Berlin 28 (I)

von Michael Dombrowsky
24.04.2018 – Ein fantastisches Kandidatenturnier, in Kürze die Bundesliga-Endrunde mit einem 10.000 Euro-Blitzturnier vorweg - so viel Schach wie in diesem Jahr gab es noch nie in Berlin. Doch, gab es - vor 90 Jahren. 1928 war die Weltelite gleich bei drei großen Turnieren in Berlin zu Gast. Die Namen der Sieger, Aron Nimzowitsch, Raoul Capablanca und Efim Bogoljubow, sprechen für sich. Michael Dombrowsky blickt zurück - als erstes auf das verspätete Jubiläumsturnier.

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Berlin 1928 I – Das verspätete Jubiläumsturnier

Bild: Oben von links: Carl Ahues, Lajos Steiner, Berthold Koch, Willi Schlage, Gösta Stoltz, Karl Helling, Friedrich Sämisch, Efim Bogoljubow; sitzend von links: Savielly Tartakower, Richard Reti, Aron Nimzowitsch, Alfred Brinkmann, Dr. Berthold Lasker (Turnierorganisation) und Paul Leonhardt. Es fehlt Paul Johner.

Wäre man ein wenig bösartig und James-Bond-Fan würde man wohl für das Jubiläumsturnier zum 100. Geburtstag der Berliner Schachgesellschaft von 1827 den Titel „Ein Jahrhundert ist nicht genug“ wählen. Schließlich fand das Turnier erst vor 90 Jahren vom 4. – 20. Februar 1928 statt. Warum?

Die alte Weisheit "Manchmal ist weniger mehr" hatten die Verantwortlichen der Berliner Schachgesellschaft offenbar vergessen. In dem Bestreben ein Feuerwerk an hervorragenden Schachveranstaltungen abzubrennen, hatte man den Faktor Zeit außer Acht gelassen. 
Die Serie der Jubiläumsveranstaltungen begann erst im Mai 1927 mit einem Blindsimultan von Großmeister Richard Reti. Dann folgten Vereinsturnier (Sieger Präsident Ehrhardt Post), Berliner Meisterschaft (Berthold Koch vor Kurt Richter) , ein Amateurfestival in mehreren Klassen im Sommer und Mannschaftskämpfe füllten den Kalender zusätzlich.

Um das Meisterturnier kümmerte man sich bei so vielen Angeboten nur stiefmütterlich. Das hatte ja noch Zeit. Und als man begann, war es bereits zu spät: Die Schacholypiade in London, die Turniere im ungarischen Kecskemet, im Londoner Empire Club und selbst die Veranstalter der Freien Schachvereinigung hatten ihre Großmeister für den Herbst längst verpflichtet. Also fügte man sich in sein Schicksal und feierte den krönenden Abschluss des Jubiläumsjahres am 3. Dezember 1927 im Berliner Rathaus mit viel Prominenz, obwohl das "Jubiläumsturnier 1927" erst am 3. Februar 1928 begann.

Gespielt wurde in den Räumen der Berliner Schachgesellschaft. Man hatte 1913 die Räumlichkeiten im dritten und vierten Stockwerk eines Büro- und Geschäftshauses Kantstraße 8-9 angemietet. Gleich neben dem "Theater des Westens" spielte die Gesellschaft bis das Haus im Bombenhagel 1944 in Schutt und Asche gelegt wurde.

 

Die Kantstraße um 1900

In der dritten Etage fand am 3. Februar 1928 die Auslosung statt. Alle 14 Teilnehmer waren pünktlich erschienen: Carl Ahues, Efim Bogoljubow, Alfred Brinkmann, Karl Helling, Berthold Koch, Paul Leinhardt, Friedrich Sämisch und Willi Schlage aus Deutschland, dazu die Großmeister Aron Nimzowitsch, Dr. Savielly Tartakower, Richard Reti sowie Paul Johner und Gösta Stoltz.

Für diesen Freitagabend hatten die Organisatoren eine Weltpremiere vorbereitet: Nach der Auslosung wurde jeder Spieler live für das Radio interviewt. Eine tolle Sache, wenn man bedenkt, dass erst vor gut vier Jahren die erste Rundfunksendung (der 29. Oktober 1923 gilt als Geburtsstunde des Rundfunks in Deutschland) zu hören gewesen war. Vielleicht hatte dazu beigetragen, dass die Gesellschaft im Sommer 1927 in den Berliner Messehallen ein Turnier für die Schach-Rundfunkleiter organisiert hatte.

Die meisten Meister sagten das, was Fußballspieler und andere Sportler noch heute sagen. Das letzte Gespräch wurde mit Karl Helling geführt. Der junge Mann aus Luckenwalde, der zum ersten Mal an einem internationalen Meisterturnier teilnahm, bewies Humor. Dieser letzte Platz am Mikrofon sei Ansporn, sich von diesem schlechten Platz emporarbeiten zu können.

Helling konnte. Der studierte Ingenieurwissenschaftler kletterte weit nach oben. Am Ende landete er auf dem fünften Platz, der erste hinter den Preisträgern. Doch den Preis für das beste Ergebnis gegen die Preisträger bekam er nicht. Den schnappte ihm Lajos Steiner weg. Die 200 Mark sicherte sich der Ungar mit einer ungewöhnlichen Turnierleistung. Er holte drei Punkte und zwar mit Siegen gegen Nimzowitsch, Bogoljubow und Tartakower! Gegen die letzten Vier gab es für Steiner nur einen Punkt. Helling wurde als erfolgreichster Neuling mit 100 Mark und einem silbernen Rauchservice belohnt. Er spielte weiter erfolgreich und wurde für die Schach-Olympiade 1931 in Prag in das deutsche Team berufen. Hellings Karriere endete plötzlich. Er starb 1937, wenige Tage nach seinem 33. Geburtstag.

Die anderen drei Spieler, die ihren ersten internationalen Auftritt hatten, landeten auf den letzten drei Rängen. Doch Gösta Stoltz machte seinen Weg. Der Schwede feierte große Erfolge in den 40iger und 50iger Jahren und wurde 1954 zum Großmeister ernannt. Bernhard Koch, der baumlange Berliner, hatte sich mit dem Gewinn der Berliner Meisterschaft 1927 (vor Kurt Richter) für das Turnier qualifiziert. Später wurde Koch Internationaler Meister, viermal Meister der DDR und vertrat die DDR zweimal bei Schach-Olympiaden. Jahrzehntelang war er Redakteur bei der Zeitschrift "Schach".

Bleibt noch Willi Schlage. Den damals 40jährigen nannte man in Berlin einen „bunten Hund“. Zwar war der Versicherungsvertreter zweimal Berliner Meister geworden, aber seine Teilnahme verdankte er seine guten Beziehungen zum BSG-Präsidenten Ehrhardt Post. Schlage wurde bei den Nazis im Großdeutschen Schachbund Bundestrainer und betreute dabei Nachwuchsspieler wie Edith Keller-Hermann, Klaus Junge und Wolfgang Unzicker. Er starb 1940 an einem Schlaganfall. Dennoch erlangte Schlage nach seinem Tod zweimal weltweiten Ruhm. 1974 gab die Republik Mali eine Viererserie Briefmarken unter dem Titel "Großmeister im Schach" heraus. Zu sehen sind: Alexander Aljechin, Efim Bogoljubow, David Janowski und – Willi Schlage. Außerdem ließ Filmregisseur Stanley Kubick seine Schauspieler im Film "2001- Odyssee im Weltraum" eine Partie nachspielen, die Willi Schlage 1910 in Hamburg gewonnen hatte.

Schon vor der ersten Runde am Sonnabend gab es Ärger. Obwohl das Eintrittsgeld mit zwei Mark ziemlich üppig war, überraschte der Andrang. Er war so groß, dass man nach einigen Minuten den Verkauf von Eintrittskarten einstellte. Die rund 300 Schachliebhaber, die draußen bleiben mussten, machten lautstark ihrem Unmut Luft. Die Meister bekamen davon nichts mit; die an Fenstern und Türen gehängten dicken Teppiche gewährleisteten die Ruhe im Spielsaal.

Nach spannenden Kämpfen setzten sich die Favoriten durch. Aron Nimzowitsch erhielt für seinen Sieg 2000 Mark, Efim Bogoljubow als Zweiter 1000 Mark und Dr. Savielly Tartakower als Dritter 600 Mark bekam. Es war eine Überraschung, dass Paul Johner den vierten Platz belegte. Der Schweizer, der die längste Zeit seines Lebens in Berlin lebte, freute sich über 400 Mark. Als Cellist in verschiedenen Orchestern und als Musiklehrer verdiente er seinen Lebensunterhalt nicht nur beim Schach.

 

 

 

 

 

 

 


Michael Dombrowsky war fast 40 Jahre als Redakteur bei verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften tätig. Als Rentner begann er Bücher zu schreiben. Das erste Schachbuch auf dem Markt sind die „Berliner Schachlegenden“.

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