Eröffnungen
Nick de Firmian et al.: Batsford's Modern
Chess Openings
"Batsford's Modern Chess Openings" ist ein Handbuch
der Eröffnungen. Auf 748
Seiten sind alle Schacheröffnung in tabellarischer Form aufgelistet, so wie
man es von der normalerweise fünfbändigen und vielleicht bekannteren Opening's Encyclopaedia aus dem Informator-Verlag kennt - auch dort erschien
gelegentlich eine einbändige "Kurzfassung". "Batsford's Modern Chess Openings"
erschien in diesem Jahr in der 15ten Auflage in überarbeiteter und
erweiterter Neufassung und geht auf ein 1911 erstmal von Griffith und White herausgegebenes
Büchlein zurück. An späteren Auflagen arbeiteten so prominente Spieler
wie Fine und Evans mit. Die aktuelle Version wurde vom US-amerikanischen
Großmeister Nick de Firmian überarbeitet und ersetzt die 14.Auflage von
1999. Zehn Jahre Eröffnungsgeschichte zu sichten ist
eine außerordentlich umfangreiche Aufgabe. De Firmian, der laut eigener
Angabe über ein Jahr an diesem Buch gearbeitet hat, wurde in manchen
Kapiteln von GM John Fedorowicz, IM Justin Sarker, IM Yuri Lapshun und John
MacArthur unterstützt.
Den tabellarischen Eröffnungsübersichten sind jeweils Texteinführungen mit
Diagramm voraus gesetzt, in denen die Hauptvarianten schon einmal
vorgestellt werden. De Firmian gibt außerdem eine Einschätzung der einzelne
Varianten, z.B. ob sie scharf oder ruhig sind und welcher Seite sie mehr
versprechen. Der Leser erhält so Orientierungshilfe und kann sich überlegen,
ob eine Beschäftigung mit der entsprechenden Eröffnung überhaupt lohnt.
Ob man gerne mit Eröffnungstabellen arbeitet, ist Geschmacksfrage. Mancher
zieht sicher eine "normale" Einführung mit mehr erläuterndem Text vor,
besonders wenn man sich erstmals mit einer Eröffnung beschäftigt. Auf der
anderen Seite hat man hier ein eine komplette Übersicht zu allen Eröffnungen
an der Hand, die inhaltlich in Bezug auf die angegebenen Varianten sicher
gut genug ist, um damit im Vereinsturnier und auch in manchen Open zu bestehen.
Mich störte an
der Informator-Enzyklopädie die immer umfangreicher werdenden Seiten mit
Anmerkungen. Ein anderes Manko
der Enzyklopädie waren aus meiner Sicht die kategorischen Urteile am Ende der Varianten.
Jeder Variante wurde mit einem Symbolurteil versehen, ohne dass dieses
Urteil begründet wurde.
Beide "Fehler" wurden in der Batsford's Modern Chess Openings vermieden. Die Tabellen sind
klein genug, um die Anmerkungen auf höchstens zwei Seiten abzudrucken und
Stellungsurteile werden nur dann flexibel eingesetzt, wenn sie
sinnvoll sind und dann auch nicht in reduzierender Symbolsprache durchformalisiert. Das Urteil
lautet hier z.B.: "a sharp position with roughly equal chances", was
mehr über eine Stellung aussagt als ein Symbol. Die
Kolonnen verlaufen von oben nach unten, was für Enzyklopädie-Leser erst einmal
ungewohnt ist (dort von links nach rechts). Dies hat aber den Vorteil, dass der
Autor nicht durch den bald nahenden Buchrand gezwungen ist, an vielleicht unpassender Stelle
zum Abschluss zu kommen. Es gibt zwar immer auch einen unteren Rand, aber
Bücher sind ja meist hochformatig.
Wer "Alles" in ein Buch packen will, muss viel weg lassen - genau genommen
besteht darin die Kunst. So sind viele Schlüsselvarianten enthalten, aber es
fehlen eben auch manche gerade im Moment hochaktuellen Varianten. Mit
etwa 18,- Euro ist das Preis-Leistungsverhältnis dieses Buches übrigens geradezu
sensationell gut.
André Schulz
Nick de Firmian et al.: Batsford's Modern Chess Openings
Batsford Verlage, 2009,
748 Seiten, kartoniert, 15. bearbeitete und erweiterte Auflage 2009,
17,35 Euro
Jovanka Houska: Starting out - the Scandinavian
Die englische Großmeisterin hat 2007 im gleichen Verlag ein ganz
ausgezeichnetes Buch über die Caro-Kann Verteidigung veröffentlicht, das als
Repertoire-Buch konzipiert einen kompletten Weg durch diese Eröffnung
empfahl. Dabei griff die Autorin auf ihr eigenes Repertoire zurück, mit dem
sie viele Erfolge erzielt hat. Hier folgt nun eine Monografie über die
Skandinavische Verteidigung, die durch den Zug 1...d5 als Antwort auf 1.e4
gekennzeichnet ist und den Stier praktisch an den Hörnern packt, indem
Schwarz sogleich den weißen Zentrumsbauern zum Abtausch zwingt.
Die
Skandinavische Verteidigung gehört zu Gruppe der von der klassischen
Literatur gering geschätzten Schacheröffnungen.
Es sind Eröffnungen, die von alters her immer als minder bemittelt gegolten haben
und die man nur mit schlechtem Gewissen spielen durfte. Jovanka Houska
berichtet, dass sie Skandinavisch als Mädchen spielte und dass nach 1...d5
meist erstmal ein lautes abfälliges Schnauben die Antwort ihrer Gegner war.
Heute sind viele dieser "minderwertigen" Eröffnungen von der Praxis voll
rehabilitiert, besonders die Skandinavische Verteidigung.
Der Hamburger Großmeister Matthias Wahls war einer derjenigen Großmeister,
der mit als erster die Skandinavische Verteidigung aus dem
Aschenputtel-Dasein befreite und in seinen Partien, später auch in Buchform,
nachwies, dass diese Antwort auf 1.e4 absolut gleichwertig ist. Wahls
spielte nach 2.Sc3 vor allem 3...Da5. Seit Kurzem greift Sergey Tiviakov
regelmäßig zum Skandinavier und wählt dann 3...Dd6 - mit sensationellen
Ergebnissen. Neuerdings sieht man sogar Vladimir Kramnik auf Schnell- und
Blitzschachturnieren mit diesem Zug experimentieren.
In Starting out - the Scandinavian, betrachtet die englische Großmeisterin
beide Möglichkeiten von Schwarz im dritten Zug, 3...Da5 oder 3...Dd6, aber
auch die Varianten nach 2...Sf6 und 3...Sxd5 sehr gründlich. Zu jeder Variante gibt es eine
Einführung mit Erläuterungen der typischen strategischen oder taktischen Gegebenheiten. Dann wird der
Theoriestand anhand von insgesamt über 70 Musterpartien vorgestellt und abgehandelt.
Im Verlauf der Darstellung werden an vielen Stellen auch allgemein gültige
Tipps zur Partieführung gegeben.
An vielen Stellen weist die Autorin auf typische Gefahren hin, zeigt Fallen
und erklärt strukturelle Erfordernisse.
Das Konzept der "starting out"-Reihe mit
vielen Erklärungen auch für weniger erfahrene Spieler ist sehr überzeugend
und die Bücher der Reihe bieten einen weitaus gründlicheren Einstieg als der
Titel der Reihe zunächst vermuten lässt. Jovanka Houskas Buch zur
Skandinavischen Verteidigung ist ein
weiteres herausragendes Exemplar der Serie und wird die Skandinavische
Verteidigung noch populärer machen, als sie ohnehin schon ist.
André Schulz
Jovanka Houska: Starting out - the Scandinavian
Everyman, 2009, 320 Seiten, kartoniert, in englischer Sprache, 17,95 Euro
Mihail Marin: The English Opening, Vol One
Die Arbeiten des rumänischen Großmeisters Mihail Marin
zeichnen sich immer durch besondere Gründlichkeit aus. Das gilt in
besonderem Maße auch für dieses Buch über die Englische Eröffnung. Auf knapp
480 Seiten präsentiert Marin im ersten Band der Monografie die nach 1.c4 e5
entstehenden Varianten. Zum gleichen Thema hat er übrigens vor einiger Zeit
eine ebenso beispielhafte Eröffnungs-CD bei ChessBase publiziert.
In über 30 Kapiteln werden alle Varianten, die
danach entstehen können ausführlich vorgestellt und auch in ihren
strategischen Motiven behandelt. Dies umfasst das Englische
Vierspringerspiel (mit Lb4 und Lc5), die Drachenvariante mit vertauschten
Farben (Schwarz zieht d7-d5), die Keres-Variante (Schwarz zieht nach 3.g3
c6) den Botvinnik-Aufbau (Weiß zieht e4 und Se2) und die Varianten, in denen
Schwarz sich analog der Königsindischen Verteidigung aufbaut.
Marin stellt auf gewohnt ausführliche Weise den Stand dieser Varianten nach
1.c4 e5 vor, wobei die Englischen Eröffnung sich ja in den Theorieurteilen
nicht so schnell verändert wie andere Eröffnungen, und liefert vor allem
eine ausgezeichnete zusammenhängende aktuelle Darstellung dieser beliebten
Eröffnung. Mit der Vorstellung der Varianten ist immer auch eine
ausführliche Erläuterung der Ideen verbunden.
Das Buch wurde in der sorgfältigen Aufmachung, inkl.
übersichtlichem Variantenindex vorgelegt, die für diesen Verlag typisch ist.
Von Russisch oder Slawisch frustrierte Weißspieler finden hier vielleicht
ihr neues Glück.
André Schulz
Mihail Marin: The English Opening, Vol One
Quality Chess Verlag, 2009, 477 Seiten, 24,99 Euro.
Biographie
Forster, Hansen, Negele: Emanuel Lasker -
Denker, Weltenbürger, Schachweltmeister
Eine Rezension dieses Werkes ist eigentlich kaum möglich, jedenfalls wenn
vorausgesetzt wird, dass ein Rezensent dieses Buch auch nur in nennenswerten
Teilen wirklich gelesen hat. Das wäre in der Kürze der Zeit seit Erscheinen
schon zeitlich gar nicht möglich. Und eigentlich könnte auch nur eine Rezensentenmannschaft dem Heer der Autoren aus
ganz unterschiedlichen Forschungsrichtungen Herr werden, das hier zu Felde
geführt wurde, um dem einzigen deutschen Weltmeister im Schach zu huldigen.
Das Werk
"Emanuel Lasker - Denker, Weltenbürger, Schachweltmeister", herausgegeben
von Richard Forster, Stefan Hansen und Michael Negele ist eher ein mit
Druckerschwärze in Holzscheiben geschlagenes Denkmal als ein "Buch".
Das kann man nicht mal eben zum Schmökern vor dem Einschlafen mit ins
Schlafzimmer nehmen. Es ist ein Forschungsbericht.
"Emanuel Lasker - Denker, Weltenbürger, Schachweltmeister" wiegt
knapp 3,5 Kilo
und ist über 1000 großformatige Seiten dick. Nicht weniger als 24 Autoren
haben sich mit mehr oder weniger umfangreichen Beiträgen zu ganz
verschiedenen Themen beteiligt. Dabei beleuchten die Experten zum einen die
verschiedenen Betätigungsfelder des vielseitig interessierten zweiten
Schachweltmeisters und zum anderen die einzelnen Lebensstationen.
Den Anfang
macht der Beitrag von Wolfgang Kamm (Autor der bemerkenswerten Tarrasch-Biographie) und Thomasz Lisowsski zur schlesischen Herkunft Laskers,
seines familiären Ursprungs und seiner Verbindung zu den anderen bekannten "Laskers":
dem Schach- (und Go-) Spieler Edward Lasker und dem Politiker Eduard Lasker.
Tony Gilliam, John Hilbert, Roberto Mayor Gutierrez und Jesus Bayolo
Gonzales, Peter de Jong und schließlich Issak und Wladimir Linder begleiten
Laskers Lebensstationen bzw. Besuche in England, den USA, den
Niederlanden, auf Kuba und in Russland.
Tony Preziuso (Aus der Schreibmaschine des Schachweltmeisters), Susanna
Poldauf (Lasker und die Berliner Bohéme), Joachim Rosenthal (Der
Mathematiker Emanuel Lasker), Bernd Gräfrath (Lasker als Philosoph), Egbert
Meissenburg (Lasker- Bibliografie seines Schaffens), Karl Kadletz (Laskers
Biograph Jaques Hannack), Wolfgang Angerstein (Laska- ein strategisches
Verstandspiel), Robert van der Velde (Nicht nur Schach - Emanuel Lasker als
Bridgespieler), Hans-Christian Wohlfarth (Lasker und Go), Ralf Binnewitz (Laskers
Schachprobleme), Jürgen Fleck (Laskers Endspielstudien), Robert Hübner (Zu
den Anfängen von Laskers Schachlaufbahn), Raj Tischbierek (Hastings 1895,
Das Weltmeisterschaftsmatch Lasker-Tarrasch 1908, Laskers Comeback 1934 in
Zürich), John Donaldson (Weltmeister ohne Titel), Viktor Kortschnoj (Drei
Partien eines alten Meisters), Thomas Lemanczyk (Laskers Turnier- und
Wettkampfpartien) und schließlich Michael Negele (Jenseits des Zufalls -
Schach war doch das Leben) haben sich mit den verschiedenen Linien in
Laskers Lebenslauf beschäftigt und vermitteln ein mehr als umfassendes Gesamtbild.
Dem reinen Schachfreund mag das Buch vielleicht in manchem zu
umfangreich erscheinen. Doch die Aufsätze auch über
schachferne Themen laden ein, sich auch einmal auf neuen Lesestoff über
Mathematik, Philosophie, Literatur, Bridge oder Go einzulassen.
Neben den inhaltsreichen Texten weiß das Werk auch durch eine Vielzahl von
Fotos, Zeichnungen und anderem dokumentarischen Materialien zu überzeugen
und vermittelt das Bild einer Zeit, die es nicht mehr gibt.
Wenn man
überhaupt einen der vielen ausgezeichneten Beiträge herausstellen möchte,
dann vielleicht Robert Hübners Analyse des Anfangs der Lasker'schen
Schachkarriere. "Emanuel Lasker - Denker, Weltenbürger,
Schachweltmeister" ein einzigartiges monumentales Werk, das in dieser Form sicher lange
Zeit unerreicht bleiben wird.
André Schulz
Forster, Hansen, Negele: Emanuel Lasker -
Denker, Weltenbürger, Schachweltmeister
Exzelsior Verlag, 2009, 1079 Seiten, Leinen, 114,- Euro
Erinnerungen
Genna Sosonko: Russian Silhouettes
Das Buch
"Russian Silhouettes" von Genna Sosonko ist ein reines Lesebuch - keine einzige
Schachpartie ist enthalten, kein Diagramm zu sehen. Sosonko beschäftigt sich
nicht mit Schach, sondern mit Menschen, in derenen Leben das Schach eine
wichtige Rolle gespielt hat - oder manchmal sogar der einzige Inhalt war.
Erstmals erschien "Russian Silhouettes" im Jahr 2001, die vorliegende dritte
Auflage erschien in einer erweiterten Ausgabe.
Sosonko portraitiert elf
Schachspieler aus eigenen Erinnerungen oder Erzählungen anderer. Mit
Ausnahme des von Raul Capablanca, der mit Hilfe einer Begegnung Sosonkos mit
Capablancas Frau Olga skizziert wird, handelt es sich bei den portraitierten
Spielern allesamt um Spieler aus der Sowjetunion. , denen Sosonko im Laufe
seines Lebens begegnet ist.
Jedem Spieler ist ein eigenes Kapitel gewidmet, genau genommen sind es zwölf
Portraits, denn am Anfange erzählt der Autor aus seinem eigenen Schachleben
- wie er in St. Petersburg aufwuchs und später nach Amsterdam übersiedelte.
In den weiteren Abschnitten lernt der Leser nun Mikhail Tal, Mikhail
Botvinnik, Lev Polugaevsky, Efim Geller, Paul Keres, Raul Capablanca,
Vladimir Zak, Semyon Furman, Alexander Koblenz, Alvis Vitolins und Gregory
Levenfish näher kennen.
Nicht erst nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand die Sowjetunion hinter
einem eisernen Vorhang, der für Informationen kaum durchlässig war. Umso
interessanter ist es, im Nachhinein von teilweise kuriosen Begebenheiten zu
erfahren. Auch wenn es keine Notationen oder Diagramme gibt, lernt man man
sogar etwas über das Schach. so von Mikhail Tal. - Warum er gerade den
Bauern geopfert habe? Nun, der Bauern störte ihn eben -.
Zahlreiche Details werden in den Erinnerungen sichtbar: Tals Morphiumsucht
wird erwähnt, sein Hang zum Alkohol und zum zügellosen Leben überhaupt, aber
auch seine lebenslange Fußball-Leidenschaft. Wir erfahren über Lev
Polguajevsky, dass er ein brillanter Analytiker war, aber im Urteil von
Kortschnoj niemals wirklich
erwachsen wurde, sondern eigentlich immer mit der
Mentalität eines 15-Jährigen durch das Leben schritt. Von Alvins Vitolins berichtet Sosonko, dass dieser kein weiteres Leben neben dem Schach
besaß. Schach war für diesen großartigen Taktiker, der so gut
Blitz spielte, dass er sich oft mit Tal zum Spielen treffen konnte, das
Einzige. Er blieb
immer bei seinen Eltern wohnen und eines Tages merkte er wohl, dass
Schach alleine zu wenig war. Mit dem Sprung von einer Eisenbahnbrücke setzte
er seinem Leben ein Ende.
Pauls Keres hatte ganz besonders unter den politischen Widernisse seiner Zeit
zu leiden. Erst war er Bürger des unabhängigen Estlands, dann war seine
Heimat von der UdSSR besetzt, kurz danach marschierten die Deutsche ein und
dann wurde Estland wieder in die UdSSR integriert. Keres geplante Flucht nach
Schweden kurz vor dem Erscheinen der Roten Armee misslang und eigentlich
drohten ihm 20 Jahre Sibirien, ein Schicksal, dass unzählige Esten, ebenso
wie Letten und Litauer auch ereilte. Doch dank der
Hilfe des neuen estnischen KP-Chefs durfte er weiter Schach spielen, wobei
Keres zum Ende des Zweiten Weltkrieges kaum russisch
sprach. Seine erste Fremdsprache war deutsch.
"Russian Silhoettes" beschäftigt sich mit vielen
Spielern, die eigentlich gar keine Russen sind. Keres, Tal und Vitolins sind Balten. Geller und Zak
sind Ukrainer. Und einige davon und andere stammten aus jüdischen Familien,
die in Russland und auch noch in der Sowjetunion eine besondere Rolle
spielt. Vielleicht wäre "Sovjet Silhoettes" der passendere Titel gewesen. Aus den Erinnerungen und Episoden entwickelt sich ein Bild
dieser Schachspieler und mit jedem Lebensbild, das hier schemenhaft
entsteht, erhält man auch einen immer intensiver werdenden Eindruck vom
Leben in einem Staat, der den eigenen Bürgern gegenüber feindlich eingestellt
waren. Großartiger, etwas melancholischer Lesestoff - nicht nur für Schachfreunde!
André Schulz
Genna Sosonko: Russian Shilouettes
New in Chess-Verlag, 2009, 222 Seiten,3. erweiterte Auflage, kartoniert, in
englischer Sprache, 21,95 Euro
Aufgaben
Helmut Pfleger: Zeit-Schachspalten
Helmut Pfleger ist der große deutsche Schacherzähler der Gegenwart. Kaum
jemand ist so wie er in der Lage, Geschichten und Anekdoten rund ums Schach
und die großen Schachspieler gekonnt mit aktuellen Ereignisse des
Schachlebens zu verknüpfen. Nur durch Zufall wurde Dr. Pfleger, eigentlich
Mediziner, einst für das Fernsehen entdeckt. Für den Bayrischen Schulfunk
moderierte der Arzt zunächst Sendungen über Biologie, Chemie und körperliche
Fitness. Schließlich kamen die berühmten Schachsendungen hinzu, oft mit
Vlastimil Hort als Co-Kommentator.
Aber auch mit der Feder ist Helmut Pfleger eine Ikone. Der inzwischen
66-Jährige bringt den Menschen Schach auf ganz unakademische und
unterhaltsame Weise nahe und wird deshalb von Lesern und Redakteuren
gleichermaßen geschätzt. Mit großem Fleiß und viel Energie beleuchtet der
überzeugte Umweltaktivist und begeisterte Fußballspieler allwöchentlich die
mehr oder minder aktuellen Vorgänge in seinen Kolumnen in der Welt am Sonntag, dem
Deutschen Ärzteblatt oder der Zeit.
Die Zeit-Schachspalten erscheinen gelegentlich als Sammlung auch in
Buchform, so in einer neuen 2009 veröffentlichten Ausgabe "Helmut Pfleger:
Zeit-Schachspalten", 120 amüsante Aufgaben, in denen Kolumnen der Jahre 2005
bis 2008 für alle nachgedruckt sind, die entweder keine Gelegenheit haben,
die wöchentlichen Original-Kolumnen zu lesen oder für Fans, die sich freuen
dürfen, hier noch einmal eine umfangreiche Sammlung im Zusammenhang lesen zu
können.
Die Geschichten werden portionsweise auf je einer Seite serviert, wobei eine "Schachmahlzeit"
jeweils aus einer kleinen leichtfüßigen Betrachtung über das Leben und das
Schach besteht und am Ende immer auf eine Aufgabe hinausläuft. Manchmal sind
es besondere Ereignisse, die zur Sprache gebracht werden, manchmal werden
Spieler portraitiert. So erfährt der Leser z.B. dass Boris Spassky es als
besonderes Vergnügen empfindet, beim Hören des Namens von John Nunn, diesen
beim Eisessen nachzumachen oder dass Olympiade-Veteran Bill Hook (17
Teilnahmen an Schacholympiaden) auch schon mit Stanley Kubrick gespielt hat
oder auch, wie Ernst Jünger zum Schachspiel stand.
Pflegers Zeit-Schachspalten eignen sich ganz ausgezeichnet zum eigenen
Lesevergnügen, aber natürlich auch als leichtfüßiges Geschenk für solche
Zeitgenossen, die Schach schon mögen oder noch kennen lernen sollen.
André Schulz
Helmut Pfleger: Zeit-Schachspalten
Edition Olms, 2009, 136 S., kartoniert, 16,80 Euro
Partien:
Karsten Müller: Bobby Fischer - The career
and complete Games of the American World Chess Champion
Eigentlich hätte ja Fischer selbst die
Verpflichtung wahrnehmen müssen, nach seinem Klassiker
"My 60 memorable games" vielleicht auch noch einmal sein Gesamtwerk
rückblickend zu betrachten. Doch leider hatte der 11. Weltmeister schon mit
dem klassischen Schach abgeschlossen und so kam es nicht
dazu. Nun hat sich Karsten Müller dieser Aufgabe angenommen und mit "Bobby
Fischer: The Career und Complete Games of the American World Chess Champion"
das Gesamtwerk vorgelegt. Natürlich gab es auch vorher schon einmal
Sammlungen aller von Fischer gespielten Partien, aber noch niemals in einer
vollständig kommentierten Ausgabe.
Bobby Fischer ist sicher einer der geheimnisumwittertsten Schachspieler
überhaupt. "Unsere Marylin", nannte Anand den 11.Weltmeister gerne scherzhaft in Anspielung auf die Mystifizierung der früh gestorbenen
amerikanischen Schauspielerin. Fischer wählte dabei allerdings einen Weg,
der weniger gesundheitsschädlich ist. Er verschwand einfach aus der
Öffentlichkeit. Nachdem er 1972 den Titel gewann, sah man ihn noch mit dem
umgehängten Siegerkranz in Reykjavik in ein Flugzeug steigen - und dann war
er einfach weg. Hin und wieder tauchte er mal wieder auf. Gerüchteweise ward Fischer mal
hier mal dort gesehen. Aber für die Medien, und damit für Öffentlichkeit blieb Fischer
verschwunden. Erst im Nachhinein erfuhr man, dass er 1975 noch in Verhandlungen
um einen WM-Kampf gegen Karpov getreten war, sich später zeitweise in
Deutschland aufgehalten hatte, dass er mit den Polgarschwestern Schach
gespielt und sich auch mit Peter Leko getroffen hatte. Kürzlich wurden aus seinem Nachlass Fotoserien
von verschiedenen Besuchen auf den Phillipinnen und in Japan veröffentlicht.
Im Jahr 1992
erschien Fischer dann unvermittelt in Sveti Stefan zum
"Revanche-Wettkampf" gegen Spassky, den er gewann. Er nahm das Preisgeld und
verschwand dann erneut bis 2004, als er in Japan verhaftet wurde. Dann zog
er nach Island und erstmals konnte man hier seinen Aufenthaltsort sicher
bestimmen.
In nur drei Stationen - jedenfalls für die Öffentlichkeit - hatte
der Schachweltmeister sich vom 30-Jährigen im eleganten Anzug (1972) zum eher ungepflegten älteren
Herren (1992) und schließlich zum unrasiertem Halbgreis (2004) verwandelt. Im
Januar 2008 starb Fischer auf Island an den Folgen einer Nierenkrankheit.
Mit Karsten Müller hat sich nun ein besonders fleißiger Großmeister der
Hinterlassenschaft angenommen und alle ernsthaften Partien (keine
Simultanpartie, etc.) mit viel Sachverstand, Kenntnis der schon
existierenden Kommentare und sicher auch mit Hilfe moderner Mittel
durchgesehen und kommentiert. Das bekannte schachliche Werk Fischer beginnt
mit der US-Amateurmeisterschaft, Lake Mohegan, New York 1955 - In der ersten
Partie hat Fischer Schwarz und spielt die Königsindische Verteidigung, die
der 12-Jährige hier zum Remis führt - und endet mit der 30sten Partie des
"Revanche-Wettkampfes gegen Spasski, 1992, ebenfalls ein Königsinder, der
ebenfalls, wie die erste Partie mit Fischer als Schwarzspieler remis endet -
alles in allem 736 Partien (Eine Partie wurde kurz vor Drucklegung als
a-Nummer noch eingefügt, deshalb endet die Aufzählung mit der Nummer 735).
Heute vermag man gar nicht mehr zu glauben, dass es einmal eine Zeit gab, in
der Schachwettkämpfe über mehr als 16 Partien geführt wurde.
Noch bemerkenswerter ist aber der Umstand, dass es überhaupt möglich ist,
alle (!) Partien eines Spieler zu kommentieren, denn das setzt ja voraus,
dass jede Partie ein Mindestmaß an Substanz enthält. Das ist bei Fischer der
Fall. Höchstens zu Anfang seiner Karriere findet man auch mal ein paar
Kurzremisen, ansonsten wird jede Partie ausgekämpft. Gibt es Kurzpartien,
dann hat Fischer sie zumeist gewonnen.
Die Idee des Hamburger Großmeisters, alle Fischerpartien zu kommentieren,
wäre allein schon deshalb großartig, weil sie Anlass bietet, noch einmal
diesem großen Schachspieler in seinen Zügen und Partien zu folgen. Aber
natürlich mach es mit den vielen treffenden Kommentaren, teils in Worten,
teils in Varianten, viel mehr Spaß. Pflichtlektüre für alle Schachfreunde!
André Schulz
Karsten Müller: Bobby Fischer - The career and complete
Games of the American World Chess Champion
Russell Enterprises, 2009, 408 Seiten, kartoniert, 31,95 Euro
Bent Larsen: Alle Figuren greifen an
Eines der ersten Bücher, welches mir empfohlen wurde, um
es durchzuarbeiten, war eine Partiensammlung von Bent Larsen – „Ich spiele
auf Sieg“. Der damalige Trainer betonte dabei die Vokabel durcharbeiten,
was das Buch für mich seinerzeit eher abschreckend machte. Heute verwende
ich als Trainer ähnliche Vokabeln und Empfehlungen – vielleicht schrecke ich
damit auch ab. Aber das ist ein anderes Thema.
Das Buch war in unserer Vereinsbibliothek und war auch bei der einen oder
anderen Schachfreizeit dabei, wo dann auch jene Empfehlung ausgesprochen
wurde. Ich blätterte ein bisschen darin herum, war aber zunächst nicht
sonderlich beeindruckt. Kurz darauf lernte ich dann, dass Larsen derjenige
war, der beim Wettkampf „UdSSR gegen den Rest der Welt“ locker gegen
Spasskij in knapp 20 Zügen verlor. Auch seine Verlustpartie im Drachen gegen
Fischer, die dieser in seinen "60 denkwürdigen Partien" darstellt sowie die
Tatsache, dass er gegen eben jenen Fischer 0:6 verlor gaben für mich, in
meiner damaligen Naivität und Unreife, keinen Anlass, mich mit diesem
„Feld-, Wald- und Wiesengroßmeister“ näher zu beschäftigen.
Jahre später, ich war um einige 100 DWZ-Punkte stärker und um einige Jahre
reifer, gab mir mein wesentlich stärkerer Bruder den Tipp, doch einmal
Larsen’s „Ich spiele auf Sieg“ zu lesen. Leider hatte sich ein Großteil der
Vereinsbibliothek in Luft aufgelöst und ich konnte dieses Buches nicht
habhaft werden. Mein Urteil über Larsen hatte ich bereits vorher revidiert.
Immerhin wurde die Partie gegen Spasskij an Brett 1 der Weltauswahl gewonnen
und Larsen machte 2,5/4 und der Wettkampf gegen Fischer war immerhin das
Kandidatenturnier. Und die Aufnahme in eine Partiesammlung wie „Meine 60
Denkwürdigen Partien“ stellt allein schon eine Auszeichnung dar.
In den folgenden Jahren ist es mir nicht gelungen Larsen’s ich spiele auf
Sieg in die Finger zu kriegen. Aber jetzt ist es wieder da, wenn auch in
einer anderen Aufmachung und unter einem anderen Titel – und dadurch
naturgemäß etwas umfangreicher.
Im Verlag SchachDepot veröffentlicht Larsen, redigiert von Christopher Lutz
und Alfonso Romero Holmes, wieder seine Partiensammlung. Der Erste Band von
„Alle Figuren Greifen An“ deckt die Jahre bis 1973 ab. Diesmal wird nicht
abgewartet bis das Buch wieder „verdunstet“ ist.
Das Buch ist zunächst einmal ein „richtiges“ Buch. Fester Einband, gutes
Papier, solide Aufmachung. Das Buch kann gemeinsam mit mir alt werden, und
zwar nicht nur in meinem Bücherregal. Dass es aus diesem herauskommt, dafür
steht der Inhalt.
Zunächst kommen, in chronologischer Reihenfolge, 74 Partien bis 1974. Larsen
zeigt nur Gewinnpartien, denn, wie er offen zugibt, Bescheidenheit war noch
nie eine seiner Stärken. Die Partien selbst sind in einer sehr ansprechenden
Weise kommentiert. Viel Erläuterungen, aber kein „Geschwafel“. Man erfährt
worum es geht und auch etliches über den sportlichen Hintergrund der Partie
und die Motivation der Spieler während der Partie. Das ganze wird
angereichert durch Varianten, welche die wichtigsten Fragen beantworten und
von der Menge und der Tiefe her zu bewältigen sind. Eine gelungene Mischung,
die einen Amateur wie mich nicht wie der sprichwörtliche „Ochs vor’m Berg“
stehen lässt, aber durchaus zum mitdenken und weiterdenken anregt. Von
großem Vorteil erweist es sich hier, dass Larsen nicht nur ein überaus
begnadeter Schachspieler ist, sondern auch hervorragend schreiben kann. Es
macht einfach Spaß das Buch zu lesen. Andererseits kann man damit auch
arbeiten und sicherlich seine Spielstärke nicht unerheblich steigern. Dies
mag insbesondere für uns Amateure von Bedeutung sein, denn in Larsen’s
Partien werden keine ellenlangen Buchvarianten abgespult, sondern man kommt
gleich zur Sache und spielt eigenständig Schach.
In diesem biographischen Teil vermisse ich ein bisschen etwas über den
Menschen Bent Larsen. Man erfährt, etwas vereinfacht ausgedrückt, nur dass
er in der danischen Provinz geboren ist, sein Studium zugunsten von Schach
aufgab und das war es im Wesentlichen. Nun gut, eine ausführliche
Lebensbeichte gehört vielleicht nicht in eine Partiensammlung hinein. Aber
es hätte mich schon interessiert, wie er als Autodidakt, ohne fundiertes
Training (zumindest lässt er nicht durchblicken wo er dieses bekommen hätte)
es geschafft hat, auf gleichem Niveau wie die sowjetischen Spitzenspieler zu
spielen. Vermutlich war es harte Arbeit, aber dies lässt er wohl nicht gerne
durchblicken, denn sonderlich aufregend klingt das nicht.
Etwas mehr über den Menschen Bent Laren erfährt man im Aufsatzteil am Ende
des Buches. Hier erzählt er über verschiedene Aspekte seines Lebens, über
andere Schachspieler (insbesondere Fischer). Auch dieser Teil, indem Schach
etwas in den Hintergrund rückt, profitiert von seiner Erzählkunst. Man legt
das Buch ungern aus der Hand.
Alles in allem eine runde Sache. In der kommenden Weihnachtszeit ein nettes
Präsent für viele Schachspieler. Nur, empfehlen Sie es zum Lesen und Spaß
haben, nicht zum durcharbeiten (das ist keine wirkliche Empfehlung). Dann
nimmt man es auch in die Hand und fängt – idealerweise – von selbst an mit
Spaß an den Buch und den Partien zu arbeiten.
Martin Fischer
Bent Larsen: Alle Figuren greifen an
Verlag SchachDepot, 328 Seiten, kartoniert, € 29,80
Lehrbuch
Isaak Lipnitzky: Fragen der modernen
Schachtheorie
Das Besondere an dem
Lehrbuch von Issak Lipnitzky, "Fragen der modernen
Schachtheorie" ist sein zeitloser Charakter. Geschrieben in den
50er Jahren des letzten Jahrhunderts, war es seiner Zeit so weit voraus,
dass es auch heute
keineswegs veraltet ist. Lange war das Buch nur in russischer Sprache erhältlich
und im russischen Sprachraum ein absolutes Standardwerk, auf das sich viele
andere Autoren gerne bezogen. Letztes Jahr gab es eine englische Übersetzung
und dank des Quality Chess Verlages liegt das Buch nun auch aus dem
Englischen übersetzt in deutscher Sprache vor.
Isaak Lipnitzky beschäftigt sich mit dem
Schachspiel und seinen verschiedenen Aspekten, vor allem im Mittelspiel.
Diese werden anhand von mehreren Musterpartien für jedes Thema kapitelweise
abgehandelt. Typische Themen sind "Das Zentrum", "Das Zentrum vom Flügel her
erobern", Stellungsbewertung", "Pläne in der Eröffnung", "Neubewertung von
Mustern", insgesamt 16 Kapitel. Lipnitzky diskutiert dabei u.a. dauch die
dogmatische und die konkrete Methode und stellt fest, dass Schach zumeist
einen konkreten Ansatz erfordert, will man erfolgreich sein. Auch damit ist
er sehr modern und nimmt vorweg, was eigentlich erst seit weniger als zehn Jahren
durch die Erfolge der Schachprogramme tatsächlich zur allgemeinen Erkenntnis
geworden ist: Schach ist ein ganz konkretes Rechenspiel.
Neben den inhaltlich interessanten Themen hat mir auch die wohltuende
sachliche Sprache, jedenfalls in der deutschen Übersetzung von Guido Rothe,
gefallen - weit weg vom pathetischen Schwulst, der sonst manchmal in
älterer, besonders sowjetischer Schachliteratur zu finden ist. Quality Chess
hat das Werk unter dem Titel "Schachklassiker" heraus gebracht, aber in
Wirklichkeit ist Lipnitzky einfach zeitlos lehrreich.
André Schulz
Isaak Lipnitzky: Fragen der modernen
Schachtheorie
Verlag: Quality Chess, 2009, 250 Seiten 24,95 Euro
Die vorgestellten Bücher wurden von folgenden Verlagen/
Personen zur Verfügung gestellt:
Schach Niggemann (Batsford's Modern Chess Openings, Jovanka Houska:
Starting out - the Scandinavian, Mihail Marin: The English Opening, Vol One,
Genna Sosonko: Russian Shilouettes, Isaak Lipnitzky: Fragen der modernen
Schachtheorie
Stefan Hansen - Emanuel-Lasker-Gesellschaft (Forster, Hansen, Negele:
Emanuel Lasker - Denker, Weltenbürger, Schachweltmeister)
Karsten Müller (Karsten Müller: Bobby Fischer - The
career and complete Games of the American World Chess Champion),
Edition Olms (Helmut Pfleger: Zeit-Schachspalten)
Verlag SchachDepot (Bent Larsen: Alle Figuren greifen an)