Treffen der Chess Collectors im Museum
für Kunst und Gewerbe
Von André Schulz
Video mit kurzem Statement von Issak Linder....
Plakat in Hamburg
Die Vereinigung der Chess ist den meisten
Schachfreunden wahrscheinlich eher unbekannt. In den CCI haben sich einige der
großen Schachsammler organisiert, die ihren Zugang zum Schach vor allem über die
Freude am Sammeln von Schachgegenständen gefunden haben.
In der Berichterstattung der Schachmedien
steht heute vor allem das Wettkampfschach im Vordergrund. Tatsächlich lebt das
hervorragende Ansehen, dass das Schach in der Gesellschaft genießt, aber auch in
großem Maße von den vielen Kunstgegenständen, die sich mit dem Schach
beschäftigt haben bzw. an der Beschäftigung mit dem Schach entstanden sind. Dazu
gehört z.B. die Literatur: Schon in früher Zeit wurden Bücher geschrieben und
gedruckt, in denen das Spiele beschrieben wurde und heute ist Schach wohl eines
der Themen, zu denen die meisten Bücher veröffentlicht wurden.
Ein anderes großen Feld sind die
Schachfiguren. Figuren wurden über viele Jahrhundert in allen Kulturen und mit
ganz unterschiedlichen Werkzeugen, aus aus ganz verschiedenen Materialien und
mit ganz verschiedenem künstlerischem Zugang angefertigt.
Bauhaus-Schachspiel
Aus der Ausgestaltung der Schachfiguren der
verschiedenen Epochen lassen sich Hinweise auf die geschichtlichen Vorgänge
jener Zeit ablesen.
Viele unbekannte und bedeutende Künstler
haben ihre Kunst am Thema Schach geübt und gemessen.
Einige Künstler waren auch leidenschaftliche
Schachspieler. Am bekanntesten ist Marcel Duchamp, der seine Kariere als
Künstler sogar zugunsten einer Profikarriere als Schachspieler aufgegeben hat.
Auch er hat einen Bezug zu Hamburg, denn 1930 spielte er hier bei der
Schacholympiade, die Walter Robinow, Präsident des Hamburger Schachklubs und
Präsident des Deutschen Schachbundes, anlässlich der 100 Jahr-Feier des
Hamburger Schachklubs in die Hansestadt geholt hatte.
Die Ausstellung "Schachpartie durch Zeiten und Welten", wird nun 75 Jahre später
ebenfalls in Hamburg gezeigt. Der Anlass ist das nun 175-jährige Jubiläum des
Hamburger Schachclubs. Initiiert wurde die Ausstellung von Hans Krieger, der
schon seit einigen Jahren auf diesen Termin hingearbeitet hatte und die
Ausstellung anregte. Tatsächlich unterwarf man sich beim Hamburger Schachklub
auch der Mühe, sich einen eigenen Raum einzurichten, in dem man neben den
"stillen" Gegenständen der Ausstellung "lebendiges Schach" präsentiert. Wer mag,
kann hier spielen oder sich unterrichten lassen. Besonders Hamburger
Schulklassen möchte man einladen, die Austellung zu besuchen und "en passant"
etwas Schachunterricht mitzunehmen (Anfragen an den Vorsitzenden des Hamburger
Schachklubs Christian Zickelbein
CHZickelbeinHSK@aol.com, bzw. 0171-4567172). An einigen Personen des
Hamburger Schachklubs und deren Schicksal lassen sich exemplarisch die
Schicksale der Menschen jener Zeit mitverfolgen. Walter Robinow wird, weil er
Jude ist, aus seinen Ämtern gedrängt. (Eine Darstellung der Geschichte des
Deutschen Schachbundes kann bei
Dr. Harald Balló nachgelesen werden.)
Der 21-jährige Klaus Junge, der Aljechin
geschlagen hatte und von manchen schon als kommender Weltmeister gehandelt
wurde, stirbt in den letzten Kriegstagen in der Nähen von Hamburg.
Die Chess Collectors waren wohl an allen großen Schachaustellungen der
Vergangenheit mit Leihgaben beteiligt und haben auch einen großen Teil der
Figuren, Bücher und Gemälde bereit gestellt, die in Hamburg gezeigt werden. Die
Vereinigung ist international, einer der führenden Sammler ist Dr. Thomas
Thomsen (Interview:
Dr. Thomas Thomsen (Chess Collectors)...)
aus Deutschland, der auch der Präsident der CCI ist. Dr.
Michael Negele, selber Sammler von Schachbüchern, Schachhistoriker und
Kolumnist, meinet, dass die Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe nach dem
Wert und der Anzahl der gezeigten Ausstellungsstücke die größte
Schachausstellung der Geschichte sei. Neben dem besuch der Ausstellung standen
beim Treffen der Collectors eine Reihe von kunst- und schachhistorischen
Vorträgen auf dem Programm.
Zu den prominentesten Teilnehmern des Treffens gehörten Lothar Schmid, der eine
der größten Schachbuchsammlungen der Welt besitzt, sowie der Schachhistoriker
Issak Linder (84) und der Großmeister Yuri Averbach (83).
Lothar Schmid
Yuri Averbach
Isaak Lindner (re.) mit Stefan Hansen
Beide sind trotz ihres fortgeschrittenen
Alters sehr unternehmungslustig und die Reise von Moskau nach Hamburg, um die
Ausstellung zu sehen und sich mit Vertretern der Lasker-Gesellschaft zu treffen
war für sie eine Selbstverständlichkeit. Averbach und Linder sind seit langem
miteinander befreundet und erzählten, dass sie mit einem weiteren Freund,
Vassily Smyslow, schon seit 1935 zusammen Schach spielen. 1935 hielt sich auch
Lasker in Moskau auf Isaak Lindner nahm als 14-Jähriger bei einer
Simultanveranstaltung teil, in dessen Verlauf Lasker sein Spiel lobte und ihm
die Hand schüttelte. Wer also Gelegenheit hat, nun Isaak Lindner die Hand zu
schütteln, ist zwar 70 Jahre, aber auch nur eine Hand weit von Lasker entfernt.
Neben den Chess Collectorn waren auch
Vertreter der Lasker-Gesellschaft anwesend. Zum Teil überschneiden sich die
Mitgliedschaften; beide Organisationen fühlen sich der Schachgeschichte und
Schachkultur verpflichtet. Die Lasker-Gesellschaft hat sich 2001 in Potsdam
gegründet und gleichzeitig eine Aufsehen erregende mehrtägige Konferenz mit
vielen prominenten Gästen, Spielern und Historikern, und Vorträgen über Lasker
abgehalten (Laskerkonferenz,
Potsdam 2001...).
Mit der Hilfe des tatkräftigen
Vorstandsmitglied Stefan Hansen, auch Geschäftsführer der Werbeagnetur Dorland,
plant die Laskergesellschaft in Berlin ein Schachzentrum mit einer
Schach-Dauerausstellung. Die Eröffnung wird voraussichtlich im Oktober 2005
sein.
Treffen der Lasker-Gesellschaft im Museum für Kunst und Gewerbe
Andreas Saremba
GM Lothar Schmid und Susanna Poldauf
Stefan Hansen (m.) im Gespräch mit Lothar Schmid
Stefan Hansen und Yuri Averbach
Yuri Averbach, der Endspielpapst der Sechziger-Achtziger Jahre
Links:
Chess Collectors...
Lasker-Gesellschaft...
Ausstellungstext:
Schachpartie – Durch
Zeiten und Welten
Text der Ton-Dia-Schau
Das Schach
gehört zu den ältesten Brettspielen in Europa und dem Orient. Herkunft und
Entstehungszeit des Spiels liegen nach wie vor im Dunkeln. Vermutlich entstand
es im 6. Jahrhundert in Indien und wurde bald auch im benachbarten Persien
gespielt. Auf jeden Fall existierte es bevor die Araber in der Mitte des 7.
Jahrhunderts das persische Reich eroberten, dort das Schachspiel kennen lernten
und damit dessen Verbreitung in den Westen einleiteten. Mit dem Vorstoß des
Islam durch Nordafrika auf die iberische Halbinsel, dürfte das Schach im 8.
Jahrhundert nach Europa gelangt sein.
Die
vermittelnde Rolle Persiens bei der Verbreitung des Schachspiels ist bis heute
an seinem Namen ablesbar, der sich in vielen europäischen Sprachen aus einem
persischen Wortstamm herleitet: schah, der König.
So
unterschiedlich sich die Regeln des Schachspiels und das Aussehen der
Spielsteine in Morgen- und Abendland entwickelt haben, die Aufteilung der
Spielfläche ist in beiden Erdteilen identisch. Sie besteht aus 64 quadratischen,
meist durch zwei Farben im Wechsel hervorgehobenen Feldern. Die Anzahl von 16
Schachfiguren für die beiden spielenden Parteien ist ebenfalls die selbe.
Gemeinsam ist der europäischen und der orientalischen Ausprägung des Spiels
auch, dass jede Partei über sechs Figuren verfügt, die sich in ihrer
Bewegungsfähigkeit auf dem Spielfeld unterscheiden und auch in Aussehen und
Bezeichnung verschieden voneinander sind. Hier beginnen die Unterschiede
zwischen den Traditionen der islamischen und der westlichen Welt. So ist
beispielsweise dem König, der im Mittelpunkt stehenden Spielfigur, in Persien
und den arabischen Staaten ein männlicher Begleiter an die Seite gestellt. Aus
diesem Minister oder Wesir wurde im Westen seit dem 11. Jahrhundert eine
weibliche Begleiterin, die in fast ganz Europa als Königin, im Deutschen jedoch
als Dame bezeichnet wird. Der Verwandlung folgte eine Aufwertung der Figur.
Während sich der Wesir ursprünglich nur diagonal auf das nächste Feld bewegen
durfte, erlangte die Dame immer größere Bewegungsfreiheit, bis sie am Ende des
15. Jahrhunderts die Fähigkeit erhielt ohne Einschränkungen, in alle Richtungen
über das Feld zu ziehen.
Der
augenfälligste Unterschied zwischen orientalischem und europäischem Schach liegt
im Erscheinungsbild der Spielfiguren. In den islamischen Regionen des Orients
und Asiens wird das Aussehen der Spielsteine durch den Koran geprägt, der im
kultischen Bereich einen Verzicht jeglicher figürlicher Darstellungen gebietet.
Die Kunst des Islam ist daher traditionell ungegenständlich mit einer starken
Betonung des Ornaments. So sind es abstrakte Formen, immer neue Materialien,
kostbare Verarbeitung, Farbe und Dekoration, durch die islamische Spielsteine in
erster Linie gekennzeichnet werden. Es haben sich Exemplare aus Elfenbein,
Bergkristall, glasiertem Ton, unterschiedlichsten Steinen, wie Achat oder
Türkis, Millefioriglas und anderen Werkstoffen erhalten. Mit phantasievollen
Einlegearbeiten, z.B. aus Blei oder Elfenbein, schmückte man die Spielsteine
ebenso, wie mit leuchtenden Glasuren oder Bemalungen. Die Formen erscheinen
durch den hohen Grad ihrer Abstraktion fast modern. Bisweilen ist aber trotz
Gebot und Tradition eine Andeutung des Figürlichen erkennbar, wie etwa bei dem
Spielstein eines Springers, der im 9. oder 10. Jahrhundert in Ägypten entstanden
ist. Die aus Holz geschnitzte und mit Elfenbeineinlagen verzierte Figur besitzt
an ihrem oberen Ende einen Auswuchs, der zusammen mit den Kreisornamenten an
einen Kopf, vielleicht den eines Pferdes oder anderen Reittieres denken lässt.
Mit dem
Schachspiel selbst gelangten auch die abstrakten islamischen Spielsteine nach
Europa. Dort wurden sie zu Sammlungsgegenständen, die man nicht nur als
Schachfiguren schätzte, sondern auch aufgrund ihrer kostbaren Materialien oder
fremdländischen Erscheinung. Spielsteine aus Bergkristall sind offenbar
besonders begehrt gewesen. Das im Mittelalter äußerst wertvolle Material
verarbeitete man mit Vorliebe zu Geräten, die in den Kirchen und Klöstern auf
den Altären eingesetzt wurden. Arabische Spielsteine aus Bergkristall sind
gelegentlich zur Verzierung solcher Gegenstände verwendet worden.
Angeregt
durch den Import und die Verbreitung islamischer Spielsteine ahmte man im Westen
zunächst deren abstraktes Aussehen nach. Schon bald jedoch wurden auch
figürliche Spielsteine entwickelt, die sich schließlich durchsetzten und in
Europa bis in das 18. Jahrhundert vorherrschend bleiben sollten.
Für die
europäischen Schachfiguren des Mittelalters ist ein Reichtum an erzählerischen
Details charakteristisch. Diese sind von der Spielfunktion der Figur unabhängig
stehen aber im Zusammenhang mit der Deutung des Schachspiels als Sinnbild des
Krieges und als Abbild der feudalen Gesellschaft. Ein um 1400 in Norwegen oder
Dänemark aus Walrosszahn geschnitzter König beispielsweise ist um die Gestalt
eines Knappen erweitert worden, der seinem Herrn die Sporen anlegt (Kat. 42).
Eine reitende Dame aus dem selben Material und aus der gleichen Zeit erhielt
eine Leibgarde aus Lanzenträgern (Kat. 43). Die Figur des Springers wird in den
meisten europäischen Sprachen, aber auch im Persischen, als Reiter bzw. als
Pferd bezeichnet. Tatsächlich wurde der Springer zumeist als Ritter zu Pferd
dargestellt und spiegelte damit die Bedeutung des Rittertums wider. Der
vollständige Spielsatz entspricht dem gesellschaftlichen Gefüge des
mittelalterlichen Europa. Im Zentrum stehen König und Königin, flankiert von
zwei Läufern, die oft in der Gestalt von Hofleuten oder dem hohen Klerus
erscheinen. Neben den beiden Läufern stehen die zwei Springer und ganz außen
folgt jeweils der Turm, der im Mittelalter bevorzugt als Wachsoldat dargestellt
wurde.
Solchen
Bezügen entspricht auch die kulturelle Bedeutung des Schachspiels im
Mittelalter. Es zählte zu den geachteten Beschäftigungen des Adels und wurde
trotz gelegentlicher theologischer Einwände auch vom Klerus und vermutlich auch
von Bürgern und Handwerkern gespielt. Sowohl im christlichen Europa als auch im
Orient galt das Schachspiel als Kunstfertigkeit, die ein Regent beherrschen
sollte. Dichter, Fürsten und Gelehrte lobten das Schach als das königliche, das
edelste der Spiele. An den Höfen versammelte man sich in geselligen Runden, um
Schach zu spielen und die Züge der Gegner zu erörtern. Bereits im Mittelalter
haben Wettkämpfe stattgefunden, frühe Schachturniere, deren Sieger von den
Fürsten ausgezeichnet und reich belohnt wurden. Anlass zu Gesprächen boten vor
allem die verschiedenen symbolischen Bedeutungen des Schachspiels. Man glaubte bis in das
17. Jahrhundert, das es eine Erfindung der alten Griechen gewesen sei. Palamedes,
ein Gegenspieler des Odysseus, habe es vor dem belagerten Troja erdacht, um die
strategischen Fähigkeiten der Achäer zu schulen (Abb.1= Kat. 52; Giulio Benso,
„Schach vor Troja“). Das Spiel, so legt die Legende nahe, ist eine Episode des
homerischen Epos und quasi aus dem Krieg selbst geboren. Der Krieg aber ist
nicht durch rohe Gewalt, sondern allein durch den Einsatz des Verstandes zu
gewinnen. Denn es ist die List des Trojanischen Pferdes, die Illion zu Fall
bringt. Folglich ist das Schachspiel als Sinnbild der Klugheit gedeutet worden.
Bis hin zu Stefan Zweig, der in seiner 1941 erschienenen Schachnovelle einen
Schritt weiter geht und das Spiel als Metapher eines tragischen Wahnsinns
einsetzt.
In
Mittelalter und Renaissance dienten Darstellungen schachspielender Paare als
Anspielung auf die Liebe, auf das Verhältnis von Mann und Frau zueinander und
damit auch als Allegorie des Kampfes zwischen den Geschlechtern. Ein Gemälde des
Alessandro Valotari von 1630-40 zeigt den römischen Kriegsgott Mars und seine
Geliebte, die Göttin Venus beim Schachspiel. Die beiden Gottheiten stehen für
die gegensätzlichen Prinzipien „Krieg“ und „Liebe“. Venus bedient sich der
„Trunkenheit“, verkörpert durch den weintrinkenden Gott Silen, und der
„Wollust“, die von dem kleinen Äffchen im Vordergrund dargestellt wird, um den
Kriegsgott schachmatt zu setzen. Während die Göttin mit ihrer rechten Hand den
entscheidenden Zug tätigt, entwindet sie ihrem Gegner mit der anderen Hand
seinen schützenden Helm. Der kleine Liebesgott Amor lagert zwischen den Beinen
der Mutter. Sein angewinkeltes Ärmchen ruht in phallischer Anzüglichkeit auf dem
Schoß der Venus. In dieser Aneignung des männlichen Machtsymbols offenbart sich
der Triumph der schönen Frau über den verliebten Mann. Dem Kriegsgott bleibt
nicht einmal der Glanz vergangenen Ruhms: rittlings sitzt er auf der Trompete,
die den Ruhm symbolisiert, hier aber zur obszönen Entäußerung ohnmächtigen
Gebläses verkommt. Das Gemälde ist ein Beispiel der sogenannten „Weibermacht“,
eines im Barock beliebten Bildthemas, bei dem die konventionellen Rollen der
Geschlechter spielerisch getauscht werden.
Die Kultur
des Schachspiels und dessen allegorische Darstellungen in den bildenden Künsten
waren zu Beginn der Neuzeit hochentwickelt. Anteil daran hatte die stetig
wachsende Schachliteratur. Als Verfasser betätigten sich Gelehrte und
Aristokraten aber auch schachspielende Fürsten selbst. Bereits im
Hochmittelalter hatte der kastillische König Alfons X. sein „Buch der Spiele“
niedergeschrieben, in dem er sich ausführlich mit dem Schach befasst. Das Werk
des Alfons gilt als die älteste schachtheoretische Schrift Europas. Etwa zur
gleichen Zeit veröffentlichte der italienische Dominikanermönch Jacobus de
Cessolis ein Schachbuch, das aus seinen zahlreichen Predigten hervorgegangen
war. Diese weitverbreitete Schrift blieb über Jahrhunderte das wichtigste Werk
zur gesellschaftlichen Deutbarkeit des Schachspiels und hat wesentlich dazu
beigetragen die Schachbegeisterung auch in den bürgerlichen Schichten der
aufstrebenden Städte zu verbreiten. Unter den zahlreichen gebildeten und
schachspielenden Fürsten der Renaissance und des Barock tritt der Herzog August
von Braunschweig-Lüneburg als Autor hervor. 1616 erschien sein Buch „Das Schach
oder König-Spiel“ unter dem Pseudonym Gustavus Selenus.
Die
Spielfiguren des 16. und 17. Jahrhunderts sind oft miniaturhafte Kunstwerke von
eigenem Rang. Es ist die Blütezeit der Kunstkammern, in denen die Fürsten und
Gelehrten umfangreiche Sammlungen kurioser, wissenschaftlicher und
künstlerischer Gegenstände zusammentrugen. Angeregt durch die Entdeckung
Amerikas und die Wunder anderer ferner Regionen, versuchen die Kunstkammern eine
neue Systhematisierung der Welt. In solchen Sammlungen spielte die Kleinplastik
aus kostbaren oder exotischen Materialien eine wichtige Rolle. Deren Einfluss
auf das Erscheinungsbild der Schachspiele ist unverkennbar. Nicht nur bei der
prächtigen Gestaltung der Spielfiguren, sondern vor allem auch in den opulenten
Spielbrettern. Sie kombinieren die Spielflächen für Trick Track, Mühle und
Schach und dienen zugleich als Behältnis für die Figuren. Geschmückt sind sie
mit Intarsien aus edlen Materialien, geschnitzten Reliefs oder Malereien.
Spielsätze, in denen Europäer und Exoten einander als Parteien gegenüberstehen,
zeugen von der veränderten Wahrnehmung der Welt.
Im 18.
Jahrhundert erfolgt die endgültige Emanzipation des Schachs aus der Welt der
Fürsten und des Adels. Bühne für die Schachpartien sind zunehmend die
bürgerlichen Salons der Aufklärungszeit und vor allem die Kaffeehäuser, die in
ganz Europa wie Pilze aus dem Boden sprießen. Die Schachenthusiasten aus dem
Bürgertum begreifen das Spiel nicht mehr als Abbild der feudalen Gesellschaft,
sondern als Ausdruck bürgerlicher Vernunft. Während der Französischen Revolution
erscheint gar eine Schrift, in der Vorschläge für eine „De-royalisierung“ des
einstigen Königsspiels vorgetragen werden. Neben die abbildlichen Spielfiguren
treten am Ende des 18. und im 19. Jahrhundert vermehrt wieder abstrahierte
Figuren. Unterbrochen von einer Phase historisierender und romantischer
Rückbesinnung werden sich die weitgehend abstrakten Figuren durchsetzen und bis
in die Gegenwart das Feld behaupten. Mitte des 19. Jahrhunderts wird ein
Figurentyp entwickelt, der nach dem englischen Schachmeister Howard Staunton
benannt wurde und den Kanon der Schachfigur festgeschrieben hat.
Besonders
die Künstler und Entwerfer der Zwanziger und Dreißiger Jahre haben das
Schachspiel als gestalterische Herausforderung wiederentdeckt. Der Versuch in
der abstrakten und radikal reduzierten Form zugleich den Charakter des
figürlichen Urbildes anklingen zu lassen, ist in vielen Figurensätzen der Zeit
erkennbar. 1920 schuf der amerikanische Künstler Man Ray ein Schachspiel, bei
dem diese Aspekte in der Stilisierung von König und Dame deutlich werden. Für
die männliche Figur wählte Man Ray die maskulin-kantige Gestalt einer steilen
Pyramide, die auch als archaisches Symbol des Königtums gedeutet werden kann. Die Dame ist als Kegel
gestaltet und damit als weichere, wesensverwandte und zugleich eigenständige
Form. Ebenso kennzeichnend für die zwanziger Jahre ist die Experimentierfreude
mit neuen und alten, vor allem aber kombinierten
Materialien. Mit seinem 1924 in Hamburg entworfenen Schachtisch zitiert Richard Luksch einen durchaus
traditionellen Einrichtungsgegenstand. Die lakonische Funktionalität des Möbels
und die eigenwillige Materialkombination von Porzellan, Kupfer, Messing und Holz ist
jedoch wohl eher als ironischer Epilog auf bürgerliche Gediegenheit zu
verstehen.
Das
Schachspiel ist nicht nur in solchen gestalterischen Details ein Kulturphänomen
zwischen Tradition und Erfindungsgeist, zwischen Orient und Okzident oder
zwischen Figürlichkeit und Abstraktion. Es ist ein uraltes und zugleich
lebendiges Spiel. Heute sind es neben den unzähligen Schachspielern weltweit,
die nationalen Schachklubs, durch die das Schachspiel und dessen Geschichte
gepflegt und vermittelt werden. Einem der ältesten dieser Vereine, dem Hamburger
Schachklub von 1830, ist anlässlich von dessen 175. Geburtstag die Ausstellung
„Schachpartie durch Zeiten und Welten“ gewidmet.