Die Eröffnungstheorie und datenbankbasierte statistische Werte haben immer
schon darauf hingedeutet, mit Hilfe der 32-Steiner konnte der amerikanische
Wissenschaftler Ken Thompson (Miterfinder von Unix) endlich den Beweis antreten:
Der Anzugsvorteil von Weiß ist eklatant und bietet dem Spieler, der die weißen
Steine führt, eine sehr hohe Gewinnchance, allerdings abhängig von der
gewählten Eröffnung.
Ken Thompson
Thompson konnte nachweisen, dass
z.B. die meisten Sizilianischen Varianten nicht korrekt sind. Die
Drachenvariante ist auch bei bestem schwarzen Spiel in spätestens 178 Zügen
verloren. Besser ist die Tajmanov-Variante, allerdings muss auch hier Schwarz
nach spätestens 254 Zügen die Waffen strecken. Bei anderen Varianten sieht es
ähnlich aus. Noch nicht fertig mit der Auswertung ist der amerikanische
Datenbankspezialist mit der Najdorf-Variante. "Es scheint, dass ca. 370 der
Hauptsysteme mit ewigem Schach enden," gab Thomson bekannt, "einige
Zugreihen müssen noch allerdings noch abgelesen werden." Bisher ist nur
die Russische Verteidigung als absolute Remiseröffnung vollständig
ausgewertet. In der Caro-Kann Verteidigung stehen noch die Ergebnisse des
Panow-Angriffs aus. "Lässt man Panow außen vor, ist Caro-Kann in jedem
Fall remis," so Thompson.
Aber nicht nur die Profis werden
einigen Nutzen aus den 32-Steinern ziehen können, Thompson will diese nämlich
allen Schachfreunden zugänglich machen. "Mit 670 DVD-CDs ist der
Lieferumfang zwar im Moment noch etwas groß, aber in einigen Jahren wird es
Medien geben, auf denen man die Datenmenge ohne Probleme unterbringen kann. Für
die effiziente Nutzung der 32er-Tablebases ist übrigens eine vollständige
Installation aller Daten auf Festplatte unumgänglich." Matthias Feist
(ChessBase) hat inzwischen erklärt, dass er bereits an einer Einbindung der
32er-Tablebases für Fritz arbeitet.
In einer Blitzumfrage per eMail konnten wir schon einige Stellungsnahmen zu
dieser neuen Entwicklung einholen.
Gary Kasparov: "Mir war klar, dass das früher oder später kommen wird.
Spieler mit gutem Gedächtnis (lacht) werden im Vorteil sein. In Partien gegen
Computer wird das sicher Auswirkungen haben, obwohl ich nicht glaube, dass die
Programme deshalb besser sind als damals Deep Blue. Ich bin sogar überzeugt,
dass IBM schon 1997 Zugriff auf Beta-Ergebnisse hatte. Bisher wurden die
Rechen-Protokolle ja nicht vorgelegt, aus gutem Grund, wie es scheint.
"
Vladimir Kramnik: "Die Computer
werden eben immer stärker. Zum Glück habe ich gerade einen Vertrag
unterschrieben, der mir zusichert, dass ich für meinen Wettkampf gegen Deep
Fritz die Engine 30 Tage vorher zugeschickt bekomme. Dann kann ich mich für
meinen Wettkampf gegen Fritz gut darauf einstellen."
Vishy Anand: "Wenn es notwendig ist, die 32-Steiner auswendig zu lernen,
dann muss man das eben machen."
Alexej Shirov: "Wahrscheinlich bekommt Kasparov die 32-Steiner viel früher
als die anderen Spieler oder auf schnelleren DVDs."
John Nunn: "Eine sehr interessante Entwicklung. Ich habe schon die
Vorbereitungen für mein neues Buch "The real complete Najdorf"
begonnen. Außerdem konnten in der NCO (Nunn's Chess Opening) einige
Vereinfachungen und Kürzungen durchgeführt werden, z.B. auf S.278 (2.Auflage):
1.e4 e5 2.Sf3 Sf6 =."
Robert Hübner: "Diese Nachricht bestärkt mich in meiner schon früher
geäußerten Auffassung, dass die Computer den Menschen keinen Nutzen bringen
und ihnen die Freude selbst an so harmlosesen Dingen wie Schach rauben. Im
Übrigen bin ich ganz sicher, dass sich selbst bei flüchtigster Durchsicht
zeigen wird, dass alle meine Partien von Grund auf fehlerbehaftet sind und alle
meine Bemühungen damit völlig sinnlos waren."
Peter Leko: "Ich habe gleich gewusst, dass Russisch ist beste Eröffnung
für Schwarz."
Luis Rentero: "Die Spieler
sollen wissen, dass auch nach Bekanntwerden dieser Nachricht keine Veranlassung
besteht zu denken, man könne ein Kurzremis spielen, nur weil das Ergebnis
vielleicht schon bekannt ist. Außerdem sehe ich keinen Grund mehr für die
immer höheren Antrittsforderungen, schließlich ist doch schon alles maschinell
vorgerechnet."
Kirsan Illiumshinov: "Das
FIDE-Präsidium wird die Delegierten in Kürze über das Abstimmungsergebnis der
nächsten Vollversammlung unterrichten, wonach die Bedenkzeit für die Finals
angesichts der neuen technischen Entwicklungen auf 4 Minuten + 2 Sekunden
festgelegt werden. Sollten Stichkämpfe notwendig werden, so werde diese im
Internet mit der Bulletbedenkzeit von 1 Minute + 0 Sekunden gespielt. Wir haben
eine Umfrage unter einem repräsentativem Internetweltmeister durchgeführt, der
sich in überwältigender Mehrheit dafür ausgesprochen hat.
Frans Morsch: "Nachdem dies
bekannt wurde, wusste ich ich im ersten Moment nicht so recht, wie ich die
Fritz-Engine noch verbessern sollte, doch nun habe ich doch noch einige
interessante Ideen, wie man das Spiel auch nach Einbindung der 32-Tablebases
noch optimieren kann."
AS/1.4.2002