Bundesliga startet ohne Überraschungen - fast!

von Klaus Besenthal
15.10.2016 – Die Schachbundesliga ist heute mit der 1. Runde in die Saison 2016/17 gegangen. Titelverteidiger SG Solingen gewann 5,5:2,5 gegen die Schachfreunde Berlin; der andere Topfavorit OSG Baden-Baden schlug den FC Bayern München mit 6:2. Und der Verfasser dieses Berichts stand in Hamburg - überraschend! - neben einem leibhaftigen Exweltmeister. Mehr...

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Tabelle der Schachbundesliga nach der 1. Runde

 1. SV Werder Bremen           1  2   6½ 
 2. SV Mülheim Nord            1  2   6½ 
 3. OSG Baden Baden            1  2   6 
 4. SV Hockenheim              1  2   5½ 
 5. SG Solingen                1  2   5½ 
 6. Speyer-Schwegenheim        1  2   4½ 
 7. USV Dresden                1  2   4½ 
 8. SG Trier                   1  1   4 
 9. SK Schwäbisch Hall         1  1   4 
10. DJK Aachen                 1  0   3½ 
11. MSA Zugzwang               1  0   3½ 
12. Schachfreunde Berlin       1  0   2½ 
13. Hamburger SK               1  0   2½ 
14. FC Bayern München          1  0   2 
15. SK König Tegel             1  0   1½ 
16. SV Griesheim               1  0   1½ 

Hamburg

Wie funktioniert die Liveübertragung eines Bundesligakampfes ins Internet eigentlich genau? Verwendet werden hierfür "DGT-Bretter", wobei "DGT" der Name eines niederländischen Unternehmens ist (ausgeschrieben: "Digital Game Technology"), das sozusagen die "Hardware" für Schachübertragungen produziert. Ein solches Brett enthält in seinem Inneren elektronische Sensoren, die exakt "erfühlen" können, wenn eine Figur angehoben und auf ein anderes Feld gestellt wird. Ausgehend von der Ausgangsstellung ist natürlich auch klar, um welche Art von Figur es sich genau handelt. Der ebenfalls im Inneren des Brettes befindliche Computerchip (bzw. die darauf ablaufende Software) baut aus den vorliegenden Informationen dann einfach nach jedem Zug einen strukturierten Datensatz auf, der - ergänzt um Informationen von der Schachuhr - an einen in der Nähe aufgestellten Laptop bzw. PC übertragen wird. Diese Übertragung ist grundsätzlich per "Bluetooth", also drahtlos, möglich. Beim Bundesligakampf in Hamburg hatte man aber lieber Kabel verlegt; angesichts von 16 Brettern und anderen "Störquellen" zuhauf ist das definitiv sicherer.

Wer genau hinschaut, kann vor der Wand die - mit Klebeband noch einmal extra gesicherte - "Verkabelung" erkennen. Hier laufen weder Zuschauer noch Spieler entlang, doch man weiß nie - für den Fall eines "Unfalls" muss ein Sachkundiger während des ganzen Kampfes vor Ort bleiben, um bei Bedarf die Verkabelung schnell reparieren zu können.

Das Notebook benötigt dann eine Software, die die von den Brettern gesendeten Datensätze lesen kann, und natürlich eine Internetverbindung, über die die Informationen in die Welt hinausgeschickt werden können. Wer die Partien übertragen möchte, so wie es ChessBase auf dem playchess.com-Server tut, der muss dann auf seiner Internetseite die entsprechenden programmiertechnischen Vorkehrungen treffen. Man sieht: Eine Vielzahl von Hardwarekomponenten muss reibungslos kommunizieren, was wiederum voll funktionsfähige Software auf den einzelnen Komponenten erfordert. Für den Fall einer Störung müssen alle beteiligten Parteien kurzfristig Personal bereithalten, das vom Know-How her in der Lage ist, die Störung schnell zu beseitigen. Man kann vor diesem Hintergrund schon verstehen, dass manch ein Vereinsvorstand auf einen Bundesligaaufstieg am liebsten verzichten würde...

Hier laufen die Daten von den einzelnen "DGT"-Brettern zusammen

Gespielt wurde in der Kantine der "Signal Iduna"-Versicherung, wo an Wochentagen die Mitarbeiter mit diesen Plakaten auf den Geschmack fürs Mittagessen gebracht werden sollen

Aber auch die Schachmeister mussten heute nicht hungern

Am Eingang wurde man bereits vom amtierenden Weltmeister begrüßt, wenn auch nur von einem Filmplakat aus

Einer der Vorgänger von Magnus Carlsen stand dann aber plötzlich in Fleisch und Blut neben dem Berichterstatter: Anatoly Karpov, Spitzenbrett beim SV 1930 Hockenheim

Der Autor dieses Artikels war 13 Jahre alt, als Karpov den Weltmeistertitel - kampflos - von dem großen Bobby Fischer übernahm. Es folgte dann eine Reihe absolut legendärer Titelkämpfe zwischen Karpov und Viktor Kortschnoi, dem aus beider Heimatland, der Sowjetunion, emigrierten "Dissidenten". Damals waren viele junge Menschen im Westen "links" und hatten, aus sicherer Entfernung heraus, durchaus Sympathien für die Sowjetunion, doch die meisten hielten es wohl eher mit dem "Rebellen" Kortschnoi - schlagen konnte dieser Karpov nie, auch wenn die Umstände teilweise wirklich dubios waren.

Schlägt man den Bogen in die Gegenwart, dann stellt man hin und wieder fest, dass ganz junge, hochbegabte Spieler beim Namen "Karpov" erst einmal überlegen müssen. Und so hatte das Erscheinen des Ex-Weltmeisters heute in Hamburg, im eleganten schwarzen Anzug und weißen Hemd, das Gesicht wie aus Marmor gemeißelt, tatsächlich einen Hauch von (um noch einmal eine sprachliche Anleihe im Jahr 1975 zu machen) "Großem Vorsitzendem", der bei der Jugend mal nach dem Rechten sehen will. Kein Zweifel: Dieser Mann hat eine beeindruckende, einzigartige Aura!

Gespielt hat Karpov dann natürlich auch noch; wie er sich gegen GM Robert Kempinski vom HSK geschlagen hat, finden Sie weiter unten beschrieben.

Und nun zum eigentlichen Geschehen im Turniersaal. In Hamburg sahen die Zuschauer heute zwei deutliche Favoritensiege:

Hamburger SK              2½-5½ SV Hockenheim            
 4 Kempinski,Robert       0 : 1 Karpov,Anatoly          1
 6 Svane,Rasmus           ½ : ½ Howell,David W L        5
10 Ftacnik,Lubomir        ½ : ½ Buhmann,Rainer          6
11 Lampert,Jonas          0 : 1 Balogh,Csaba            8
12 Rogozenco,Dorian       ½ : ½ Wagner,Dennis           9
13 Kollars,Dmitrij        ½ : ½ Moiseenko,Alexander    10
14 Carlstedt,Jonathan     ½ : ½ Baramidze,David        12
15 Heinemann,Thies        0 : 1 Braun,Arik             13

Reinhard Ahrens, Bundesligamanager des HSK, hielt die Begrüßung extrem kurz, ließ es sich aber nicht nehmen, Karpov explizit anzusprechen

Deutschlands Nr. 4, Rainer Buhmann, und HSK-Urgestein Lubomir Ftacnik spielten remis

Rasmus Svane ist bei der in einer Woche beginnenden deutschen Meisterschaft der Topfavorit; gegen David Howell gab es heute ein Remis

Wie hat er nun gespielt, der Exweltmeister? Entspannt, aber konzentriert und hellwach, könnte man vielleicht sagen. Oder einfach so: Anatoly Karpov spielte heute stark!

 

Lässiger, aber souveräner Auftritt des Exweltmeisters Anatoly Karpov gegen Robert Kempinski

SV Werder Bremen          6½-1½ SV Griesheim             
 2 Areshchenko,Alexander  ½ : ½ Tazbir,Marcin           5
 3 McShane,Luke J         1 : 0 Jarmula,Lukasz          6
 4 Bluebaum,Matthias      1 : 0 Walter,Stefan           7
 5 Efimenko,Zahar         1 : 0 Baskin,Robert           8
 6 Edouard,Romain         1 : 0 Grimm,Julius            9
 8 Nyback,Tomi            1 : 0 Koehler,Ronald         10
12 Markgraf,Rolf-Alexande ½ : ½ Grabarczyk,Bogdan      11
14 Koop,Thorben           ½ : ½ Spitzl,Vinzent         17

Spitzenpaarung beim Kampf SV Griesheim - SV Werder Bremen: Marcin Tazbir - Alexander Areshchenko remis

Matthias Blübaum, Nummer 3 in Deutschland, holte gegen Stefan Walter einen Sieg für den SV Werder

Die Spieler des SV Werder kleiden sich gerne in der Vereinsfarbe grün: Thorben Koop holte gegen Vinzent Spitzl ein Remis für die Bremer

Solingen

Die SG Solingen erledigte die Pflichtaufgabe gegen die nominell unterlegenen Schachfreunde Berlin völlig souverän. Dass man mit einem halben Brettpunkt Rückstand auf die OSG Baden-Baden in die Saison gestartet ist, wird in Solingen wohl niemanden ernsthaft bekümmern.

SG Solingen               5½-2½ Schachfreunde Berlin     
 2 Harikrishna,Pentala    ½ : ½ Piorun,Kacper           3
 3 Rapport,Richard        ½ : ½ Kraemer,Martin          5
 4 Ragger,Markus          ½ : ½ Mista,Aleksander        6
 7 Smeets,Jan             ½ : ½ Schreiner,Peter        10
 8 L'Ami,Erwin            ½ : ½ Lauber,Arnd            12
10 Nikolic,Predrag        1 : 0 Baldauf,Marco          13
12 Naumann,Alexander      1 : 0 Agopov,Mikael          14
14 Andersen,Mads          1 : 0 Thiede,Lars            15

Für den Bundesligarückkehrer SK König Tegel war der SV Mühlheim Nord definitiv eine ganz harte Nuss. Kein Wunder, immerhin hatten die Mühlheimer am Spitzenbrett einen der absoluten Superstars der Schachszene ans Brett bringen können: den tschechischen GM David Navara.

SV Mülheim Nord           6½-1½ SK König Tegel           
 1 Navara,David           1 : 0 Stern,Rene              1
 3 Tregubov,Pavel V.      ½ : ½ Rabiega,Robert          2
 4 Fridman,Daniel         ½ : ½ Richter,Michael         3
 5 Landa,Konstantin       1 : 0 Moreno Tejera,Emilio    4
 6 Berelowitsch,Alexander ½ : ½ Bruedigam,Martin        6
 7 Levin,Felix            1 : 0 Fruebing,Stefan         7
11 Saltaev,Mihail         1 : 0 Sarbok,Torsten          8
12 Dinstuhl,Volkmar,Dr.   1 : 0 Breier,Andreas         11

Schwäbisch Hall

Anatoly Karpov in Hamburg - das war nicht die einzige kleinere Überraschung an diesem Spieltag. Als eine solche hätte man vor der Saison wohl auch das Unentschieden zwischen dem SK Schwäbisch Hall und der SG Trier angesehen, doch bei Schwäbisch Hall hatte man heute nicht die nominell stärkste Mannschaft an die Bretter gebracht, und so war der Elovorsprung gegenüber den Trierern plötzlich gar nicht mehr so groß. Es war unter dem Strich ein Duell auf Augenhöhe.

SK Schwäbisch Hall        4 - 4 SG Trier                
 5 Matlakov,Maxim Sergeev ½ : ½ Erdos,Viktor            2
 6 Laznicka,Viktor        ½ : ½ Lupulescu,Constantin    3
 7 Gharamian,Tigran       ½ : ½ Parligras,Mircea-Emili  4
 9 Cornette,Matthieu      ½ : ½ Gledura,Benjamin        5
11 Michalik,Peter         ½ : ½ Bobras,Piotr            7
12 Wirig,Anthony          ½ : ½ Graf,Felix              8
13 Womacka,Mathias        ½ : ½ Gonda,Laszlo           12
16 Zpevak,Pavel           ½ : ½ Galyas,Miklos          13

Auch Aufsteiger DJK Aachen schaute heute in die Röhre, wenn auch nur knapp. Bei den siegreichen Dresdnern hat sich Jungstar Roven Vogel mittlerweile als feste Größe etabliert. Auch heute gab es wieder einen sicheren Sieg für ihn:

 
USV Dresden               4½-3½ DJK Aachen               
 2 Almasi,Zoltan          1 : 0 Nijboer,Friso           6
 3 Nisipeanu,Liviu-Dieter ½ : ½ Dambacher,Martijn       7
 4 Bartel,Mateusz         ½ : ½ Swinkels,Robin          8
 6 Socko,Bartosz          1 : 0 Hoffmann,Michael       10
 7 Paehtz,Elisabeth       0 : 1 Zaragatski,Ilja        11
 9 Vogel,Roven            1 : 0 Braga,Fernando         12
11 Moehn,Hans             0 : 1 Braun,Christian        13
16 Hoffmann,Paul          ½ : ½ Di Benedetto,Edoardo   16

München

Bei der OSG Baden-Baden wird man sich ganz gewiss den im letzten Jahr an die Solinger verlorenen Titel eines Deutschen Mannschaftsmeisters wieder zurückholen wollen. Erfreulicherweise wurde diese Unterfangen heute auch von Deutschlands Nr. 5 unterstützt - kleine Überraschung Nr. 3: Jan Gustaffson war in der Bundesliga wieder mal am Brett. So spielte er:

 
FC Bayern München         2 - 6 OSG Baden Baden          
 1 Bezold,Michael         0 : 1 Wojtaszek,Radoslaw      6
 3 Fedorovsky,Michael     0 : 1 Adams,Michael           7
 5 Dragnev,Valentin       0 : 1 Bacrot,Etienne         10
 8 Schenk,Andreas         ½ : ½ Shirov,Alexei          11
 9 Belezky,Alexander      0 : 1 Naiditsch,Arkadij      12
10 Ribli,Zoltan           ½ : ½ Movsesian,Sergei       13
14 Reich,Thomas           0 : 1 Gustafsson,Jan         16
15 Meister,Peter          1 : 0 Martin,Julian          17

Beim Duell zwischen dem Münchener MSA Zugzwang und der SG Speyer-Schwegenheim trafen in Runde 1 gleich zwei Aufsteiger aufeinander. Die Punkte wanderten von der bayerischen Landeshauptstadt an den Rhein - dort liegt nämlich Speyer!

MSA Zugzwang              3½-4½ Speyer-Schwegenheim      
 1 Bromberger,Stefan      0 : 1 Neiksans,Arturs         1
 2 Kindermann,Stefan      ½ : ½ Kantans,Toms            3
 3 Mons,Leon              ½ : ½ Horvath,Adam            5
 4 Hertneck,Gerald        ½ : ½ Nemeth,Miklos           7
 5 Schramm,Christian      0 : 1 Kovacs,Gabor            8
 6 Zysk,Robert            1 : 0 Shytaj,Luca,Dr.        10
 7 Gerigk,Erasmus         0 : 1 Csonka,Attila Istvan   12
10 Lammers,Markus         1 : 0 Flierl,Pascal          15

Partien 

 

Klaus Besenthal ist ausgebildeter Informatiker und ein begeisterter Hamburger Schachspieler. Die Schachszene verfolgt er schon seit 1972 und nimmt fast ebenso lange regelmäßig selber an Schachturnieren teil.

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