Erich Cohn: Geboren in Berlin, gestorben im Krieg in Frankreich

von André Schulz
01.03.2019 – Der Name von Eric Cohn ist heute nur noch einigen Schachhistorikern geläufig. Dabei war der Berliner über einige Jahre bei vielen Turnieren aktiv. Doch mit seinem Leben endete auch seine Schachkarriere viel zu früh, im Ersten Weltkrieg. | Foto: St. Petersburg 1909

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Die kurze Schachkarriere des Erich Cohn

Vor 110 Jahren wurde in St. Petersburg, vom 14. Februar bis zum 12. März, ein prächtiges Schachturnier gespielt. Der russische Diplomat, Schachmeister, Komponist und zudem Präsident des St. Petersburger Schachclubs Peter Petrovich Saburov hatte es zu Ehren des großen russischen Meisters Mikhail Tschigorin organisiert. Viele bekannte Namen waren vertreten, darunter die der späteren Turniersieger Akiba Rubinstein und Emanuel Lasker. Rudolf Spielmann, Oldrich Duras, Ossip Bernstein und Fydor Dus-Chotomirsky, der beide Sieger schlagen konnte, nahmen teil. Carl Schlechter, Amos Burn, Jacques Mieses, Savielley Tartakower und einige weitere berühmte Spieler waren vertreten. Einer der Teilnehmer war Erich Cohn, der während des Turniers seinen 25. Geburtstag feierte und in diesem starken Feld einen beachtlichen geteilten achten Platz belegte. Sein Name ist heute so gut wie vergessen, was sicher auch daran liegt, dass seine Schachkarriere vorzeitig endete - auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges.

Mit Georg Salwe lieferte Cohn sich bei dem Turnier In St. Petersburg eine kuriose Partie. Nach 69 Zügen stand ein Endspiel mit einer sehr ungewöhnlicher Materialverteilung auf dem Brett. Cohn, der die schwarzen Steine führte, hatte nur noch Dame und König. Salwe spielte mit König, Turm, Läufer und drei Bauern. Im 134. Zug gab Cohn die Partie auf. Zwischendurch machte der Berliner Meister nicht weniger als 44 Züge hintereinander nur mit der Dame, was als Rekord in die Schachgeschichte einging.

 

Noch berühmter ist sein Bauernendspiel gegen Akiba Rubinstein, wobei Cohn allerdings nur Stichwortgeber für die bewundernswerte Endspielbeurteilung des großen polnischen Meisters ist, der sich zu dieser Zeit in seinem Zenit befand.

 

Erich Cohn ist vermutlich nicht verwandt oder verschwägert mit dem Schachspieler Wilhelm Cohn (1859-1913), wurde aber ebenfalls in Berlin geboren, einige zehn Jahre später als sein Namensvetter, heute vor 135 Jahren, am 1. März 1884. 

Erich Cohn

Er studierte Literatur und Kunstgeschichte und auch Medizin, beschäftigte sich aber wohl am intensivsten mit dem Schachspiel und nahm zwischen 1902 und 1914 an zahlreichen Schachturnieren teil. Als 18-Jähriger spielte er 1902 bei einem Turnier im Café Kerkau mit und war im Juni des gleichen Jahres einer der Teilnehmer des Hauptturniers beim 13. DSB-Kongress in Hannover, wurde aber nur Vorletzter bei 22 Teilnehmern.

"Welt-Café" Kerkau

Aus dem Jahr 1902 ist eine Partie gegen Emanuel Lasker bekannt, die Erich Cohn im Rahmen einer Simultanvorstellung im Café Kerkau gegen den damaligen Weltmeister spielte und verlor.

 

1903 belegte Erich Cohn bei einem weiteren Turnier in Berlin, das Horatio Caro gewann, den geteilten 11-12. Platz. 1904 wurde Cohn beim Hauptturnier des 14. DSB-Kongresses in Coburg Zehnter. Hinter dem Sieger, dem Österreicher Augustin Neumann, der das Turnier nach Stichkampf gegen Milan Vidmar gewann, platzieren sich einige weitere Spieler mit bekannten Namen: Milan Vidmar, Oldrich Duras, Rudolf Spielmann, Max Lange und Aaron Nimzowitsch. 1905 spielt Erich Cohn beim A-Turnier in Barmen mit und schloss hier als Fünfter ab. Duras und Rubinstein gewannen.

Im März 1906 besiegte Erich Cohn Horatio Caro, Engländer in Berlin und der Namensgeber der einen Hälfte der Caro-Kann Verteidigung, in einem Wettkampf klar mit 5,5:0,5. Einen weiteren Wettkampf im Jahr 1906, gegen Ehrhardt  Post, gestaltete Cohn unentschieden, 4,5:4,5. In diesem Jahr nahm Cohn zudem am Meisterturnier des 15. DSB-Kongress teil und belegte dort den 8. Platz, immerhin einen halben Punkt vor Siegbert Tarrasch. Frank Marshall gewann das Turnier.

Im November des Jahres 1906 war Erich Cohn dann einer der sechs Teilnehmer des Meisterturniers des Schachklubs Altmünchen in München. Er wurde dort geteilter Dritter bis Fünfter. Aaron Nimzowitsch gewann das Turnier und erwies Erich Cohn die Ehre, seine eigene Gewinnpartie gegen Cohn als Musterpartie in sein Buch "Mein System" aufzunehmen. So wurde Erich Cohns Name in einem Klassiker der Schachliteratur verewigt.

 

Erich Cohn gehörte im Mai 1907 zum Teilnehmerfeld des Meisterturniers von Ostende 1907, ebenso wie sein Namensvetter Wilhelm Cohn, übrigens. Er wurde geteilter 12ter im riesigen Feld von 29 Spielern. Ossip Bernstein und Akiba Rubinstein teilten sich mit je 19,5 aus 28 den Sieg. Im November des Jahres  gehörte Erich Cohn dann auch zum Teilnehmerfeld des Jubiläumsturniers anlässlich der 80-Jahr-Feier der Berliner Schachgesellschaft und traf hier auch ein weiteres Mal auf seinen Berliner "Kollegen" Wilhelm Cohn. Richard Teichmann gewann das Turnier mit 9 aus 11.

Erich Cohn war Teilnehmer beim Internationalen Meisterturnier von Wien im März 1908 (19. von 20.) und beim ersten Meisterturnier von Karlsbad im September 1908 (20. von 21). Und 1909 trat er dann schließlich die Reise zum Turnier in St. Petersburg an. In die russische Metropole konnte man 1909 von Berlin aus einigermaßen bequem mit der Königlich Preußischen Ostbahn reisen, die von Berlin bis zur damaligen Grenzstation Eydtkuhnen (heute: Tschernyschewskoje) an der deutsch-russischen Grenze reichte. Von dort war es dann mit der russischen Bahn nicht mehr weit bis zum Zielbahnhof in St. Petersburg. Nach dem Turnier von St. Petersburg reist Erich Cohn im März 1909 nach Stockholm weiter und spielt hier mit Rudolf Spielmann Paul Leonhardt und den Schweden Victor Sjoberg, Hugo Langborg und Gustaf Nyborg ein Sechsmeisterturnier, bei dem er mit dem dritten Platz abschließt.

Im November 1909 trafen sich Richard Teichman, Erich Cohn, Rudolf Spielmann und Curt von Bardeleben zu einem doppelrundigen Viermeisterturnier, das im Café Colosseum ausgetragen wurde.

Café und Konzerthaus Colosseum

Cohn und Teichmann teilten den ersten Platz und auch die ersten beiden Preis (500 und 300 Mark). Spielmann erhielt noch 250 Mark, Von Bardeleben 150 Mark. Zuvor hatte Erich Cohn im Oktober noch ein Simultan an 30 Brettern gegeben, gewann 23 Partien, veror drei und spielte 4 unentschieden.

1910 gab es in Berlin ein weiteres Turnier mit wenigen Teilnehmern, diesmal waren es fünf. Der Schauplatz war das Café Kerkau. Gespielt wurde doppelrundig und erneut dominierte Richard Teichmann. Erich Cohn wurde mit einigem Rückstand Zweiter. 1911 war Erich Cohn auch beim Zweiten Karslbader Turnier dabei und landete im Mittelfeld bei 26 Teilnehmern. Beim 18. DSB-Kongress in Breslau 1912 belegt Cohn den 13./14.Platz.  Eine seiner besten Leistungen lieferte Cohn dann beim Nordischen Kongress 1912 in Stockholm ab, wo er hinter dem damals erst 19-jährigen Alexander Aljechin Zweiter wurde. Es war Aljechins erste großer Turniersieg.

 

Im Unterschied zum Turnier in Stockholm war das Ergebnis im gleichen Jahr in Bad Pystian eher bescheiden: Drittletzter bei 18 Teilnehmern. 1913 wird Erich Cohn Zweiter zusammen mit Paul Krüger, bei einem Turnier in Berlin, das Kurt Pahl gewnann. 1914 spielen Teichmann, Cohn, Spielmann und Mieses in Berlin ein weiteres Viererturnier, wieder doppelrundig. Rudolf Spielmann und Erich Cohn teilen sich den ersten Platz. Die Notationen dieser Partien sind die letzten Schachaufzeichnungen von Erich Cohn. Im Spätsommer 1914 begann der Este Weltkrieg. Aljechin und der St. Petersburger Organisator Saburov befanden sich gerade beim DSB-Kongress in Mannheim, werden zusammen mit einigen anderen Russen interniert, aber vorzeitig entlassen. Erich Cohn wird eingezogen und dient als Sanitäter an der Westfront. Er fiel in den letzten Tagen des Krieges, vermutlich am 28. August 1918, und ist mit etwa 45.000 anderen deutschen Soldaten in der Erde der Deutschen Kriegsgräberstätte in Neuville-St. Vaast begraben. Erich Cohn wurde 34 Jahre alt.

Foto: Mehrow.de

 

Nachruf in der Deutschen Schachzeitung vom 2./3. Februar 1919, S. 52.

1919: Nachruf auf Meister Erich Cohn

Daß der Meister Erich Cohn bei den Kämpfen in Frankreich im Spätsommer vorigen Jahres leider den Heldentod erlitten hat, haben wir bereits im Novemberheft kurz erwähnt. Irgendwelche näheren Umstände hierüber sind nicht bekannt geworden. Nicht einmal der Tag seines Todes läßt sich mit Sicherheit feststellen. Wahrscheinlich ist es der 28.August gewesen.
Erich Cohn ist am 1.März 1884 zu Berlin geboren und hat daselbst immer seinen Wohnsitz gehabt. Er studierte zunächst Literatur und Kunstgeschichte, dann eine zeitlang Medizin. Später widmete er sich ausschließlich dem Schachspiel. Schon in jungen Jahren war er ein vortrefflicher Spieler. Das erste Meisterturnier, an dem er teilnahm, war das zu Nürnberg 1906. Er errang daselbst einen Achtungserfolg, der zu schönen Hoffnungen berechtigte. Daß diese trotz seiner eminenten Begabung sich nicht ganz erfüllten, lag an einem gewissen Mangel an Ausdauer und Gleichmäßigkeit, sowie an ungünstigen äußeren Umständen. In einigen Turnieren, z.B. in Ostende 1907 und in Breslau 1912, spielte er die erste Hälfte ganz vortrefflich, und fiel in der zweiten gänzlich ab. Zweifellos war Erich Cohn einer der besten deutschen Meister, und sein Tod ist ein schwerer Verlust für die Schachwelt. Ganz besonders betrauern ihn die Berliner Schachkreise, in denen Erich Cohn seines liebenswürdigen Wesens und seiner angenehmen, formvollendeten Manieren wegen sich viele Freunde erworben hatte.

 


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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