Anand-Simultan und Interview mit C. Hesse

von ChessBase
04.12.2010 – Am vergangenen Wochenende spielte Viswanathan Anand in Zürich gegen 35 eingeladene Schachfreunde (+30, =5). Eingeladen hatte Dr. William Wirth und die Züricher Schachgesellschaft. Einer der wenigen Spieler, die ein Remis ergattern konnten, war Mathematik-Professor Christian Hesse. "Mathematik macht glücklich, ist sein Credo und Titel seines jüngsten Buches. Schach mach aber auch glücklich, denn aus Zürich kam Prof. Hesse mit dem Remis im Gepäck ganz beschwingt zurück. Dagobert Kohlmeyer sprach dem Stochastik-Experten und ließ sich dabei u.a. auch ein Schachproblem auf einem Möbius-Band zeigen. Partie und Interview...

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Christian Hesse: Neues Buch und Remis gegen Anand
Von Dagobert Kohlmeyer

Christian Hesse macht in diesen Tagen wieder von sich reden. Der Mathe-Professor und Schach-Erfolgsautor hat am vergangenen Wochenende in Zürich dem amtierenden Weltmeister Anand beim Simultan ein Remis abgetrotzt. Auch sein neues Buch „Warum Mathematik glücklich macht“ verkauft sich großartig.

Christians Nachricht von dem Schach-Event erreichte mich per Mail:                                   

„Lieber Dago, ich muss dir unbedingt von einem wunderbaren Erlebnis erzählen, das ich am Wochenende hatte. Die Schach-Gesellschaft Zürich mit William Wirth als Initiator organisierte ein Simultan mit Vishy Anand. Und Dr. Wirth hatte mich eingeladen. Also bin ich am letzten Samstag nach Zürich und hab mitgespielt. Ich hatte eine tolle, komplexe, hochinteressante Partie gegen den Weltmeister, die letztlich remis endete, wobei ich einen Bauern mehr hatte und Vishy am Ende mit einer Variante, die ich nicht verhindern konnte, Remis erzwungen hat.“

Hier ist die Partie. Wir jagten sie durch Rybka, der schnelle Brüter weiß es an manchen Stellen natürlich besser. Aber sei‘s drum. Hauptsache, den Akteuren hat es Spaß gemacht.

V. Anand – C. Hesse
Zürich 27.11.2010
Katalanisch E07

1.d4 Sf6 2.Sf3 e6 3.g3 d5 4.Lg2 c6 5.0–0 Le7 6.c4 0–0 7.Dc2 Sbd7 8.b3 Te8 9.Sc3 b6 10.e4 dxe4 11.Sxe4 Lb7 12.Td1 Sxe4 13.Dxe4 Lf6 14.Lf4 Sf8 15.c5 Dd5 16.Dc2 Df5 17.Dxf5 exf5 18.Tac1 Te2 19.a4 [0.15 Rybka: 19.Le5 Sd7 20.Lxf6 Sxf6 21.Se5 bxc5 0.82/13 ]

19...Se6
[0.94: 19...bxc5 20.Txc5 g6 21.Tcc1 Se6 22.Le5 Le7 23.Sd2 Lb4 24.Sc4 Td8 25.Lf6 0.15/14 ]

20.Ld6
[0.00: 20.Le5 Le7 21.d5 Sxc5 22.b4 cxd5 23.bxc5 bxc5 24.Tb1 Lc6 25.Lc3 Te8 26.Se5 Lxa4 27.Lxd5 Lxd1 28.Lxf7+ Kf8 29.Lxe8 Kxe8 30.Tb8+ Ld8 31.Sc6 Kd7 32.Txd8+ Kxc6 33.Txd1 g6 34.Ta1 0.94/12 ]

20...Tc8 21.b4 Te4 22.b5 bxc5 23.dxc5 Txa4 24.Se5 Lxe5 25.Lxe5 Ta5 26.Tb1 f6
[1.60: 26...La8 27.bxc6 Txc5 28.c7 Sxc7 29.Ld6 Tc3 30.Le5 Tc5 31.Ld6 Tc3 32.Le5 Tc5 33.Ld6 Tc3 34.Le5 Tc5 35.Ld6 Tc3 36.Le5 Tc5 37.Ld6 Tc3 38.Le5 Tc5 39.Ld6 Tc3 40.Le5 Tc5 41.Ld6 Tc3 0.00/14 ]

27.Lc3 Ta4 28.Td6
[0.98: 28.Td7 Tc4 1.95/14 ]

28...Sxc5 29.bxc6 La6 30.Ld5+ Kf8 31.Te1
[0.00: 31.Tb4 Ta3 32.Ld4 Ta5 33.Tb1 h6 34.f3 Ke7 35.Lxc5 Txc5 36.Td7+ Kf8 37.Te1 g5 0.92/13 ]

31...Se4 32.Td7 Sxc3 33.Tf7+ Kg8 34.Tee7 Sxd5
 

 

Remis. (Weiß hat Dauerschach.)

Feine Sache, dachte ich nach dem Lesen der elektronischen Botschaft sowie dem Durchklicken der Partie und wollte am Telefon von Christian Hesse gern noch ein paar Auskünfte von dem Schach-Event haben. (Es mussten ja keine WikiLeaks-Enthüllungen sein.)

Glückwunsch, Christian, zum Remis! Was war das für eine Veranstaltung?

Der Züricher Schachzirkel tagt immer im Savoy Hotel. Diesmal hatten sie den Weltmeister zum Simultan eingeladen. Vishy Anand hat bei 35 Partien nur 5 Remis abgegeben, die anderen gegen Leute von Bundesliganiveau, schätze ich. Das waren Schweizer Koryphäen, die etwa Elo 2400 hatten.



Danach sind Vishy, William Wirth, Christian Issler (Präsident der Schachgesellschaft Zürich) und ich in ein Hinterzimmer des Savoy Hotels zum Abendessen gegangen. Es war klasse. Ich konnte Anand auch über unsere Partie befragen, und er hat mich gelobt. Vishy meinte, dass ich nirgendwo wirklich signifikant hätte besser spielen können. Und wir haben viele Geschichten ausgetauscht. Er hat von seinem Treffen mit Bobby Fischer 2006 in Reykjavik erzählt, Stories von Iwantschuk usw. Es war einfach ein wunderschöner Abend.

Doktor Wirth hat schon jahrzehntelang sehr viel für das Schach getan. Ist er immer noch so agil? Der Mann ist Jahrgang 1931 wie Kortschnoi, also fast 80.


Dr. Wirth eröffnet das Simultan

Unglaublich, das hätte ich nicht gedacht. Der Mann ist wirklich ein Phänomen. Wunderbar aktiv, und noch immer sehr fit im Kopf. Er kennt alle Größen der Schachszene persönlich, hat ja zuletzt auch die Karpow-Wahlkampagne unterstützt. Kasparow ist sehr oft bei ihm zu Gast.

Was sagt William Wirth zum Ausgang der FIDE-Wahl?

Darüber haben wir an diesem Abend nicht gesprochen. Die Business-Leute haben etwas über ihr Verhältnis zum Schach und auch über die Wirtschaftskrise erzählt. Es war einfach ein entspannter, rundum schöner Abend. Ich bin immer noch ganz beschwingt davon.

Kennst du Dr. Wirth schon länger?

Einige Jahre. Er hatte mich damals nach Zürich eingeladen, nachdem mein Schachbuch erschienen war. Wir sind seither in lockerem Kontakt. Immer, wenn eine größere Veranstaltung gewesen ist, hat er mich dazu eingeladen. Auch als im vorigen Jahr die ganzen Weltmeister im Züricher Hauptbahnhof spielten. Da war ich leider verhindert. Diesmal hat es aber geklappt. Für mich ist Dr. Wirth nicht nur ein sehr netter Mann und interessanter Gesprächspartner, sondern auch so etwas wie ein väterlicher Freund.

Hast du in naher Zukunft vor, mal wieder ein Schachbuch zu schreiben?

Im Moment nicht. Aber vielleicht fasse ich irgendwann einmal alle meine Kolumnen zusammen, die bisher bei ChessBase, in der Zeitschrift KARL sowie in Hickls Schachwelt erschienen sind. Das sind mittlerweile schon 30 bis 40 Beiträge. So eine Sammlung wäre vielleicht ein mittelfristiges Projekt.

Dafür hast du in diesem Herbst ein neues populärwissenschaftliches Buch vorgelegt. Es trägt den Titel „Warum Mathematik glücklich macht“. Deine ureigene Message?

Ich denke, dass jede schöne Idee auch Glücksgefühle mit sich bringt. Im Buch versuche ich, den Beweis dafür anzutreten und bringe dort mehr als 150 verblüffende Geschichten. In der Mathematik geht es ja wirklich darum, dicke Bretter zu bohren. Teilweise sind das auch ganz hart umkämpfte Erkenntnisse. Es ist nicht so einfach, neue Mathematik zu schöpfen oder die Lösung eines Problems zu finden, wo die Dinge wunderschön zusammenpassen wie die Rädchen eines Schweizer Uhrwerkes.

Siehst du vielleicht auch Parallelen zu unserem Spiel?

Sicher. Filigrane Gedanken sind zum Beispiel bei einer Kombination im Schach notwendig. Das kannst du dann auch gut nachempfinden, wenn man die Analogie zu unserem Spiel herstellt. Wo ein Ensemble von Zügen das größere Ganze einer funktionierenden Kombination bildet. Das macht einen glücklich, und so ist es in der Mathematik auch. Wenn viele kleine Gedankensplitter schön ineinander greifen, dass das große Ganze eines Problems gelöst wird. Letztlich ist Glück ja nur eine bio-chemische Reaktion, wo Endorphine ausgeschüttet werden. Das kann auch durch eine mitreißende Melodie, einen schönen Sonnenuntergang oder ein sympathisches Gesicht geschehen.

Nach deinem erfolgreichen Erstling in der Beckschen Reihe mit dem Titel „Einmaleins des klaren Denkens“ wirst du jetzt in diesem Verlag wohl Stammautor?

Du wirst es nicht glauben, die erste Auflage des neuen Buchs (6.000 Exemplare) ist innerhalb von vier Wochen bereits verkauft worden. Sie machen jetzt schon die zweite Auflage.

Vielleicht geht das Buch deshalb so gut, weil du darin wirklich verblüffende Fragen stellst. Nennst du bitte ein paar kuriose Beispiele?

Warum haben Tiger Streifen, Dalmatiner Punkte und Elefanten nichts von beiden? Warum haben manche Heuschreckenarten Lebenszyklen, deren Länge immer Primzahlen sind? Wie ist es möglich festzustellen, dass Homer die Odyssee nicht geschrieben hat? Diese und viele andere Fragen können mit Hilfe der Mathematik beantwortet werden.

Ernst Strouhal aus Wien nennt dein neues Werk „eine geballte Ladung kristalliner Intelligenz“. Obwohl es vorwiegend Mathe-Belletristik ist, gibt es dennoch auch eine Schachaufgabe im Buch.

Ja, es ist ein Zweizüger, der auf einem sogenannten Möbius-Band ausgeführt wird.  (Möbius-Band: eine zweidimensionale Struktur in der Topologie, die nur eine Kante und eine Fläche hat.)

Hier der entsprechende Buchauszug.

 

Schach auf dem Möbius-Band

In dieser Miniatur setzen wir ein Möbius-Band mit einer Breite von 4 Felder-Reihen als Schachbrett ein. Einige Figuren stehen auf dem Band und bilden ein komponiertes Schachproblem.  Es ist eine Stellungsarchitektur, die aus lauter möbial verstreuten Fragmenten besteht. Alle Figuren sind sichtbar, es gibt keine weiteren Figuren auf den nicht-sichtbaren Teilen des Bandes. Auch auf einem solchen Brett kann man Schach spielen und Schachaufgaben lösen. Die hier gestellte Aufgabe ist ein Zweizüger und lautet: 

Weiß zieht und setzt in 2 Zügen matt

 
 

Die wegen ihrer Geometrie elegante Lösung wird allein von den weißen Schwerfiguren getragen. Um sie darzustellen, spreche ich vom oberen, linken und rechten Streifen, obwohl sie alle Teil desselben Bandes sind. Der erste Zug von Weiß geschieht mit der Dame. Die weiße Dame zieht nach rechts, landet auf der Rückseite des linken Streifens (zweite Reihe von oben), dann auf der Vorderseite des linken Streifens (zweite Reihe von unten), dann auf der Rückseite des rechten Streifens (zweite Reihe von unten), dann auf der Vorderseite des rechten Streifens (zweite Reihe von unten) und schlägt schließlich den neben dem schwarzen König stehenden Springer. Damit gibt sie dem schwarzen König Schach. Der König kann die Dame nicht schlagen, da diese von einem weißen Springer gedeckt ist. Auch der schwarze Läufer kann die weiße Dame nicht schlagen, da er von dem weißen Turm auf dem linken Streifen gefesselt ist. Der schwarze König muss also ausweichen und den Springer schlagen. Dann zieht der weiße Turm auf dem oberen Streifen nach links über die Rückseite des linken Streifens (untere Reihe) und die Vorderseite des rechten Streifens (obere Reihe), bis er dort die schwarze Dame schlägt und Matt gibt.

Eine hübsche und aufgrund ihrer Originalität erfrischende Komposition.

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Christian Hesse, Warum Mathematik glücklich macht, Verlag C.H. Beck, München 2010, 346 S., 14,95 Euro


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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