3. PAL/CSS Freestyle Turnier

von ChessBase
16.05.2006 – "Freestyle" ist eine Disziplin im Serverschach, bei der es garantiert kein cheaten gibt - weil alles erlaubt ist. Im April wurde das 2. Freestyleturnier - von der PAL-Group in Dubai mit 20.000 Dollar gesponsert und von Computer, Schach und Spiele auf dem Fritzserver organisiert -  erfolgreich beendet, schon kündigt sich wegen des großen Erfolgs die nächste Auflage an. Fernschachgroßmeister Arno Nickel, der selber zusammen mit Berliner Schriftsteller und Blitzspieler Silvo Lahtela das Team Ciron bildete und bis ins Finale vorstieß, analysiert noch einmal die Ergebnisse des 2. Freestyleturniers und wirft einen Blick auf die 3. Auflage. Nach dem Turnier ist vor dem Turnier...

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Freestyling - zwischen Formel Eins und Advanced Chess
Vor dem 3. Freistil-Turnier am 16./18. Juni


 


Arno Nickel (Foto: H.W. Schmitt)

"Nach dem Turnier ist vor dem Turnier", heißt es auch beim Freestyling. Am 16. Juni startet auf dem ChessBase-Server playchess.com das 3.PAL/CSS-Freistil-Turnier, wiederum mit einem Preisfonds von 16.000 US-Dollar und auch dieses Mal offen für jedermann. Geändert hat sich nur die Bedenkzeit: statt bislang 45 Minuten Grundzeit und 5 Sekunden Zeitbonus pro ausgeführtem Zug stehen nun jedem Spieler oder Team 60 Minuten und 15 Sekunden zur Verfügung. Diese Änderung stellte sich als notwendig und sinnvoll heraus, um die Zentauren (damit wird die Kombination Mensch/Maschine bezeichnet) im Duell mit den reinen Engines wenigstens etwas von dem Gespenst der permanenten Zeitnot zu befreien, was auch insgesamt der Qualität der Partien zugute kommen soll. Wie berichtet, war das Hauptturnier im März von einem reinen Engine-Spieler namens Varkey mit dem Programm Rybka und sensationellen 7,5 aus 8 gewonnen worden. Die mehr als 30 Titelträger, darunter auch einige Prominente, hatten es überwiegend nicht geschafft, sich fürs Finale zu qualifizeren. Dieses entschied am Ende der als Sponsor des Hydra-Projekts bekannt gewordene Zorchamp aus den Vereinigten Arabischen Emiraten für sich. Wer oder was verbirgt sich hinter den Teams, die am Finale teilnahmen? Darüber ist in der Öffentlichkeit bislang kaum etwas bekannt geworden. Einer der Teilnehmer, der Berliner Fernschach-GM Arno Nickel alias Ciron, hat hinter die Kulissen geschaut und Bilanz gezogen. Freestyling bewegt sich seiner Ansicht nach auf einem Experimentierfeld zwischen den beiden Polen Advanced Chess und einer Variante des Schachsports, die der Formel Eins im Motorsport vergleichbar ist.

Der Kick beim Spielen

Es ist nicht üblich, dass Verlierer nach einem Turnier Begeisterungsrufe ausstoßen, doch was ist schon üblich bei einem Freestyle-Turnier... Fast nichts, außer dem Kick beim Spielen, der jeden wie ein Virus befällt, der sich einmal in eine solche Auseinandersetzung hineingeworfen hat. "Unbedingt wiederholen!" heißt es da in e-mails nach dem Turnier, frei nach der Devise "Wir hatten keine Chance, aber haben sie genossen!" Wenn dem so ist, muss etwas dran sein an der freien Form des Engine-Gebrauchs in einer Schachpartie, und man braucht sich um die Zukunft dieser neuen Schachform des 21. Jahrhunderts keine Sorgen machen. Noch ist es ein brachliegendes Experimentierfeld, wo nach den geeigneten Turnierformen, Bedenkzeiten und Spielregeln gesucht wird. In welche Richtung sich Freestyling entwickelt, wird nicht zuletzt von den jetzigen Experimenten abhängen.

Die Grenzen zwischen den verschiedenen Formen des Advanced Chess und der Methode Dreihirn sind beim Freestyling fließend. Wahrscheinlich ist es letztlich diese freie Form des Experimentierens, die sowohl bei Spielern als auch bei den Zuschauern den besonderen Kick auslöst. Alle Ebenen und Facetten des computerunterstützten Schachs kommen dabei kaleidoskopartig zum Vorschein, doch man weiß nie genau, wie es konkret weiter geht, sei es in der Partie oder im Turnier insgesamt. Mal schlägt das Pendel zugunsten der Advanced Chess Spieler aus, wie beim 1.PAL/CSSFreistil-Turnier 2005, wo drei Großmeister unter die letzten Vier kamen, ein anderes Mal (2006) dominieren die Engines das Geschehen; sei es, indem ihr Operator sich aller schachlichen Eingriffe während des Spiels enthält (wie der Sieger des Hauptturniers Vigi Varkey) oder dass er die Rolle eines Koordinators und kritischen Anwenders verschiedener Engines nach der Art des Althöferschen Dreihirn einnimmt. Letzteres dürfen wir vom diesjährigen Turniersieger Zorchamp annehmen, der zwar Zugriff auf den vermeintlich leistungsstärksten Schachcomputer der Welt in Gestalt des Multi-Parallelrechners Hydra hatte, aber sich nicht den Spaß nehmen ließ, selbst als Zentaur zu agieren. Zorchamp ist auf playchess.com seit vielen Jahren bekannt für seine hervorragenden Kenntnisse und Fähigkeiten auf diesem Sektor (nicht zuletzt, was die Erarbeitung engine-gerechter Eröffnungsbücher betrifft), und er wird auch innerhalb des Hydra-Teams als Programmtester geschätzt.

 

Dualrechner und 64-bit-Programme

Eine möglichst leistungsstarke Hardware spielte diesmal, bei der verkürzten Bedenkzeit von 45 Minuten (plus 5 Sek. pro Zug), eine noch größere Rolle als beim Turnier im Vorjahr. Wenn wir es auch nicht von allen Teams mit Sicherheit sagen können, trifft für die meisten Finalteilnehmer wohl zu, dass sie einen oder sogar mehrere schnelle Dualrechner im Einsatz hatten. Und, was die erfolgreichste Engine des 2. PAL/CSS-Freistil-Turniers betrifft, Rybka, so lief diese im Finale überwiegend in der 64-bit-Version (was logischerweise auch ein 64-bit-Betriebssystem auf dem jeweiligen Rechner voraussetzt). Diese Version ist etwa 30-40 Prozent schneller als  die übliche 32-bit-Version.


Die köpfe hinter Rybka: IM Vasik Rajlich and IM Iweta Radzievicz

Vigi Varkey hatte das Hauptturnier noch mit der 32-bit-Version gewonnen, dann aber für das Finale auf die 64-bit-Version aufgerüstet. Es hat ihm ausnahmsweise nicht viel genützt, vermutlich weil die anderen Teilnehmer vorgewarnt waren und sich auf den in London lebenden indischen Programmierer eingestellt hatten. Dafür klappte es diesmal bei den anderen beiden Rybka-Engines, Relic und King Crusher, noch besser als im Hauptturnier. Hinter Relic, der sich durch die Tie-breaks schlagen musste, dann aber im Finale mit dem dritten Platz überraschte, steht mit Darren DiAlfonso aus New Jersey (USA) ebenfalls ein Programmierer, wobei dies in beiden Fällen aber nicht Schachprogrammierer bedeutet. Der Schwede Björn Osterman mit dem Spielernamen King Crusher ist ausnahmsweise kein Programmierer, allerdings ein erfahrener Computerspieler mit über 10.000 Partien auf dem Server und einem entsprechend auf Erfolg getrimmten Eröffnungsbuch.


IM Vasik Rajlich, Autor von Rybka

Ein Blick in die "black box"

Handelt es sich bei Freistil-Spielernamen zunächst mal um eine "black box", in die niemand von außen einen Einblick hat, so war man besonders neugierig, Näheres über den Zweitplatzierten Rajlich zu erfahren. Nicht ganz zufällig gelang es dem Rybka-Programmierer als einzigem, sowohl das Hauptturnier als auch das Finale ohne eine einzige Niederlage zu überstehen. Doch lag dies nicht etwa an einer besonders sicher spielenden Privatversion seines Programms, sondern an der geballten Schachkompetenz seines Teams, das zwei Internationale Meister, Vasik Rajlich und Iweta Radziewicz, sowie einen Top-Großmeister, Michal Krassenkow, vereinigte (siehe den Iweta Radziewicz' gelungenen Turnierbericht auf rybkachess.com). Man braucht nur den pointierten Partiekommentar Krassenkows zur Spitzenpartie Zorchamp-Rajlich zu lesen (siehe weiter unten), um zu verstehen, dass dieses Team äußerst professionell zu Werke ging und es bestens verstand, unnötige Risiken zu vermeiden. Am Ende reichten einige wenige Arbeitssiege, um die Ernte einzufahren. Unser früherer Online-Kommentar, wonach sich kein Großmeister für das Finale qualifiziert habe, bedarf insofern einer kleinen Korrektur. Wenigstens einer kam durch, als Team-Mitspieler.

Eine kommentierte Partie liegt ebenfalls von IM Dennis Breder alias Klosterfrau vor. Er beschreibt anhand seiner unnötigen Niederlage gegen Relic in der letzten Runde beispielhaft, wie schwierig es für Advanced Chess Spieler in diesem Turnier war, gewinnträchtige Stellungen sauber zu verwerten und nicht irgendwelche Zeitnotpatzer zu begehen. Diese Niederlage kostete den Godesberger Bundesligisten den dritten Platz und damit 2.000 US-Dollar. Auch Dennis Breder spielte nicht allein, sondern wurde von seiner Teampartnerin Jana Samorukova unterstützt.


IM Dennis Breder und Jana Samorukova

Schon die Eröffnungswahl unterscheidet die Advanced Chess Spieler häufig von den reinen Engine-Spielern, wovon man sich insbesondere beim Nachspielen der überaus originellen Partie Rajlich-Klosterfrau überzeugen kann (1.Sf3 d5 2.d4 c6 3.c4 e6 4.e3 f5 wurde mit der zweischneidigen Kampfansage 5.g4 beantwortet). Ein menschlicher Spieler ohne Engine-Unterstützung würde hier alsbald den Überblick verlieren und im Schnellschach schnell danebengreifen; hier jedoch wird demonstriert, zu welchen Kunstgebilden es bei beiderseits intelligentem Computergebrauch kommen kann. (Die Partie liegt leider nicht ausführlich kommentiert vor, findet sich aber in der kompletten Turnierdatenbank und wird auch im Turnierbericht des Rajlich Teams mit kurz gestreift.)

Alle Rekorde hinsichtlich des Umfangs sprengte das tschechische Team Equidistance. Vier Spieler und sechs Computer verbargen sich hinter diesem Namen: Patrik Schoupal, Miroslav Kvicala, Jan Macura and Frantisek Nepustil, alles Spieler mit einer FIDE-Elo und zwei von ihnen aktive Fernschachspieler. Es überrascht nicht, dass die aufwendige Koordination bei einem derart großen Team mehr als einmal zu großen Zeitproblemen führte. Das konnte auch ein detailliert ausgearbeitetes Eröffnungsbuch (mit etlichen Spezialvarianten, wie u.a. zum sizilianischen Morra Gambit) letztlich nicht auffangen. Welches Potenzial das Team um Patrik Schoupal hat, zeigte es bereits mit seiner Qualifikation zum Finale. Für das 3. Freistil-Turnier wagte er die Prognose, dass sich wegen der verlängerten Bedenkzeit nicht mehr als maximal ein reiner Engine-Spieler für das Finale qualifizieren werde. Wenn dem so sein sollte, wäre dies sehr im Sinne des Freistil-Konzepts, denn es lebt letztlich vom Einsatz menschlicher Spieler im Unterschied beispielsweise zu reinen Computerturnieren. Der Witz beim Freestyling ist allerdings, dass nicht mit Verboten reguliert und reglementiert wird (sonst könnte man zum Beispiel über irgendeine Quote für reine Engine-Spieler nachdenken), sondern durch schachlichen Wettkampf entschieden wird, wer das Sagen hat. Insofern spiegelt ein Freistil-Turnier immer auch sehr schön die Verhältnisse der Gegenwart wider, einschließlich der Dominanz bestimmter Programme und der jeweiligen Hardware-Standards. Das ändert sich im Laufe von wenigen Monaten durchaus signifikant, so dass bei jedem Turnier stets ein etwas anderes Bild vorherrschen wird als bei den vorangegangenen. Man darf bereits jetzt gespannt sein, ob und wie lange sich die außergewöhnliche Dominanz der Rybka-Engines in diesem Jahr noch wird behaupten können. Die Konkurrenz schläft bekanntlich nie, und mit den angekündigten Versionen Shredder 10, Deep Fritz 9 und anderen Engines wird auch hier garantiert immer wieder frischer Wind in der Auseinandersetzung der Schachprogramme wehen.

Last, but not least einige Informationen zu meinem eigenen Team namens Ciron. Ich spielte zusammen mit einem guten Schachfreund, der erfreulicherweise einige Bereiche und Stärken abdeckt, die mir weniger liegen. Silvo Lahtela ist ein hervorragender Blitz- und Schnellschachspieler, der auf dem Fritz-Server unter dem Namen Randori stets zwischen Elo 2400 und 2600 pendelt.


Silvo Lahtela

Mit Fernschach und Computerschach, also meinen Domänen, hatte er dagegen bislang so gut wie nichts zu tun. Wir legten bereits in der Vorbereitungsphase eine strikte Arbeitsteilung fest, die sich als durchaus effektiv erwies, ohne hier ins Detail zu gehen. Allerdings blieben auch wir vom besonderen Zeitdruck bei diesem Turnier nicht verschont und sind weiterhin noch auf der Suche nach der idealen Form der Zusammenarbeit. Wieweit soll man schachliche Fragen ausdiskutieren oder unter dem Zeitaspekt lieber einem Spieler von vornherein die Führung in der Partie überlassen?  Insgesamt hatten wir den Eindruck, dass auch hier der Verzicht auf allzu starre Festlegungen eher günstige Auswirkungen hat, zumal bestimmte Erfahrungen erst gesammelt werden müssen. Wir durften letztlich die alte Schachweisheit bestätigt sehen, wonach man "immer" (nein, gelegentlich!) die falschen Partien gewinnt, verliert oder remis spielt, wobei die Niederlage in der letzten Runde gegen Zorchamp, nach bereits erreichter Gewinnstellung, dies auf dramatische Weise unterstrich.


Sieger des 2.Pal/CSS-Turniers: Zor- Champ

Auch wir gehen hochmotiviert in das nächste Freistil-Turnier hinein und freuen uns auf möglichst starke und ruhmreiche Gegner.

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Wir bieten zwei Datenbanken zum Download an:

1) Die komplette Datenbank zum 2. PAL/CSS Freistil-Turnier (CSS; 587 Partien)

2) 64 ausgewählte Partien zum Nachspielen...

Diese 64 Partien schlagen wir zum Nachspielen vor, wenn es sich auch nicht bei allen um "gute" Partien handelt. Die Leser mögen bitte bis zu drei Freistil-Partien für Schönheitspreise vorschlagen und bis 31. Mai 2006 eine E-Mail an redaktion@computerschach.de senden. (Wenn Sie eine der Partien vorschlagen, die nicht in der Auswahldatenbank enthalten sein sollte, ist dies auch okay.) Das Ergebnis Ihrer Wahl veröffentlichen wir einige Tage vor Beginn des 3. PAL/CSS Freistil-Turniers am 16.-18. Juni. 

 

Ausschreibung zum 3. PAL/CSS Freestyleturnier...

Anmeldung zum 3. PAL/CSS Freestyleturnier...

Siehe auch frühere Artikel:

Vorschau auf das 2. PAL/CSS-Freistil-Finale...

Das 16000-Dollar-Turnier für Jedermann...

 

 

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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