Schach und Wichtigeres in Sambia
Von Björn Lengwenus
Um dem großen Glück eines WM-Finaltickets Tribut zu sollen,
beschloss ich zusammen mit meiner Kollegin Sandra Domagalla nach dem Finalspiel
nach Sambia zu fliegen und in einem Waisenprojekt für Mädchen zu arbeiten.
Dieses Projekt hatten wir durch Zufall durch eine weitere Kollegin kennen
gelernt, die im vergangenen Jahr schon ihre Sommerferien dort mit helfenden
Händen verbrachte.
Blick über das Sambesi-Tal während der Trockenzeit
Sambia gehört zu den ärmsten Ländern der Welt (Im Human Development Index 2009
liegt Sambia auf Platz 164 von 182) Im Jahr 2003 hatten 64% der Menschen weniger
als einen Dollar pro Tag zur Verfügung.
Das größte Problem des afrikanischen Kontinents ist auch in Sambia
allgegenwärtig: HIV (PLAN International
http://www.plan-deutschland.de/kinder-afrika-sambia) ). Durch HIV wurde
nahezu eine ganze Generation ausgerottet, so dass die Alterspyramide eine große
Anzahl alte Menschen und eine riesige Anzahl Kinder und Jugendlicher aufweist.
Die Elterngeneration wurde durch HIV derart dezimiert, dass die Lebenserwartung
in den letzten Jahren um zehn Jahre auf 38,6 Jahre sank
http://www.care.de/sambia-zahlen-fakten.html . Im Jahr 2006 gab es 750.000
AIDS-Waisen in Sambia. Für das Jahr 2015 wird mit einer Million Waisen
gerechnet, was 20 Prozent der Kinder im Land entspräche. Die meisten der Waisen
werden keine formale Schulausbildung erhalten. Sechs Prozent leben auf der
Straße, UNICEF spricht von zehn Prozent. Nur ein Prozent findet Platz in einem
Waisenhaus
http://de.wikipedia.org/wiki/Sambia
Hilfe ist also
dringend notwendig und so machten wir uns zum Waisenprojekt nach Limulunga auf,
einer Kleinstadt am westlichen Rand von Sambia, acht Bus-Stunden von der
sambischen Hauptstadt Lusaka entfernt.
Eine der wenigen asphaltierten Straßen führt ohne Abbiegung stundenlang
geradeaus.
Man fährt nie alleine durch Sambia
Auf der Tour, die durch typische sambische Familiendörfer am
Wegesrand gesäumt ist, durchquert man auch den größten Nationalpark des Landes
den „Kafue-Nationalpark“. Dort erlebt man quasi aus dem Linienbus die gesammelte
Tier- und Landschaftsschönheit Afrikas. Hier sind alle Tiere der so genannten
„Big Five“ (Elefant, Nashorn, Leopard, Afrikanischer Büffel, Löwe) zu finden und
während in vielen afrikanischen Ländern der große Tourismus Einzug gehalten hat,
kann es in Sambia passieren, das man einziger Gast einer Großsafari ist.
Das gefährlichste Tier Afrikas
Das zweitgefährlichste Tier Afrikas: Krokodile!
Darüber
hinaus ist Sambia eines der sichersten Länder des Kontinents.
Dies gilt nicht für die Straßenqualität: Schlagloch an Schlagloch reiht sich
selbst auf dieser Hauptstraße und die Strecke zieht sich.
Tankstelle zwischen Lusaka und Mongu
Die Waschanlage in Mongu
Ein Frisör
Reis trocknen
Die Apotheke
Aber mit jedem
unnützen Blick auf die Uhr, mit jedem ungeduldigen Durchatmen, wird einem klar,
dass man wirklich im ursprünglichen Afrika angekommen ist und nirgendwo das
Sprichwort besser passt: „Die Europäer haben die Uhr erfunden und die Afrikaner
die Zeit!“
In Limulunga leben nicht nur 7500 Einwohner sondern, dort steht auch die
Regenzeit-Residenz des Königs (Litunga) der Lotsi in West-Sambia. Diese wird
immer dann bezogen, wenn der Sambesi über die Ufer tritt und der
Trockenzeit-Palast unbewohnbar wird. In einer der bekanntesten und größten
Prozeduren Afrikas zieht der König samt Gefolge dann nach Limulunga
http://www.hupeverlag.de/Allgemeines/Spezialthemen/Kuomboka_2009/kuomboka_2009.html
Die Königsstraße in Limulunga
Aber Limulunga
ist auch der Sitz eines sehr bemerkenswerten Hilfsprojekts wie es so viele
Afrika gibt, die auf private Initiative beruhen.
Das Waisen-Projekt „Liyoyelo“ http://www.liyoyelo.com
wurde vom pensionierten deutschen Lehrer Michael Scholz und seiner Frau Anni,
die selbst aus Limulunga stammt, gegründet und beherbergt zur Zeit 14
Waisenmädchen, die ihre Eltern an AIDS verloren haben. Das Projekt wird mir
Hilfe von Spendengeldern und großem persönlichen Engagement finanziert:
www.limulunga.de
Die Waisenkinder aus Limulunga
Neben den
Waisen-Mädchen leben auch zwei ältere Damen im Dorf, die hier ihren Lebensabend
verbringen. HIV machte auch sie wie viele andere alte Menschen in Sambia zu
Senioren-Waisen.
Eine alte Waisen-Dame
Neben den Waisen-Kindern in Sambia ist dieses das zweite große
Problem des Landes: Durch den Verlust fast einer ganzen Generation sind viele
alte Menschen ohne die traditionelle familiäre Hilfe auf sich alleine gestellt
und können dieses nicht mehr bewerkstelligen. Diese "Senioren-Waisen" sind
ebenfalls wichtiger Bestandteil des Konzepts. Schon drei Generationen erlebten
ihren Lebensabend in Liyoyelo.
Irgendwann standen wir dann mittendrin, zwischen den Mädchen und Waisen-Senioren
in einem kleinen durch einen Bastzaun abgegrenzten Projektareal.
Die Füße
scharrten im staubigen Sand und wir fühlten uns ein wenig verloren und nur noch
wenig war von der üblichen Selbstsicherheit geblieben. Im Gepäck eine Oberfräse
für die Projektleitung (was viele Diskussionen mit Zollbeamten mit sich geführt
hatte) und viele Geschenken für die Mädchen und natürlich viele Spiele,
Spielideen und Schachbretter.
Doch die ersten Minuten waren schnell verflogen und dann begannen aufregende
wunderbare Tage in Limulunga.
Kinder in Limulunga
Wir hatten uns zur Aufgabe gemacht den Nachmittag
im Projekt spielerisch zu gestalten. Vormittags besuchen alle Mädchen die Schule
von Limulunga, die Dank großzügiger Hilfsprojekte erbaut werden konnte.
Automatische Pausenglocke der Schule in Limulunga
Schule in Sambia. Inspiration für Deutsche Schulpolitik? Es gehen noch mehr
in einer Klasse
Dabei ist es für hiesige Lehrer wirklich verblüffend mit
welch Klassengrößen, welch bescheidenen Mitteln und welcher unfassbaren
Eigenmotivation dort gelernt wird.
Immer wenn die Mädchen aus der nahen Schule kamen, ging es los: Spielen,
stundenlanges Spielen!
Und während am ersten Tag, die 14 Projektmädchen mit wenigen Freunden zusammen
am Spielangebot teilnahmen, steigerte sich die Zahl der Kinder täglich.
Er strebt allerings eine Karriere im Showbiz an
Erst 20,
dann 40 zum Ende waren fast 100 Kinder im Projekt angekommen und hatten dabei
Fußwege von zum Teil sieben Kilometern auf sich genommen um die vier Stunden am
Nachmittag bis zum Sonnenuntergang mit uns zu verbringen.
Spielen!
Unser Schwungtuch war im Dauereinsatz, Jongliermaterial heiß begehrt und wenn
das Singspiel „Come on riding on my Pony…“ durchs Dorf „ritt“ gab es sowie kein
Halten mehr.
Sensationelle Schwungtuchspiele
Eine unfassbare Dynamik, die uns alle ergriff.
Und mittendrin: Schach. Was hatte man mich in Hamburg ausgelacht, als ich mich
mit dem Brett im Steckfach des Rucksacks aufmachte, mit desaströsen
Englischkenntnissen das Spiel der Könige nach Limulunga zu bringen?
Ok, das ist der König
Hier ist die Dame
König und Dame
Aber schon
am ersten Tag hatten die Mädchen Feuer gefangen. Neben Fallschirmspielen, wilden
Actionspielen und ruhigen Kreisspielen war es der Dauerrenner im Projekt. Nahezu
ohne Unterlass was das Brett am schattigen Tisch im Zentrum des Projektes
belegt. Kinder begutachteten stolz die Figuren, strichen mit ihren Fingern über
die Oberfläche des Brettes und spielten Schach. Schnell waren die Regeln allen
klar und jede Partie begann mit dem obligatorischen Händedruck. Schnell waren
auch die Cracks des Dorfes gefunden, die sich durch unzählige Partien als
„Schachköniginnen“ profilierten.
Die erste Partie
Schön auch die Geschichte des dritten Aufenthaltstages, als eines der Mädchen
mit traurigen Augen die erste Stunde am Rande des Geschehens saß und uns beim
Murmelspielen zuschaute. Auf meine Frage, was sie denn hätte, konnte sie nur ein
Wort herauspressen. Kaum traute sie sich dieses zu formulieren, würde ihr Wunsch
vielleicht als unverschämte Forderung missgedeutet werden. Und dennoch schien
ihr Wunsch so groß, dass sie es sagte: Chess! Ich hatte vergessen das Brett und
die Figuren aus meiner Tasche zu holen.
Wir spielten und wir lachten und da sich mittlerweile im ganzen Dorf
herumgesprochen hatte, dass zwei weiße Menschen aus Deutschland im
Liyoyelo-Projekt zu Gast waren, wuchs nicht nur die Zahl der mitspielenden
Kinder von Tag zu Tag. Auch immer mehr Erwachsene schauten einfach mal vorbei.
So wurde der letzte Aufenthaltstag zum großen Abschiedsfest. Trommeln, Gesänge
und sogar ein traditioneller Mkishi-Tänzer tanzte mit uns bis zum Abschied. Und
so endete auch dieser sambische Tag ausgelassen und einem grandiosen
Sonnenuntergang über dem Sambesi-Tal.
Die Abschiedsfeier
Am nächsten Tag machten wir uns wieder auf den achtstündigen Rückweg über die
Piste ins ferne Lusaka.
Natürlich blieb die Oberfräse und alle anderen Geschenke in Limulunga, aber auch
sämtlich Spielgeräte ließen wir dem Projekt. Am Ende sortierte ich meine
T-Shirts und Pullover aus
und natürlich die Schachbretter. - eben alles was ich dort lassen konnte. Dafür
nahm ich aber auch einiges mit zurück nach Deutschland: mein Herz war voller
Erlebnisse und tief berührt von diesem Land und den Menschen. Ich wusste schon
vorher, dass ich ein glücklicher Mensch war, aber irgendwie war ich hier am
westlichen Rand von Sambia, in dieser kleinen Stadt, bei diesen tollen Mädchen
noch ein bisschen reicher geworden. Viele kleine Probleme des Alltags daheim
waren nichtig geworden, viele Ärgernisse schier lächerlich.
Meine starke Sehnsucht die Welt und noch weitere Menschen kennen zu lernen, wird
allerdings bis zum Sommer 2011 warten müssen, wenn ich im Rahmen meines
Sabbatjahres auf Weltreise gehe. Wo diese Reise beginnen wird, ist nach den
Erlebnissen in Limulunga allerdings klar: Sambia!
Zu guter Letzt bleibt eine Bitte:
Liyoyelo freut sich über Spendengelder, über kleine wie über einmalige
Unterstützung. Dazu findet sich alles auf der Homepage
www.limulunga.de
Aber
eigentlich möchte ich mehr bewirken: Wer langfristig das Projekt unterstützen
möchte, könnte sich an der Verwirklichung meiner Idee beteiligen:
Ich möchte helfen ein weiteres Haus in Limulunga zu finanzieren. Um weitere
sechs Mädchen aufzunehmen und vor dem leben auf der Straße zu retten (die
Unterkunft, die Verpflegung, die Ausbildung und sämtliche Kosten zu übernehmen),
müssen monatlich 300€ Spendengelder zusammenkommen. Eine Summe die zwar mächtig,
aber nicht übermächtig erscheint.
Ich weiß, dass es viele ähnlich bedürftige Projekte weltweit gibt und es ist
gut, dass ein jeder sein Projekt findet. Falls Sie aber noch ohne Spendenziel
sind und ich Ihr Interesse wecken konnte, dann würde ich mich freuen, wenn Sie
Kontakt zu mir aufnehmen würden.
BjoernLengwenus@aol.com
Herzlichen Dank!