Dietrich Bonhoeffer
4.2.1906-9.4.1945
Wann der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer
Schach zu spielen begann, wird auch aus der mehr als 1.000 Seiten umfassenden
Biografie seines Freundes Eberhard Bethge nicht ganz klar (Eberhard Bethge,
Dietrich Bonhoeffer. Theologe - Christ - Zeitgenosse, München, 2. durchgesehene
Auflage 1967), doch "ein reichliches Bedürfnis nach Geselligkeit bei
Spiel und Musik" nannte Bethge in seinem einleitenden Porträt als
einen der hervorzuhebenden Charakterzüge Bonhoeffers.
Dietrich Bonhoeffer "liebte Schach, Bridge und Ratespiele und verlangte,
dass der Partner auch einen Willen zum Gewinnen mitbrachte wie er selbst"
(Bethge, aaO., S. 20).
Der häusliche Privatunterricht seiner Mutter ersparte Dietrich Bonhoeffer
mehrere Jahre an einer öffentlichen Schule, so dass er, 1906 in Breslau
geboren, schon 1923 in Tübingen das Theologiestudium aufnehmen konnte. Ab dem
Sommersemester 1924 setzte Bonhoeffer sein Studium in Berlin fort (1927
Promotion; 1930 Habilitation).
Vom November 1931 bis März 1932 betreute Dietrich Bonhoeffer eine ausser
Kontrolle geratene Konfirmandenklasse in Berlin-Wedding. Zu diesem Zweck
verliess er sein elterliches Zuhause und mietete sich im Stadtviertel der Kinder
ein. An seinen freien Abenden durften die Kinder unangemeldet zu ihm kommen, um
Englisch zu lernen oder Schach zu spielen.
Nachdem die Nationalsozialisten 1933 an die Macht gekommen waren, sah sich
Dietrich Bonhoeffer als Christ verpflichtet, gegen unmenschliche Gesetze und
menschenverachtendes Tun im Dritten Reich aktiv Widerstand zu leisten. Eine Möglichkeit
kirchlichen Handelns sah er darin, "nicht nur die Opfer unter dem Rad zu
verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen". 1935 übernahm
er die Leitung eines Predigerseminars der Bekennenden Kirche.
Bald war Dietrich Bonhoeffer nicht mehr imstande, dem Regime rhetorisch
entgegenzutreten: 1936 wurde ihm die Lehrbefugnis an der Universität entzogen.
1940 erhielt er Redeverbot und stand unter polizeilicher Meldepflicht. 1941
folgte ein Druck- und Veröffentlichungsverbot.
Erste Kontakte zu den Widerstandsgruppen um Oster, Canaris und Beck hatte
Dietrich Bonhoeffer über seinen Schwager Hans von Dohnanyi schon im Februar
1938. Kurz vor dem Kriegsausbruch bot sich ihm die Chance, eine Gastdozentur in
New York zu übernehmen (Abreise in die USA 2.6.1939), doch er wollte seine in
Deutschland zurückgebliebenen Mitstreiter nicht im Stich lassen (27.7.1939
wieder in Berlin). Im Oktober 1939 wurde er einer Stelle der "Abwehr"
in München beigeordnet: als Vertrauensmann und Kurier knüpfte er dann mit
Hilfe seiner ökumenischen Kontakte Verbindungen zwischen den westlichen
Regierungen und dem deutschen Widerstand.

Am 5. April 1943 wurde Dietrich Bonhoeffer "vorläufig" festgenommen
und in das Gefängnis Tegel eingeliefert (29.4.: Haftbefehl und Anklage wegen
'Zersetzung der Wehrkraft'). Aus dem Gefängnis schrieb er in einem Brief an
seine Eltern am 7.8.1943:
"Ich glaube, ich habe bisher noch nie erzählt, daß ich täglich, wenn
ich nicht mehr lesen und schreiben kann, etwas Schachtheorie treibe; das macht
mir viel Spaß. Wenn Ihr etwas Kleines, Gutes, vielleicht mit Aufgaben, darüber
findet, wäre ich dankbar, aber macht Euch keinerlei Umstände damit; es geht
auch so ..".
Am 7. Februar 1945 wurde Dietrich Bonhoeffer aus dem Gestapo-Gefängnis in der
Berliner Prinz-Albrecht-Strasse in das KZ Buchenwald verlegt. Die Verhältnisse
in dem zum "Prominentenbau" (Bethge) avancierten Bunkerzellen dieses
Lagers schilderte Payne Best, ein Offizier des britischen Secret Service und
1939 vom SD bei Venlo gefangen genommen, in seinem Buch The Venlo Incident
(London 1950). Payne Bests Zelle in Buchenwald (Nr. 11) lag Bonhoeffers Zelle
(Nr. 1) genau gegenüber. Die 17 Gefangenen lernten sich bei "Spaziergängen"
im Mittelgang des Kellers kennen. Über Bonhoeffer schrieb Best: "he was
cheerful, ready to respond to a joke", aber auch: "He was one
of the very few men that I have ever met to whom his God was real and ever close
to him".
Zellengenosse Bonhoeffers im KZ Buchenwald war Friedrich von Rabenau, ein
Offizier, der nach seiner Verabschiedung als Chef des Heeresarchivs 1942 sich
dem Studium der Theologie gewidmet hatte und ebenfalls dem Widerstand angehörte.
Von Rabenau und Bonhoeffer sprachen in diesen Wochen eifrig über theologische
Themen. Eberhard Bethge berichtet in seiner Biografie ausserdem (aaO., S. 1029):
"Payne Best versorgte die Theologenzelle sogar mit einem Schachspiel, so
dass Bonhoeffer noch einmal seiner alten Leidenschaft frönen konnte."
Am 8. April 1945 wurde Dietrich Bonhoeffer in das KZ Flossenbürg gebracht, wo
er nach einem nächtlichen Standgericht am 9.4. zusammen mit u.a. Oster und
Canaris hingerichtet wurde.
In seinem zum Jahreswechsel 1944/45 verfassten Gedicht "Von guten Mächten"
hatte Bonhoeffer geschrieben:
Und reichst Du uns den schweren Kelch, den
bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus Deiner guten und geliebten Hand.
Der Lagerarzt berichtete zehn Jahre nach Bonhoeffers
Hinrichtung (vergl. Eberhard Bethge, aaO., S. 1038): "Ich habe in meiner
fast 50jährigen ärztlichen Tätigkeit kaum je einen Mann so gottergeben
sterben sehen."
Gerald Schendel