Die WM in San Luis - Neustart der FIDE?
Von André Schulz
Kleiner Streifzug durch die jüngere Schachgeschichte
Nachdem die Schachwelt 1993 letztlich durch die
Halsstarrigkeit und das Missmanagement des damaligen FIDE-Präsidenten
Campomanes in zwei Teile geteilt wurde, muss die Szene zwei Weltmeister
verkraften, was für die Darstellung des Sports nach außen und gegenüber
Sponsoren wenig nutzbringend ist. Solange die Überfigur Kasparov seine Version
des Titels noch innehatte, waren die Folgen der Teilung vielleicht noch
erträglich, aber seitdem er seinen Titel 2000 an Kramnik verlor, hat sich der
Zustand verschlechtert. Kasparov verspürte noch eine gewisse Verpflichtung zur
Verteidigung seines Titels und kümmerte sich selbst - mehr oder weniger
erfolgreich - um Gegner. Sein Nachfolger Kramnik lässt die Dinge auf sich
zukommen und hat in der Vergangenheit betont, dass er Spieler und kein
Organisator ist. Parallel hatte die FIDE besonders seit dem Auftreten des
kalmückischen Präsidenten Kirsan Ilyumshinov als FIDE-Präsident keine
glückliche Hand bei der Planung und Durchführung ihrer Weltmeisterschaften.
Campomanes hatte noch 1993 eiligst eine Parallelweltmeisterschaft zum Wettkampf
Kasparov gegen Short durchgeführt, die von den Karpov und Timman gespielt und
von Karpov gewonnen wurde. Ihr blieb die Anerkennung weitgehende versagt. Im
Jahr 1996, schon unter der Ägide von Illymshinov, gab es einen WM-Kampf
zwischen Karpov und Kamsky, der von der Öffentlichkeit praktisch unbemerkt in
der kalmückischen Hauptstadt Elista durchgeführt wurde. Im Herbst 1997 wurde in
Groningen dann das erste WM-Turnier im K.o.-Modus durchgeführt. Mit diesem
vollzog Ilymshinov einen dramatischen Bruch mit der Tradition der
Schachweltmeisterschaften, die seit Steinitz mit Ausnahme des WM-Turniers von
1948 immer in Wettkampf zwischen zwei Spielern ausgespielt worden war.
Genau genommen war das Turnier von Groningen gar kein WM-Turnier, sondern ein
Kandidatenturnier, denn der Sieger - Anand - wurde nicht Weltmeister, sondern
Herausforderer des amtierenden Weltmeisters Karpov. Kasparov hatte seine
Einladung nicht wahr genommen und der Modus wurde kurzfristig geändert. Seit
seinem Amtsantritt ist es die Politik Ilymshinovs, keine langfristigen
Planungen aufzustellen, nach Belieben Pläne auch kurzfristig umzustellen und
mit Traditionen wie Modus oder Bedenkzeit ebenso willkürlich zu brechen. All
dies hat der "Marke" Schachweltmeister, die in der Vergangenheit auch dank der
Präsenz der drei Weltmeister Fischer, Karpov und Kasparov ein hohes
öffentliches Ansehen hatte, sehr geschadet. Im Jahr 1999 gab es in Las Vegas
die erste vollständige Weltmeisterschaft, es folgten weitere in Indien/Teheran
2000/2001 und Moskau 2001/2002 und schließlich Libyen 2004. Die neuen
FIDE-Weltmeister hießen Khalifman, Anand, Ponomariov und Kazimdhanov. Mit
Ausnahme von Anand hat es keiner der absoluten Topspieler geschafft, den Titel
zu erringen. Stattdessen gewannen Außenseiter.
Während z.B. Kasparov beginnend mit seinen langen und spektakulären Wettkämpfen
gegen Karpov 15 Jahre Zeit hatte, sich mit seinem Namen als Schachweltmeister
auch in der breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen, lassen sich Weltmeister
wie Khalifman, Ponomariov oder Kasimdhanov, die alle nur ein bis zwei Jahre
amtieren nicht vermarkten. Mit ihrer Politik hat Ilyumshinov und die FIDE
nichts anderes getan, als die "Marke" Schachweltmeister völlig zu entwerten.
Dies geschah möglicherweise sogar mutwillig und in voller Absicht, weil
Weltmeister wie Fischer, Karpov und Kasparov in der Vergangenheit durch ihre
Popularität große Macht und Einfluss in der FIDE gewonnen hatten. Allerdings
hat die FIDE sich dadurch auch selbst und der ganzen Schachszene großen Schaden
zugefügt.
Im Frühjahr 2002 hat Ilyumshinov und die FIDE zusammen mit
den anderen wichtigen Kräften in der Schachwelt durch die Prager Vereinigungen
noch einen Versuch unternommen, die Weltmeisterschaften zu vereinen und den Weg
aus der Sackgasse zu finden. Inzwischen ist die Vereinbarung endgültig
gescheitert. Kramnik war vor und nach seinem Wettkampf gegen Leko in Bezug auf
die Durchführung eines Wiedervereinigungswettkampfes ziemlich zurückhaltend,
was man ihm angesichts der Unzuverlässigkeit seiner Verhandlungspartner bei der
FIDE auch nicht recht verübeln kann. Kasparov war es nach der mehreren Absagen
von Wettkämpfen gegen Ponomariov dann auch endlich leid und hat die Brocken
nach dem Turnier Anfang des Jahres in Linares ganz hingeschmissen und gleich
seinen kompletten Rücktritt vom Profischach erklärt.
Neustart?
Mit dem WM-Turnier, das nun im Herbst in der argentinischen Provinz San Luis
stattfinden wird, unternimmt die FIDE vielleicht den Versuch eines Neuanfangs.
Als Weltmeister Aljechin in starb, erbte der Weltschachbund den bis dahin
privat verwalteten Titel und begann auch mit einem WM-Turnier, dass 1948
Botvinnik gewann. Auch diesmal sind die besten Spieler am Start, sieht man von
Kasparov und Kramnik ab - ersterer ist zur Zeit lieber in der russischen
Politik tätig und letzterer lehnte die Einladung mit Hinweis auf den Prager
Vertragstext ab. Zu den Wertungsbesten der Eloliste, so wie sie zum
Einladungstermin gültig war, gesellt sich noch Rustam Kasimdhanov als
amtierender FIDE-Weltmeister.
Die Spieler:
Spieler |
Alter |
Elo 1. Juli 2005 |
Rang |
Viswanathan Anand (Indien) |
35 |
2788 |
2 |
Veselin Topalov (Bulgarien) |
30 |
2788 |
2 |
Peter Leko (Uungarn) |
25 |
2763 |
4 |
Peter Svidler (Russland) |
29 |
2738 |
7 |
Judit Polgar (Ungarn) |
29 |
2735 |
8 |
Michael Adams (England) |
33 |
2713 |
13 |
Alexander Morozevich (Russland) |
28 |
2707 |
14 |
Rustam Kasimdzhanov (Usbekistan) |
25 |
2670 |
35 |
Inzwischen hat sich die Eloliste wieder etwas verändert.
Adams und Morozevich sind in der aktuellen Liste etwas zurück gefallen, wie man
an der Platzierung unter Rang sehen kann. Beide Spieler haben haben aber
zuvor lange Zeit zu den Topten gehört. Zwei Spieler, die ebenfalls seit Langem
zur absoluten Weltspitze gehören, fehlen leider: Ivanchuk und Shirov. Beide
waren zum Zeitpunkt der Einladung außerhalb der Wertung. Vielleicht wäre es
gerechter gewesen, die Einladung auf der Basis eines Mittelwertes über mehrere
Listen auszusprechen. Letztlich ist aber jedes Kriterium mehr oder weniger
willkürlich und zum Vor- oder Nachteil des einen oder anderen Spielers.
Zwei Dinge sind noch bemerkenswert. Mit Judit Polgar nimmt eine Frau am Kampf
um den höchsten Titel im Schach teil und ihre Chancen zu gewinnen sind durchaus
real. Zum anderen gibt es keinen der ganz jungen Spieler unter den
Kombattanten. Die meisten sind um die Dreißig. Der "Senior" ist plötzlich Vishy
Anand mit 35 Jahren, Leko und Kasimdhanov sind mit 25 Jahren die jüngsten.
Bacrot (22) und Aronian (22), beide erst kürzlich in die Spitze vorgestoßen,
fehlen ebenso wie Grischuk (21), Ponomariov (21) oder Radjabov (18).
Mit dem Weltmeisterschaftsturnier wird die FIDE aller Voraussicht einen
Weltmeister bekommen, der auch in der Rangliste zur Weltspitze gehört. Das
Format gewährleistet diesmal, dass der Gewinn des Turniers sich auch in der
Elorangliste niederschlägt. Das ist bei den K.o.-Turnieren nicht der Fall
gewesen, denn das Weiterkommen in die nächsten Runde mit Hilfe von Stichkämpfen
schlägt sich nicht in der Elozahl nieder. Der Status des neuen
FIDE-Weltmeisters und seine Anerkennung in der Schachszene wird gewiss höher
sein, als das in der jüngeren Vergangenheit der Fall war. Das bringt den
"Weltmeister im klassischen Schach" Vladimir Kramnik in Zugzwang. Kramnik hat
seit seinem Titelgewinn in London 2000 klar erkennbar an Ehrgeiz verloren seine
Fans als Schachweltmeister wenig überzeugen können. Durch seine pragmatische
Einstellung auf den Turnieren mit vielen Kurzremisen hat er viel Kredit
verspielt. Die Schachfreunde spüren, dass er keine rechte Freude mehr am Schach
hat. Auch den Titelkampf gegen Peter Leko konnte er nur gerade eben so remis
gestalten und behielt den Titel nur aufgrund der Regel, dass der Titelinhaber
bei Unentschieden Weltmeister bleibt.
Ob die FIDE tatsächlich einen Neustart schafft, hängt aber
davon ab, wie es nach dem WM-Turnier weiter geht. Der entscheidende Punkt ist
ein überzeugender regelmäßiger Zyklus mit unveränderten Regeln. Darüber wurde
in Prag damals keine Vereinbarung getroffen. Und darüber liegt auch jetzt keine
gesicherten Informationen vor.
Auf nach San Luis
Bei vorschnellem Urteil könnte man glauben, San Luis liegt
irgendwo in der Pampa. Das ist aber nicht der Fall. Es liegt etwas weiter
nördlich. Von der argntinischen Hauptstadt Buenos Aires liegt San Luis,
Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, etwa 750 km Luftlinie in östlicher
Richtung entfernt. Von Hamburg fliegt man am besten mit Air France und einem
Zwischenstopp in Paris nach Buenos Aires mit einer Gesamtdauer von 18,5
Stunden. Man könnte auch mit der Lufthansa über Frankfurt und Sao Paulo
fliegen, was ebenso lange dauert. Von Buenos Aires geht es weiter mit einem
Inlandsflug. Er dauert nicht länger als 1 Stunde 40 Minuten. Vorsicht beim
Buchen. Der Ortsname San Luis wird häufiger in der spanischen Welt verwendet
und schnell sind sie in Kalifornien oder in Mexiko gelandet.
Kontakt für den Inlandsflug:
Desde la Ciudad de Buenos Aires a la ciudad de San Luis.
AUSTRAL LINEAS AEREAS
Av. Leandro N. Além 1134 Tel: 4317-3600 y 4778-4000,
a la ciudad de San Luis.
LAPA
Carlos Pellegrini 1075 Tel: 4819-5272,
A las ciudades de San Luis y Villa Mercedes. SOUTHERNWINDS
Für Buenos Aires hat das Auswärtige Amt folgend
Sicherheitshinweise ausgegeben:
"Es wird allgemein angeraten, nicht durch das Land zu trampen
und einige Viertel in Buenos Aires zur Nachtzeit zu meiden. Es ist daher
geboten, die allgemeinen Regeln der Vorsicht zu beachten. Bei Überfällen sollte
kein Widerstand geleistet werden, da die Täter in der Regel bewaffnet sind und
vor Gewaltanwendung nicht zurückschrecken, wenn den Forderungen nicht Folge
geleistet wird. Besondere Vorsicht ist bei der Teilnahme am Straßenverkehr
geboten. Die Unfallzahlen
sind in Argentinien deutlich höher als in Mitteleuropa."
Argentina Online empfiehlt:
" In Buenos Aires gibt es kaum jemand, der nicht selbst
überfallen wurde oder der niemanden kennt, der überfallen wurde. Doch auch hier
muss der "gewöhnliche Tourist" nicht ständig befürchten ausgeraubt, überfallen
oder noch ärger bedroht zu werden.
-Möglichst wenig Wertsachen und Geld bei sich führen, aber:
- Immer genug Bargeld, um es im Falle eines Überfalls hergeben zu können
- Geld gut verstauen, z.B. in Geldgurt
- Tasche an sich drücken; keinen Rucksack
- Augen auf bei großen Menschenansammlungen
- Busse sind weitgehend sicher.
- Bei Taxis in Buenos Aires gibt es unterschiedliche Ansichten; es kursieren
wohl einige "falsche" Taxis, deren Fahrer es auf die Geldbörse ihrer
"Fahrgäste" abgesehen haben. Doch ist das wohl die große Ausnahme. Die Porteños
selbst benutzen häufig lieber Remises statt Taxis."
Genau genommen findet das WM-Turnier nicht in San Luis, sondern im Hotel "Potrero
de los Funes", etwa 20 km Außerhalb der Stadt statt. Über ein gut ausgebaute
und beleuchtete Straße gelangt man in kurzer Zeit in die Stadt.
Wenn die Spieler Ruhe und Abgeschiedenheit suchen, um sich voll und ganz auf
ihre Aufgabe zu konzentrieren, dann werden sie diese hier finden.
Die Provinz mit dem Gouverneur Alberto Rodriguez Saa und dem
Vizepräsidenten Daniel Scioli, der sich für die WM stark gemacht hat,
versprechen sich Impulse für den Tourismus. In der Tat bietet die Provinz und
die nähere Umgebung zahlreiche landschaftliche Reize.
Allerdings ist das Land für Europäer nicht gerade eben "um
die Ecke". Man wird sehen.
David Scioli bei seiner Ansprache auf der Pressekonferenz
Für die Schachwelt wird die Veranstaltung wohl vor allem im Internet
stattfinden. In jedem Fall wird es spannend.
Zeitplan:
27 September Opening Ceremony Player`s meeting
28 September 1st round
29 September 2nd round
30 September 3rd round
01 October 4th round
02 October Free day
03 October 5th round
04 October 6th round
05 October 7th round
06 October 8th round
07 October Free day
08 October 9th round
09 October 10th round
10 October 11th round
11 October 12th round
12 October Free day
13 October 13th round
14 October 14th round
15 October Tie-breaks
16 October Closing Ceremony
Links:
Offizielle Seite mit Liveübertragung der Partien...
Webseite der Provinz San Luis...
Potrero de los Funes...