Bücher 2010
Von André Schulz
Glenn Flear: Starting Out:
Open Games
Mit "Open Games", in der Reihe "Starting Out "des Everyman Verlages erschienen, gibt Glenn Flear
einen Überblick über die Hauptvariante der Offenen Spiele mit Ausnahme der
Spanischen Partie. Das Buch ist nicht nur für Spieler interessant, die mit
1...e5 den Anfangszug 1.e4 beantworten wollen, in der Spanischen Parte
vielleicht schon eine Hauptwaffe gefunden haben und sich nun aber auch noch
durch alle anderen Offenen Spiele durcharbeiten müssen. Allerdings sind mit der
Russischen Verteidigung und der Philidor-Verteidigung auch zwei Eröffnungen
enthalten, die man als Hauptwaffe (oder Zweitwaffe) gegen 1...e4 einsetzten
kann. Aber auch wer mit den weißen Steinen auf der Suche nach einer Waffe gegen
1....e5 ist, findet hier mehrere Angebote (Italienisch, Schottisch etc.).
Die behandelten Varianten werden mit Hilfe von größtenteils recht aktuellen
Partien aus der GM-Turnierpraxis illustriert. Flear hat dabei auch eine Vielzahl von
eigenen Partien verwendet. Die Übersicht ist nicht etwa auf Repertoirevorschläge reduziert.
Stattdessen bemüht sich der englischen Großmeister alle Alternativen für beide
Seiten aufzuzeigen und so einen Gesamteindruck der entsprechenden Eröffnungen zu
vermitteln. Bei der Vielzahl der heutzutage gespielten Partien ist es
unmöglich, ein umfangreiches Gebiet wie die Offenen Spiele in extenso
darzustellen. Die Kunst besteht also darin, geschickt zu reduzieren und zu
komprimieren. Dies ist Glenn Flear gut gelungen und er tritt mit seinem Buch in
diesem Sinne auch die
Nachfolge von John Emms an, der seinerzeit im Gambit Verlag eine ähnlich
komprimierte Darstellung der Offenen Spiele aus, allerdings nur aus schwarzer Sicht (Play the Open
Games as Black) veröffentlich hatte. Über die Variantendarstellung hinaus werden zwischen den Zügen
übrigens
auch allgemeine Spieltipps gegeben - ob man z.B. in einer bestimmten Variante früh
oder spät rochieren soll, ob man im Zentrum oder am Flügels spielt und welche
Gefahren bestimmte Varianten mit sich bringen, etc.
Flears Buch ist ein hervorragender Einstieg ins Reich der Offenen Spiele für
Klub- aber auch Turnierspieler.
Glenn Flear: Starting Out:
Open Games
Everyman, 318 S., Paperback in englischer Sprache
17,95 Euro
Lars Schandorff: The Caro-Kann
Es ist noch nicht so lange her, dass die englische Großmeisterin Jovanka Houska
ein schickes Repertoirebuch zur Caro-Kann Verteidigung veröffentlich hat. Vom
früheren "Langweiler", in dem die Schwarzspieler einst - meist in Bauchlage
- ein ereignisloses
Remis anstrebten, hat sich die Caro-Kann Verteidigung seit einiger Zeit zu einer
ziemlich scharfen Eröffnung entwickelt. Wenn Schwarz auf den vollen Punkt geht
oder einfach Spaß an verwickelten Varianten hat, strebt
er in der Hauptvariante (1.e4 c6 2.d4 d5 3.Sc3 dxe4 4.Sxe4 Lf5) die kurze
Rochade an. Falls Weiß dann nicht hart zupackt, hat Schwarz meist wenig Sorgen. Ein Kampf
auf des Messers Schneide entsteht, wenn Weiß auf Königsangriff spielt. Weiß
kann das Spiel auch auf andere Weise ehrgeizig anlegen, z.B. mit der experimentellen "Fantasy-Variante"
(3.f3, s. erste Finalpartie der Frauen-WM 2010) oder mit der Vorstoßvariante, in der man wahlweise taktisch oder
strategisch vorgehen kann.
Schandorffs Buch ist wie der Vorgänger von Houska als Repertoirebuch für den Schwarzspieler
angelegt. Zum Teil empfiehlt der dänische Großmeister die gleichen oder ähnliche
Systeme, z.T. aber auch ganz andere Spielweisen als die Engländerin. Wer als
Caro-Kann-Spieler Houskas Buch mochte, wird auch an Schanddorffs aktuellerem Werk Gefallen
finden. Der Däne bietet einige neue Erkenntnisse in der Beantwortung des
Panow-Angriffs und hat hier auch interessante Varianten aus dem Fernschach
parat. Im Gegensatz zu Houska behandelt Schandorff in der Vorstoßvariante den
"Normalzug" 3...Lf5, Houskas Schwerpunkt lag auf 3...c5.
Lars Schandorff: The Caro-Kann
Quality Chess, 250 S. Paperback in englischer Sprache
24,99 Euro
Boris Avrukh: 1.d4 Volume Two
Das nun mit dem zweiten Band vollständig vorliegende Werk des israelischen
Großmeisters über die Eröffnungen nach 1.d4 aus weißer Sicht wird selbst von
Großmeistern gerne als "Die Bibel" (für d4-Spieler) bezeichnet. Tatsächlich
bieten die zwei Bände mit zusammen ca. 1050 Seiten die vollständige Antwort auf
alle Eröffnungsfragen, die nach 1.d4 entstehen können. 1.d4 Volume One und Volume Two
zeigen ein komplettes für GM-Turniere geeignetes Eröffnungsrepertoire,
angelehnt an Avruhks eigenes Repertoire. Wenn es nicht gerade völliger Unfug ist,
empfiehlt der mehrfache Olympiateilnehmer Varianten mit der Fianchettierung des
Läufers nach g2. Außer ihm spielt z.B. in der israelischen Nationalmannschaft
auch Boris Gelfand viele Eröffnungen nach 1.d4 auf diese Weise.
Im ersten Band waren die Eröffnungen nach 1.d5, darunter auch Katalanisch, das
Thema. Band 2 widmet sich nun auf über 600 Seiten den übrigen Eröffnungen. Dazu
gehören die Bogoindische Verteidigung, das Budapester Gambit, Königsindische
Eröffnung, die Grünfeld-Eröffnung, die Moderne Verteidigung, die Holländische
Verteidigung, verschiedene Benoni-Varianten und eine Reihe von kleineren
unabhängigen Varianten.
Bei seinen Empfehlungen ist Avrukh immer auf der Suche nach dem akademischen
Vorteil für Weiß (was oft, aber nicht nicht immer gelingt), wird dann auch in
bestimmten Varianten bisweilen sehr prinzipiell und konkret. Oft gibt Avrukh
auch Alternativvorschläge. Eins ist sicher: Wer diese beiden Bände konzentriert
durchgearbeitet hat, kann selbst auf GM-Turnieren zumindest in der Eröffnung
mithalten (zumindest mit Weiß).
Boris Avrukh:
1.d4 Volume Two
Quality Chess, 614 S, Paperback in englischer Sprache
24,99 Euro
Karsten Müller: Bobby Fischer
Damit ist Karsten Müllers Werk über Bobby Fischer nun auch in einer
deutschsprachige Ausgabe erschienen. Das Buch enthält alle Partien von Robert
James Fischer, durchgesehen und mit Anmerkungen versehen. Die letzte Partie aus
dem "Revanche"-Wettkampf gegen Boris Spasski, 1992, trägt die Nummer 736.
Fischer ist einer der großen Mythen der Schachgeschichte. Seinem kometenhaften
Aufstieg und erstem Angriff auf die Weltmeisterschaft folgte eine Zeit
der Stagnation, bzw. ein erste Rückzug vom Schach. Der zweite Angriff gelang,
danach verschwand Fischer aus dem Blick der Öffentlichkeit. 1992, zwanzig Jahre
nach dem WM-Sieg gegen Spasski, tauchte er für besagten "Revanche"-Kampf erneut
auf, und verschwand danach erneut. Schließlich wurde er in Japan bei der
Ausreise verhaftet und fest gesetzt -
irgendjemand im Regierungsapparat der USA wollte anscheinend noch eine Rechnung
mit dem 11. Schachweltmeister begleichen. Mit seinem zweiten Wettkampf gegen Spasski
hatte Fischer gegen ein Wirtschaftsembargo verstoßen und sich dort und bei anderer Gelegenheit
später erneut abfällig über sein Geburtsland geäußert. Nach
Monaten des Kampfes wurde Fischer von seinen isländischen Freunden auf
juristischem Wege befreit und
verbrachte die letzten Jahres seines Lebens auf Island.
Es war Zeit, dass Fischer mit einer kommentierten Sammlung seiner Partien sein
schachliches Denkmal erhielt. GM Dr. Karsten Müller hat es ihm mit der ihm
eigenen Sorgfalt gesetzt. Die biographischen Anteile daran sind eher kurz.. Der
Schwerpunkt liegt ganz klar auf den Partien. Aber es gibt einen Abriss seiner
schachlichen Karriere und einige Anekdoten, die bekanntlich zu jedem Mythos dazu
gehören. Zudem ist ein Überblick zu Fischers Eröffnungen vorangestellt. Der
Partiesammlung wurden außerdem einige Statistiken angefügt.
Das Buch ist eine gute Gelegenheit, noch einmal Fischer in seinen Partien Revue
passieren zu lassen. Das Nachspielen derselben ist purer Genuss. Es ist aber
auch sehr interessant, dieses Schach mit dem Schach zu vergleich, das heute
gespielt wird.
Karsten Müller: Bobby Fischer
New in Chess, 408 Seiten, Paperback in deutscher
29,90 Euro
Karsten Müller / Raymund Stolze:
Zaubern wie Schachweltmeister Tal
Ganz anders als das obige Buch über Fischer ist dieses Buch über Michail Tal
angelegt, obwohl mit Karsten Müller ja die Hälfte der Autoren die gleichen
sind. Das Tal-Buch ist Band 82 der Schachreihe bei Edition Olms, was daran
erinnert, das dieser Verlag in Bezug auf deutschsprachige Schachbücher der
renommierteste und fleißigste ist. Der Band enthält auf etwas über 300 Seiten Partien und Taktikaufgaben des "Magiers von Riga" und nähert sich seiner von vielen
Zeitgenossen als überaus liebenswürdig beschriebenen Persönlichkeit mit Hilfe
von Aufsätzen, Erinnerungen und Interviews. In 15 kleineren Texten bzw.
Interviews berichten Weggefährten, darunter Boris Spasski, Vladimir Kramnik oder
Robert Hübner, außerdem Tals Witwe Engelina, von ihren Erinnerungen an den
achten Schachweltmeister. Robert Hübner hat zudem die Partie Tal-Keller, Zürich
1959 einer ausführlichen Betrachtung unterzogen und seine Beobachtungen notiert,
die sich im Druck über 43 Seiten erstrecken. Er greift dabei auf sieben
Vorgängerarbeiten zurück, darunter auch eine eigene aus dem ChessBase Magazin
5/1992, von denen sechs "gänzlich ohne Behinderung durch schachspielende
Computerprogramme erstellt wurden." Immerhin.
Das Buch und Tals schachliche taktische Hinterlassenschaft wird in vier Kapiteln
präsentiert: 1. Warm-up, 2.Korrekte Opfer, 3.Spekulative Opfer 4. Richtig
Verteidigen gegen den Magier und ist ein Fest für alle Freunde taktischer
Verwicklungen.
Karsten Müller / Raymund Stolze
Zaubern wie Schachweltmeister Tal
Edition Olms, 308 Seiten, Paperback in deutscher Sprache
19,95 Euro