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Kriterien für die Nationalmannschaft
Kommentar zu Igor
Khenkins "Offenem Brief"
Von Bettina Trabert
Bettina Trabert spielte in fünf Schacholympiaden und in zwei Mannschaftseuropameisterschaften
für Deutschland
Igor Khenkin spricht in seinem "Offenen
Brief" ein wichtiges Problem an, das weit über die Frage seiner persönlichen
Nominierung und der Aufstellung für die nächste Olympiade hinausreicht, und
zu dem ich als ehemalige Nationalspielerin gerne einen Kommentar abgeben möchte.
Vielleicht hat sich der ein oder andere Schachfreund auch schon mal in der Vergangenheit
über die Aufstellungen der Nationalmannschaften gewundert… zu Recht!
Igor Khenkin
Ich kann Igor Khenkin nur unterstützen, wenn er klare Kriterien für die Aufstellung
fordert. Eigentlich ist das im Schach recht einfach, denn schließlich gibt es
eine relativ objektive Einschätzung durch die Elozahl und aktuelle Turnierergebnisse
- vorausgesetzt natürlich, man möchte das stärkste Team mit den besten Aussichten
auf Erfolg aufstellen. Die Aufstellung der Männermannschaften bewegte sich bislang
meist noch einigermaßen im (Elo-)Rahmen, wobei auch hier immer wieder Spieler
aus unersichtlichen Gründen übergangen wurden. Die Aufstellungen der Frauenmannschaften
scheinen aber schon lange (seit etwa 10 Jahren) vollkommen willkürlich zu sein
und waren auch für mich als "Insiderin" immer wieder eine große Überraschung.
Zum Teil wurden aktive und spiellustige Großmeisterinnen übergangen und stattdessen
Spielerinnen mit 150 Punkten weniger nominiert!
Natürlich ist dabei immer wieder die Frage nach den Kriterien für die Aufstellung
laut geworden. Obwohl ich persönlich die Sache inzwischen mit einiger Distanz
sehe, möchte ich den interessierten Lesern doch die kuriosen Begründungen nicht
vorenthalten, die mir dabei in den Zeiten gegeben wurden, als ich nach Elozahl
und aktuellen Ergebnissen unter den besten deutschen Spielerinnen war. So hieß
es beim ersten Mal, ich habe nicht genug Erfahrung in Frauenturnieren (ein Argument,
das ich bis heute nicht verstehe - ziehen Frauen die Figuren anders?). Nun,
zwei Jahre später hatte ich offenbar zu viel Erfahrung, denn da war ich zu alt
(damals Anfang dreißig). Das originellste Argument war aber sinngemäß: "Wenn
es objektive Kriterien gäbe, bräuchte man auch keinen Bundestrainer, denn dann
könnte die Aufstellung ja jeder, z.B. auch ein Computer machen!" Ein Argument,
das ebenso genial wie unsinnig ist.
Und noch ein Wort zum Jugendwahn des DSB. Natürlich spricht Igor Khenkin auch
dabei einen richtigen Punkt an: Es ergibt keinen Sinn, Jugendförderung zu betreiben,
wenn die stärker gewordenen, aber etwas gealterten Spieler postwendend wieder
fallen gelassen werden, um durch neue, junge Spieler ersetzt zu werden! (Gerade
in den Frauenmannschaften sind übrigens alle paar Jahre wieder neue junge Spielerinnen
anzutreffen - eine langfristig sinnvolle Förderung und erfolgreiche Weiterentwicklung
sieht anders aus.) Natürlich sollen junge Spieler Erfahrungen sammeln, aber
dafür gibt es wirklich genug Turniere - das muss nicht in erster Linie bei der
Olympiade oder Mannschafts-EM geschehen. Für diese Wettbewerbe sollten meiner
Ansicht nach ganz einfach die stärksten Spieler(-innen) aufgestellt werden.
Unsere Sportart Schach zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass sie über die
Generationen hinweg gespielt werden kann, und nicht mit 30 oder 40 plötzlich
Schluss ist: Was hätte wohl Viktor Kortschnoi geantwortet, wenn ihm ein Funktionär
vor 40 Jahren gesagt hätte, dass er zu alt zum Schachspielen sei!
Viktor Kortschnoi
Man kann sich tatsächlich fragen, ob es überhaupt gewünscht ist, das stärkste
Team aufzustellen. Immerhin kosten schwächere Spieler weniger, da die Honorare
nach Elo gestaffelt ausgezahlt werden. Oder man erwartet sich ohnehin keine
guten Ergebnisse und stellt deshalb (nach Sympathie oder was auch immer) "irgendeine"
Mannschaft auf… (was vielleicht Igor Khenkins Frage bezüglich des B-Teams für
die diesjährige Olympiade beantwortet). Aber nicht einmal in Dresden 2008, als
Deutschland jeweils drei (!) Frauen- und Männermannschaften an den Start schicken
konnte, wurden für das A-Team die Elo-Stärksten aufgestellt. Bei den Frauen
führte das dazu, dass die beiden jungen A-Spielerinnen mit der Situation sichtlich
überfordert waren, schlecht spielten und von den erfahrenen Spielerinnen kritisiert
wurden, was für beide Seiten sicherlich sehr unerfreulich war, und was schließlich
in gegenseitigen Angriffen und Tränen bei der öffentlichen Pressekonferenz gipfelte.
Soviel zum "guten Teamgeist", der vom Bundestrainer ebenfalls schon mehrmals
als Begründung für die Nicht-Nominierung einzelner Spieler angeführt wurde.
Bundestrainer Uwe Bönsch
Jedenfalls ist dies ein Thema, das nicht nur die betroffenen Spitzenspieler
etwas angeht, und das nicht allein im stillen Kämmerlein des Bundestrainers
entschieden werden sollte. Im positiven Fall sollte die Nationalmannschaft ja
eine Art Aushängeschild für das deutsche Schach sein, und ein Erfolg auf dieser
Ebene würde sicherlich dem Schach in Deutschland allgemein gut tun. In diesem
Zusammenhang ist die fehlende Transparenz zu beklagen - wenn man schon nicht
nach objektiven Kriterien entscheidet, was sind dann die subjektiven Kriterien?
Es wäre schön und sowohl gegenüber den in Frage kommenden Spielern als auch
gegenüber allen anderen Schachfans nur fair, wenn die Verantwortlichen (insbesondere
der Bundestrainer und die zuständige Kommission) dazu einmal Stellung beziehen
würden. Oder gibt es (wie jetzt bei der WM) auch beim DSB einen Riesenkraken,
der nicht nur Fußballergebnisse, sondern Teamaufstellungen im Schach vorhersagt?