Die Geschichte der Schacholympiade – Teil 5:
Rekordjagden (1960 – 1966)
Von Frank Große
Leipzig 1960
Nachdem 1958 die Schachwelt im westlichen Teil Deutschlands zu Gast war,
fand die Olympiade im „Osten“, genauer in der Messestadt Leipzig statt. Um
es vorweg zu nehmen: Es war eine Veranstaltung der Superlative, die dadurch
begünstigt wurde, dass der junge Staat sein Image polieren wollte. Liest man
die Rekordeinträge der damaligen Presse, die u. a. über 75.000 (!)
Zuschauer bescheinigten, scheint die Veranstaltung volksfestartigen
Charakter zu tragen. Hier wurde natürlich von Seiten der Regierung auch
angeschoben und ganze Kollektive wurden durch das Land zum Großereignis
transportiert. Aber nicht nur die inländische Informationsflut war
(erwartungsgemäß) voller Lob und Anerkennung, weltweit resümierte man
positiv.
(1)
Leipziger Ringmessehaus als Austragungsort
Bevor es im Leipziger Zentrum im
Ringmessehaus an die Bretter ging sorgte das Team der USA für wochenlangen
Gesprächsstoff in den Medien, da die Anreise der Mannschaft vom
U.S.-State-Department untersagt wurde. Erst zahlreiche Proteste (u.a. Bobby
Fischers Mutter) ließen eine Kehrtwende im Denken kurz vor den Beginn der Spiele
zu. Eventuell wollte man aber auch den politischen Gegner unter Druck setzen,
denn einen Monat für Beginn der Olympiade hatten die Amerikaner die
Mannschaftsweltmeisterschaft der Studenten gewonnen – in Leningrad. Damit traten
40 Mannschaften an, was eine neue Höchstmarke darstellte. Demzufolge
wurden 1.600 Partien gespielt, von denen 416 zu einer Hängepartie
vertagt wurden, 7 kampflos endeten und dabei 60.697 Züge in
416.754 Minuten ausgeführt wurden.
(2) Bobby
Fischers Mutter Regina Fischer demonstrierte vor dem Weißen Haus
Ein Zweikampf zwischen den
damaligen politischen Supermächten entbrannte auch auf dem Brett, da die
Amerikaner mit Bobby Fischer (17 Jahre) und William Lombardy
(22 Jahre) mit jungen, ehrgeizigen Talenten anreisten, die zusammen mit
Byrne, Bisguier, Rossolimo und Wainstein eine
Mannschaft bildeten. Samuel Reshevsky fehlte, da er nicht an Brett 2
hinter Fischer spielen wollte und finanzielle Forderungen in Höhe von ungefähr
3.000 Dollar stellte, die der amerikanische Verband nicht bewilligte. Das Team
aus der SU trat hingegen Tal, Botwinnik, Keres,
Kortschnoi, Smyslow und Petrosjan an, das damit hochgradig
besetzt war. „Jeder Spieler der Mannschaft erhielt 1.500 Rubel, das waren
damals ungefähr elf durchschnittliche Monatseinkommen“1, weiß
Viktor Kortschnoi zu berichten und unterzeichnet die Brisanz in das Team
berufen zu werden. Außer den USA räumte man allen anderen Teams allenfalls
Außenseiterchancen gegenüber der UdSSR ein. Doch die Amerikaner griffen nicht
ernsthaft in den Kampf ein, denn das sowjetische Team konnte (erstmals) alle
Matches gewinnen und wurde somit auch ungefährdet Olympiasieger. Dabei wurde nur
eine Partie verloren, nämlich Tal gegen den Engländer Jonathan Penrose
in der letzten Runde. Apropos Tal: Seine Partie gegen Fischer
wurde von allen Zuschauern mit Spannung herbeigesehnt und war sorgte der nur
21 gespielten Züge für genügend Analysestoff. Hatte Tal 1959 den
Amerikaner im Kandidatenturnier noch deutlich 4:0 geschlagen, blieb diesmal nur
die Punkteteilung, was beiden Publikumslieblingen keinen Abbruch in der Gunst
der Fans einbrachte.
(3)
Kollage über den Verlauf der Partie Fischer – Tal, Remis – Man beachte,
dass es damals noch kein Rauchverbot gab!
Beide repräsentierten das
Spitzenbrett Ihrer Nation mit ordentlichen Leistungen, aber beste Ausbeute
lieferte der Österreicher Karl Robatsch, der 13,5 aus 16 erzielte.
Dennoch hatte das keinen Einfluss darauf, dass die USA einen souveränen zweiten
und Jugoslawien einen ungefährdeten dritten Platz belegten. Im innerdeutschen
Duell blieb der Kampf um die Platzierung wie zwei Jahre zuvor eine spannende
Angelegenheit, die mit einem knapp besseren Resultat für die Westdeutschen
endete. Ex-Weltmeister Max Euwe aus den Niederlanden wurde mit seinem
‚schwachen‘ Resultat von +3, =7, -6 ein Rekord der erste Großmeister, der
bei einer Schacholympiade unter 50% blieb.
Abschlusstabelle Leipzig
1960 (2)
Auch das Rahmenprogramm war
attraktiv, so präsentierte die Ausstellung „Schach im Wandel der Zeiten“
zahlreiche Kostbarkeiten und Exponate aus der jahrhundertealten Geschichte des
Spiels, es wurde ein Problemturnier ausgetragen, aber auch an die Damen,
Fernschachfreunde und Arbeiterverbände wurde gedacht. Außerhalb der 64 Felder
wurden den Teilnehmern u.a. Besuche der Sehenswürdigkeiten von Leipzig oder
Dresden ermöglicht. Als Nachbetrachtung erschien das mittlerweile unter Sammlern
begehrte und sorgfältig aufbereitete Turnierbuch zur Olympiade.
(4)
Ausstellungsobjekte aus „Schach im Wandel der Zeiten“
Warna 1962
Bei der darauffolgenden
15. Olympiade im bulgarischen Seebad am Schwarzen Meer konnte der
Rekordhype vorläufig nicht gesteigert werden, sodass 37 Vertretungen
(von vormals 42 gemeldeten) in vier Vorrundengruppen um den Einzug
ins Finale kämpften. Salo Flohr, der als Hauptschiedsrichter
fungierte teilte seine Impressionen im Schach-Echo mit: „Es
wimmelt hier von Großmeistern und Meistern. Das Schwarze Meer hat sich in
ein Schach-Meer verwandelt. Der einzige Mangel besteht darin, dass das Lokal
zu klein ist. Das Interesse ist zu groß; außerdem sind noch
Schlachtenbummler aus verschiedenen Ländern hier angekommen, die das
Angenehme mit dem Nützlichen verbinden: Man badet und sieht sich die ganze
Schachwelt an. … Die Semifinale sind ja eigentlich, besonders für die
starken Schachländer, eine Formalität, manchmal sogar ein Spaziergang. Man
hört immer wieder Stimmen, dass man die Vorgruppen verkürzen sollte. In
Gefahr war ein so starkes und populäres Schachland wie Holland. Aber der
nationale Schachheld kam gerade zum rechten Moment geflogen. Dr. Max Euwe
kam an, als Holland gegen den Hauptkonkurrenten – Polen – spielte. Die Polen
gewannen vier Wettkämpfe mit 4:0. Aber gegen Holland, aufgemuntert durch
Euwe’s Ankunft, kam es umgekehrt – auch 4:0, aber … für Holland. … Bobby
Fischer schweigt selten. Diesmal meinte er, dass es höchste Zeit sei,
dass nach 25jähriger Pause die Amerikaner wieder einmal die Olympiade
gewinnen. … Nach der 2. Runde hielten die USA gleichen Schritt mit dem
Weltmeister (Anmerkung: In der
deutschsprachigen Presse wurden die Olympiaden oft auch als
Mannschaftsweltmeisterschaften bezeichnet); nach der dritten Runde
war Rumänien der Dritte im Bunde. In der vierten Runde gelang es der
Mannschaft der Bundesrepublik die UdSSR nebst Jugoslawien wieder einzuholen!
Am besten, wenn man nun das Spiele beendete! – scherzten manche. Aber man
kann doch nicht den Pokal in drei Teile zerspalten, meinten die Russen –
spielen wir lieber weiter. … Nach fünf Runden stand die UdSSR gleich mit der
Bundesrepublik. Aber dann begann allmählich der Endspurt der sowjetischen
Bombenmannschaft. Drei Runden vor Schluss „geht die Uhr wieder richtig“ für
die Großmeistermannschaft und niemand zweifelt daran, dass die Botwinnik-Mannschaft
wieder Erster wird.“3
(5) Botwinnik versus Fischer in Warna 1962
Apropos Botwinnik
beziehungsweise Fischer, das Match der zwei Giganten während des Kampfes
UdSSR-USA war mit großem Interesse erwartet. Nicht, weil der Kampf den Ausgang
der Olympiade entscheiden würde, sondern wegen der möglichen Sensationspartie.
Bobby Fischer hatte in Fernsehinterviews angekündigt, dass „Botwinnik
Angst hat und zu dieser Partie nicht antreten wird.“ was für die
Medienvertreter eine sensationswitternde Aussage darstellte, zumal er noch
weiter tönte, dass er in einem Zweikampf auf 24 Partien Botwinnik
eine Vorgabe von 2 Punkten geben würde und dennoch leicht gewänne. Der
19jährige hatte aber die Rechnung dieser historischen Begegnung ohne seinen
Widerpart gemacht, obwohl die Partie zunächst ungünstig für Botwinnik
verlief: „Die Sache war so: Die Großmeister spielten eine Variante, die vor
zehn Jahren sehr modern war. Im Jahre 1953 bereitete sich Botwinnik zum
Wettkampf gegen Smyslow vor und fand eine gute Fortsetzung in einer
Variante, die den Namen „Smyslow-Variante“ trägt. In seinem Varianten-Koffer
brachte Botwinnik diese mit nach Warna. Aber im 17. Zuge geschah etwas
ganz Unerwartetes und höchst Unangenehmes für Botwinnik. Fischer
fand am Brett einen Zug, den Botwinnik in der Hausanalyse im Jahre 1953
übersehen hatte (17… Df6xf4!). Deprimiert über diesen Vorfall, spielte Botwinnik
in der Folge nicht am besten und man meinte, dass Botwinnik es nicht bis
zum Abbruch aushalten wird. Aber in der Hitze des Gefechts beging auch Bobby (im
41. Zuge, schon nach der Kontrolle) einen Fehler. Abgebrochen. Bobby schätze die
Stellung als leicht gewonnen für ihn ab. Er hatte im Turmendspiel einen gesunden
Mehrbauern. Siegesgewiss gab sich Bobby wahrscheinlich wenig Mühe, die Stellung
zu analysieren. Botwinnik suchte die ganze Nacht eine Rettung. Wer sucht
– der findet! Nach der Partie erklärte Botwinnik, dass die
Abbruchstellung Remis war, ganz egal, welchen Zug Fischer abgab. … Bleich
rot, traurig sitzt Bobby am Tisch, als er sieht, dass es nicht weiter geht. Im
68. Zuge reicht er Botwinnik die Hand: Unentschieden! Einige Sekunden
lang gelingt es den wartenden Kinoreportern, die zwei Großmeister zu filmen,
dann … verschwindet Fischer wie ‚eine Rakete‘. Er eilt ins „Astoria-Hotel“,
wo er es nicht länger aushalten kann. … Lange kann er sich nicht beruhigen. So
eine Partie konnte er nicht gewinnen. Der Sieg war doch so nahe … Und es ist ja
eben so auf dieser Welt: Wer den Schaden hat, der braucht für den Spott nicht zu
sorgen. Fischers Kollegen machen Witze: Es ist noch nicht festgestellt, ob
Fischer Botwinnik zwei Punkte vorgeben kann; aber eines ist schon
klar: Botwinnik kann Bobby einen Bauern vorgeben!“3 Hier
die Partie:
Botvinnik,Mikhail - Fischer,Robert James [D98]
Varna ol (Men) fin-A Varna (10),
1962
1.c4 g6 2.d4 Sf6 3.Sc3 d5 4.Sf3
Lg7 5.Db3 dxc4 6.Dxc4 0–0 7.e4 Lg4 8.Le3 Sfd7 9.Le2 Sc6 10.Td1 Sb6 11.Dc5 Dd6
12.h3 Lxf3 13.gxf3 Tfd8 14.d5 Se5 15.Sb5 Df6 16.f4 Sed7 17.e5 Dxf4 18.Lxf4 Sxc5
19.Sxc7 Tac8 20.d6 exd6 21.exd6 Lxb2 22.0–0 Sbd7 23.Td5 b6 24.Lf3 Se6 25.Sxe6
fxe6 26.Td3 Sc5 27.Te3 e5 28.Lxe5 Lxe5 29.Txe5 Txd6 30.Te7 Td7 31.Txd7 Sxd7
32.Lg4 Tc7 33.Te1 Kf7 34.Kg2 Sc5 35.Te3 Te7 36.Tf3+ Kg7 37.Tc3 Te4 38.Ld1 Td4
39.Lc2 Kf6 40.Kf3 Kg5 41.Kg3 Se4+ 42.Lxe4 Txe4 43.Ta3 Te7 44.Tf3 Tc7 45.a4 Tc5
46.Tf7 Ta5 47.Txh7 Txa4 48.h4+ Kf5 49.Tf7+ Ke5 50.Tg7 Ta1 51.Kf3 b5 52.h5 Ta3+
53.Kg2 gxh5 54.Tg5+ Kd6 55.Txb5 h4 56.f4 Kc6 57.Tb8 h3+ 58.Kh2 a5 59.f5 Kc7
60.Tb5 Kd6 61.f6 Ke6 62.Tb6+ Kf7 63.Ta6 Kg6 64.Tc6 a4 65.Ta6 Kf7 66.Tc6 Td3
67.Ta6 a3 68.Kg1 ½–½
Abschlusstabelle Warna
1962 (2)
Der „Bruderkampf“ BRD – DDR
endete nach spannendem Spiel zugunsten der Westdeutschen, die sich mit dem 7.
Platz wohl zufrieden fühlten. Die Spieler mit den besten Leistungen: Olafsson
(Brett 1, 14 aus 18), Petrosjan (Brett 2, 10 aus 12),
Spassky (Brett 3, 11 aus 14) und Ivkov, sowie Sanguinetti
(beide Brett 4, mit je 13½ aus 16).
Tel Aviv 1964
Mit 50 teilnehmenden
Nationen im Sheraton-Hotel in der israelischen Wirtschaftsmetropole
wurde erneut ein Teilnehmerrekord aufgestellt. Da sich unter den Neulingen
auch Australien befand, waren zum ersten Mal Staaten von allen fünf
Kontinenten vertreten! In der Mitte des Turniersaales waren in einem
langegestreckten Viereck 96 Schachtische aufgestellt und die
Kampfstätte wurde durch rote Seile abgegrenzt; ringsherum hatten etwa 500
Zuschauer Platz um das Geschehen an den einzelnen Brettern verfolgen zu
können.
(6) Das für damalige Verhältnisse hypermoderne Sheraton-Hotel als
Austragungsstätte der XVI. Schacholympiade.
(7) Bei der Eröffnungsfeier wurde der
Olympische Eid in vier Sprachen geleistet: vom Weltmeister Tigran Petrosjan
in Russisch, vom US-Mannschaftskapitän Isaac Kashdan in Englisch, vom
französischen Team-Chef André Muffang in Französisch und
vom schweizerischen Betreuer Walter Kühnle in Deutsch.
Dass das starke Team der
Sowjetunion den Titel zum siebenten Mal in Folge erringen konnte stand von
Anbeginn außer Zweifel. Bemerkenswert war in dieser Hinsicht überlegene 3:1-Sieg
der BRD (mit Wolfgang Unzicker, Lothar Schmid, Helmut Pfleger
und Wolfram Bialas) über die Vertreter der Sowjetunion, die mit einem
Team bestehend aus Weltmeister Tigran Petrosjan, den Exweltmeistern
Michail Botwinnik und Wassilij Smyslow, sowie Paul Keres,
Boris Spasski, David Bronstein und Leonid Stein eindeutig
favorisiert waren. Es fehlte wegen schlechtem Gesundheitszustand nur Michail
Tal, dessen Brett bei den letzten Olympiaden wegen seines kombinatorischen
Ideenreichtums ein Hauptanziehungspunkt war. Vielleicht war die Niederlage gegen
die Bundesrepublik der Tatsache zuzuschreiben, dass das Team der Russen zwar als
erstes Team in Israel angereist war, sich aber statt den sonst üblichen
Blitzpartien mit Domino vergnügte, wie die Deutschen Schachblätter
berichten. Es war der erste Sieg einer deutschen Mannschaft gegen die
Sowjetunion und zugleich erst die zweite (!) Niederlage einer sowjetischen
Mannschaft bei der Schacholympiade (1,5:2,5 1956 in Ungarn war die
erste). Hätte man in der Runde zuvor nicht 3:1 gegen Spanien verloren wäre
eventuell sogar noch eine bessere Platzierung als der hervorragenden 3.
Platz möglich gewesen.
Das Team auf der anderen Seite
der Mauer startete mit 2 Niederlagen, was auch durch eine praktisch unlösbare
Aufholjagd die Qualifikation zum A-Finale (nur die ersten beiden der 7
Vorrundengruppen qualifizierten sich) um einen halben Zähler verpasste. Im
B-Finale wurde zwar ein überlegener Sieg herausgestellt, aber der daraus in der
Gesamtwertung resultierende 15. Platz blieb nicht ohne Folgen, der die
Förderung des Schachs in der DDR in den nächsten Jahren arg beschränken sollte.
Sport als Mittel der Politik wurde nur anhand von Erfolgen gemessen und diese am
besten als Edelmetall und (deutlich) vor dem Klassenfeind. Die Differenz des
Abschneidens der DDR bedeutete Wasser auf die Mühlen der Funktionäre, die Schach
keinerlei Bedeutung zumaßen.
Abschlusstabelle Tel Aviv
1964 (2)
Von den annähernd 280
Spielern blieben nur drei unbesiegt: Weltmeister Petrosjan, Großmeister
Spasski und der zu damaligen Zeitpunkt deutsche Vizemeister Helmut
Pfleger. „Dabei fällt besonders ins Gewicht, dass der 22jährige Bamberger
erboten hatte, öfters mit den schwarzen Steinen gegen schwere Gegner anzutreten.
So übernahm er gegen Stein, Matanovic, Hort und Mititelu
die Rolle des Verteidigers und holte aus diesen vier Finalpartien 2 ½ Zähler!
Überdies vermochte Pfleger mit seinem nicht mehr erwarteten Sieg über den Ungarn
Lengyel den dritten Platz … sicherzustellen.“4
(8) Der junge Helmut Pfleger (rechts), hier im Stichkampf um die Deutsche
Einzelmeisterschaft gegen Wolfgang Unzicker 1963.
Havanna 1966
Wieder wurde die
Großveranstaltung im sozialistischen Lager benutzt, um von den Nöten der
nationalen Bevölkerung abzulenken. Eine Veranstaltung der Superlative wurde
angeboten, das auch beim Rahmenprogramm bleibende Akzente setzte: 900
Organisatoren wurden 10 Monate geschult, um den reibungslosen Ablauf zu
gewähren, 120 DolmetscherInnen gehörten zum Repertoire, ebenso wie
eine amerikanische (!) Luxuslimousine mit Chauffeur für jede Mannschaft. Mit
Volksmusikgruppen, einer Theateraufführung „Die lebende Partie“ (Capablanca
– Lasker, Moskau 1936) und Rumcocktail („Rochade“
genannt) wurden die zahlreichen Gäste empfangen. Doch dem nicht genug, mit
einem riesigen elektronischen Schachbrett, dass an einer Häuserwand in der
Hauptstadt installiert war, wurde die wichtigste Partie des Tages live
übertragen.
(9) „Wer den geschlagen hat? – Er hat sich als Alleinvertreter selbst matt
gesetzt“ titelte die „BZ am Abend“
Die Nationen (neuer
Teilnehmerrekord: 52) die da zu Hause blieben hatten etwas verpasst und
ausgerechnet hier fehlte das Team der BRD erstmalig bei einer Schacholympiade,
was offiziell zuerst mit „Aufstellungsschwierigkeiten“, später mit
„Flugunsicherheit“ begründet und international skeptisch belächelt wurde. Den
Gegenbeweis lieferte Lothar Schmid mit seinem Brief an das westdeutsche
Schach-Echo. Umso überraschender, dass die USA ein Team entsendete und somit
nach vielen Jahren eine offizielle Delegation. Doch hier bahnte sich in der
zweiten Runde beim Aufeinandertreffen der Sowjetunion und der USA der nächste
Zündstoff an, da die Partie unglücklicherweise auf einen Samstag, 16.00 Uhr
gelegt wurde und somit in Konflikt mit Fischers religiöser Einstellung
kam, die ihm ein Spielen von Freitags, 18.00 Uhr bis Samstag, 18.00 Uhr nicht
erlaubte. Einer Spielverlegung kam die Delegation der UdSSR nicht nach, sodass
die Uhren um 16.00 Uhr angestellt wurden und der Kampf nach Ablauf einer Stunde
mit 4:0 für die Sowjetunion gewertet wurde, da die Amerikaner nicht antraten.
Letztlich fand man hier doch noch einen Kompromiss und wiederholte die Ansetzung
weniger Tage später, die von den Mannen der UdSSR mit 2,5:1,5 gewonnen
wurde. Die sportlichen Resultate schienen aufgrund des umfangreichen
Rahmenprogramms und der politischen Brisanz fasst nebensächlich zu werden. Kuba
konnte sich analog Israel vor 2 Jahren für die Finalrunde qualifizieren
und trotz des dortigen letzten Platzes war man begeistert, wovon auch der
tägliche Besuch Fidel Castros zeugte.
(10) Erstmalig in der Welt: Riesiges Elektro-Demonstrationsbrett im Zentrum
Havannas
Zu Ehren des 78. Geburtstages
von Capablanca traten die 371 Olympiadeteilnehmer an 6840 (!) Brettern gegen
kubanische Gegner, die sich in Ausscheidungskämpfen qualifizieren mussten an.
Die Presse hatte noch einige Monate nach der Olympiade rekordverdächtiges zu von
dieser Veranstaltung zu berichten.
(11) 6940 Bretter am 19. November auf dem Platz der Revolution in Havanna
Abschlusstabelle Havanna
1966 (2)
(12) Seriensieger Sowjetunion bei der Siegerehrung (v.l.n.r.): Polugajewsky,
Kortschnoi, Stein, Petrosjan, Bondarewsky (Kapitän) und Spassky. Es fehlt Tal,
der bereits zu einem neuen Turnier abgereist war.
Bilderquellen
(1)
XIV. Schach-Olympiade Leipzig 1960,
Sportverlag Berlin
(2)
www.chessbase.de/events/events.asp?pid=422
(3)
XIV. Schach-Olympiade Leipzig 1960,
Sportverlag Berlin
(4)
Broschüre „Information XIV.
Schach-Olympiade Leipzig“
(5)
Schach-Echo 20/1962
(6)
Deutsche Schachblätter 12/1964
(7)
Deutsche Schachblätter 11/1964
(8)
Deutsche Schachblätter 01/1964
(9)
Schach 12/1966
(10)
Schach 01/1967
(11)
Schach 01/1967
(12)
Schach 01/1967
Quellenverzeichnis
(1)
Viktor Kortschnoi „Mein Leben für das
Schach“, OLMS Verlag
(2)
olimpbase.org
Die kompletten Tabellen und Statistiken sind auf dieser Webseite einzusehen und
würden aufgrund der großen Teilnehmerzahl den Umfang dieses Artikels sprengen.
(3)
Schach-Echo 20/1962
(4)
Deutsche Schachblätter 12/1964