Keres-Gedenkturnier in Tallinn

von Klaus Besenthal
08.01.2023 – Von Freitag bis Sonntag wurde in der estnischen Hauptstadt Tallinn das 32. Keres Memorial als kombiniertes Blitz- und Rapidturnier durchgeführt. In Abwesenheit russischer Teilnehmer holten sich zwei ukrainische Großmeister die Turniersiege: Vitaliy Bernadskiy im Blitzturnier, Yuriy Kuzubov im Rapidturnier. | Fotos: Estnischer Sportverband

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32. Keres Memorial in Tallinn

Der estnische Großmeister Paul Keres (1916-1975) musste, den politischen Gegebenheiten geschuldet, einen Großteil seiner Schachkarriere als Sowjetbürger durchleben, denn sein Heimatland Estland war nach dem Ende des 2. Weltkriegs endgültig Teil des russischen Riesenreichs geworden. Zuvor, während der deutschen Besatzung Estlands, hatte Keres an Turnieren im Deutschen Reich teilgenommen, was vielleicht erklärt, dass man ihn im politisch gesteuerten Sowjetschach nicht für einen geeigneten Weltmeister hielt und ihn entsprechend behindert hat - jedenfalls hält sich das Gerücht, dass dies so war. Tatsächlich aber war Keres wohl einer der stärksten Spieler überhaupt, die nie Weltmeister werden konnten, ein Sachverhalt, der zu seinen Lebzeiten nicht unwichtig war. Die Bedeutung von Paul Keres ist im Estland unserer Tage nach wie vor groß. Man muss sich dies vor Augen halten: Zu seiner Beerdigung kamen 1975 100.000 Menschen! Es ist also nachvollziehbar, dass das Keres-Gedenkturnier immer noch existiert und gerade seine 32. Auflage erlebt hat.

Schaut man sich das kleine Estland auf der Landkarte an, dann wird einem sofort deutlich, wie wichtig die NATO-Mitgliedschaft für Estland sein dürfte. Vermutlich ist sie der einzige Schutz vor der erneuten "Übernahme" durch Russland. Estland ist die nördlichste der drei baltischen Republiken; die Hauptstadt Tallinn liegt etwa 80 km südlich von Helsinki am Finnischen Meerbusen. Am östlichen Ende dieser Ostseebucht befindet sich St. Petersburg - die Geburtsstadt von Wladimir Putin. Die Grenze zu Russland verläuft zu einem Großteil durch den Peipussee, aber es gibt auch ein Stück Landgrenze. Narva, die Grenzstadt zu Russland, ist der Geburtsort von Paul Keres.

Aufgrund der geographischen Lage Estlands ist es nicht verwunderlich, dass die Teilnehmer am Keres Memorial, neben Estland natürlich, oftmals aus Ländern wie Lettland und Litauen, Finnland und Schweden kommen. Und es müssten eigentlich auch viele Russen da sein, doch das ist nicht der Fall, denn Estland hat die Visaerteilung für Russen drastisch eingeschränkt. Möglicherweise zeichnet sich hier im Kleinen bereits ab, wie die Schachwelt in Zukunft aussehen könnte: "Privat" veranstaltete Turniere im "Westen" finden mit immer weniger (oder gar keinen) Teilnehmern aus Russland statt, während die von einem ehemaligen Mitglied der russischen Regierung geleitete FIDE mit ihren Aktivitäten unmerklich mehr und mehr Richtung Asien tendiert. Denn anders als zu den Lebzeiten von Paul Keres findet man heutzutage in Asien alles, was es für ein interessantes Schachturnier braucht: leistungsfähige Sponsoren, schöne Hotels und jede Menge hochbegabter junger Schachspieler und -spielerinnen.

Starke Schachspieler waren aber auch zu dem mit 10.000 Euro dotierten Keres Memorial nach Tallinn gekommen, auf der Setzliste des elfrundigen 15+5-Schnellturniers angeführt von dem deutschen Großmeister Daniel Fridman, der ein knappes Jahr nach Keres Tod in Riga geboren wurde, der Hauptstadt des eine (Balten-) Republik weiter südlich gelegenen Lettland. Fridman musste sich am Ende des Turniers jedoch mit Platz 10 begnügen, während es der Ukrainer Yuriy Kuzubov mit seinen 9,0/11 alleine bis ganz an die Spitze schaffen sollte. Die entscheidende Weichenstellung gelang Kuzubov in Runde 9, als er sich gegen den Finnen Sipila den vollen Punkt holte:

 

 

Die ausgezeichnete Organisation mit den individuellen Namensschildern hätte sicher auch Paul Keres gefallen (der auf diesem Foto am linken Bildrand in die falsche Richtung schaut)

Abschlusstabelle des Rapidturniers nach 11 Runden

Rk. Name Pts.  TB1 
1 Kuzubov Yuriy 9 75
2 Laurusas Tomas 8,5 73,5
3 Kulaots Kaido 8 72
4 Sipila Vilka 8 71,5
5 Bernadskiy Vitaliy 8 71
6 Pultinevicius Paulius 8 68,5
7 Nyback Tomi 7,5 74,5
8 Meshkovs Nikita 7,5 72
9 Novik Maxim 7,5 71
10 Fridman Daniel 7,5 71
11 Ehlvest Jaan 7,5 70,5
12 Chukavin Kirill 7,5 64,5
13 Mierins Emils Janis 7,5 64,5
14 Krivenko Dion 7,5 64
15 Grigoriants Sergey 7 72,5
16 Haitin Ilja 7 69
17 Palchuk Andrii 7 64,5
18 Sinitsina Anastassia 7 61,5
19 Pedoson Georg Aleksander 7 61
20 Volodin Aleksandr 6,5 72,5
21 Golubovskis Maksims 6,5 71
22 Shishkov Andrei 6,5 69,5
23 Seeman Tarvo 6,5 67,5
24 Golubenko Valeriy 6,5 66,5
25 Rychagov Nikita 6,5 65
26 Nestor Kaarel 6,5 64,5
27 Narva Jaan 6,5 63
28 Abozenko Georg 6,5 61,5
29 Dubrovin Robert 6,5 60,5
30 Medar Marti 6,5 59
  Obolonin Filipp 6,5 59
32 Kuhn Ulf 6,5 57,5
33 Zigailov Sergei 6,5 55,5
34 Muutnik Valdo 6 65
35 Schults Olev 6 64
36 Agafonov Yuri Dr 6 64
37 Mikko Rondo 6 63
38 Kull Tormi 6 61,5
39 Haavamae Henrik 6 57,5
40 Golubenko Valentina 6 54
  Telliskivi Sven 6 54
42 Stangl Anita Dr. 6 52

Insgesamt > 90 Teilnehmer

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Blitzturnier

Das Keres Memorial begann am Freitag zunächst mit einem neunrundigen Blitzturnier, das der Ukrainer Vitaliy Bernadskiy mit 8,0/9 dank der besseren Feinwertung vor dem punktgleichen Daniel Fridman gewinnen konnte.

Siegerfoto vom Blitzturnier: Paulius Pultinevicius, Jaan Ehlvest, Daniel Fridman, Vitaliy Bernadskiy (v.l.n.r.)

Abschlusstabelle des Blitzturniers nach 9 Runden

Rk. Name Pts.  TB1 
1 Bernadskiy Vitaliy 8 50
2 Fridman Daniel 8 48,5
3 Pultinevicius Paulius 7 52,5
4 Ehlvest Jaan 7 48,5
5 Palchuk Andrii 7 46,5
6 Nyback Tomi 6,5 49
7 Kukk Sander 6,5 46,5
8 Meshkovs Nikita 6,5 46
9 Golubovskis Maksims 6,5 43
10 Shishkov Andrei 6,5 42,5
11 Chukavin Kirill 6 48
12 Nestor Kaarel 6 46,5
13 Laurusas Tomas 6 46
14 Sinitsina Anastassia 6 46
15 Pedoson Georg Aleksander 6 45
16 Volodin Aleksandr 6 44
17 Sipila Vilka 6 43,5
18 Kuzubov Yuriy 6 43,5
19 Kunitson Nikolai 6 41
20 Ter-Avetisjana Agnesa Stepania 6 37,5
21 Obolonin Filipp 5,5 46,5
22 Novik Maxim 5,5 44,5
23 Schults Olev 5,5 42
  Mierins Emils Janis 5,5 42
25 Tanav Tiit 5,5 42
26 Valner Uku 5,5 39
27 Stangl Anita Dr. 5,5 32

Insgesamt > 90 Teilnehmer

Turnierseite beim estnischen Sportverband

Das Keres Memorial bei Chess-Results


Klaus Besenthal ist ausgebildeter Informatiker und ein begeisterter Hamburger Schachspieler. Die Schachszene verfolgt er schon seit 1972 und nimmt fast ebenso lange regelmäßig selber an Schachturnieren teil.