Wiedervereinigungswettkampf Kramnik gegen
Topalov: Warum Kramnik Favorit ist
Von André Schulz
Die Vorgeschichte
Für alle jüngeren Schachfreunde sei hier zunächst ganz kurz die
Ausgangssituation erklärt: 1993 organisierten Kasparov und Short ihren WM-Kampf
nach einem Streit mit dem damaligen FIDE Campomanes ohne den Weltschachbund.
Fortan gab es leider zwei Linien in der Frage der Weltmeisterschaften. Kasparov
spielte zwei weitere Matches um den Titel. Er gewann 1995 gegen Anand und verlor
2000 gegen Kramnik. Kramnik verteidigte seinen Titel 2004 gegen Leko. Die FIDE
war nach dem Ausstieg von Kasparov zunächst ratlos und organisierte dann unter
dem neuen Präsidenten Ilyumshinov einige Weltmeisterschaften im .K.o-Modus. Im
letzten Jahr schließlich führte man in San Luis ein Rundenturnier durch, das von
Veselin Topalov in überlegener Weise gewonnen wurde. Bei einem Treffen der
wichtigsten Leute im Schach in Prag 2002 hatte man die Zusammenführung der
beiden Weltmeisterlinien beschlossen. Nun kommt es zu dem gewünschten Treffen
der beiden Weltmeister.
Der Wettkampf
Die Manager: Silvio Danailov und Carsten Hensel
Der Wettkampf findet in der kalmückischen
Hauptstadt Elista vom 21.September bis 13.Oktober statt und wird über 12 Partien
ausgetragen. Sieger ist, wer 6,5 Punkte erzielt. Bei Gleichstand folgen vier
Schnellschachpartien, bei erneutem Gleichstand zwei Blitzpartien und dann eine
Sudden Death-Blitzpartie. Das Preisgeld in Höhe der garantierten Summe von 1 Mio
Dollar wird unabhängig vom Ergebnis zu gleichen Teilen zwischen Kramnik und
Topalov geteilt. Trotzdem ist der Wettkampf in gewisser Hinsicht ein Alles-oder
Nichts-Match. Denn nur der Gewinner qualifiziert sich für das kommende
WM-Turnier im nächsten Jahr. Der Verlierer ist ausgeschieden.
Die Spieler
Die letzten beiden Jahre im Turnierschach standen ganz klar im Zeichen von
Veselin Topalov. Schon vor der FIDE-WM in Tripolis gehörte Topalov zu den
Topspielern der Welt, aber erst mit diesem Turnier begann der kometenhaften
Aufstieg des damals 29-Jährigen bis an den Gipfel. Mehrere grandiose Erfolge
brachten ihn innerhalb von zwei Jahren an die Spitze der Weltrangliste, die er
zur Zeit mit Elo 2813 anführt. Der Bulgare wirkt seit Tripolis wie
verwandelt. Zwar hatte er schon früher einen sehr unternehmenden und für die
Zuschauer unterhaltsamen Stil gepflegt, doch nachdem er auch sein Repertoire
verändert hatte, schien er die Konkurrenz manchmal fast schon nach Belieben
dominieren zu können.
Bei der FIDE-WM in Tripolis ging er mit einer Bilanz von 9,5:0,5 ins Halbfinale,
wo er dann allerdings gegen den späteren Sieger Rustam Kasimdzhanov ausschied.
Zwar wurde er beim Courturnier 2005 "nur" Dritter und musste zwei Niederlagen
einstecken - gegen Polgar und gegen Adams. Doch in Linares siegte er dann
zusammen mit Kasparov. Das folgende M-Tel Turnier in Sofia konnte er ebenfalls
für sich entscheiden. Dortmund 2005 beendete er trotz zweier Niederlagen - eine
gegen Kramnik - als Zweiter. Es folgte das berühmte WM-Turnier in San Luis, wo
er die übrige Weltelite mit 10,5 aus 14 und 1,5 Punkten Vorsprung wie düpierte.
Die Hinrunde hatte er mit 6,5/7 beendet und damit den Grundstein für den
Titelgewinn gelegt. In der Rückrunde reichten ihm sieben Remis. Es folgten
Turniersiege in Wijk (zusammen mit Anand), in Morelia/Linares nach zunächst
schwachem Start und in Sofia, wo Topalov den überragenden Kamsky noch abfangen
konnte.
Viele Schachfans waren begeistert und sehen
in Topalov den Nachfolger Kasparovs, auch wenn der Bulgare seinen Siegeszug an
die Spitze spät und nicht wie Kasparov schon mit Anfang 20 begonnen hatte.
Kasparov selber sah allerdings schon viel
früher Vladimir Karmnik als seinen Nachfolger an. Als er dem jungen Kramnik
Anfang der Neunziger begegnete, war er von dessen Schachverständnis so
begeistert, dass er dafür sorgte, dass der 17-Jährige schon 1992 bei der
Schacholympiade in Manila zur russischen Mannschaft gehörte. Bei der
Vorbereitung auf den WM-Kampf 1995 gegen Anand ließ sich Kasparov von Kramnik
helfen und ahnte wohl bereits, dass ihm in diesem ein ernsthafter Rivale
entstand. Kramnik wurde der zweite Spieler, der nach Kasparov jemals über die
2800er-Elomarke kam. Und tatsächlich erwies sich Kramnik dann beim WM-Kampf in
London 2000 als unüberwindbares Hindernis. Kasparov war nicht in der Lage, gegen
den nun 25-Jährigen auch nur eine einzige Partie zu gewinnen.
Mit 2:0 nach Gewinnpartien endete der Kampf zugunsten von Kramnik. Die
15-jährige Herrschaft von Kasparov als Weltmeister war beendet. Der neue
Weltmeister bildete zu dieser Zeit ein Team von Helfern, die ihm auch beim
Titelkampf gegen Leko in Brissago 2004 zur Seite standen. Dieses Match fand für
Kramnik unter sehr viel ungünstigeren Bedingungen statt. Heute weiß man, dass
Kramnik nach seinem Kampf gegen Kasparov mehr und mehr unter einer offenbar
chronischen Athritis litt, die ihm schwer zu schaffen machte und ihn auch beim
Schach so stark behinderte, dass er in der Weltrangliste immer weiter
abrutschte. Während des Wettkampfes in Brissago musste er sich sogar ärztlich
behandeln lassen, um den Kampf zu Ende führen zu können. Gegen den
Herausforderer aus Ungarn lag er zurück, doch in der letzten Partie mobilisierte
er alle noch vorhandenen Kräfte und glich den Kampf aus, wodurch er im Besitz
des Titels blieb.
Kramniks Erfolge als Turnierspieler sollen
hier nicht aufgezählt werden. Es gibt zahlreiche grandiose Turniersiege in
Kramniks Laufbahn, auch wenn der Mann aus Tuapse vielleicht nicht so überlegen
aufgetreten ist, wie Topalov es zuletzt demonstriert hat. In Interviews erzählte
der Weltmeister im klassischen Schach, dass die Behandlung seiner Krankheit sehr
gute Fortschritte mache. Bei der Schacholympiade in Turin war er bester Spieler,
im Sommer siegte er in Dortmund. Bei der Pressekonferenz der RAG in Essen
präsentierte er sich bestens gelaunt. Von Krankheit keine Spur,. Die Talsohle
scheint durchschritten.
Die Chancen
Interessanter als Kramniks Turniererfolge
sind hingegen Topalovs Wettkampferfahrungen. Die Auseinandersetzung in Elista
ist ein Wettkampf, kein Turnier. Hier liegt Kramnik deutlich im Vorteil.
Mit seinen beiden WM-Kämpfen gegen Kasparov und Leko besitzt er eine
Matcherfahrung, die Topalov nicht aufweisen kann.
Der FIDE-Weltmeister hat im Laufe seiner
Karriere nur wenige und sehr kurze Wettkämpfe gespielt und diese auch nicht
besonders erfolgreich. Gegen Bareev gewann er 2002 im Qualifikationsturnier in
Dortmund einen Vierpartien-Wettkamf nach Tiebreak. Gegen Leko verlor er im
Kandidatenfinale, ebenfalls über vier Partien. Im April gewann er mit 3:1 gegen
Dieter Nisipeanu. Vor 12 Jahren hat der Bulgare einmal einen
Sechspartien-Wettkampf gegen Illescas ausgetragen, doch noch nie hat er die
Erfahrung eines längeren Wettkampfs gemacht. Die Gesetze eines langen
Wettkampfes sind ganz andere als die eines Turniers -doch der FIDE-Weltmeister
kennt sie bisher nicht. Wie wird sich das auswirken?
Es gibt einen weiteren Aspekt, der für
Kramnik spricht. Der Wettkampf findet in der autonomen russischen Republik
Kalmückien statt, also auf russischem Boden. Im kürzlich veröffentlichten
Interview mit dem Sport-Express wurde der FIDE-Präsident, gleichzeitig
Staatspräsident von Kalmückien, ob für beide Spieler gleiche Spielbedingungen
herrschen würden. Offenbar gibt es Befürchtungen im Lager Topalovs, dass dies
vielleicht nicht der Fall sein könne.
Silvio Danailov auf dem Flughafen in Elista
Topalovs Manager und der FIDE-Präsident
Carsten Hensel, Manager von Kramnik und Alexander Bakh, Executiv
Officer des Russischen Verbandes
Treffen mit Kirsan Ilyumshinov
Der FIDE-Präsident, der spätestens seit der
WM in San Luis auch gute Beziehungen zu Topalov und seinen Leuten pflegt,
zerstreute alle Bedenken und garantierte, dass die Spielbedingungen für beide
Spieler gleich sein werden. Doch was sind "gleiche Bedingungen" in Russland,
wenn einer der beiden Kandidaten ein Russe ist?
Falls Karmnik in Elista die Form seines
Wettkampfes gegen Kasparov oder seine Form der Schacholympiade auch in Elista
ans Brett bringen kann - und alles spricht dafür, dass dies der Fall sein wird -
dann wird es schwer für Topalov. Im Match in London 2000 ließ Kramnik keine
einzige Niederlage zu - dies gegen Kasparov! - und wartet geduldig auf seine
Chancen. Was wird Topalov unternehmen, wenn er über mehrere Partien immer wieder
gegen eine Wand läuft? Wie wird er sich verhalten, wenn er unter Druck gerät und
dieser wie in einer Schrottpresse langsam und scheinbar unaufhaltsam immer
größer wird?
Werfen wir zum Schluss noch einen Blick auf die persönliche Bilanz der Beiden
gegeneinander. Addiert man alle Begegnungen, egal ob lange Partien,
Schnellschach, Blindschach oder Blitz, dann steht es 19:9 für Kramnik bei 34
Remis. Schaut man nur auf die Turnierpartien, ergibt sich ein Vorteil von 10:5
für Kramnik bei 24 Remisen.
Nur wenn man ausschließlich die letzten
sechs Partien betrachtet, die Topalov m Verlauf seines Höhenfluges gegen Kramnik
gespielt hat, als dieser allerdings noch unter seiner Krankheit litt, ist die
Bilanz ausgeglichen - mehr aber auch nicht: Beide gewannen je zwei Partien und
spielten dreimal Remis.
Was würde Baba Vanga wohl vorhersagen? Vielleicht, dass eine bulgarische
Weltmeisterschaft im Herbst 2006 enden wird. In jedem Fall wird es für die
Zuschauer und Schachfans eine spannende Angelegenheit.
Kramnik gegen Topalov: Die Partien gegeneinander...
Links:
Infos zum Wettkampf (fide.com)...
Interview mit Kirsan Ilyumshinov...
Interview mit Kramnik...
Bericht vom Besuch der Kramnik-Delegation (fide.com)...
Bericht vom Besuch der Topalov-Delegation (fide.com)...
Zeitplan:
OPENING CEREMONY - 21 September 2006, 7.00 p.m.
DAY 2 - 22 September 2006 - REST DAY
DAY 3 - 23 September 2006, 3.00 p.m - GAME 1
DAY 4 - 24 September 2006, 3.00 p.m - GAME 2
DAY 5 - 25 September 2006 - REST DAY
DAY 6 - 26 September 2006, 3.00 p.m. - GAME 3
DAY 7 - 27 September 2006, 3.00 p.m. - GAME 4
DAY 8 - 28 September 2006 - REST DAY
DAY 9 - 29 September 2006, 3.00 p.m. - GAME 5
DAY 10 - 30 September 2006, 3.00 p.m. - GAME 6
DAY 11 - 1 October 2006, Reversal of Colours - REST DAY
DAY 12 - 2 October 2006, 3.00 p.m. - GAME 7
DAY 13 - 3 October 2006, 3.00 p.m. - GAME 8
DAY 14 - 4 October 2006 - REST DAY
DAY 15 - 5 October 2006, 3.00 p.m. - GAME 9
DAY 16 - 6 October 2006, 3.00 p.m. - GAME 10
DAY 17 - 7 October 2006 - REST DAY
DAY 18 - 8 October 2006, 3.00 p.m. - GAME 11
DAY 19 - 9 October 2006 - REST DAY
DAY 20 - 10 October 2006, 3.00 p.m. - GAME 12
DAY 21 - 11 October 2006 - REST DAY
DAY 22 - 12 October 2006, 3.00 p.m. - TIE BREAKS
CLOSING CEREMONY - 13 October 2006, 7.00 p.m.