Der Schachcomputer im Tiefkühlfach
Bertina Henrichs Die Schachspielerin, Hamburg: Hoffmann
und Campe, 2006, 143 Seiten, 15,95€.
Von Johannes Fischer
Foto: Sylvia Biscioni
Nein, so stellt man sich eine Schachspielerin nicht vor. Eleni, die Hauptfigur
von Bertina Henrichs Roman Die Schachspielerin ist keine empfindsame
Intellektuelle, die durch das Schach in den Wahnsinn getrieben wird, kein Genie,
das im Schach vor der Welt flieht, kein kriminelles Meisterhirn, das Schach als
Vorbereitung auf perfide Verbrechen spielt.
Eleni ist Zimmermädchen auf der griechischen Insel Naxos, 42 Jahre alt, Tochter
armer Bauern, verheiratet mit dem Automechaniker Panos, zwei Kinder. Ihr ganzes
Leben hat sie auf Naxos verbracht. Doch eines Tages sieht sie in einem der
Hotelzimmer, die sie putzen muss, ein Schachspiel und plötzlich ändert sich ihr
Leben. Sie will das Spiel lernen und schenkt ihrem Mann zum Geburtstag einen
Schachcomputer. Diese Idee hatte ihr alter Dorfschullehrer, ein in seinen
Büchern vergrabener Junggeselle, der sich und anderen nie eingestehen konnte,
homosexuell zu sein. Eleni hatte ihn um Hilfe gebeten, da sie in dem kleinen Ort
kein Schachspiel hätte kaufen können, ohne Aufsehen zu erregen. Doch Elenis Mann
kann mit dem Computer nichts anfangen. Er freut sich über „das originelle
Geschenk“ und stellt es in den Schrank.
Eleni
lässt das Schach jedoch nicht los. Als sie eines Nachts nicht schlafen kann,
weil sie Schmerzen in den Knien hat und es heiß ist, bringt sie sich mit einem
kleinen Handbuch die Regeln bei und spielt ihre ersten Partien gegen den
Computer. Von da an denkt sie nur noch ans Schach. Sie putzt im Hotel nicht mehr
gründlich, kauft nicht mehr ein und kocht ihrem Mann und ihren Kindern nicht
mehr das Essen. Damit sie ihrer Leidenschaft ungestört nachgehen kann, versteckt
sie den Schachcomputer im Tiefkühlfach. Bei ihrem alten Lehrer nimmt sie
Unterricht.
Elenis Ehemann Panos wundert sich über seine Frau, glaubt an einen Liebhaber,
bald streiten die beiden nur noch, dann reden sie gar nicht mehr miteinander.
Deshalb sucht Panos Rat bei seinem Freund, dem „Armenier“. Und der hat eine
Idee, die so gut ist, dass Eleni und Panos am Ende beide durch das Schachspiel
gewinnen.
Das macht Die Schachspielerin zu einer bezaubernden Erzählung und einem
der besten Schachromane überhaupt. Er erinnert daran, wie schön das Schach sein
kann und wie schön es war, als man noch nicht wusste, dass Bobby Fischer
Antisemit ist und Schachweltmeisterschaften durch Streitereien um
Toilettenbesuche entschieden wurden. Spannend erzählt ist diese Geschichte über
die Ehekrise eines Zimmermädchens auf Naxos dabei zugleich eine Parabel über
Toleranz und gelebte und nicht gelebte Leidenschaft.
Diese Qualitäten verhalfen dem Buch in Frankreich und in Deutschland zu einem
unerwarteten Verkaufserfolg. Das Original der Schachspielerin erschien in
Frankreich, denn obwohl die Autorin Bertina Henrichs, studierte Film- und
Literaturwissenschaftlerin, in Frankfurt am Main geboren ist, hat sie ihren
ersten Roman auf Französisch geschrieben, "damit ihre Familie in Paris ihn ohne
Übersetzung lesen kann“. Als Schachspieler kann man in der Übersetzung jedoch
nur ein gutes Omen sehen. Denn wie sollte man einem Schachroman widerstehen,
dessen Übersetzerin Claudia Steinitz heißt?