Das Wissen, das Du jetzt brauchst!
Die neue Version 18 bietet völlig neue Möglichkeiten für Schachtraining und Analyse: Stilanalyse von Spielern, Suche nach strategischen Themen, Zugriff auf 6 Mrd. LiChess-Partien, Download von chess.com mit eingebauter API, Spielervorbereitung durch Abgleich mit LiChess-Partien, eingebaute Cloud-Engine u.v.m..
Ein halbes Jahrhundert Schachtrainer
Ernst Bönsch ist ein Mann mit vielen Facetten. Der Schachtrainer, Buchautor, Wissenschaftler und Internationale Schiedsrichter feiert am 19. Juni seinen 75. Geburtstag. Er lehrte Schach in der DDR, zuerst in Halle/Saale, wo er lebte, dann im Landesmaßstab. Nach der Wende unterrichtete Bönsch senior sozusagen weltweit, auch Kids an der High School in New York sowie Lehrerinnen und Lehrern an Kreativitätsschulen. Mit seiner 1977 verfassten Dissertation „Untersuchungen über die didaktisch-methodische Gestaltung der Schachausbildung unter besonderer Berücksichtigung der spieltheoretischen Entwicklung des Schachsports“ begründete der Vater von Bundestrainer Uwe Bönsch eine neue trainingsmethodische Grundkonzeption. Ernst Bönsch ist auch Koordinator an der internationalen Berliner FIDE-Trainerakademie. Genug Gründe, um mit dem Jubilar ein ausführliches Interview zu führen.
Ernst, du bist 75 Jahre und kein bisschen leise. Wie verbringst du deinen Ehrentag?
Es geht weit weg, nach Asien. Zuerst nach Hongkong. Dort gibt es eine Schachschule, die ich besuchen werde. Anschließend nach Singapur. Auch dort ist eine relativ neue asiatische Schachschule. Und ich will einmal sehen, inwieweit es Prallelen zu unserer Trainerakademie in Berlin gibt.
Was hat dir das Schach in all den Jahren gegeben?
Ich hatte das Glück, mein Hobby zum Beruf machen zu können. Darum war ich tatsächlich ein Leben lang mit dem Schach verbunden. Ich glaube, ich würde noch mal Schachtrainer werden, denn mir hat es ja unheimlich viel gegeben. Vorteile sind, dass man sich vor allem ganz stark diszipliniert, wenn man Schach spielt. Nicht nur, dass man sich konzentriert, sondern dass auch viele Fähigkeiten entwickelt werden, die man im Leben verwenden kann.
Welche Freundschaften haben sich in Jahrzehnten entwickelt?
Stolz bin ich zum Beispiel auf die langjährige Freundschaft mit Michail Tal, den ich als Weltmeister und phantastischen Spieler sehr verehre. Er ist ein großartiger Mensch gewesen. Wir trafen uns in der DDR, in Moskau und auch in Riga gemeinsam mit seinem Trainer Koblenz, der ja als Schachautor ebenfalls sehr aktiv war.
Wir kennen uns 25 Jahre. Trotzdem bin ich verblüfft, wie vielseitig dein Leben verlief und wie viele neue Informationen zur Zeitgeschichte des Schachs Gespräche mit dir hervorbringen. Wenn ich es richtig verstehe, dann verging dein Berufsleben wie im Fluge, denn die letzten fünfzig Jahre konntest du dich durch die Tätigkeit als Klub- und Verbandstrainer in der DDR und jetzt ehrenamtlich als A-Lizenztrainer täglich mit Schach beschäftigen.
So ist es. Darüber hinaus gelang es mir, 1982 an der Deutschen Hochschule für Sport in Leipzig, erstmals eine Spezialausbildung im Fach Schach einzuführen. Prominente Absolventen FM Jörg Pachow und WIM Martina Beltz (Keller) sind heute erfolgreich als Trainer tätig. Seit 1997 Mitglied der zentralen Lehrkommission des DSB, war ich besonders für die Erarbeitung der Grundsatzmaterialien wie den Rahmentrainingsplan (RTP) und die Rahmenrichtlinien zur Trainerausbildung des DSB verantwortlich. Im Jahr 2000 erschien das Buch „Schachlehre-Schachtraining“ in gemeinsamer Arbeit mit meinem Sohn Uwe. Ich bin in der A-, B- und C-Trainer Aus- und Weiterbildung im Deutschen Schachbund tätig.
Uwe Bönsch
Glückwunsch zum neuesten Erfolg im Wettbewerb der DSB-Ausbildungs-Offensive, den dein Landesverband Brandenburg 2005 dank deiner hohen Anzahl von 46 Lehrstunden gewann! Aber beginnen wir von vorn. Wann begann Deine Schachlaufbahn?
Das war kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges in der bittersten Zeit meines Lebens im damaligen Sudetenland, dem heutigen Nordböhmen.
Wäre es dir möglich, darüber zu sprechen?
Das ist nicht so leicht. Als Vierzehnjähriger musste ich als Deutscher, gekennzeichnet mit einer weißen Armbinde, täglich früh bis spätabends auf dem Feld zwangsweise hart arbeiten. Der Vater war interniert in einem tschechischen KZ in der Kreisstadt Chomutov, die Mutter ohne Arbeit und Geld. Mühle und Haus meiner Eltern wurden enteignet, und jeden Tag hatten wir Lebensangst. Und das alles nur, weil wir Deutsche in einem Land waren, das, seit ich denken konnte, unsere Heimat war. 1946 wurden wir in Strupcice evakuiert und in offenen Waggons ins „Deutsche Reich“ transportiert. Abwechselnd ging ein Zug nach Bayern und einer nach Sachsen. Wir wurden ins Quarantänelager Torgau in Sachsen gebracht. Während der langen Fahrt mit vielen Zwischenhalten auf Abstellgleisen zeigte mir ein ehemaliger Schulkamerad auf seinem winzigen Reiseschach, wie man Schach spielt. Wir hatten ausgiebig Zeit, und mir gefiel das Spiel immer mehr, schließlich tauchten wir dabei in eine andere, weniger grausame Welt.
Wie verlief der Start in deinem neuen Leben?
In meinem späteren Zielort, der Stadt Halle/Saale, schloss ich mich der dortigen Schachgemeinschaft „Stahl Halle“ an. In der Folge wurde ich mehrfacher Hallescher Jugendmeister. Meine stärksten Widerparte waren Günther Rubant (später Prokurist bei Rubber Maid in Dreieich), Dr. Hartmut Badestein (Jura-Professor in Berlin) und Dr. Hans Werchan (Vizepräsident von Sachsen-Anhalt). Als damals jüngster Spieler erhielt ich einen festen Platz in der Männer-Oberliga. Meine Mannschaftskameraden im Verein baten mich, am Demobrett unsere Partien auszuwerten und bald wurde ich im Verein verantwortlich für das Jugendtraining gemacht. Wir begannen, unsere Partiezettel aufzuheben, um die Spiele analysieren zu können. Die Grundlagen für ein gemeinschaftliches Training und der Start für eine Trainertätigkeit waren gegeben. Mein erstes Lehrbuch war übrigens die siebzehnte Auflage des kleinformatigen „Dufresne“. Als 18jährigen Jugendleiter wurde mir die Nachwuchsarbeit für alle Vereine der Stadt Halle übertragen. Weil ich allgemein sportlich interessiert war, nebenbei aktiv Handball spielte und boxte, delegierte mich der Kreisfachausschuss Schach an die Leipziger Hochschule für Körperkultur und Sport: als ersten Schachspieler!
Wurde an der Hochschule Schachspielen als Sportart akzeptiert?
Zu dieser Zeit musste man nicht nur an einer Sporthochschule gegen solche Vorurteile kämpfen. Sport wurde mit dem Begriff der körperlichen Bewegung gleichgesetzt. Zutreffender definierte ich den Sport in Artikeln und Seminaren vom Gedanken des Wettkampfes her. Außerdem gründete ich eine Sektion Schach, organisierte Blitzturniere und Vergleichskämpfe zwischen Lehrkräften und Studenten, spielte Nah- und Fernschachkämpfe u.a. gegen die Sporthochschule/Universität Köln. Man nannte mich „den Schachspieler“ und das hieß, auch in anderen Sportarten meinen Mann zu stehen. Aktiv spielte ich Rugby, war im Sturm beim „angeordneten Gedränge“ Hakler, und wurde mit meiner Mannschaft Deutscher Meister. In fünfzehn verschiedenen Sportarten vom Fußball, Boxen, Schwimmen … bis zum Wintersport sowie acht theoretischen Fächern wie Pädagogik, Sportmedizin etc. musste das Staatsexamen ablegt werden. Diese umfassende Ausbildung befähigte mich, Grundzüge der Theorie von Strategie und Taktik in mehreren Sportarten zu verstehen, was ich später gut für meine trainingsmethodische Grundkonzeption im Schach verwerten konnte. Mit dem Thema “Zur Methodik des Schachspiels – Ein Beitrag für den außerschulischen Kindersport“ (1955) gelang es mir, erstmals eine Diplomarbeit auf dem Gebiet des Schachs zu schreiben (Prädikat „Sehr gut“).
Wie ging es nach dem Studium weiter?
Obwohl ich gern Trainer in Halle geworden wäre, verpflichtete mich die staatliche Absolventenlenkung an die Verwaltungshochschule/Universität Potsdam. Dort arbeitete ich als Diplomsportlehrer im Studentensport und gründete einen Schachverein. 1956 wurde ich Bezirksmeister von Potsdam. Die damaligen Verantwortlichen im Präsidium des Deutschen Schachverbandes der DDR, Horst Rittner (Geschäftsführer und Fernschachweltmeister) und Hans Platz (Nationaltrainer), wurden auf mich aufmerksam. Aufgrund meiner schachlichen und allgemeinsportlichen Kenntnisse sollte ich als Geschäftsführer/Referent im Präsidium des Deutschen Schachverbandes in Berlin arbeiten. Da die Schreibtischarbeit nicht meinen Intentionen entsprach, nutzte ich nach einem Jahr, also 1957, die Chance als Clubtrainer in meiner Heimatstadt Halle einen Leistungsschwerpunkt im Schach aufzubauen. Diese Tätigkeit übte ich mit großem Einsatzwillen zwanzig Jahre lang aus.
Ernst Bönsch als junger Trainer mit Hallensern Spielern
Was war dein Aufgabenfeld in Halle?
Ich hatte das große Glück, mich mit Unterstützung des Sportclubs Wissenschaft/Chemie auf leistungssportliche Arbeiten konzentrieren zu können. Zur damaligen Zeit gab es mit SC Einheit Dresden, AdW Berlin, SG Leipzig und Wissenschaft/Chemie Halle vier Leistungszentren, die spezielle staatliche Förderungen erhielten und das Grundgerüst für die Nationalmannschaften Männer und Frauen bildeten. Mein Aufgabengebiet im Sportclub (später Chemie Buna) Halle war vielseitig und reichte von der Betreuung der Männer- Frauen- und Jugendmannschaften bis zur Organisation von Turnieren und internationalen Clubkämpfen. Mit meinen Mannschaften errang ich zahlreiche Deutsche Meistertitel bei den Erwachsenen und Jugendlichen. Im Frauenschach waren wir Abonnement-Mannschaftsmeister.
Was waren deine größten Trainererfolge?
Bei den sieben Einsätzen zu Schacholympiaden der Frauen und Männer erkämpfte die Nationalmannschaft Damen dreimal die Bronzemedaille 1957 in Emmen, 1963 in Split und 1966 in Oberhausen. Das Frauenteam zählte dadurch zur Weltspitze. Nach dem fatalen Leistungssportbeschluss 1972 ermutigten mich als nunmehr verantwortlichen Verbandstrainer und Kapitän der NM-Mannschaft die 13 Siege in offiziellen Länderkämpfen gegen Polen, ČSSR, Ungarn, Bulgarien und Frauen Rumänien sowie die Bundesrepublik Deutschland in Potsdam 1988. Heute bin ich stolz auf die Rüdersdorfer Mädchen, die ich von Beginn an, seit ihrem zehnten Lebensjahr, von 1996 bis 2002, betreute. Sechs Jahre lang trainierten sie diszipliniert, legten Wettkampfbuch und Eröffnungskartei an und wurden später Deutscher Mannschaftsmeister.
Wie gelangen diese Erfolge?
Vielleicht versuche ich
die Antwort erst einmal für das Frauenschach, zumal die drei Bronzemedaillen
ein beachtlicher Fakt waren. Über Jahre hinweg galt es zuvor, dem
Frauenschach innerhalb des eigenen Verbandes Achtung zu verschaffen, denn die
Männer blickten immer ein bisschen auf Frauen herab. Es gelang mir
durchzusetzen, dass Frauen bei Top-Events mitspielen konnten. Zunehmend
wurden sie auch in ersten Männermannschaften aufgestellt. Ihre erforderliche
Partienanzahl gegen starke Gegner erhöhte sich. Ein Paradebeispiel war Edith
Keller-Hermann, die bald als stärkste deutsche Frau den Schachsport in der
Welt zu repräsentieren begann.
Zu Besuch bei Edith Keller-Herrman
Außerdem bemühte ich mich methodisch um einen langfristigen Leistungsaufbau. Ich nahm die Mühe in Kauf, mit jeder Spitzenspielerin einen Individuellen Trainingsplan (ITP) aufzustellen und im persönlichen Gespräch die unterschiedlichen Trainingsanforderungen und Wettkampfeinsätze zu beraten. Rechtzeitig vor den Hauptwettkämpfen (Olympiaden) suchte ich die potentiellen Gegnerinnen aus Zeitschriften und Bulletins heraus und fertigte Spielerdateien an, manuell. Elektronische Datenbanken gab es zu jener Zeit noch nicht. Lehrgänge waren zu organisieren und Freistellungen durchzusetzen. In den 60er Jahren freundete ich mich mit dem rumänischen Nationaltrainer der Frauen und späteren DSB-Bundestrainer Sergiu Samarian an. Wir tauschten trainingsrelevante Informationen, unter anderem Turnierbulletins aus. Zusammen bauten wir eine internationale Kartei mit Repertoires von Spitzenspielerinnen auf. Schließlich nutzte ich die UWV-Phase, die Zeit unmittelbar vor dem Wettkampf. In einem Intensivlehrgang wurde schwerpunktmäßig das Eröffnungsprogramm der Spitzenmannschaften mit Weiß und Schwarz studiert und das eigene Repertoire aktualisiert. Auch Trainingspartien gegen Männer gehörten zum Vorbereitungsprogramm. Ungemein wichtig war es inmitten internationaler Wettkämpfe, die Spielerinnen immer wieder zu ermutigen, nach Niederlagen aufzurichten und ihr Selbstvertrauen zu stärken. Gründliche Auswertungen, vornehmlich der Verlustpartien, gehörten zum Standard im Heimtraining.
Die Anforderungen an deine Tätigkeit gingen also weit über das rein schachliche Training hinaus?
Als Trainer war ich Mannschaftskapitän, Sekundant, Delegationsleiter, Betreuer, Schiedsrichter und Manager. In den zwanzig Jahren als Klubtrainer in Halle und Trainer für die NM Frauen betreute ich Aktive bei nationalen und internationalen Meisterschaften, Einladungsturnieren, internationalen Länder- und Clubkämpfen, leitete NM-, Nachwuchs- und Übungsleiterlehrgänge sowie Lehrkonferenzen, nahm an Verbandstagen, Präsidiums- und Bürotagungen teil, führte die Kommission Leistungssport und den Trainerrat. Da es immer an finanziellen Mitteln fehlte, musste ich je nach Wettkampfform und Notwendigkeit andere Aufgaben mit wahrnehmen. Die Einsätze zu den Qualifikationswettkämpfen für die Weltmeisterschaft, zyklischen Zonen-, Interzonen- und Kandidatenturnieren waren ungemein zeitaufwändig. Allein das Kandidatenturnier 1967 in Subotica, wo ich Waltraud Nowarra betreute, dauerte 31 Tage. Damals gab es ja noch überwiegend Rundenturniere mit Hängepartien-Tagen statt Schweizer System und K.-o.-Turnieren.
Als langjähriger Trainer trifft man mit vielen Persönlichkeiten im Schach zusammen und du hattest das Glück, einige Weltmeister persönlich zu kennen…
Es ist schon etwas Erhebendes, klassische Weltmeister nicht nur aus den Geschichtsbüchern, sondern persönlich kennen gelernt zu haben. Von den 17 mir bekannten Champions erlebte ich Dr. Max Euwe, Dr. Michael Botwinnik, Wassili Smyslow, Tigran Petrosjan, Boris Spasski, Bobby Fischer, Garri Kasparow, Alexander Khalifman, Viswanathan Anand und die Frauen Olga Rubzowa, Jelisaweta Bykowa, Nona Gaprindaschvili, Maja Tschiburdanidse, Zsuzsa und Judit Polgar bei Olympiaden und Turnieren am Brett. Anatoli Karpow kannte ich nicht zuletzt durch unsere Schachschule im Haus der Wissenschaft und Kultur in Berlin gut. Michael Tal, seinen Trainer Alexander Koblenz und mich verband durch die häufigen Aufenthalte und gemeinsamen Erlebnisse in Deutschland und Riga eine Freundschaft über viele Jahre.
Beim FIDE-Seminar 1986 in Leningrad mit Lothar Schmid und dem späteren
DSV-Präsidenten Dr. Michael Schmidt
Und wie war es als Spieler? Wie ich hörte, durfte man früher als Trainer nicht mehr aktiv spielen?
Das stimmt. Nach dem Einstieg als hauptamtlicher Trainer, war es leider nicht mehr möglich, ein Turnier oder eine Meisterschaft (Einzel und Mannschaft) wettkampfmäßig zu spielen. Eine solche Order, wie es sie im DDR-Sport für professionelle Trainer in allen Sportarten gab, war im internationalen Schach undenkbar. Deshalb zeigten bei uns Spitzenspieler wenig Interesse an einer Trainerlaufbahn. Wolfgang Uhlmann verstand es beispielsweise geschickt, solche Angebote abzuwehren. Trotz des Verbots suchte jeder Klubtrainer eine Nische, nämlich als Ersatzspieler bei den ersten Mannschaften, die wir ohnehin als Kapitän zu den Sonderliga-, später Oberligarunden begleiteten. Hohe Wertzahlen konnte man bei diesen sporadischen Einsätzen nicht erreichen. Ich kam mit den raren Partien auf eine Wertzahl von 2280. Aus Trainingsgründen spielte ich Fernschach, vor allem um das Eröffnungsrepertoire zu stabilisieren und freute mich über ein Remis gegen Weltmeister Jakow Estrin beim Eberhard-Wilhelm-Cup. In dieser Situation konnte man nur nach dem Grundsatz „Wer lehrt, der lernt“ als Trainer bestehen.
Das Jahr 1972 brachte einen Einschnitt im DDR-Sport und damit auch für dich als Leistungssporttrainer. Was steckte eigentlich hinter den Beschlüssen?
Über Nacht durften wir nicht mehr zu offiziellen FIDE-Veranstaltungen fahren, ob nach Westen oder Osten, das spielte keine Rolle. Es betraf nicht nur Olympiaden, sondern auch Zonenturniere, Interzonenturniere, Kandidatenwettkämpfe, Jugend- und Studentenweltmeisterschaften sowie Turniere in westlichen Ländern. Dies reglementierte ein wie folgt begründeter Beschluss der DTSB-Sportführung: Die DDR sei als kleines Land ökonomisch nicht in der Lage, alle Sportarten gleichermaßen zu fördern. Deshalb müsste zwangsläufig auf die medaillenintensiven olympischen Disziplinen orientiert werden. Alle nichtolympischen Verbände, auch solche mitgliedsstarken Sportverbände wie Tischtennis, Tennis, Basketball (insgesamt 25!), wurden ausnahmslos von der internationalen Bühne verbannt – unabhängig von ihrem Leistungsniveau, selbst eine Sportart wie Kegeln, die in der Disziplin Asphalt gerade Weltmeister geworden war. Auch im Schach waren wir zu dieser Zeit recht erfolgreich. Waltraud Nowarra und Wolfgang Uhlmann kamen bis in die Kandidatenwettkämpfe während sich Brigitte Burchardt und Petra Feustel bereits im neuen WM-Zyklus für das Interzonenturnier der Frauen qualifizierten. Da dieses Turnier 1976 in der östlichen Stadt Tbilissi stattfand, durften beide als große Ausnahme, nochmals teilnehmen, damit der Qualifikationszyklus beendet werden konnte. Das Komplizierte im damaligen Deutschen Schachverband war, dass er in sechs internationalen Föderationen integriert war: FIDE, ICCF, IBCA, ICSC, IGF und WDCF. Die Ausnahmen wurden unterschiedlich begründet. Bei Fernschach-Olympiaden der International Correspondence Chess Federation mussten die Spieler nicht reisen. Bei Weltmeisterschaften der Sehgeschädigten in der International Braille Chess Association und der Gehörlosen im International Committee of Silent Chess ließ man die Versehrtensportler aus sozialen Gründen gewähren. Die Go-Spieler in der International Go Federation und Dame-Spieler der World Draughts and Checker Federation durften ebenfalls nicht an Weltveranstaltungen teilnehmen. Im Fernschach ergab sich später der kuriose Fakt, dass die Mannschaft der DDR in der erst 1995 abgeschlossenen X. Fernschacholympiade noch die Bronzemedaille gewann, als das Land längst nicht mehr existierte.
Spitzenleistungen im Schach beeindruckten die Sportleitung kaum. Stattdessen wurde national der Breitensport zum Ziel erklärt. Damit verband sich eine Kette von einschneidenden Folgen wie geringere finanzielle Zuwendungen, Abbruch der Förderung von talentierten Anschlusskadern, bis auf wenige Ausnahmen untersagte Teilnahme an Wettkämpfen in westlichen Ländern, keine Aufnahmen von Talenten in die Kinder- und Jugendsportschulen, Einschränkung des Altersklassensystems bei den jüngeren Jahrgängen, Verwehren von Lehrgängen an zentralen Sportschulen, Einschränkungen für Freistellungen u.a.m. Weder Argumente, Petitionen noch Anträge konnten an diesem Beschluss, der einer Beleidigung hunderttausender Sporttreibender gleichkam, etwas ändern. Proteste durften von den Presseorganen nicht gedruckt werden. Kurioserweise hatte niemand jenen „Leistungssportbeschluss“ schriftlich gesehen. Ich erfuhr ihn während einer Trainerratstagung durch Verbandstrainer Hans Platz in Leipzig. Er erläuterte ihn uns Clubtrainern mit der Maßgabe, dass wir die Details den Spielern in unseren Sportclubs/Leistungszentren weitergeben sollten.
Hast du deshalb resigniert? Wie ging es trotzdem weiter?
Verantwortliche in der Abteilung Wissenschaft des DTSB boten mir nach dem Beschluss an, im Leistungssport des Sportbundes zu arbeiten, aber ich fühlte mich mit dem Schach verwurzelt. Nach dem ersten Schock musste als Gegenstrategie meines Erachtens alles getan werden, um Schach in unserem Lande aufzuwerten. Eine Strategie war, durch Leistungen zu beeindrucken, was mit der erwähnten Länderkampfserie glückte. So konnten wir wenigstens Einsätze im sozialistischen Ausland sichern und damit versuchen, die Leistungssubstanz so lange wie möglich zu erhalten. Durch den andauernden Erfolgszwang konnten überwiegend nur etablierte Spieler eingesetzt werden, was bedauerlicher Weise zu einem Missverhältnis gegenüber den Entwicklungschancen jüngerer hoffnungsvoller Anschlusskader führte. Die Leistungspyramide erhielt dadurch einen Knick. Besonders ärgerlich war auch, dass ab 1979 alle im In- und Ausland erspielten Preisgelder abgegeben werden mussten. Hierbei wurde kein Unterschied zwischen olympischen- und nichtolympischen Sportarten gemacht. Für uns ging damit die letzte Motivation verloren. In der Folge wichen wir auf Tele-Schacholympiaden aus, eine Kooperationsform zwischen FIDE und ICCF, die über Fax-Geräte und mit Telefonstandleitungen gespielt werden konnten. Selbst wenn wir nicht direkt an Olympiaden teilnehmen durften, waren wir in dieser fernschachähnlichen Wettkampfform wenigstens weltweit präsent und auch ziemlich erfolgreich: Bei der letzten Tele-Olympiade 1990 gewannen wir (durch ein 4:4 im Endspiel gegen die UdSSR) sogar den Titel.
Schach in seiner Bedeutung hervorzuheben, gehörte zu deinen wichtigsten Überlegungen?
In unserer kritischen Lage galt es, die gesellschaftliche Bedeutung des strategischen Spiels mit seinen Anforderungen für die Herausbildung von geistigen und charakterlichen Wesensmerkmalen zu propagieren und durch wissenschaftliche Forschungen zu stützen. Deshalb bemühte ich mich um das Zustandekommen der Ersten Wissenschaftlichen Konferenz zum Thema „Schach und Persönlichkeitsbildung“ 1972 im Haus des Lehrers in Halle/S. und hielt das Hauptreferat. Zwei zentrale Nachwuchskonferenzen schlossen sich 1973 und 1975 an. Zur gleichen Zeit gründete ich eine Wissenschaftlich-methodische Kommission mit Experten anderer Fachgebiete, aus der die spätere Präsidiumskommission „Kultur und Bildung“ unter Leitung von Dr. habil. Marion Kauke hervorging. Als Hochschullehrerin initiierte sie schachwissenschaftliche Untersuchungen zur Förderung intellektueller Leistungsfähigkeit, betreute schachrelevante Diplom-, Beleg- und Abschlussarbeiten und verfasste schachwissenschaftliche Veröffentlichungen.
Einladungen zu Vorträgen über Schachdidaktik führten mich an den Lehrstuhl für Schach an der Moskauer Hochschule für Sport und an die Lomonossow-Universität. Im September 1986 besuchte ich mit Dr. Michael Schmidt, Mitglied des Trainerrats und späterem DSV-Präsidenten, ein wissenschaftlich-methodisches Lehrseminar der FIDE, das anlässlich des WM-Matches Karpow-Kasparow im damaligen Leningrad stattfand. Diese Erfahrung und das gewachsene gesellschaftliche Interesse am Schach unter der Bevölkerung ermöglichten die beiden Spezialkurse „Bedeutung des Schachs für Erziehung, Wissenschaft und Kultur“ mit hoher Beteiligung nationaler und internationaler Fachwissenschaftler aus zahlreichen Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen 1988 und 1989 an der Technischen Universität in Dresden. Beim ersten Kurs hielt ich einen Vortrag „Zur Stellung des Schachs im System der Sportdisziplinen“, wobei besonders die Transferwirkung unseres Spiels mit seinen schnell ablaufenden strategisch-taktischen Denkprozessen für Zweikampfsportarten und Sportspiele hervorgehoben wurde.
Wie kam es zur Veröffentlichung der populären „Schachlehre“?
Eine Forderung des DSV hieß, Schach in allen Schulen zu integrieren. Auch wenn es in der Realität eine Illusion blieb, entstanden immer mehr Arbeitsgemeinschaften. Von vielen Lehrern, Übungsleitern und Eltern wurde immer wieder nach Lehrmitteln gefragt. Übungsleiter wollten wissen, wie man am zweckmäßigsten Schach vermittelt. So versuchte ich als Verantwortlicher für die Aus- und Weiterbildung im Verband, einen effektiven Lehrweg zu finden, indem mir ein umfangreicher Praxisversuch helfen sollte. In der Goetheschule in Halle unterrichtete ich eine erste und zweite Grundschulklasse Schach nach einem von mir entwickelten Lehrprogramm. Danach wies ich zirka 40 tätige Schachlehrer und Übungsleiter, auch im Ausland, ein. Sie erprobten diesen Ausbildungsweg und gaben mir Feedback. Die gewonnenen Erkenntnisse, verbunden mit pädagogischen Studien, verdichtete ich zu einem systematischen Lehr- und Ausbildungsprogramm zum Erlernen der technischen Grundelemente. Daraus entstand ein wesentliches Kapitel meiner Dissertationsschrift „Untersuchungen über die didaktisch-methodische Gestaltung der Schachausbildung unter besonderer Berücksichtigung der spieltheoretischen Entwicklung des Schachsports“ an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Dieser effektive Lehrweg für den Gruppenunterricht sollte einem möglichst großen Kreis von Interessenten zugänglich gemacht werden. Ich verfasste mehrere Broschüren und nahm das Lehrprogramm 1985 in die erste Auflage des Buches „Schachlehre – Ein Handbuch für Lehrende und Lernende“ auf. Nach einer hohen Startauflage von 20 000 Exemplaren, die ganz schnell vergriffen waren, folgten 1987 eine zweite und 1989 eine dritte. Das Buch galt als handliches Kompendium, in dem Schachlehrende alles finden sollten, was sie zu einem schnellen Vermitteln des Stoffs brauchten. Vor allem waren die zahlreichen didaktisch geordneten Übungsaufgaben und Arbeitsblätter gefragt.
Nochmals zurück zur „schachlichen Eiszeit“, wie du einmal die Zeitspanne betitelt hast. Diese Periode im Sportleben ist aus heutiger Sicht vermutlich einmalig und kaum nachvollziehbar. Warum hat der Weltschachbund nicht geholfen und vielleicht gibt es weitere Fakten, die wir noch nicht kennen?
Meines Wissens hat sich die FIDE als auch die 1985 gegründete ECU sehr wohl um unser nationales Problem gekümmert. Ich sprach bei Auslandsaufenthalten (wie beim FIDE-Seminar in Leningrad) mit allen anwesenden FIDE-Repräsentanten, später mit Herrn Professor Kurt Jungwirth, dem Präsidenten der Europäischen Schachunion und Horst Metzing als Geschäftsführer des DSB. Im Prinzip versprachen sie alle zu helfen, sahen nur keinen direkten Weg, die DDR-Sportführung zu überzeugen. Mir ging es vor allem darum, die internationale Öffentlichkeit auf unsere Misere aufmerksam zu machen. Besondere Hoffnung setzte ich auch auf die Autorität von Vitali Sewastjanow, der als Schachpräsident und Kosmonaut einen hohen Bekanntheitsgrad besaß.
In persönlichen Gesprächen bat ich bekannte Großmeister, unter anderem den damals amtierenden Weltmeister Anatoli Karpow, uns zu helfen und über Diplomatie und Presse auf den DTSB Einfluss zu nehmen. Michael Tal, Michael Botwinnik, Lothar Schmid, Eduard Gufeld, Juri Awerbach, Nikolai Krogius, Aiwar Gipslis, Waleri Tschechow, Lew Polugajewski und Nona Gaprindaschwili sowie die einflussreichen Trainer Alexander Koblenz und Josef Watnikow, Hauptschachlehrer an der Lomonossow Universität, setzten sich für uns ein. Beim WM-Match Karpow-Kasparow in Moskau gelang es durch Hilfe ungarischer Spitzenspielerinnen, mit Ministerpräsident Janos Kadar zu sprechen. Als bekannten Förderer des Schachs bat ich ihn, seinen Einfluss geltend zu machen, von außen auf die Regierung der DDR einzuwirken.
Ein besonderes Ziel war es, den damaligen FIDE-Präsidenten, Florencio Campomanes als offiziellen Fürsprecher nach Berlin einzuladen. Obwohl als Angestellter im Sport in Zwängen, nutzte ich jede Gelegenheit, die diskriminierende schachfeindliche Sportpolitik zu unterlaufen. Während der krankheitsbedingten Abwesenheit des vom DTSB eingesetzten Schach-Generalsekretärs Willy Langheinrich (früher Boxfunktionär), richtete ich ohne Zustimmung des für Nichtolympische Sportarten zuständigen DTSB-Abteilungsleiters, an Campomanes eine Einladung. Zum Verständnis für die damalige Hierarchie muss bemerkt werden, dass es laut Geschäftsordnung untersagt war, in westliche Länder, einschließlich Jugoslawien und Kuba, ohne Genehmigungsvermerk einen Brief zu schreiben, ein Fax zu schicken oder ein Telefonat zu führen. Die Bürokratie sah auch vor, dass jeder internationale Einsatz langfristig bei der „Abteilung Sport II“ in siebenfacher (!) Ausfertigung eingereicht und vom Vizepräsidenten des DTSB genehmigt werden musste. Die Sportverbände lebten unter dem Dach des Deutschen Turn- und Sportbundes und besaßen keinerlei eigene Entscheidungsbefugnis, vor allem nicht was internationale Belange angeht. Eine spezielle Internationale Abteilung für Protokoll und Reiseverkehr mit 45 Mitarbeitern, gegliedert in zahlreiche Länderreferate, regelte von der Planung, Übersetzung bis zum Ausstellen der Pässe und Kauf der Fahrkarten alles.
Zum Spezialkurs „Bedeutung des Schachs für Erziehung, Wissenschaft und Kultur“ 1988 in Dresden musste die Sportführung den FIDE-Präsidenten empfangen. Ein Erfolg dieser und weiterer sportpolitischen „Schachzüge“ war, dass wir im gleichen Jahr das erste Mal wieder nach 16 Jahren zu einer Schacholympiade (in Saloniki), starten durften.
In den 90er Jahren schrieb ich einen Artikel über dein Wirken als Schachlehrer an Highschools in New York? Wie kam es dazu?
Gleich nach der Wende nutzte ich 1991 die Chance zur Fortbildung an der City University of New York. Zugleich vermittelte ich Studenten des City College Schach. Die Didaktik in meinem Buch „Schachlehre“ war die Grundlage dafür. Der Associate Dean des Mathematik-Departments, Professor Alfred Posamentier, war erstaunt, dass man Schach systematisch lehren kann.
Schachtraining in New York
Als wenige Jahre später die Schuladministration von New York ein Projekt zur Förderung von 400 naturwissenschaftlichen Hochbegabungen initiierte, erhielt ich 1995 eine Einladung, ausgewählte Schüler und Schülerinnen an der Stuyvesant-School (ein Steinwurf vom World Trade Center entfernt) zu unterrichten. Da sich das Vorgehen bewährte und die Kinder begeistert waren, wurde das Feldexperiment ein Jahr später an der Stuyvesant-School wiederholt und auf die Bronx High School of Science erweitert. Der Aufenthalt in New York war für mich eine faszinierende Erfahrung, zumal ich nicht nur die modernsten technischen Möglichkeiten der Telekommunikation und Computertechnik nutzen konnte, sondern außer dem legendären Manhattan Chess Club auch Besuche in Washington, Philadelphia und Boston auf dem Programm standen.
Die Weiterbildung an der New Yorker Universität eröffnete mir die Möglichkeit, an einem pädagogischen Forschungsprojekt der DFG Bonn und dem Institut für Allgemeine Pädagogik, Abteilung Empirische Bildungsforschung und Methodenlehre an der Humboldt-Universität Berlin, mitzuarbeiten. Unter der zentralen Thematik „Aufwachsen in Deutschland“ führten wir systematische Beobachtungsstudien von Kindern im Schulalltag durch. So lernte ich noch besser, Jungen und Mädchen in ihrer sensiblen Entwicklungsphase im Alter von zehn bis 14 Jahren verstehen.
Wie ging es nach der Wende mit der Trainertätigkeit in Deutschland weiter?
Im Januar 1991 erhielt ich mit einer Reihe anderer DSV-Trainer im Rahmen der Vereinigungsmaßnahmen die A-Lizenz des DSB ausgehändigt. Zunächst gab ich Schachunterricht an einer Grundschule in Berlin. Bei berufsbegleitenden- und Vollzeitkursen an Kreativitätsschulen der Mehlhorn-Stiftung brachte ich ab 1995 in den Städten Berlin, Potsdam, Teltow, Babelsberg, Cottbus, Neubrandenburg und Schwerin 460 Kreativitätspädagoginnen und Pädagogen das Schachspiel bei. Von 1996 - 2004 war ich Honorartrainer im Leistungsstützpunkt Rüdersdorf und Lehrwart des Landes Brandenburg. Als Mitglied der Zentralen Lehrkommission des DSB wurden mir Lektorentätigkeiten in A-, B- und C-Trainerlehrgängen des DSB zur Aus- und Weiterbildung in Berlin, Hamburg, Halle und mehreren Orten des Landes Brandenburg übertragen. Allein im vergangenen Jahr war ich bei sieben Trainerlehrgängen als Lektor oder Organisator tätig.
Im Jahr 2000 veröffentlichte ich mit meinem Sohn Uwe „Schachlehre – Schachtraining“ als methodisches Handbuch für Lehrende und Lernende. Ziel war es, praktisch tätigen Schachtrainern die Arbeit zu erleichtern, ihnen neben didaktisch-methodischem Grundlagenwissen thematisch geordnete Übungs- und Aufgabensammlungen in die Hand zu geben. Durch die Kompetenz Uwes als spielstarkem Großmeister und Bundestrainer konnten wirksame Formen des systematischen Schachtrainings und Erfahrungen zur Rolle des Schachtrainers einbezogen werden.
Gibt es ein Erziehungscredo im Sport, oder sollte wie in vielen Schulen, nur Wissen vermittelt werden?
Meine tiefe Überzeugung ist, dass ein Trainer und Schachlehrer nicht nur bilden, sondern auch „ziehen“, also erziehen und disziplinieren sollte. Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, sportgerechte Lebensweise, Trainingsfleiß sind unabdingbar für stetige Leistungsentwicklung. Ein hohes, aber realistisches Anspruchsniveau und beharrlicher Siegeswille sind gefragt. Sonst wird sich der Sportler zwar verbessern, aber sein Leistungsvermögen nicht voll ausschöpfen. Manchmal ist den Spielern selbst nicht bewusst, was sie hindert oder blockiert. Dazu ist ja auch der Trainer da. Obwohl es nicht immer einfach ist, muss er das Rückgrat haben, seinen Schützlingen den „Spiegel“ vorzuhalten, muss gegen Selbstbetrug kämpfen und notfalls auch gegen den Willen der Sportler berechtigte Vorstellungen durchsetzen.
Problematisch für einen Trainer ist die Pflicht, jederzeit als Vorbild zu wirken, weil er alle die Eigenschaften, die er verlangt, auch vorleben sollte. Sobald er das nicht tut, wirkt er unglaubwürdig. Zum Erziehungscredo gehört auch das Verhalten von Spielern, Trainern und Funktionären rund um das Brett. Immer häufiger wird gegen das Fairplay im Schach verstoßen, wie ich durch Vorträge bei Trainerlehrgängen verdeutlichen konnte. Diese unschöne Entwicklung veranlasste auch Großmeister Raj Tischbierek, seine A-Trainerarbeit 2004 den geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen gestützt durch praktische Erfahrungen zu widmen.
Besonders jüngere Spieler orientieren sich oft am Trainer mehr als an den eigenen Eltern. Ich bewundere Trainer, die viele ihrer eigenen Hoffnungen und Wünsche nicht leben können, weil sie ohne im Rampenlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit zu stehen, weder Zeit noch Energieleistungen scheuen, die Individualität ihrer Schützlinge voranzubringen. Als Trainer darf man Talente nicht zu rasch aufgeben. Bedeutsam ist die pädagogische Befähigung, Trainings- und Wettkampfaufgaben mehr durch anspornendes Lob als durch Tadel zu bewältigen. Ein Funken Humor kann nicht schaden. Mit einem Wort: Der Trainer sollte die hohe Kunst beherrschen, geduldig und trotzdem unduldsam zu sein!
Was machen Deiner Erfahrung nach Trainer richtig und was machen Sie falsch?
Beachtlich ist, wenn Trainer über einen längeren Zeitraum hinweg ihre Schützlinge oder Mannschaften regelmäßig und zuverlässig betreuen, an ihren Sorgen und Ängsten teilhaben und sie nach Misserfolgen immer wieder zu motivieren verstehen.
Mich stört, dass manche Übungsleiter, den Schützlingen ihre persönlichen Eröffnungsvorlieben oktroyieren. So spielen häufig Kinder in den untersten Altersklassen nicht das klassische 1.e4, sondern geschlossene Eröffnungssysteme oder Züge wie 1.b4, 1.c4 und 1.f4, deren strategische Gedanken sie noch gar nicht verstehen. Mir gefällt auch nicht, wenn Trainer unmittelbar nach einer verlorenen Partie mit den Worten „Wie kannst du nur…?“ oder „Warum hast du das nicht gesehen?“ ihre Schützlinge noch tiefer ins psychische Loch stoßen. Schließlich sollte in der Lehre und beim Trainieren nicht die laute und schreiende Stimme des aufgeregten Schachlehrers zu hören sein, wodurch speziell junge Mädchen noch stärker eingeschüchtert und verängstigt werden.
Muss sich auch ein „gestandener“ Trainer noch weiterbilden?
Das würde ich auf alle Fälle bejahen. Natürlich besitzen langjährige Trainer einen gewissen Erfahrungsschatz durch die Aktiven- und Trainerlaufbahn. Trotzdem kann man sich nicht zurücklehnen. Für mich besitzen derartige Weiterbildungen eine lange Tradition. Schon im damaligen Deutschen Schachverband organisierte ich seit Anfang der 80Jahre jeweils zu Jahresbeginn einen einwöchigen Fortbildungslehrgang an einer Sportschule für alle sechs, später acht hauptberuflichen Trainer, an denen auch die anderen Mitglieder des Trainerrats teilnahmen. Das waren neben den beiden GM Wolfgang Uhlmann und Lothar Vogt als Aktive der Verbandspsychologe, Verbandsarzt, Übersetzer und ein Übungsleiter. Während dieser Woche wurden aktuelle schachspezifische und pädagogisch-psychologische Weiterbildungsthemen gehört sowie der jährliche Rahmentrainingsplan mit Leistungszielen, Kaderkreisen für Männer, Frauen, Nachwuchs, Nominierungskriterien, Wettkampf- und Lehrgangspläne ausführlich diskutiert und erarbeitet.
Auch in der heutigen Zeit sind bestimmte Formen und Inhalte des Fortbildens unverzichtbar. Vieles kann man autodidaktisch im Selbststudium lernen. Das regelmäßige Nachspielen von Partien auf der CD-Rom im ChessBase Magazin zählt sicher dazu. Allein der technische Fortschritt zwingt uns, neue Wege zu finden. So kann man sich kaum noch einen modernen Schachtrainer ohne Computer, Eröffnungs-Datenbanken, Powerbooks, Handy, Internetzugang und E-Mailanschrift vorstellen. Computergestützte Hilfsmittel erlauben elektronische Lehr- und Lernweisen und verbessern die Kommunikation untereinander. Auf diesem Gebiet gibt es keinen Stillstand. Täglich kommen aktualisierte Programme, Datenbanken und Geräte auf den Markt, die erworben, verstanden bzw. installiert werden müssen. So sehe ich das auch mit den regelmäßigen DSB-Weiterbildungen für die Trainerlizenzen. Es ist vielleicht ganz interessant zu wissen, welchen Anforderungen sich ein A-Trainer stellen muss. Meine Fortbildung erfolgte nach der Lizenzierung 1991 im zweijährigen Rhythmus 1993 in Stuttgart, es folgten jeweils 15stündige Wochenendlehrgänge 1995 in Kienbaum, 1997 Berlin, 1999 Hannover, 2001 Helmstedt, 2003 Hannover und 2005 erneut in Berlin. Eigentlich möchte ich keinen der besuchten Lehrgänge missen, da neben den gebotenen Lektionen, überwiegend von uns selbst gehalten, vor allem der damit verbundene Erfahrungsaustausch mit Kollegen ungemein wertvoll und angenehm war.
Welche Aufgaben hast du an der internationalen Trainerakademie in Berlin?
Seit Anfang 2001 widmete ich als Koordinator und Organisator viel Kraft und Zeit dem Aufbau der Berliner Trainerakademie. Vier Räume mussten neu eingerichtet, möbliert und mit moderner Technik ausgestattet werden. So entstanden inzwischen ein Schulungsraum, Computerkabinett, eine Bibliothek und ein Büro. Alle Geräte wie Computer, Beamer, Spielmaterialien, Drucker etc. müssen gewartet werden, um funktionstüchtig zu bleiben. Es galt Finanzpläne auszuarbeiten, Ausschreibungen und Lehrpläne in Englisch zu verfassen, Lektoren zu gewinnen, im Prinzip alles zu veranlassen, was für den Betrieb einer modernen Lehreinrichtung notwendig ist. Für meine Begriffe wird diese Einrichtung mit dem Anliegen „Train the Trainer“ voll dem Leitspruch der FIDE „Gens una sumus“ gerecht. Die Trainerakademie ist ein Novum. Mir ist kein anderer Sportverband bekannt, der weltweit sportartspezifische Aus- und Weiterbildungen für seine Trainer organisiert.
In der Bibliothek der Trainerkademie
Welche Rolle spielt dabei der Deutsche Schachbund?
Aufgrund der Initiative des früheren Ausbildungsreferenten, Professor Dr. Hochgräfe, vergab der Weltschachbund auf seinem Kongress 2000 in Istanbul den Standort der internationalen FIDE Trainerakademie nach Berlin. Darauf hin wurde mit Horst Metzing, Uwe Bönsch und mir eine kleine Arbeitsgruppe gebildet. Mit dem Aufbau einer Trainerakademie für den Weltschachbund entstand etwas völlig Neues auf dem Gelände des Berliner Olympiastadions. Nach anfänglichen Schwierigkeiten organisierten wir inzwischen neben mehreren DSB- und DSJ-Lehrgängen bereits vier internationale Ausbildungskurse für FIDE-Trainer und Instruktoren aus 18 Ländern von vier Kontinenten. Die nächsten Kurse in diesem Jahr finden vom 21.-27. Juli und 20.-27. Oktober statt, wie bei www.fide-trainer-academy.com zu ersehen ist. Inzwischen unterstützen so fachkundige Experten wie Michael Langer, Hanno Dürr, Michael Greiser, Guido Feldmann und Michael Richter das Unternehmen Trainerakademie. Als für die Sache förderlich erwies sich auch die unmittelbare räumliche Nachbarschaft zur Geschäftsstelle des DSB, der DSJ und ECU. In diesem Zusammenhang erlaube ich mir ein Lob für die hauptamtlich Tätigen in der Zentrale des Deutschen Schachbundes und der Deutschen Schachjugend. Es beeindruckt mich immer wieder, das ganze Jahr spät abends nach Dienstschluss noch Licht brennen und Mitarbeiter am Computer sitzen zu sehen.
Erinnerst du dich an einige Ereignisse aus deinem Schachleben, die dich besonders beeindruckten?
In jungen Jahren begeisterte mich die Ausstellung „Schach im Wandel der Zeiten“, die 1960 anlässlich der XIV. Schacholympiade in Leipzig stattfand. Damals gelang es, wichtige Exponate, Raritäten, Bilder, Pseudo-Computer, historische Schachspiele, Figuren, Briefmarken und Bücher, im Prinzip alles was irgendwo in Welt in einem Museum oder Privatbesitz bekannt war, im Leipziger Ringmessehaus auszustellen. Viel Beifall erhielt ein 1911 in Spanien konstruierter mechanischer Apparat, der mit König und Turm den feindlichen König (mit krächzender spanischer Stimme) mattzusetzen vermochte. Allein die für Transport und Versicherung zu entrichtenden Gelder, vor allem für Überseeexponate, machten ein kleines Vermögen aus. Meines Wissens war es mit 75 364 Zuschauern die bisher größte internationale Schachausstellung und ich bin froh, durch eigene persönliche Leihgaben und Helfen beim Ausgestalten der Räume Anteil daran gehabt zu haben. Alles in allem wurde in eindrucksvoller Weise gezeigt, welchen hohen Wert Schach in der Menschheitskultur einnimmt.
Des Weiteren möchte ich die Teilnahme 1964 an der Schacholympiade in Tel Aviv als Trainer nennen. Spannend war schon der Reiseweg, der durch die damals drei geteilten Städte der Welt führte. Vom gespaltenen Berlin flogen wir nach der Mittelmeerinsel Zypern zur geteilten Hauptstadt Nikosia. Aus unerfindlichen Gründen durften wir zwar nicht mit dem offiziellen Reisepass, aber mit dem unscheinbaren DDR-Personalausweis die Grenze vom griechischen Teil nach dem nördlichen türkischen Sektor passieren. In Israel erlebten wir die geteilte Stadt Jerusalem mit Scharfschützen hinter einem Wall von Sandsäcken. Dort gab es keine Chance, von der israelischen Seite einmal in den arabischen Teil zu gehen. Beeindruckend im Gastgeberland waren die historischen heiligen Stätten und der Besuch in einem Kibbuz mit seinen ungewöhnlichen Erziehungsprinzipien. Während des FIDE-Kongresses wurde mir persönlich die Urkunde als Internationaler Schiedsrichter überreicht.
Im September 1999 faszinierte mich die phantastische Geistesleistung von GM Dr. Robert Hübner beim Blindsimultan an acht Brettern gegen eine zweite Bundesligaligamannschaft in Berlin. Als Schiedsrichter erlebte ich innerhalb der Absperrungen prickelnd hautnah, wie Robert Hübner mit einer unglaublichen Konzentrationskraft und vibrierenden Nerven die starke Gegnerschaft des Kreuzberger Schachclubs ohne Verlustpartie mit 6,5: 1,5 bezwang. Ungeachtet technisch bedingter Kommunikationsstörungen in der hausinternen Telefonleitung und verwirrender untheoretischer Eröffnungszüge seiner Gegner, behielt er trotz geschlossener Augen sechs Stunden lang den Überblick.
Gern denke ich zurück an eine fröhliche Autofahrt mit 11jährigen Mädchen meiner Rüdersdorfer Übungsgruppe zu einem der Trainingslager, damals in die Jugendherberge Milow. Während der Fahrt kündigte ich ihnen zum Zeitvertreib provokativ Aufgaben an „die sie bestimmt nicht schaffen würden“. Ihr Widerspruch war gereizt, und sie wollten es natürlich wissen. Ich bat sie, die Augen zu schließen, und es ging los mit Fragen und Antworten aus dem Kopf wie „Wohin kann der Springer von b1 ziehen?“ und „In wie viel Zügen gelangt der Springer von g1 auf die achte Reihe?“. Wir landeten schließlich bei einfachen Mattaufgaben wie „Weiß am Zuge setzt in zwei Zügen matt!“ (z.B. Weiß: Kg6, Tf7 - Schwarz: Kg8). Unversehens gelangen ihnen die Lösungen ohne Ansicht des Brettes. Davon waren die Mädchen selbst so überrascht, dass sie gar nicht genug bekommen konnten und nach mehr Aufgaben verlangten. Ich hatte ihnen etwas gezeigt, von dem sie nicht ahnten, dass sie es können würden. Keine Frage, dass wir die Spielchen auf der Rückfahrt nach zwei Tagen wiederholten. Ihre Begeisterung wirkte auf mich als Trainer zurück!
Was machst du am liebsten, wenn du nicht gerade Schach lehrst, organisierst oder am Computer schreibst?
Im Grunde interessiert mich alles „rings um das Schach“ vom Computer- bis zum Fernschach. Ich spiele gern 3 - 5 Minuten Blitzpartien mit Fritz9 auf dem komfortablen Server von ChessBase gegen unbekannte Gegner aus aller Welt und suche bei Google bzw. www.schachbund.de nach neuen Informationen. Im Fernsehen sehe ich gern Sportsendungen, besonders solche, die das aufwendige Training in einer Sportart zeigen, wie beim Kräfte zehrenden Triathlon. Faszinierend finde ich Menschen, die ihre Leistungsgrenzen ausreizen nach Reinhold Messners Philosophie „Bis zur Grenze gefordert, können wir alle mehr, als wir wollen!“
Ich möchte weiterhin überzeugende Argumente finden, Schach als Trainingsmittel für Strategie und Taktik in vielen Sportarten zu nutzen. Einige Trainer im Fußball gehen von ähnlichen Überlegungen aus und verwenden Schach als Freizeitbeschäftigung in Trainingslagern. Diesem Anliegen widmet sich auch eine von mir betreute Abschlussarbeit in der Kreativitätsschule Berlin mit dem Thema „Schach und Boxen“.
Persönlich versuche ich, den Körper durch gesunde Lebensweise mit Früchtemüsli ohne Nikotin und wenig Alkohol gesund und geistig frisch zu halten. Tischtennis, Joggen, Schwimmen und Saunieren gehören ebenfalls dazu. Mit Schach möchte ich mich noch viele Jahre in einer sinnvollen Form beschäftigen, zumal im gereiften Alter eine Menge Lebenserfahrung und Kompetenz eingebracht werden kann. Es ist ja das Schöne bei diesem Spiel, dass man im Unterschied zu anderen Sportarten lebenslang aktiv bleiben kann, und zwar nicht nur am Brett wie es der gleichaltrige Viktor Kortschnoi vorlebt, sondern auch hinter dem Brett als Trainer, Schachlehrer, Schiedsrichter oder Organisator.