Caro-Kann vor Caro und Kann - Ein Streifzug durch die Frühzeit der Caro-Kann-Verteidigung

von Stephan Oliver Platz
11.04.2020 – Die Caro-Kann-Verteidigung galt immer schon als solide Waffe gegen 1.e4 - u.a. Ex-Weltmeister Anatoly Karpow hat sie oft und erfolgreich angewandt. In neuerer Zeit haben beide Seiten viele neue kämpferische Element eingebracht. Mit der Frühgeschichte dieser Eröffnung hat sich Stephan Oliver Platz befasst.

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Caro-Kann vor Caro und Kann

Ein Streifzug durch die Frühzeit der Caro-Kann-Verteidigung

Die Caro-Kann-Verteidigung 1. ... c7-c6 gilt heute als eine der sichersten und besten Antworten auf 1.e2-e4. Der bescheiden anmutende Zug bereitet die Zentrumsbesetzung durch d7-d5 vor. Eigentlich ein sehr einleuchtender und logischer Plan, der jedoch lange brauchte, ehe er Anerkennung und Eingang in die zeitgenössischen Schachlehrbücher fand. In diesem Beitrag möchte ich mich ein wenig mit den Anfängen dieser originellen und modernen Verteidigung beschäftigen.

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Die Caro-Kann-Verteidigung ist benannt nach Horatio Caro (1862 - 1920) und Marcus Kann (1820 - 1886). In Hamburg 1885 bezwang der aus Österreich-Ungarn stammende Marcus Kann mit dieser Eröffnung Jacques Mieses in nur 17 Zügen. In den darauffolgenden Jahren (1886-1888) veröffentlichte der damals in Berlin lebende Engländer Horatio Caro in der Schachzeitschrift „Brüderschaft“ drei Beiträge über 1. … c7-c6 und legte damit die Grundlage für die theoretische Erforschung der Caro-Kann-Verteidigung.

 

 Horatio Caro, Co-Namensgeber der Caro-Kann-Verteidigung

Wenn man jedoch nach den frühesten mit dieser Eröffnung gespielten Partien sucht, so stößt man auf andere Namen. Wer spielte als Erster Caro-Kann und welche Beweggründe führten zum Entstehen dieser Eröffnung?

Die Theorie weiß von nichts

Als im Jahre 1843 die erste Auflage des berühmten „Handbuch des Schachspiels“ von Paul Rudolph von Bilguer und Tassilo von Heydebrand und der Lasa erschien, beachteten die Theoretiker die Eröffnung 1.e2-e4 c7-c6 noch nicht. Auch das „Chess Player's Handbook“ von Howard Staunton aus dem Jahre 1847 behandelt sie nicht, ebenso wenig das ein Vierteljahrhundert spätererschienene „Große Schach-Handbuch“ von Johannes Hermann Zukertort und Jean Dufresne. Und warum auch hätten die Theoretiker den Zug 1. ... c7-c6 besprechen sollen, wurde er doch damals kaum jemals gespielt. Als Antwort auf 1.e2-e4 wurden in jener Zeit eigentlich nur die Züge 1. ... e7-e5, 1. ... c7-c5 und 1. ... e7-e6 als vollwertig erachtet. Andere Verteidigungen wie z. B. die Fianchetti 1. ... b7-b6 und 1. ... g7-g6 führten, so die damals gängige Meinung,zu „freierem Spiel“ für Weiß.

Französisch und Skandinavisch ebnen den Weg

Wie merkwürdig einem heutigen Schachspieler einige der in diesen alten Büchern ausgeführten Varianten auch erscheinen mögen, so waren doch bereits in jenen Anfängen der wissenschaftlichen Betrachtung der Eröffnungstheorie die Grundlagen für die Entdeckung der Caro-Kann-Verteidigung gelegt. Als wichtige Entwicklungsstufen auf dem Wege zu Caro-Kann können wir nämlich die skandinavische und die französische Verteidigung ansehen. Caro-Kann versucht gewissermaßen, die Vorzüge dieser beiden Verteidigungen zu nutzen, ohne die ihnen innewohnenden Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.

Was heißt das?

Man hatte erkannt, dass die skandinavische Verteidigung 1.e2-e4 d7-d5 (damals „Damenbauer gegen Königsbauer“ genannt) unvorteilhaft ist wegen 2.e4xd5 Dd8xd5 3.Sb1-c3 mit Angriff auf die schwarze Dame. Zieht sie sich nämlich vollständig nach d8 zurück, so hat Schwarz glatt ein Tempo verloren, geht sie dagegen nach a5, so fehlt ihr ein sicherer Rückzug auf der Diagonalen a5-d8, weil ein schwarzer Bauer das Feld c7 blockiert.


Caro-Kann gibt der schwarzen Dame einen Rückzug

Geschieht dagegen zunächst 1.e2-e4 c7-c6 und erst nach 2.d2-d4 d7-d5 3.e4xd5 Dd8xd5 4.Sb1-c3 Dd5-a5, so steht die Dame auf a5 offenkundig viel sicherer, da sie jederzeit nach c7 ausweichen kann und der Bauer c6 überdies die Felder d5 und b5 bewacht, so dass sie dort nicht durch Sc3-b5 oder -d5 angegriffen werden kann.

Caro-Kann vermeidet den „schlechten“ französischen Läufer

Ein weiterer Vorteil des Vorbereitungszuges 1. ... c7-c6 besteht darin, dass man nach 2.d2-d4 d7-d5 3.e4xd5 auch ganz einfach 3. ... c6xd5 spielen und so den Springerangriff auf die Dame ganz vermeiden kann. Bisher hatte man versucht, das Problem durch den Vorbereitungszug 1. ... e7-e6 zu lösen. Das funktionierte zunächst ganz ausgezeichnet, weil als beste Antwort lange Zeit 2.d2-d4 d7-d5 3.e4xd5 e6xd5 galt.

Doch als ab ca. 1861 Louis Paulsen und dann auch Wilhelm Steinitz mit Erfolg 3.Sb1-c3 anwandten, sah es plötzlich nicht mehr so rosig aus für Schwarz. Sein Damenläufer blieb dann nämlich für längere Zeit durch den Bauern e6 blockiert. So lag es nahe, sich nach Alternativen umzusehen, und dadurch kam es zu der Idee, 1.e2-e4 mit c7-c62.d2-d4 d7-d5 3.Sb1-c3 d5xe4 4.Sc3xe4 Lc8-f5 zu beantworten. Der in der französischen Partie eingeschlossene Läufer steht hier aktiv, ebenso wie nach 1.e2-e4 c7-c6 2.d2-d4 d7-d5 3.e4-e5 Lc8-f5.

Nach den obigen Ausführungen über die strategische Grundkonzeption der Caro-Kann-Verteidigung versteht es sich eigentlich von selbst, dass Partien wie z. B. einige von Edward Winter in seinem Beitrag „The Caro-Kann Defence“zitierte, die mit 1.e2-e4 c7-c6 2.d2-d4 e7-e5 3.d4xe5 Dd8-a5+ eröffnet wurden, nicht hierher gehören. Sie haben mit der Caro-Kann-Verteidigung nämlich nur den Zug 1. … c7-c6, nicht aber die Idee gemeinsam. Diese besteht darin, d7-d5 vorzubereiten, und nicht, wie dort geschehen, e7-e5. (a)

Die ersten Pioniere der Caro-Kann-Verteidigung

A) John Withers

In der MEGA Database von ChessBase fand ich in dem ganzen Zeitraum bis einschließlich 1881 nur einige wenige mit Caro-Kann eröffnete Partien. 1845 spielte John Withers in Bristol mit Schwarz Caro-Kann und gewann damit gegen Elijah Williams. Interessant ist die Tatsache, dass Weiß in dieser Partie die schwarze Absicht, d7-d5 zu spielen, durch 2.c2-c4 unterläuft und um den Preis der Vereinzelung seines Damenbauern in eine Art skandinavische Partie überlenkt. Ausgerechnet dieser schwache Bauer geht später verloren und legt den Grund für die Niederlage des Anziehenden:

 

 

 

Dieser historische Schwarz-Sieg mit der neuen Eröffnung wurde gegen einen  für damalige Verhältnisse sehr starken Gegner erzielt, denn immerhin bezwang Williams beim ersten großen internationalen Schachturnier in London 1851 im Wettkampf um den dritten Platz keinen Geringeren als Howard Staunton. Ob Withers die Caro-Kann-Verteidigung mehr als nur einmal anwandte, weiß ich nicht. In der MEGA Database fand ich von ihm insgesamt 21 Schwarz-Partien. In den meisten beantwortete er 1.e2-e4 mit e7-e5, zweimal spielte er
Französisch, einmal Sizilianisch. Allerdings finden sich darunter keine nach 1845 gespielten Partien.

B) Somacarana und John Cochrane

Der erste Schachspieler, von dem ich mehrere Schwarz-Partien mit Caro-Kann fand, hieß Somacarana. Von ihm ist wenig bekannt. Wahrscheinlich war er Inder und gehörte dem Schachclub von Calcutta an. An die 200 Partien, die er gegen den zu jener Zeit in Indien wohnhaften schottischen Schachmeister John Cochrane (1798-1878) spielte, sind uns erhalten geblieben. In vier dieser Partien verteidigte sich Somacarana gegen 1.e2-e4 mit 1. ... c7-c6! Es sieht so aus, dass er die Caro-Kann-Verteidigung gelegentlich anwandte, wenn auch
seine Lieblingsverteidigung gegen 1.e2-e4 Sizilianisch war. Er wandte sie als Schwarzer in 78 mit dem Königsbauern eröffneten Partien immerhin 52 mal an, gefolgt von 1. ... e7-e5 (11), und 1. ... g7-g6 (9). Nur in einer der uns überlieferten Partien spielte er Französisch und nur einmal das Damenfianchetto 1. ... b7-b6.

Die oben erwähnten Caro-Kann-Partien wurden zwischen 1856 und 1858 in Calcutta gespielt. Eine von ihnen ist interessant und lehrreich. Sehen wir uns diese näher an:

 

 

 

Den Englisch sprechenden Lesern sei zu diesem Thema ein interessanter
Artikel von GM Bryan Smith aus dem Jahre 2017 empfohlen, der darin eine
andere Partie zwischen Cochrane und Somacarana analysiert. (b)

 

John Cochrane

 

Auch John Cochrane selbst wandte die Caro-Kann-Verteidigung mit Schwarz
mindestens einmal an. Die folgende Partie gegen Mohishunder Bonnerjee
wurde 1856 in Calcutta gespielt:

 

 

 

C) Max Weiss

Der österreichische Schachmeister Max Weiss (1857 - 1927) spielte beim DSB-Kongreß 1883 in Nürnberg viermal Caro-Kann und erzielte damit sensationelle 3 1/2 von 4 möglichen Punkten! Max Weiss war ein ziemlich starker Schachspieler, davon zeugen sein Turniersieg in Wien 1890 und sein geteilter erster Platz (mit Tschigorin) in New York 1889. Er gilt als Mitbegründer der Wiener Schachschule und war von Beruf Bankier. Sehen wir uns eine seinerGewinnpartien mit der Caro-Kann-Verteidigung an:

 

 

 

Max Weiss

Max Weiss analysierte mit Marcus Kann

Adolf Csánk verdanken wir die Mitteilung, dass Weiss vor dem Turnier in Nürnberg zusammen mit Marcus Kann, Jacques Schwarz und ihm selbst die Caro-Kann-Verteidigung analysierte. Damit wären wir endlich bei einem der Namensgeber der Caro-Kann-Verteidigung angelangt. In einem Beitrag vonAdolf Csánk über die Caro-Kann-Verteidigung, der 1887 in der Wiener Schachzeitung erschien, heißt es u. a.: „Der Zug 1. … c7-c6 als Entgegnung auf 1.e2-e4 ist in den Kreisen der Wiener Schachfreunde seit Jahren bekannt. Die Priorität seiner ersten praktischen Anwendung gebührt unstreitig dem im vorigen Jahre verstorbenen Mitglied der Wiener Schachgesellschaft, Marcus Kann. Derselbe pflegte in der Regel seine Spiele auf solche Art zu verteidigen und der Umstand, dass er oftmals Erfolge errang im Kampfe mit den Wiener Meistern, rückte den neuen Verteidigungsmodus in den Vordergrund. Allein eine Anerkennung von autoritativer Seite blieb lange aus.“ (c)

Wer spielte als Erster Caro-Kann?

Von Marcus Kann fand ich in der MEGA Database von ChessBase nur zwei mit seiner Eröffnung gespielte Partien. Sie stammen aus den Jahren 1884 und 1885. Adolf Csánks Behauptung, dass Marcus Kann die Verteidigung als Erster anwandte, könnte dennoch zutreffen , denn 1845, als die Partie Williams – Withers gespielt wurde, war Marcus Kann bereits 25 Jahre alt. Es könnte aber auch sein, dass Csánk die Caro-Kann-Partien von John Withers, Somacarana und John Cochrane nicht kannte. Wenn wir seinen oben zitierten Text aufmerksam lesen, fällt auf, dass Csánk nicht von Jahrzehnten, sondern nur von „Jahren“ spricht, wenn es darum geht, wie lange 1. … c7-c6 den Wiener Schachfreunden zu jenem Zeitpunkt, also 1887, bereits bekannt war.

Spielte also Marcus Kann wirklich als Erster Caro-Kann? Oder waren es doch John Withers, Somacarana und John Cochrane? Weiß ein ChessBase-Leser mehr? ChessBase hat weltweit viele schachhistorisch interessierte Leser. Vielleicht ist unter ihnen einer, der entsprechendes Material besitzt, etwa eine alte Schachzeitung mit Caro-Kann-Partien, die vor 1845 bzw. 1856 gespielt wurden.

Gerne können Sie uns diese mit entsprechenden Quellenangaben mitteilen.

Quellen und Anmerkungen:

(a) https://www.chesshistory.com/winter/extra/carokann.html
(b) https://www.chess.com/article/view/the-caro-kann-a-history
(c) „Die Vertheidigung 1. ... c7-c6 als Entgegnung auf 1.e2-e4“ von A. Csánk,
erschienen in der „Wiener Schachzeitung“ vom 1. September 1887, S. 49-52.


Stephan Oliver Platz (Jahrgang 1963) ist ein leidenschaftlicher Sammler von Schachbüchern und spielt seit Jahrzehnten erfolgreich in der mittelfränkischen Bezirksliga. Der ehemalige Musiker und Kabarettist arbeitet als freier Journalist und Autor in Hilpoltstein und Berlin.

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