder zur Nimzoindischen bzw. Damenindischen Verteidigung
(1.d4 Sf6 2.c4 e6)– hier hat Kramnik mit seiner Wiederentdeckung der
Katalanischen Eröffnung (3.g3) den Schwarzspielern einige Aufgaben gestellt –
zum angenommenen Damengambit (1.d4 d5 2.c4 dxc4) oder zur Halbslawischen
Verteidigung.
So könnte also das normale Szenario aussehen: Weiß versucht nach 1.e4 Kramniks
Berliner Verteidigung oder vielleicht die Russische Verteidigung zu knacken. Und
Kramnik rechnet damit, dass Anand der Katalanischen Eröffnung ausweicht und
versucht ihn ihm Halbslawen zu knacken. Oder wird es einige heftige
Überraschungen geben?
Sollte es am Ende zu einem Stichkampf kommen, könnten die Vorteile auf Seiten
von Anand liegen, der als weltbester Schnellschachspieler gilt.
Die Zeit vor dem Wettkampf lief für beide Spieler nicht optimal. Kramnik spielte
in Dortmund ein grauenhaftes Turnier und in Moskau ein nicht so gutes. Für Anand
war das Turnier in Bilbao eine Katastrophe. Beide haben ihre besten Neuerungen
und ihre ganze Motivation offenbar für diesen wichtigen Wettkampf aufgespart.
Das lässt die Schachfreunde auf ein großes Spektakel hoffen.
Das Interesse der Presse an diesem Schachereignis Deutschland scheint groß zu
sein. Zahlreiche Artikel sind bereits erschienen und die ARD hat tatsächlich in
ihrem Videotext mehrere Seiten der Geschichte der Schachweltmeisterschaft
gewidmet. Das Pressezentrum in der Bundeskunsthalle ist schon zwei Stunden vor
Partiebeginn dicht gefüllt. Nach langer und intensiver Vorarbeit, besonders auf
Seiten der durchführenden UEP freuen sich alle auf den Beginn, heute um 15 Uhr.
Auch die Spieler. Beide wirkten in den offiziellen Vorveranstaltungen sehr
entspannt. Besonders Kramnik strahlte große Gelassenheit aus. Ob er sich hin der
Bundeskunsthalle im Vorteil fühle, da er ja hier schon den Wettkampf gegen Deep
Fritz gespielt habe, wurde er gefragt: „Na klar, ich weiß ja schon wo die
Toilette ist und wo es Kaffee gibt!“