Unzicker-Gala
ein „Meisterstück“
Grischuk fordert Anand / Interview mit Hans-Walter Schmitt: Chess Classic Mainz
als „Olympische Spiele des Schnellschachs“
Die
Teilnehmerfelder für die Top-Wettbewerbe bei den Chess Classic Mainz (9.-14.
August) sind komplett. Alexander Grischuk (Russland) wird nach seinem zweifachen
Open-Triumph in der Rheingoldhalle Seriensieger Viswanathan Anand (Indien) im
Kampf um die Schnellschach-WM herausfordern. Im Chess960 trifft Weltmeister
Peter Swidler (Russland) auf Zoltan Almasi (Ungarn). Vier Schach-Legenden
treffen sich, um den 80. Geburtstag von Wolfgang Unzicker zu feiern: Neben dem
Jubilar aus München treten Anatoli Karpow (Russland), Viktor Kortschnoi
(Schweiz) und Boris Spasski (Frankreich) an! Hartmut Metz unterhielt sich mit
dem 53-jährigen Organisator Hans-Walter Schmitt über den Höhepunkt des
Schach-Sommers.
Frage:
Herr Schmitt, weshalb erhält Alexander Grischuk die Chance, Viswanathan Anand im
Kampf um die Schnellschach-Weltmeisterschaft zu fordern?
Schmitt:
Alle Welt weiß, dass wir immer nach der besten Lösung für Zuschauer und
Sponsoren suchen. Für mich war letztes Jahr nach Grischuks zweitem Triumph im
ORDIX Open klar, dass er die größte Herausforderung für den besten
Schnellschachspieler der Welt, den siebenfachen Chess-Classic-Champion
Viswanathan Anand, darstellt. Solch ein hochkarätiges Mammutturnier wie das
ORDIX Open gewinnt man nicht zufällig zweimal hintereinander. Außerdem ist
dieser junge Mann noch nicht so verheizt und bekommt bisher trotz des
zwischenzeitlichen Weltranglistenplatzes sechs kaum Einladungen zu Topturnieren
wie Linares, Sofia oder Dortmund. Hinzu gesellt sich unsere Simultan-Tradition
an 40 Brettern. Grischuk gibt nun erstmals in Deutschland eines. Mein Respekt
und meine Bevorzugung fußt aber hauptsächlich darauf, dass er freiwillig die
Qualifikations-Tortur im härtesten Schnellschach-Open der Welt durchlaufen hat.
Das kann ansonsten nur Alexander Morosewitsch behaupten, der 2004 Grischuk
hauchdünn den Vortritt lassen musste. Der Einsatz der vielen Weltklasse-Kollegen
der beiden konzentriert sich dagegen lediglich darauf, Anfragen zu stellen, ob
sie direkt die höchste Weihe im Schnellschach erfahren – sprich das Match gegen
die Nummer eins der Welt, Viswanathan Anand, bestreiten dürfen.
Frage:
Garri Kasparow soll auch angeklopft haben.
Schmitt:
Das stimmt. Er kam, das gebe ich ehrlich zu, bis zu der Verkündigung seines
Rücktritts im März stark in Frage. Aber vielleicht gelingt es uns ja, ihn zur
13. Ausgabe – schließlich seine Lieblingszahl - wieder zu aktivieren! Allerdings
sollte das dann keine pure Gaudi sein, sondern ein echter Kampf um die
regelmäßig stattfindende Schnellschach-Weltmeisterschaft werden! Gut hätte sich
Kasparow auch als Teilnehmer in der Gala zum 80. Geburtstag von Wolfgang
Unzicker gemacht – aber leider waren wir da schon komplett.
Frage:
Wäre Wesselin Topalow als neuer Weltranglistenzweiter hinter Anand die
attraktivere Wahl für die WM gewesen?
Schmitt:
Die Nummer eins gegen die Nummer zwei der Weltrangliste ist auf dem Papier
sicher immer ein Super-Highlight. Aber bei uns geht es um Schnellschach, 25
Minuten plus zehn Sekunden pro Zug – und dabei gehört Topalow, bei allem Respekt
vor seinem Kampfgeist und seinen tollen Partien, wirklich noch nicht zur ersten
Wahl. In Sofia räumte Topalow selbst ein, dass er „im Schnellschach keine Chance
gegen Anand“ habe. Deswegen wollte der Bulgare dort unbedingt ein
Tiebreak-Match, das bei Punktgleichheit angestanden hätte, vermeiden. Seine
Aussage bestätigt auch Topalows schlechte Endplatzierung in Monaco. Das direkte
Duell gegen Anand endete dort 0:2. Dies als Grundlage genommen, ließe sich kaum
Spannung prognostizieren. Alexander Grischuk ist dagegen meines Erachtens der
stärkere Herausforderer für den Superstar der Chess Classic. Diese Ansicht teilt
im Übrigen selbst Vishy!
Frage:
Nach der GrenkeLeasing AG scheint auch die FiNet AG ganz groß einzusteigen. Das
Unternehmen übernimmt nach dem Chess960 Open auch die
Chess960-Weltmeisterschaft.
Schmitt:
Am 27. April ereilte mich eine schockierende Nachricht: sofortiger Ausstieg der
Gerling AG, bedingt durch den Übernahmeversuch eines Investors aus Übersee. Das
damit verbundene Finanzloch hat die FiNet AG umgehend gestopft! Der
FiNet-Vorstandsvorsitzende Peter Kunath hat sich als wahrer Freund des neuen
Schachs erwiesen. Ihm liegt Chess960 und das Organisationsteam der Chess Tigers
sehr am Herzen. Ich hatte auch das Gefühl, dass er mir persönlich aus der
Patsche helfen wollte, genauso wie der Mainzer Oberbürgermeister Jens Beutel und
der Vorstandsvorsitzende der Baden-Badener GrenkeLeasing, Wolfgang Grenke. In
Not tut es verdammt gut, wenn gute Freunde beziehungsweise Geschäftspartner
einem zur Seite springen. Dank dieser können wir unseren ursprünglichen
Event-Plan ohne allzu große Abstriche realisieren.
Frage:
Sie sind ja selbst ein großer Fan der alten Recken. Wie werten Sie das Feld bei
der Unzicker-Gala zum 80. Geburtstag des Münchners?
Schmitt:
Ich betrachte es als mein diesjähriges „Meisterstück“. Meine Hochachtung galt
schon lange Zeit dem deutschen „Freizeit“-Großmeister Wolfgang Unzicker, der
eine normale berufliche Karriere als Jurist eingeschlagen hatte. Mein Respekt
vor seinem Lebenswerk stieg jetzt nochmals enorm, als ich miterleben durfte, wie
Schachgrößen eines Kalibers von Boris Spasski, Anatoli Karpow und Viktor
Kortschnoi der Einladung umgehend und gerne folgten. Die Chess Tigers sind stolz
darauf, die Unzicker-Gala organisieren zu dürfen. Wir hatten nur ein wenig
Angst, dass uns andere Veranstalter wie der Deutsche Schachbund (DSB) die Idee
oder gar die Ausführung wegschnappen könnte.
Frage:
Sie scherzen. Der DSB übte sich einmal mehr in Untätigkeit für einen verdienten
Nationalspieler.
Schmitt
(grinst): Jedenfalls haben die Karjakins, Carlsens und Nakamuras ein bisschen
Pause. Statt auf Wunderkinder setzen wir auf Legenden.
Frage:
Sehen Sie aber nicht die Gefahr, dass dieses fantastische Feld die
Hauptwettbewerbe in den Schatten stellt?
Schmitt:
Nein. Wir streben bei den Chess Classic immer in allen Wettbewerben das Maximum
an. Diese Nonplusultra-Besetzung hatte ich mir bereits im Oktober gewünscht.
Dass sie in die Tat umgesetzt werden konnte, verdanken wir auch der rührigen
Mithilfe von Unzickers Sohn Ferdinand. Und was heißt in den Schatten stellen?
Die regelmäßigen Frager vergessen einfach die Chess-Classic-Fakten: Seit Jahren
präsentieren wir den absolut besten Schnellschachspieler der Welt, Vishy Anand,
in elektrisierenden Zweikämpfen. Sei es gegen Wladimir Kramnik, Ruslan
Ponomarjow oder die herausragende Frau, Judit Polgar, Alexej Schirow und jetzt
Alexander Grischuk. Wir haben zudem das neue Schach, Chess960, nach Fischers
Ideen aus der Taufe gehoben und führen Weltmeisterschaften durch. Schon
vergessen? Wer Hauptakteure – vergleichbar zu Tiger Woods (Golf), Lance
Armstrong (Rad) oder Michael Schuhmacher (Formal 1) - zu Gast hat, braucht doch
selbst keine „Monumente des Schachspiels“ zu fürchten. Das gehört doch auf dem
Niveau dazu. Auch unsere Open und Veranstaltungen strotzen vor hochklassigen
Teilnehmern. Ein kleiner Wettbewerb würde gar nicht ins Konzept passen. Wir
möchten in die Rolle der Olympischen Spiele für das Schnellschach schlüpfen.
Frage:
Im FiNet Open erhalten neben dem Sieger, der 2006 gegen den Gewinner von Swidler
- Almasi um die Chess960-WM spielen wird, vier weitere Gruppen die Gelegenheit,
ab 2006 um eine Weltmeisterschaft zu spielen.
Schmitt:
Wir haben das Interesse an Chess960 entfacht. Jetzt gilt es, diese Entwicklung
zu verbreitern und die Qualifikation im FiNet Open durchzuziehen, um nächstes
Jahr nach dem Vorbild des WM-Duells zwischen Swidler und Almasi auch die
Kategorien Frauen und Senioren, Jugend U20 und U14 vorzubereiten. Die
Hilfsmittel, Programme und Datenbanken (Onlineerfassung, Kommentierung,
Systematisierung, Lehren&Lernen) rollen ja schon. Mit der diesjährigen
Qualifikation und den kommenden Weltmeisterschaften 2006 versuchen wir den Markt
weiter für Fischers Idee Chess960 zu öffnen. Mit dem FiNet Open und der
Weltmeisterschaft haben wir einen komplett offenen Zyklus für jeden Teilnehmer
etabliert. Die gleiche Architektur wählen wir auch für die Livingston
Chess960-Computer-WM. Hinzu kommt ein Match zwischen Mensch und Programm.
Frage:
Sie sehen die Chess Classic auch immer besonders dem Service verpflichtet –
sowohl den Zuschauern wie den Sponsoren gegenüber. Vom 9. bis 14. August haben
Sie einige zusätzliche Angebote wie Kinderbetreuung geplant.
Schmitt:
Auch hier machen wir Ernst mit dem Angebot für „Wenigzeitinhaber“. Wir werden
während der Open einen Kinder-Club etablieren, in dem professionelle
Erzieherinnen die Kinder betreuen. Den Kleinen stehen neben Malen und Basteln
auch kurzweilige Schach-Angebote zur Verfügung, etwa der Schach-Kinderfilm
„Lang lebe die Königin“ oder Spiele mit Fritz&Fertig. Während der Abendstunden
wird in einem der Goldsäle der Gourmet Club eingerichtet. Hier wird alles
geboten, was mit dem „Genießen“ des Schachs zusammenhängt: Kommentieren,
diskutieren, wetten, essen und trinken in lockerer Atmosphäre.
Das Motto lautet „Chess meets Business“ oder „Chess needs
Business“. Wir werden diesbezüglich erst Ende Mai mit dem Hilton den
Fahrplan genau festlegen. Außerdem haben wir mit Livingston, Europas größter
Vermietungsagentur für Computer-Messeausstattung, einen erstklassigen Partner
für die Präsentation von Schach gefunden, dazu mit Schach Niggemann den größten
Anbieter für Schachartikel im messeähnlichen Forum. Wir geben also noch einmal
richtig Gas, was den Zuschauerservice angeht.
Frage:
Wie hoch gewinnt Ihr Ziehsohn Anand heuer die Chess Classic?
Schmitt:
Die Frage ist arrogant, dazu gebe ich keinen Tipp ab. Dazu nur so viel: Mein
Freund Anand ist nicht unschlagbar – auch wenn er in Schnellschach-Zweikämpfen
nahe an dieses Prädikat herankommt! Man hat aber trotzdem in den Duellen bei den
Chess Classic in der Vergangenheit beobachten können, wie hart er kämpfen
musste, um Kramnik, Judit Polgar und Ruslan Ponomarjow letztendlich in die
Schranken zu weisen. Dieses Mal trifft er auf den einzigen Doppel-Sieger des
ORDIX Open und einen vor Ehrgeiz sprühenden Herausforderer, was die Sache nicht
gerade leichter macht. Kasparow, Kramnik, Peter Leko und Wesselin Topalow wären
aus meiner Sicht leichter für ihn zu spielen und zu besiegen gewesen. Hauptsache
aber ist, dass es ein spannendes Match wird, die Jungs kämpfen und die Fetzen
fliegen. Am Schluss soll der Bessere gewinnen.
Frage:
Und bleibt Peter Swidler Chess960-Weltmeister?
Schmitt:
Herausforderer Zoltan Almasi wird sicher ehrgeizig ans Werk gehen. Ich traue
jedoch Peter Swidler zu, dass er den Titel verteidigen wird.