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Mit Jetlag, fürchterlichen Kopfschmerzen und dem Gefühl, mein gesamtes Körpersystem würde anderen Kräften als den Kommandos meines Geistes gehorchen, fasste ich als umher wandernder Zombie einen Entschluss. Ich dachte, ein Gang durch die brodelnden, überfüllten Strassen der indonesischen Hauptstadt würde mich wieder in die Welt der Lebenden zurückbringen.
Restaurant-Meile
Drive-In Restaurants, die aus dem Boden schießen
Essen, das...
... auf der Straße zubereitet und serviert wird.
Konzert in Kota, dem alten Jakarta – im Hintergrund sieht man ein Kolonialgebäude aus der Zeit der Holländer
Indonesier lieben Reis morgens, mittags und abends. Der 'Berg' wird schnell verschwinden.
Softball
Und als ich kleine Ameise durch den Dschungel der Riesenstadt kroch, umschmeichelt von einer 40 Grad heißen Sonne, zog mich die mit Händen greifbare Energie der Metropole unwiderstehlich in ihren Bann. Müdigkeit, Anspannung und körperliche Qualen waren schnell vergessen, absorbiert von dem wühlenden, stickigen Treiben der Stadt. Jakarta verführte mich mit seinen vielen Gesichtern, seiner Wärme, seinen Kontrasten und Gerüchen. In den ersten beiden Tagen hatte ich keine Eile und konnte in Ruhe Straßenverkäufer, wuselnde Autos und Motorräder und die glänzenden Wolkenkratzer aus Stahl und Glas beobachten… erst eine Schicht der Stadt entdecken, dann eine weitere und schon hatte mich das vibrierende Herz Indonesiens gefangen. Denn für mich ist Jakarta ein verführerischer und betörender Augenöffner, eine pulsierende und immer aktive Hauptstadt, eine erstaunliche Mischung von Kulturen, Religionen, Baustilen und Essen aller Art.
Blick aus meinem Hotelfenster – der Pavillion in der Mitte ist der Spielsaal
Blick von der anderen Seite unseres Hotels
Dieser 132 Meter hohe Turm, der über dem Merdeka-Platz thront, ist Wahrzeichen Jakartas und die bekannteste architektonische Laune des ersten indonesischen Präsidenten, Soekarno. Das Nationaldenkmal besteht angeblich ausschließlich “aus italienischem Marmor” und wird von einer 35kg schweren Goldskulptur gekrönt, die eine Flamme darstellt.
Phantastisch interessant und effizient, und das weit mehr als in jedem anderen Ort Asiens, den ich besucht habe, ist der Handel auf der Straße. Alles, aber auch wirklich alles, wird von fliegenden Händlern angeboten: Essen, Getränke, Schuhe und Schneiderarbeiten, Zigaretten, etc. Die Strassen sind voller Menschen, die ihre Karren schieben, die meist mit Essen beladen sind. Außerhalb der Essenszeiten sieht man, wie die Küchenchefs neben ihren fahrbaren Küchen ein Schläfchen halten oder sogar…Schach spielen! Ein interessanter Zufall, nicht wahr?
Was soll man machen, wenn die Sonne so erbarmungslos scheint...?
In den Schatten gehen und eine Partie Schach spielen natürlich! Ich frage mich allerdings, ob 2.h4 nach 1.e4 e5 wirklich der beste Zug ist...
Getränkeverkäufer bei einer Partie Schach
Handel auf der Straße
Gegensätze...
Normalerweise vermeide ich auf Reisen die großen Einkaufszentren, denn was dort angeboten wird, kann ich überall auf dem Globus finden. Aber die indonesischen Malls haben mich gereizt.
Abends verwandeln sich die großen Fußgängerzonen in Drive-In Restaurants mit jeder Menge Animation. Und da stieß ich plötzlich auf einen vertrauten Anblick: auf dem Boden standen zwei Schachspiele mit sorgfältig aufgebauten Stellungen und neben den Brettern saßen drei Leute und warteten. Aber auf was? Wie ich bald herausfand, war dies eine neue Form der Unterhaltung, eine geistige! Neugierige Zuschauer können versuchen, den besten Zug in der Stellung zu finden, doch vorher müssen sie erst einen kleinen Obolus entrichten, aber wenn das Problem gelöst ist, winkt ihnen eine Belohnung … eine Zigarette!:) Eine so einfallsreiche Methode, um mit Schach Geld zu verdienen, habe ich noch nie gesehen! War das auch Zufall? Die Geschichte wiederholte sich immer wieder, doch am Ende hatte ich begriffen: die Indonesier lieben das Schach!
Eine einfallsreiche Methode, um mit Schach Geld zu verdienen
Essen in endloser Auswahl!
Nach der Lösung dieses Rätsels waren die kosmischen Ausmaße des JAPFA Schachfestivals nicht weiter verwunderlich: über 500 Schachfans hatten sich versammelt, um eine Reihe unterschiedlicher Turniere zu spielen, dazu kamen noch zahllose Eltern, Trainer, Journalisten, Freunde usw. Hauptattraktion war jedoch das so genannte ‘Highlight’ des Festivals: das doppelrundige Frauenturnier.
Normalerweise sind mir narzisstische Gefühle fremd, aber ich muss zugeben, hier brachen sie dann doch durch. Aber was soll man auch machen, wenn die Leute immer wieder um Fotos oder Autogramme bitten, das Poster mit dem eigenen Bild im Spielsaal hängt, ja, sogar in den Straßen zu sehen ist und Fotografen immer wieder auf den Auslöser drücken und man fasziniert von Hunderten von Augenpaaren angestarrt wird?!…und so ging es nicht nur mir, sondern jeder Spielerin. Alle sechs Teilnehmerinnen im Frauengroßmeisterturnier - Sophie Milliet, Iulia Kochetkova, Medina Warda Aulia, Chelsie Sihite Monica, Natacha Benmesbah und die Autorin dieser Zeilen - haben gespürt, wie aufregend es ist … Schachsuperstar zu sein!
Pressekonferenz
Die Eröffnungsfeier, bei der die Spielerinnen im Dress des Sponsors auftraten.
Superstars
Eine Blitzpartie mit Sophie Milliet zu Beginn des Festivals – unsere Vertreterin gewann!
Die größte Überraschung dabei war, dass diese permanente Aufmerksamkeit nicht eine einzige Sekunde lang aggressiv, irritierend oder ärgerlich war! Im Gegenteil, sie hat uns motiviert, jede Partie bis zum Ende zu kämpfen, zu versuchen, für das Publikum und uns selbst unser bestes Schach zu spielen.
Das ist uns nicht immer gelungen, aber man sollte sich nicht von der hohen Zahl der Remispartien irritieren lassen (übrigens durfte man vor dem 30. Zug gar nicht Remis machen!). Drei Spielerinnen waren besonders motiviert, ein gutes Ergebnis zu erzielen, denn sie brauchten 6,5 Punkte aus 10 Partien für die begehrte WGM-Norm. Am Ende gelang das nicht einmal der Turniersiegerin; Sophie und ich hatten am Ende beide 6 Punkte, aber dank besserer Wertung ging der Siegerpokal an die Autorin dieser Zeilen.
Die indonesische WIM Chelsie Sihite Monica: nach zwei Niederlagen in Folge zu Beginn des Turniers erholte sie sich gut und landete am Ende auf einem guten 3. Platz.
Die französische WIM Natacha Benmesbah – doch lassen Sie sich von ihrer zierlichen Erscheinung nicht täuschen! Natacha ist leidenschaftlicher Rugby-Fan und spielt selbst! So schaute ich mir auf dem Flug von Dubai nach Jakarta irgendeinen Film an, während sie ihren Lieblingssport verfolgte.
Medina Warda Aulia, WIM aus Indonesien, talentiert und 15 Jahre alt. Dieses Mal hat sie ihre dritte GM-Norm nicht geschafft, aber ich bin sicher, sie hat schon bald jede Menge Gelegenheit dazu.
Die Nummer eins der Setzliste: IM Sophie Milliet aus Frankreich – sie war bei den Jungs aus Jakarta sehr beliebt! Wo immer wir mit Sophie auch waren, wir blieben nicht lange unbemerkt :)
Yulia Kochetkova, WGM aus der Slowakei (Foto: Yovie Insan Nugraha, Turnierfotograf)
Ihre Berichterstatterin – Dank an Yovie, den Fotografen, für das Bild
Dies zeigt, wie ausgeglichen das Turnier war, welchen Kampfgeist wir alle an den Tag legten und … soll zugleich eine kleine Entschuldigung für manch unglücklichen Zug sein. Der Zeitplan war sehr straff, pro Tag wurden zwei Runden gespielt und so kam man schnell auf bis zu 12 Stunden Schach am Tag (Vorbereitung mitgerechnet).
Spielsaal - Natacha Benmesbah gegen Chelsie Sihite
Tiefe Konzentration
Indonesisches Duell
Französisches Duell
Aber ich bin mir sicher, dass alle Teilnehmerinnen mit mir einig sind: wir haben das Turnier wirklich genossen, schon allein wegen des Zimmerservice!
Endstand
Bedenkzeit: 90 Minuten + 30 Sekunden für die ganze Partie
Solch ehrgeiziger Schachmarathon wäre ohne die reibungslose Organisation und die Aufmerksamkeit für das kleinste Detail mit Sicherheit gescheitert. Aber in Anbetracht der Erfahrung, die die Organisatoren im Laufe der vorhergehenden sieben Festivals gewonnen haben, konnte das achte einfach nur phantastisch sein! Vom Abholservice am Flughafen bis zur Wahl des Hotels war alles sorgfältig darauf ausgerichtet, uns ein denkwürdiges Turnier spielen zu lassen. Alles andere hätte mich bei dem Team, das hinter diesem wunderbaren Turnier steckt, auch gewundert: der großzügige Sponsor JAPFA (einer der größten und bekanntesten Lebensmittelkonzerne des Landes), denn wie Sie wissen…geht ohne finanzielle Unterstützung nichts; und natürlich der Indonesische Schachverband (Percasi). Der Vorsitzende des Schachverbands hält auch den indonesischen Elo-Rekord. Es ist niemand anderes als GM Utut Adianto, seit Mai 2009 Senator im indonesischen Parlament. "Hoffentlich erlaubt mir diese Position, das Ansehen des Schachs in Indonesien zu verbessern. Zugleich werde ich mein Möglichstes tun, um so vielen Menschen wie möglich ein besseres Leben zu verschaffen!", erklärte Adianto damals. Was uns Schachspieler betrifft, so hielt er Wort und setzte sich unermüdlich für das Schach ein. Außerdem gründete er zusammen mit Kristianus Liem, Machnan R. Kamaluddin und Eka Putra Wirya eine Schachschule, die eine Reihe erfolgreicher Spieler hervorgebracht hat. Mit anderen Worten: wenn sich Schach und Politik begegnen, dann werden wunderbare Dinge möglich…
Eine bessere Elo-Zahl als dieser Mann hatte noch kein anderer Indonesier: GM Utut Adianto, Senator im indonesischen Parlament und Vorsitzender des Indonesischen Schachverbands. Geht man nach den Reaktionen des Publikums würde ich sagen, seine Reden sind sehr, sehr beliebt! Adianto ist nicht nur eine einflussreiche Figur, sondern auch ein freundlicher, umgänglicher Mensch.
Nicht nur Kinder lieben Süßes. Kristianus Liem und die Damen aus Frankreich
Mittagessen mit dem Turnierorganisator Kristianus Liem
Das köstliche 'gado-gado' – eine indonesische Spezialität aus gekochtem Gemüse mit einem Dressing aus Erdnußsauce.
Ich liiiiiebe, was indonesische Köche aus Bananenblättern machen!
Tatsächlich war der Enthusiasmus aller indonesischen Spieler so ansteckend, dass wir Europäerinnen uns selbst überrascht haben, als wir zusammen mit allen anderen im Spielsaal plötzlich riefen: CATUR – Ja! – INDONESIEN – Jaya! (‘Catur’ bedeutet Schach und ‘jaya’ Sieg) Wie könnte es auch anders sein, wenn die Wärme der Einheimischen einen Quell der Freude und des Glücks darstellt und so gefährlich ansteckend ist?!
Abschlussfeier: Roy Suryo, der Minister für Jugend und Sport mit dem Slogan CATUR - Ja! - INDONESIEN - Jaya!
Die Siegerinnen
Ein ungewöhnlicher Platz für ein Autogramm Natachas! Meistens waren es Kinder, die um ein Autogramm gebeten haben, aber wer hat gesagt, dass man als Fan ein bestimmtes Alter haben muss?!
Paparazzo!!
Aber um ein ausgewogenes Bild meiner Erlebnisse in Jakarta zu zeichnen, sollte ich die schreckliche Rush Hour Jakartas nicht unerwähnt lassen. Der Verkehr in Jakarta scheint ein Eigenleben zu führen und eigenen Regeln zu folgen, denen weder mit Statistik noch Logik beizukommen ist. Er ist unvorhersehbar, allgegenwärtig und hat überraschende Auswirkungen auf den Alltag eines jeden Einzelnen. Ohne U-Bahn-System und bei einer Einwohnerzahl von elf Millionen verwandelt sich die Stadt immer wieder in ein Irrenhaus, einen Wartesaal für die Millionen, die darauf warten, ihr Glück zu machen.
Verkehr-Verkehr-Verkehr: es sollte bestraft werden, wenn während der Rush-Hour weniger als drei Personen in einem Auto sitzen!
Die Straßen sind einfach nicht breit genug und so sind Motorräder in Jakarta sehr beliebt.
Doch für mich war der Verkehr keine Qual, sondern ein kulturelles Erlebnis! Würde ich in Jakarta leben, wäre das wahrscheinlich anders, aber he! Es gibt immer eine Möglichkeit, sich nach einem harten Tag zu entspannen, zum Beispiel durch die 90-minütige Massage, die im Service unseres Hotels inbegriffen war! Drei andere Spielerinnen entschlossen sich nach Ende des Turniers zu einem Kurzurlaub auf Bali! Ist das Leben einer Schachspielerin nicht zumindest …interessant?! Wenn ich das nächste Mal Anstalten mache, mich zu beklagen, dann werde ich mich an meine Worte erinnern.
Doch eigentlich haben wir alle eine kleine Bali-Erfahrung gemacht. Denn nach dem Turnier lud man mich netterweise zu einem Besuch eines Miniaturparks ein, der in Minihabitate unterteilt ist, die typische Attraktionen der verschiedenen Provinzen Indonesiens zeigen. Bei dem Verkehr in Jakarta war die Parkplatzsuche reine Glücksache, aber zufällig fanden wir direkt vor dem Bali-Habitat einen Parkplatz, und dieses Habitat war dann auch das einzige, für das wir Zeit hatten, denn trotz seines Namens ist der Miniaturpark riesig.
Alles in allem: Indonesien macht süchtig. Wenn Sie mit dem Gedanken spielen, einmal dorthin zu fahren, dann betrachten Sie sich als gewarnt! Was mich betrifft, so träume ich davon, bald zurückzukommen; irgendwie habe ich das Gefühl, Bali wartet auf mich.
87% aller Indonesier bezeichnen sich als Moslems und so groß ist die muslimische Mehrheit in nur wenigen anderen Ländern.
Balinesische Rituale
Balinesische Architektur
Balinesischer Tanz – war ich vielleicht doch in Bali?! Nein! Meine Begegnungen mit Bali fanden ausschließlich in Jakarta statt, in Taman Mini, dem Miniaturpark, der die indonesischen Provinzen zeigt. Ich hatte das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und ein Tanzwettbewerb zu sehen!!
Balinesische Tänze haben eine sehr lange Tradition und sind Teil der Religion und der Kunst Balis. Der balinesische Tanz ist dynamisch, kantig und ungeheuer ausdrucksvoll. Besonders beeindruckt haben mich die Augenbewegungen!
Offizielle Webseite: www.inachess.com
Ergebnisse: http://www.chess-results.com/tnr98134.aspx?art=4&lan=27&fed=INA&wi=821