Blümich gegen Fajarowicz

von ChessBase
23.06.2006 – Die Namen der beiden Leipziger Meister Reinhold Max Blümich und Sammi Fajarowicz sind nur noch wenigen Schachfreunden bekannt. Mit dem nach ihm benannten Gambit hat sich Sammi Fajarowicz immerhin dauerhaft in der Eröffnungstheorie eingetragen. Max Blümich war nicht nur ein starker Spieler, sondern hat als Funktionär im sächsischen Schachverband, als Organisator und als Redakteur der Deutschen Schachzeitung sehr viel für das deutsche Schach geleistet. Mit seinem Namen ist jedoch auch die antisemitische Umarbeitung des Lehrbuches von Dufresne und Mieses verbunden, bei der in der Auflage von 1941 die Namen jüdische Schachspieler getilgt wurden, bzw jüdische Schachspieler nur noch mit Niederlagen vertreten waren. Bei den von der neuen Leipziger Zeitung organisierten Leipziger Meisterschaft von 1930 landeten beide Spieler punktgleich auf dem ersten Platz und ein Stichkampf wurde nötig. Peter Anderberg hat die Partien im Leipziger Staatsarchiv wieder entdeckt. Diese werden hier erstmals seit der Erstveröffentlichung von 1930 wiedergegeben. Mehr...

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Blümich gegen Fajarowicz
von Peter Anderberg


Reinhold Max Blümich (Deutsche Schachblätter), Sammi Fajarowicz (Archiv Alfred Diehl)


Die beiden sächsischen Meister Reinhold Max Blümich (geb. 3. November 1886, gest. 23. Februar 1942 in Falkenberg) und Sammi Fajarowicz (geb. 5. Juni 1908 in Möckern bei Leipzig, gest. 4. Juli 1940 in Leipzig) gehörten zu den stärksten Spielern im Leipzig der 20er und 30er Jahre. Während Max Blümich nicht nur als Spielpraktiker und Funktionär, sondern auch als Redakteur der Deutschen Schachzeitung und als Schachschriftsteller hervorgetreten ist - u. a. bearbeitete er die 15. Auflage (1941) des Lehrbuchs von Dufresne und Mieses, in der die Namen jüdischer Schachmeister weitgehend getilgt waren -, dürfte Fajarowicz den meisten Spielern der Gegenwart nur noch als Erfinder des nach ihm benannten Abspiels des Budapester Gambits geläufig sein. Einen Überblick über ihre Aufeinandertreffen am Schachbrett soll der folgende Beitrag geben.

In den Turnieren der Neuen Leipziger Zeitung um die Meisterschaft von Leipzig trafen beide erstmals in der Finalrunde 1928 aufeinander. Blümich gewann das Turnier mit 9 Punkten aus 11 Partien, Fajarowicz belegte Rang 3.

Leipzig-ch 1928    1  2  3  4  5  6  7  8  9 10 11 12 Pkt
1  Blümich, M      X  0  ½  1  1  1  1  ½  1  1  1  1  9
2  Riemann, H      1  X  ½  ½  1  1  ½  1  ½  1  1  0  8

3  Fajarowicz, S   ½  ½  X  1  1  0  1  1  1  1  ½  0  7½
4  Woog, F         0  ½  0  X  1  ½  0  1  ½  1  1  1  6½

5  Müller, W       0  0  0  0  X  1  ½  0  1  ½  1  1  5
6  Reininger, J    0  0  1  ½  0  X  ½  ½  1  0  ½  1  5
7  Schroeder, M    0  ½  0  1  ½  ½  X  0  ½  0  1  1  5
8  Treumann, G     ½  0  0  0  1  ½  1  X  0  0  1  1  5
9  Marschner, J    0  ½  0  ½  0  0  ½  1  X  1  0  1  4½
10 Woijtech, G     0  0  0  0  ½  1  1  1  0  X  0  1  4½
11 Anton, R        0  0  ½  0  0  ½  0  0  1  1  X  ½  3½
12 Heyde, E        0  1  1  0  0  0  0  0  0  0  ½  X  2½ 

(Neue Leipziger Zeitung, 20. März 1928, Seite 7)

Im Folgejahr konnte Blümich den Titel erfolgreich verteidigen. Fajarowicz erreichte wiederum Platz 3. Ihre direkte Begegnung konnte Blümich in einer positionell interessanten Partie mit Qualitätsopfer für sich entscheiden.

Blümich - Fajarowicz vom 08.02.1929...

Aber nicht nur in den Turnieren um die Meisterschaft von Leipzig, sondern auch im Rahmen der Mannschaftskämpfe des Leipziger Schachverbandes trafen beide aufeinander. So kam es am 12. Dezember 1929 am Spitzenbrett der Begegnung Augustea Leipzig - Helvetia Leipzig zu folgender Kurzpartie:

Fajarowicz – Blümich vom 12.12.1929...

Die Finalrunde des Turniers um die Meisterschaft von Leipzig 1930 endete in einem toten Rennen, da sowohl Fajarowicz als auch Blümich jeweils 8,5 Punkte aus 11 Partien für sich verbuchen konnten:

Leipzig-ch 1930    1  2  3  4  5  6  7  8  9 10 11 12 Pkt
1  Blümich, M      X  ½  1  0  1  ½  ½  1  1  1  1  1  8½

2  Fajarowicz, S   ½  X  ½  1  ½  ½  ½  1  1  1  1  1  8½

3  Mundsztuk, J    0  ½  X  0  1  ½  1  1  1  1  1  1  8

4  Anton, R        1  0  1  X  ½  0  0  1  1  1  1  1  7½

5  Müller, W       0  ½  0  ½  X  1  ½  1  1  1  1  1  7½
6  Normann, C      ½  ½  ½  1  0  X  ½  1  ½  0  1  1  6½

7  Kort, S         ½  ½  0  1  ½  ½  X  ½  0  ½  1  1  6

8  Rapeport, J     0  0  0  0  0  0  ½  X  1  1  1  1  4½
9  Braun, O        0  0  0  0  0  ½  1  0  X  1  1  ½  4

10 Rennert, P      0  0  0  0  0  1  ½  0  0  X  1  ½  3
11 Friedrich, A    0  0  0  0  0  0  0  0  0  0  X  1  1
12 Krußig, W       0  0  0  0  0  0  0  0  ½  ½  0  X  1

(Neue Leipziger Zeitung, 10. April 1930, Seite 7)


Während die beiden Geldpreise gemäß Reglement geteilt wurden, musste über den Titel ein Stichkampf entscheiden, in dem siegreich sein sollte, wer als erster drei Gewinnpartien aufweisen konnte. Blümich berichtete in der Neuen Leipziger Zeitung ausführlich über den Entscheidungskampf, der im Spiellokal der Schachgesellschaft Augustea (Lehrervereinshaus, Kramerstraße 4/6) ausgetragen wurde. Nach jedem Spieltag konnte man im Sportteil des Blattes eine detaillierte Schilderung des Spielverlaufs lesen, und in seiner sonntäglichen Schachrubrik publizierte Blümich nach und nach alle Partien mit Anmerkungen.

In der ersten Wettkampfpartie am Dienstag, den 6. Mai 1930 nutzte Blümich als Anziehender die Gelegenheit zu doppeltem Bauerngewinn. Fajarowicz erhielt jedoch als Kompensation lebhaftes Figurenspiel, das schließlich zu Qualitätsgewinn und zu einem für ihn gewonnenen Endspiel führte.

1. Wettkampfpartie....

In der zweiten Wettkampfpartie wählte Blümich abermals die Caro-Kann-Verteidigung, erzielte schnell Ausgleich und kam nach der Eröffnung in entscheidenden Vorteil. In den weiteren Partien des Stichkampfes sollte Fajarowicz von dem ansonsten von ihm bevorzugten Eröffnungszug 1.e2-e4 Abstand nehmen.

2. Wettkampfpartie...

Die am härtesten umkämpfte Partie war die dritte, die zwei Mal abgebrochen werden musste. In einem Springerendspiel versuchte Fajarowicz, einen entfernten Freibauern zu verwerten, musste sich jedoch nach dramatischen Verwicklungen mit Remis begnügen.

3. Wettkampfpartie...

Auch die vierte Partie endete remis.

4. Wettkampfpartie...

In der fünften Wettkampfpartie konnte Fajarowicz das von ihm ersonnene Gambit zur Anwendung bringen, mit dem er zum ersten Mal in Wiesbaden 1928 an die Öffentlichkeit getreten war:

H. Steiner - Fajarowicz, Wiesbaden 1928...

5. Wettkampfpartie...

Nach fünf Partien stand es unentschieden 1 : 1 bei drei Remis. In den beiden folgenden Partien setzte sich jedoch die größere Routine Blümichs durch, und so konnte er zum dritten Mal in Folge den Titel „Meister von Leipzig“ erringen.

6. Wettkampfpartie...

7. Wettkampfpartie...


Vor Beginn des Hauptturniers A des Deutschen Schachbundes in Frankfurt am Main schilderte Blümich in einem „Leipzig, den 4. September 1930“ datierten Brief an Paul Krüger seine Eindrücke nach dem Stichkampf: "Der kleine Fajarowicz geht mit großen Hoffnungen nach Frankfurt. Ich bin neugierig. Ausgeschlossen ist nicht, daß ihm  der große Wurf gelingt, wenn ich auch eher weiß als er, daß es auch schief gehen kann." (Hamburger Nachrichten, 12.09.1930)

Blümichs Einschätzung erwies sich als zutreffend: Fajarowicz erreichte in Frankfurt mit 9 Punkten aus 15 Partien nur Platz 5 und verfehlte damit sein Ziel, den Meistertitel des DSB zu erlangen.


Zeichnung: Max Zschoch (Neue Leipziger Zeitung, 23.12.1930)

 

Im folgenden Spieljahr gelang Fajarowicz ein anderer „großer Wurf“: mit 9 Punkten aus 11 Partien in der Endrunde wurde er erstmals „Meister von Leipzig“.  

Leipzig-ch 1931    1  2  3  4  5  6  7  8  9 10 11 12 Pkt
1  Fajarowicz, S   X  0  1  1  ½  ½  1  1  1  1  1  1  9

2  Blümich, M      1  X  1  1  0  0  1  ½  1  1  1  1  8½
3  Mundsztuk, J    0  0  X  1  0  1  1  +  1  1  1  1  8
4  Normann, C      0  0  0  X  1  1  ½  1  1  1  1  1  7½

5  Anton, R        ½  1  1  0  X  0  1  ½  ½  ½  1  1  7

6  Krause, K       ½  1  0  0  1  X  ½  ½  ½  1  1  1  7
7  Riemann, H      0  0  0  ½  0  ½  X  1  0  1  1  +  5

8  Braun, O        0  ½  -  0  ½  ½  0  X  1  1  0  1  4½

9  Krußig, W       0  0  0  0  ½  ½  1  0  X  ½  1  1  4½
10 Poetzsch, K     0  0  0  0  ½  0  0  0  ½  X  0  1  2
11 Röß, L          0  0  0  0  0  0  0  1  0  1  X  0  2
12 Rennert, P      0  0  0  0  0  0  -  0  0  0  1  X  1

"Fajarowicz verdankt diesen schönen Erfolg seinem gesunden, unternehmungslustigen und doch sicheren Spiel. Im Notfall scheut er sich auch nicht, etwas zu riskieren." (Blümich in der Neuen Leipziger Zeitung, 10. April 1931, Seite 7)

Allerdings hatte Blümich die Genugtuung, ihm im direkten Aufeinandertreffen die einzige Niederlage beizubringen:

Partie vom 25.11.1930...

Dass ihm gegen Blümichs Caro-Kann-Verteidigung abermals kein befriedigender Spielaufbau gelang, mag Fajarowicz dazu bewogen haben, ein ganz neues Konzept zu ihrer Bekämpfung zu entwerfen: nämlich in der Vorstoßvariante 3.e4-e5 auf den Abtausch der weißfarbigen Läufer zu verzichten und den Läufer f5 so zum Angriffsobjekt zu machen. Die erste veröffentlichte Partie dazu spielte er nur drei Wochen später:

Fajarowicz - Normann...

In den Turnieren um die Meisterschaft von Leipzig 1932 und 1933 endeten beide Begegnungen Blümichs mit Fajarowicz unentschieden: 1932 nach 68 Zügen, im Folgejahr sogar erst nach 92 Zügen. 1932 errang Blümich seinen vierten Titel, 1933 wurde Fajarowicz zum zweiten Mal Meister von Leipzig.

Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 kam es auch innerhalb der Schachorganisation zum Ausschluss der Juden aus dem öffentlichen Leben. Schon am 12. April 1933 berichtete die Neue Leipziger Zeitung, dass der Leipziger Schachverband durch Rundschreiben mitgeteilt habe, dass der jüdische Verein „Bar Kochba“, dem Fajarowicz angehörte, aus dem Verband ausgeschlossen worden sei. Auch zur Teilnahme am Sächsischen Schachkongress in Thum im Erzgebirge (14. bis 18. April 1933) waren Juden nicht mehr zugelassen. Zu weiteren Begegnungen Blümich - Fajarowicz dürfte es daher nicht mehr gekommen sein.

Verwendete Literatur:

Deutsche Schachblätter 1928 - 1933
Deutsche Schachzeitung 1928 - 1933
Hamburger Nachrichten 1930


Kaissiber Nr. 16
Neue Leipziger Zeitung 1928 - 1933
Schachwart 1928

 

 

 

 


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