Interview mit Christopher Lutz, Teil 1
Von Conrad Schormann
Fotos aus dem vorherigen Simultan: Alexandra Buck
Schacholympiade in Deutschland. Wie bereitet
sich die Nationalmannschaft vor?
Vor allen großen Meisterschaften treffen wir uns für einige Tage, tauschen Ideen
aus und gewöhnen uns aneinander. Im Vordergrund steht der Teamgeist. Als neuer
Bundestrainer hat Uwe Bönsch diese Trainings 1997 eingeführt. Der zweite Aspekt
ist natürlich das Schach. An einem normalen Trainingstag spielen wir morgens ein
paar Schnellpartien, um warm zu werden. Dann bilden sich Gruppen, und die
schauen sich bestimmte Eröffnungen an.
Jeder von Euch hat sein Arsenal von neuen Ideen und Analysen. Wie weit kann
man das ausbreiten, ohne dass es später gegen einen verwendet wird?
Man kann nicht mit jedem jede Variante analysieren, das stimmt schon. Aber durch
den Austausch mit einem anderen gewinnt man mehr, als man verliert. In der
Nationalmannschaft spielt Misstrauen keine Rolle. Rustem Dautow hätte sowie so
nichts davon, mit mir eine seiner Spezialitäten zu analysieren, von der ich
keine Ahnung habe. Er würde ziemlich viel zur Analyse beitragen, ich fast
nichts. Wenn ich mit einem anderen eine Variante analysiere, müssen wir ungefähr
auf dem gleichen Niveau sein. Sonst bringt das nichts. Dautow und Jan Gustafsson
zum Beispiel haben sich gemeinsam Slawisch mit ...a6 angeschaut. Beide kannten
sich vorher gut aus, jetzt noch besser. Sie haben voneinander profitiert.
Und alle profitieren vom Teamgeist?
Zuletzt hatten wir immer eine sehr harmonische Mannschaft. Bei der Olympiade
2000 in Istanbul liefs dann schachlich auch noch sehr gut. Dautow und Jussupow
haben sehr gut gespielt, die anderen vier normal bis gut. Am Ende waren wir
Zweiter hinter Russland. Aber so läufts nicht immer. Letztes Jahr bei der
Olympiade auf Mallorca haben vier von sechs normal gespielt und zwei schlecht.
Letztendlich spielen wir aber seit einigen Jahren oft über unseren Erwartungen.
Obwohl Ihr ohne Top-10-Spieler auskommen müsst.
Wir haben vier bis fünf Spieler, die ungefähr gleichstark sind. Vor ein, zwei
Jahren war Alexander Graf sehr stark, besser als die anderen, das hat sich jetzt
vielleicht wieder nivelliert. Mit vier, fünf gleichwertigen Spielern ist die
Mannschaftsaufstellung leichter. Andere Länder haben ein, zwei
Spitzengroßmeister, und die dürfen nie aussetzen. Die anderen müssen dann sehen,
wo sie bleiben. Dadurch entstehen Probleme im Mannschaftsgefüge. Wenn bei uns
einer mal schwächer spielt, steigt ein anderer ein.
Robert Hübner und Artur Jussupow sind aus der Nationalmannschaft
zurückgetreten, als der Weltschachbund FIDE Dopingkontrollen eingeführt hat.
Sind die Rücktritte noch aktuell?
Der von Hübner schon. Jussupow ist auch zurückgetreten, weil er das Gefühl
hatte, nicht seine optimale Leistung zu bringen. Jetzt hat er die Deutsche
Meisterschaft gewonnen, neues Interesse am Schach gefunden und will sich wieder
mehr um sein praktisches Schach kümmern. Könnte sein, dass er bei der Olympiade
2006 wieder dabei ist. Wenn Artur voll konzentriert spielt, ist er einer der
Besten.
Warum gibt es keinen deutschen Top-Ten-Spieler?
Solche Talente wachsen nicht auf den Bäumen...
...in der Ukraine?
Da werden in einigen Gegenden Talente von kleinauf gefördert, wenn auch nicht
mehr flächendeckend, auch nicht in Russland. Wenn man früh mit dem Spitzenschach
in Kontakt kommt, ergeben sich schon einige Möglichkeiten. Ich zum Beispiel habe
erst sehr spät mit richtig starken Spielern trainiert. Die nächste Frage ist,
wie geht es weiter, wenn man eine gewisse Spielstärke erreicht hat. Als
Großmeister in Deutschland ist es finanziell-materiell nicht berauschend. In
Russland oder der Ukraine kann man als Schachspieler mehr verdienen als mit
einem klassischen akademischen Beruf.
Hast du dir alles allein angeeignet?
Ich hatte zwar früh Trainingspartner vom Verein aus, aber ich war immer schnell
besser als meine Trainer. Ich war schon 22 und Großmeister, als ich das erste
Mal mit Artur Jussupow und Mark Dworetzki trainiert habe. Viel zu spät, wenn man
so will. Im Deutschen Schachbund hat sich erst in den vergangenen zehn Jahren
die Erkenntnis herauskristallisiert, dass man mit dem Training früh anfangen
muss. Diese Erkenntnis gab es in meinen Jugendjahren nicht. Das meiste habe ich
mir selbst angeeignet.
Und wann hast Du entschieden, Profi zu werden?
Das kam schleichend. Nach dem Abitur habe ich ein Studium begonnen, mich aber
zunächst aufs Schach konzentriert. Mit 21, 22 habe ich dann einen
Leistungssprung auf 2.600 gemacht. Seitdem, würde ich sagen, bin ich Profi.
Was hat dich gehindert, den Elo weiter hochzutreiben?
Mit fehlten damals die Grundlagen. Weil ich mir das meiste selbst angeeignet
hatte, war viel Wildwuchs in meinem Schachverständnis. Wenn ich damals schon
eine schachliche Grundlage gehabt hätte... Wenn man jung ist, dann macht man
sich keine Gedanken, dann spielt man, und meistens gehts irgendwie. Bis Anfang
20 kann man sehr viel über seine Energie erreichen. Man hat viele Ideen, man
rechnet, viel Taktik und so weiter. Irgendwann lässt die Energie nach, aber die
Erfahrung steigt. Das führt bei vielen Spielern um die 30 zu einer zweiten
Leistungsspitze.
Aber um noch weiter zu kommen, hättest du Dworetzki und Jussupow mit 12
gebraucht, nicht mit 22?
Das würde ich so nicht sagen. Es gibt ja auch noch sowas wie Talent, und
vielleicht bin ich talentiert genug für Elo 2.650. Für 2.700 muss noch ein Extra
dabeisein. Ein Spieler wie Shirow hat nunmal hunderttausende von Ideen und
deswegen seine Zahl. Ich spüre diesen Unterschied. Wenn ich gegen einen mit
2.650 Elo spiele, dann gewinne ich mal, und er gewinnt mal. Aber gegen 2.700,
2.750 - das ist ein Klassenunterschied, der sich auf alle Bereiche bezieht:
Eröffnung, Endspiel, Mittelspiel, Taktik, Strategie. Anand zum Beispiel ist
einfach besser. Da kann man nichts machen.
In der Bundesliga sitzt du Spielern wie Anand oft gegenüber. Bist du bei der
Analyse hinterher Zuschauer?
Anand sieht und versteht schon eine ganze Menge mehr als ich. Bei anderen
Spielern ist das anders. Peter Swidler hat mir auch ganz viele Varianten
gezeigt, aber von denen war nur ein kleiner Teil relevant. Ich hatte das alles
nicht gesehen, aber das war nicht schlimm, weil es Unsinn war.
Zweiter Teil folgt...
Weitere Fotos aus dem Simultan:
Heinz-Burkhard Heuermann stellt die Gegner vor,
Christopher Lutz begrüßt sie.
Conrad Schormann, rechts, daneben OWL-Meisterin
Andrea Brammertz
Die Regionalligameister von KS Herford (von
rechts) André Wolf, Michael Lömker, IM Carsten Pieper-Emden (Zuschauer) und Jens
Kutschke.
Thomas Klemme (KS Herford)
Bert Hollmann (links) und Jens Kutschke von KS
Herford waren parallelgeschaltet