Wo fängt es an, wo hört es auf?
Liebe Schachfreunde,
hiermit möchte ich eine Stellungnahme zu den Geschehnissen am 1. Bundesliga-Wochenende der Saison 2012/2013 in Mülheim geben.
Foto: Souleidis
Der Struktur halber und um den bei den Geschehnissen nicht anwesenden Lesern die Möglichkeit zu geben einen umfassenderen Überblick zu erhalten, werde ich chronologisch vorgehen. Am Samstag zur 1. Runde spielten wir gegen Mülheim. Mülheim trat stark an, mit der beinahe besten Aufstellung 2-9, was für mich bedeutete gegen den russischen Großmeister Tregubov (2601) anzutreten. Gegen den ehemaligen Europameister hatte ich mich, neben 3 anderen Spielern Mülheims, vorbereitet. Obwohl ich seit einem Jahr aus beruflichen Gründen kein Turnier mehr gespielt habe, bin ich dennoch motiviert mein Bestes für die Mannschaft zu geben und mich professionell vorzubereiten. Die Partie lief wie geplant, ich hatte vor 3 Wochen in der höchsten Schweizer Liga, der Nationalliga A, gegen Großmeister Istratescu (2650) exakt dieselbe Variante auf dem Brett. Leider verwechselte ich dort die richtige Zugfolge und kam über ein Remis nicht hinaus. Bei der nachträglichen Analyse jener Partie erinnerte ich mich an die Partie Jobava-Kunin aus der österreichischen 1.Bundesliga, bei der ich anwesend war und in der Weiß erstaunlich mühelos gewann. Also wiederholte ich genau diese Partie bis etwa Zug 20, auch das Qualitätsopfer mit bxa5 war zuhause schon analysiert. Nach dem Erzielen des Vorteils spielte ich aber nicht optimal weiter, was jeder Schachfreund zuhause beim Nachspielen der Partie nachvollziehen kann. Dennoch fand ich eine gute Position nach der Zeitnotphase und konnte die Stellung weiter verstärken und die Partie entscheiden. Dadurch gewannen wir auch den Mannschaftskampf denkbar knapp mit 4,5 zu 3,5.
Nach dem Sieg gegen Pavel Tregubov, zögerte dieser mir die Hand zu geben und tat sehr beleidigt.
Am Sonntag spielten wir gegen Katernberg. Ich spielte gegen Sebastian Siebrecht. Nach einer Stunde war ich das 2. Mal auf Toilette (es war Sonntag morgen, ich denke es ist üblich dass man nach dem Frühstück auf Toilette geht?!) und dem nachzugehen, was man auf Toilette macht. Die Behauptung, dass ich aufstand während ich am Zug war um auf Toilette zu gehen, ist schlicht falsch. Dies können anwesende Zeugen beweisen. In meiner mehr als 15-jährigen Schachkarriere habe ich das noch nie getan. Wenn mein Gegner während ich auf dem WC bin einen Zug macht, bin ich ja logischerweise dann am Zug. Dies passiert bei jeder Schachpartie, es sei denn die Spieler bleiben die ganze Zeit am Brett sitzen. Außerdem war ich sicher nicht der einzige, der am Samstag innerhalb von 6 Stunden 4 Mal und am Sonntag 2 Mal innerhalb einer Stunde auf der Toilette war (ich bin 3 Mal aufgestanden, das erste Mal kurz nach Beginn der Partie auf Toilette, das zweite Mal Um mir etwas zu trinken zu holen, und das dritte Mal nach dem 9. Zug).
Warum wurde gerade ich untersucht? War ich damit schon der „Spitzenreiter“ im auf-Toilettegehen?
Nach dem WC-Besuch wollte ich an mein Brett zurückkehren, wurde jedoch vom Schiedsrichter Dieter von Häfen daran gehindert. Der Aufforderung meine Taschen zu leeren und mein Handy der Durchsuchung freizugeben, kam ich nicht nach, ich weigerte mich ausdrücklich.
Der Vorwurf:
Mir wurde am Sonntag vorgeworfen meine laufenden Partie gegen GM Sebastian Siebrecht auf einem Handy analysiert zu haben. Bereits am Samstag, während meiner ersten Partie gegen GM Pavel Tregubov, hat mich Schiedsrichter Dieter von Häfen, laut seiner eigenen Aussage, mehrmals auf die Toilette verfolgt, auf Drängen meines Gegners Pavel Tregubov (wovon weder ich noch mein Mannschaftsführer erfuhren!). Er hat dabei aber keinerlei auffälliges Verhalten feststellen können, weshalb er auch nichts unternahm. Dadurch sind alle möglichen Vorwürfe bezüglich der Partie gegen GM Tregubov hinfällig.
Die Partien:
Meine Partie gegen Tregubov war keine Glanzleistung, ich habe viele Ungenauigkeiten gespielt, die meinen nach der Eröffnung entstandenen Vorteil fast wieder zunichte gemacht hätten. Wer die Partie mit den Engine-Bewertungen auf schachbundesliga.de nachspielt, wird verstehen dass hier definitiv kein Computer gespielt hat, sondern ein normaler Großmeister.
Ist es eigentlich so unwahrscheinlich, dass ein Großmeister mit 2530 Elo mit Weiß gegen einen Großmeister mit 2600 Elo gewinnt?
Meine Partie gegen Sebastian Siebrecht verlief ebenfalls unspektakulär. Die Partie dauerte insgesamt 10 Züge und ca. eine Stunde, bevor sie abgebrochen wurde. Ich habe mich während der gesamten Partie weder auffällig verhalten noch habe ich das Brett verlassen während ich am Zug gewesen bin. Diese Unterstellung ist schlichtweg falsch und frei erfunden.
Zusammenfassend ist ganz klar festzustellen, dass in keiner meiner beiden Partien ein klarer Hinweis auf Enginezüge zu finden ist, ganz im Gegenteil!
Toilettengänge und Verfolgung meiner Person:
Zu der Frage, dass ich häufig auf Toilette war, kann ich nur sagen, dass dies nicht stimmt, wobei geklärt werden muss, was der Begriff „häufig“ eigentlich heißt. Gibt es eine vorgegebene, regulierte Anzahl, wie häufig man auf Toilette gehen darf? Wie aus dem Bericht von Schiedsrichter von Häfen hervorgeht, der meine Toilettengänge dokumentiert hat, waren es genau 4 Mal in einer Spielzeit von 6 Stunden und mit einer Durchschnittszeit von 1-2 Minuten, wobei ich zwischenzeitlich für 3 Stunden gar nicht aufgestanden bin. Diese Dokumentation geschah unter anderem durch das wiederholte Verfolgen und Beobachten von Schiedsrichter von Häfen, ich zitiere wörtlich aus dem Bericht des Schiedsrichters von Häfen, bezüglich meiner Partie am Samstag gegen Pavel Tregubov:
„ Etwa eine Stunde später ging Falko Bindrich das nächste Mal Richtung Toilette und wieder folgte ich ihm mit einem gewissen Abstand. In der Toilette war kein Mensch. Lediglich eine Kabine war belegt. Ich ging in die Nebenkabine, schloss ab und versuchte an der Wand zu hören, welche Geräusche Bindrich in seiner Kabine machte. Etwa eine Minute später ging die Toilettenspülung. Ich verließ nun auch meine Kabine und am Waschbecken standen wir dann wortlos nebeneinander“ Am Sonntag wurde die Art und Weise, wie ohne mein Wissen meine Toilettengänge überwacht wurden, auf ein neues Level gehoben. Ich zitiere wieder wörtlich aus dem Bericht von Schiedsrichter von Häfen:
„Eine Viertelstunde später war er wieder weg. Nun wurde es mir endgültig zu viel und ich ging wieder Richtung Toilette. In der Zwischenzeit hatte auch Sebastian Siebrecht mitbekommen, dass etwas an dem Verhalten von Falko Bindrich merkwürdig war. Er (Sebastian Siebrecht) holte mich kurz vor der Toilette ein und sprach mich an. Ich sagte ihm, dass mir das Verhalten auch aufgefallen wäre. Gemeinsam gingen wir schweigend in die Toilette. Falko Bindrich war wieder in einer Kabine. Sebastian Siebrecht legte sich auf den Boden, um sich die Fußstellung anzusehen.
Schweigend verließen wir wieder die Toilette. Vor der Toilette sagte er mir, dass die Fußstellung nichts erkennen ließe, ihm aber das Verhalten von Bindrich vor dem Hintergrund des erwähnten Vorfalls mit Natsidis suspekt sei. Er (Sebastian Siebrecht) forderte mich auf eine Taschenkontrolle durchzuführen.“
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Schiedsrichter von Häfen und mein Gegner Sebastian Siebrecht, selbst bei gemeinsamem Verfolgen auf die Toilette, keinen Anhaltspunkt für ein verdächtiges Verhalten meinerseits finden konnten. Dieses Verhalten der beiden bestätigt in meinen Augen meine Unschuld. Dennoch ließ sich der Schiedsrichter auf Aufforderung meines Gegners Sebastian Siebrechts dazu bewegen, meine Taschen zu kontrollieren.
Übrigens, aus menschlicher Sicht, wie weit sind wir gekommen? Verfolgen und Ausspionieren, Abhorchen auf der Toilette. Der Schiedsrichter horchte mich bei meinem Stuhlgang ab und Sebastian Siebrecht legte sich sogar auf den Toilettenboden.
Wer möchte bei einem Wettkampf dabei sein, den so ein Schiedsrichter leitet oder möchte gegen Gegner mit dieser Einstellung spielen?
Ich möchte noch einmal klarstellen, dass ich vom Schiedsrichter nicht wegen Handybetruges genullt worden bin, sondern wegen der Verweigerung einer Durchsuchung meines Handys.
Die Gründe dafür sind vielschichtig. In erster Linie sehe ich es als direkten Einbruch in meine Privatsphäre. Ich kann niemandem, wirklich niemandem, Zugriff auf mein Handy erlauben; ich habe darauf neben meinen privaten Daten (sehr private Bilder und Nachrichten) auch empfindliche geschäftliche Daten gespeichert. Diese musste ich schützen. Eine Freigabe dieser Daten würde mich meinen Job sowie wichtige Beziehungen kosten. Dieses Risiko konnte ich nicht eingehen. Es ist richtig, ich habe, wie viele Schachspieler, eine App auf der Schachanalysen gespeichert sind, darunter auch eine nachträgliche Analyse meiner Partie gegen Tregubov, die ich am Samstagabend nach Beendigung meiner Partie im Hotelzimmer angefertigt habe.
Meines Wissens darf man sein Handy mitführen, solange es ausgeschaltet ist, was es auch immer war.
Von Schiedsrichter Dieter von Häfen wurde ich nicht im Detail darüber aufgeklärt wie die Durchsuchung meines Handys ablaufen soll. Darf er meine gespeicherten Dokumente lesen, meine Telefonkontakte einsehen? Verpflichtet er sich diese Daten an niemanden weiterzugeben? Diese Punkte wurden mir nie erläutert, weshalb ich von einer Freigabe meines Handys ausdrücklich Abstand nahm.
Zweitens finde ich mich als Unschuldiger in einer Lage wieder, mich erst „ausziehen“ zu müssen, um meine Unschuld zu beweisen. Das ist für mich prinzipiell nicht akzeptabel. Rechtsstaatlichkeit ist für mich ein höherer Wert. Hier stellt sich auch die Frage, wo fängt es an, wo hört es auf? Erst durchsuchen wir die Taschen, die Jacke, das Gepäck. Schiedsrichter hören Spieler beim Stuhlgang ab, Spieler legen sich auf den Toilettenboden. Was kommt als Nächstes? Leibesvisitationen? Von wem gehen diese Regeln aus? Von der FIDE initiiert und von einigen nationalen Verbänden noch verschärft, übernehmen die Funktionäre, von den Medien geduldet, die Kontrolle über das Spiel, nehmen den Spielern die Unschuldsvermutung, verlassen den rechtsstaatlichen Rahmen, und alles in allem, verderben vielen Spielern, vor allem aber Amateuren, die der Kern jeder Sportart sind, die Freude am Spiel! Wer braucht wirklich Null-Karenz? Wer will dass seine Taschen, Jacke und Koffer durchsucht werden? Zum Glück begleiten uns Menschen-und Bürgerrechte im Großteil unseres Lebens, aber beim Schach sollen wir darauf verzichten?
Diese neue Regel gibt den Schiedsrichtern, theoretisch, die Chance jeden beliebigen Spieler zu untersuchen und schikanieren, da ja bereits 2-maliges auf-Toilette-gehen als „begründeter Verdacht“ zählt!
Drittens wusste ich nicht, wer mich während der Partie gegen GM Sebastian Siebrecht beschuldigt. Es hieß, diese Anschuldigungen kommen aus dem Team Mülheim. Warum stand derjenige nicht persönlich dazu, mich angeschwärzt zu haben? Dies ist ein weiterer Punkt, jeder kann jeden anonym beschuldigen, und es gibt keine Konsequenzen. In einem rechtsstaatlichen Rahmen wäre so etwas nicht durchsetzbar! Erst jetzt, nach dem Wettkampf, erfahre ich aus dem Bericht des Schiedsrichter, dass es neben Pavel Tregubov, Daniel Fridman und Daniel Hausrath am Samstag, am Sonntag zusätzlich Sebastian Siebrecht war. Dieser hatte aber während des gesamten Vorfalls und auch nach der Entscheidung des Schiedsrichters, und selbst bei einem kurzen Gespräch mit mir im Anschluss an diese Entscheidung, nicht die Courage mir gegenüber zuzugeben, dass er derjenige war, der mich beschuldigte.
Zum Motiv und zum Ablauf:
Weiters stellt sich die Frage nach dem Sinn? Warum sollte ich betrogen haben? Beim Spiel gegen GM Tregubov war ich nominell der schwächere Spieler, finanziell würde ich durch einen Sieg nicht profitieren, und auch bei einem Verlust würde ich bei dem ausgezeichneten Klima innerhalb des SC Eppingen nicht den Kopf von meinem Mannschaftsführer Hans Dekan abgerissen bekommen. Um Elo geht es mir ebenfalls nicht, wie bereits erwähnt spielte ich seit einem Jahr kein Turnier mehr.
Warum also sollte ich betrügen wollen?
Wenn man den gesamten Ablauf chronologisch betrachtet, ergeben sich folgende Fakten:
1) Einführung der neuen Turnierordnung für die Schachbundesliga („Erlaubnis“ der Durchsuchung der persönlichen Habe (Taschen, Jacke, Gepäck) der Spieler)
2) Keine Bekanntmachung der Änderungen an die Spieler (Bei der DEM 2010 und DEM 2011 erhielt jeder Spieler ein Schreiben zugesandt, und konnte unterschreiben, sich Dopingkontrollen zu unterziehen oder nicht; in der Schachbundesliga wurden die Spieler weder über eine Änderung der Turnierordnung informiert noch wurde eine schriftliche
Einwilligung eingeholt)
3) Verfolgen und Ausspionieren meiner Person auf Toilette durch den Schiedsrichter von Häfen, mit Abhören der Toilettengeräusche ohne Finden eines Verdachtsmomentes während meiner Toilettengänge als auch meiner Partien sowohl am Samstag als auch Sonntag
4) Verfolgen und Ausspionieren meiner Person auf Toilette durch Sebastian Siebrecht, mit auf den Toilettenboden legen ohne Finden eines Verdachtsmomentes während meiner Toilettengänge
5) Anonymes „Anschwärzen“ meiner Person während beider Partien, es wurde von keiner Seite vor Ort ausgedrückt, woher die Anschuldigungen kommen
6) Keine Chance zur Stellungnahme
7) Direktes Miteinbeziehen der Medien, Veröffentlichung und Bloßstellung meiner Person + anschließendem Protest Mülheims (kein Protest von Mülheim am Samstag, sondern erst am
Sonntagabend)
Darüber hinaus finde ich den Vergleich der Medien und die Beinahe-Gleichsetzung mit Natsidis widerlich. Auch die Behauptung, Natsidis und ich wären gute Freunde ist frei erfunden. Ich kenne Natsidis zwar bereits sehr lange, da er auch Kaderspieler in Sachsen war (im Alter von 7 Jahren!) habe ihn aber in den letzten 15 Jahren nur zweimal gesehen!
Selbst auf der eigentlich zu Neutralität angewiesenen offiziellen Seite der Schachbundesliga, schachbundesliga.de, wurde eine bewusst unvollständige Version des Berichts von Schiedsrichter von Häfen veröffentlicht. Der Webmaster der Seite, Georgios Souleidis, schützt in diesem Bericht seinen bekanntermaßen engen Freund Sebastian Siebrecht, indem er dessen Verhalten und Ausspionieren auf der Toilette bewusst ausspart.
Zusammenfassung:
Der Schiedsrichter Dieter von Häfen konnte weder am Samstag noch am Sonntag ein verdächtiges Verhalten nachweisen. Dasselbe gilt für Sebastian Siebrechts Nachspionieren am Sonntag. Auch meine Partien zeugen ganz klar, unbestreitbar, dass sie ohne elektronische Hilfsmittel gespielt worden. Dies ist an Hand meiner vielen Fehler und Ungenauigkeiten eindeutig zu erkennen. Darüber hinaus hat meiner Meinung nach der Schiedsrichter Dieter von Häfen seine Neutralität und Unparteilichkeit in dem Moment verloren, indem er mich gemeinsam mit meinem Gegner im Team auf der Toilette ausspioniert hat.
Eine Stellungnahme des DSB zu den Handlungen des Schiedsrichters Dieter von Häfen und des Spielers Sebastian Siebrecht auf der Toilette und ob diese regelkonform waren und unterstützt werden ist meiner Meinung nach dringend angebracht.
Darüber hinaus wird geprüft, ob die oben beschriebenen Handlungen auf der Toilette rechtswidrig waren.
Wie ausführlich erläutert, ergeben sich für den Schachklub Mülheim-Nord meines Erachtens keine Ansprüche bezüglich meiner Partie gegen den Russen Pavel Tregubov.
Dank sagen möchte ich den vielen Schachfreunden, die mir vor Ort, telefonisch oder per Email Verständnis für meine Entscheidung entgegengebracht haben.
25. Oktober, 2012
GM Falko Bindrich
Stellungnahme im pdf-Format...