Nachdruck aus "Rund" mit freundlicher Genehmigung des
Autors.
Mit Schach für die WM 2006 trainieren
Rehhagel is King oder:
Wie Kicker am Brett ticken
Von Dr. René Gralla
Wie spielen Fußballspieler Schach? Sich deswegen einen
Kopf zu machen, das scheint ganz lustig, aber auch ziemlich sinnfrei zu
sein: vergleichbar der spannenden Frage, ob ein Diether Bohlen heimlich auf
dem Klo Bücher liest oder ob die Führerin der Christenpartei, Angela Merkel,
regelmäßig betet. Andererseits rückt aber die WM 2006 näher, und die
verschwitzten Bemühungen nehmen zu, das wechselhafte Geschehen auf dem Platz
intellektuell zu deuten. So dass es bloß noch eine Frage der Zeit ist, bis
wieder einer dieser Leute, die das kongeniale Duo Netzer & Delling
beflissen, aber hoffnungslos kopieren möchten, den Klassiker neu erfindet –
Fußball sei „Rasenschach“.
Rasenschach?! Na ja. Allerdings ist die besagte Formel
– im Gegensatz zu goldenen Platitüden wie „1:0 ist auch gewonnen“
(Herberger), „Flasche voll“ (Trappatoni), „Schaun mer mal“ (Kaiser Franz) –
immerhin ein nettes Gedankenspiel. Und das kann sogar zu einem weiter
führenden Experiment führen: Einmal unterstellt, Fußball sei tatsächlich
eine mobile Version von Open-Air-Schach, dann ist es vielleicht möglich, aus
dem Stil eines Kickers am Brett Rückschlüsse auf seine Performance auf dem
Heiligen Grün zu ziehen.
Erster Proband unserer improvisierten Feldstudie ist
Felix Magath. Der momentane Zuchtmeister der Bayern hat schon vor bald
dreißig Jahren damit begonnen, als Ausgleich zur täglichen Beinarbeit die
Feinheiten des Königsspiels zu studieren; phasenweise ließ er sich sogar
coachen vom Trainer des hanseatischen Bundesligaklubs HSK, Gisbert Jacoby.
Folglich liegt Magath weit über dem Niveau des
durchschnittlichen Amateurs. Das merkt denn auch der Autor, als er den Mann,
der sich den Beinamen „Quälix“ ehrlich verdient hat, zu einem Testmatch
trifft an einem Frühherbstmorgen in privater Wohnzimmeratmosphäre an
Hamburgs nördlicher Peripherie.

Magath verteidigt mit Schwarz. In den ersten
Spielminuten tasten beide Mannschaften – nach der klassischen Empfehlung des
Don Ruy López – entschlossen, aber kontrolliert wagemutig den Gegner ab, die
gestaffelten Abwehrketten hakeln und grätschen in der Mitte. Ein guter Plan,
was Schach angeht: Wegen der drangvollen Enge des Operationsgebietes – 64
Felder für 2 x 16 Akteure pro Team – kann derjenige, der das Zentrum erobert
hat, unmittelbar im Anschluss links oder rechts verwandeln.
Eine Faustregel, die Magath erst beachtet – und wenig
später vergisst. Denn als ein weißer Läufer des Autors im 15. Zug den Ball
auf der halb rechts vorgeschobenen Position g5 verstolpert, hätte Magath
durch die Mitte kontern müssen. Stattdessen schaltet der Kapitän der
Schwarzhosenträger selber um auf Flankenstrategie, tändelt am rechten und am
linken Flügel und wieder retour, verheddert sich und kriegt ein Riesending
reingeknallt – 1:0 gegen Magath im 56. Zug.
„Ich habe aus dem Schach praktisch die Theorie für den
Fußball abgeleitet“, hat der Erfolgstrainer in einem Interview anlässlich
seines Gastspiels in Frankfurt dem Schachjournalisten Hartmut Metz erzählt.
Sollte der Wahl-Münchner das ernst meinen, outet sich Magath folgerichtig
als Old School: Mach’ mir die Flügel stark, wir kennen das von Otto
Rehhagel.

Aber Rehhagel war gestern, und Magath ist mittlerweile
auch schon 52 Jahre alt. Wahrscheinlich dürfte ein Marco Bode (Jahrgang
1969) eher auf dem Stand der aktuellen Theorie sein, die DFB-Chefscout Urs
Siegenthaler bündig formuliert: „Das Spiel über die Außenflügel können wir
vergessen.“ Nach dem Vorbild der Brasilianer werde im „modernen Fußball …
durch die Mitte nach vorne gepasst“ – was ziemlich exakt der Profistrategie
im Schach entspricht.
Jetzt also der Bremer Marco Bode, Ex-Nationalstürmer
und bekennender Schachfan, der selbst etablierte Großmeister bei
Promi-Duellen in Schwierigkeiten bringt, während einer 5-Minuten-Blitzpartie
per Computer gegen den Autor in den Büroräumen des Hamburger
Spitzenunternehmens für Schachsoftware, ChessBase. Von der ersten Sekunde an
drückt Bode (mit Weiß) auf das Tempo, indem er sich für das zweischneidige
Nordische Gambit entscheidet. Die schwarze Abwehr im Zentrum wankt – bis
plötzlich Bode fast am Boden liegt (virtuell, selbstverständlich).
Was ist geschehen? Unmotiviert will Bode die Schwarzen
an der linken Flanke umdribbeln, rennt sich aber fest. Ein weißer
Befreiungsschlag weit vorgelegt zur rechten Flanke (22. Zug), das ist jedoch
riskant, nun klafft ein Loch in der rückwärtigen Verteidigung. Die Schwarzen
erspähen die Lücke, Volley, rums, ein Turm des Autors setzt sich dem
geschockten weißen Monarchen direkt vor die Nase – und sofortiger Knock-out,
hätte der Autor nicht im Zeitnotstress (fünf Minuten für das gesamte Spiel)
das Ei knapp über die Latte gesetzt und Bode nach Zugwiederholung ins Remis
entkommen lassen.
Was an der überraschenden Zwischenbilanz nichts ändert:
Old School forever, auch Marco Bode gibt alles für eine fette Flanke.
Höhepunkt der Testreihe: eine Begegnung mit dem
HSV-Japaner Naohiro Takahara, 26. Im Vereinslokal „Lindenhof“, und das unter
verschärften Bedingungen: Wir messen uns im Shogi, der speziellen
Schachversion Marke Nippon. Und die ist besonders tricky: Die Steine sind
japanisch beschriftet und einfarbig; die Richtung, die von den vorn
zugespitzten Shogi-Chips markiert wird, definiert zugleich, ob das eine
weiße oder schwarze Einheit ist. Außerdem dürfen Steine, die der Gegner
verloren hat, auf der eigenen Seite wieder eingesetzt werden.
Anpfiff, Takahara legt los, sein rechter Außenstürmer
(ein Turm) bricht aus der Deckung. Takahara rackert, wie wir es an ihm
schätzen, wechselt im Minutentakt die Seiten – freilich auch mit dem gewohnt
mageren Ergebnis: Sein Team muss Schritt für Schritt zurückweichen, kassiert
einen Treffer … bis Takahara die Notbremse zieht: Er murmelt, dass sein
Trainer wartet, steht auf vom Tisch – und verschwindet.
Fazit: Wie spielen Fußballer Schach – und das zwischen
Bremen und Tokio? Immer wacker nach links- oder rechtsaußen gedroschen -
koste es, was es wolle.
Rehhagel is King – mit einer wichtigen Einschränkung:
Die Wahrheit is‘ auf’m Platz.

Dr. René Gralla
Die Partien:
An der Flanke alles verdaddelt
Partie zum Durchklicken...
Weiß: René Gralla
Schwarz: Felix Magath
Quickborn, Oktober 1985
Spanisch
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6
Die so genannte „Morphy-Verteidigung“.
4.La4 Sf6 5.0-0 Le7 6.Te1 …
So weit noch nach Theorie.
6…. 0-0(?)
Eine Ungenauigkeit, die nach 7.Lxc6 bxc6 8.Sxe5 … einen
Bauern kosten könnte. Richtig ist: 6…. b5 7.Lb3 d6 8.c3 0-0 9.h3 Sa5 10.Lc2
c5 11.d4 Dc7 12.Sbd2 ... mit gleichen Chancen.
7.c3 …
Geschmacksfrage: Weiß verzichtet auf frühen
Materialgewinn.
7…. b5 8.Lb3 d6 9.d4 …
Besser: 9.h3 …, um die Fesselung 9.... Lg4 zu
vermeiden.
9…. Lg4 10.d5 Sa5 11.Sbd2 Sh5

Ein erster Flankenausfall nach Linksaußen von Magath:
Sieht stark aus, tut aber nichts zur Sache.
12.h3 Lxf3 13.Sxf3 Sf6
Und retour: Die Exkursion nach h5 hat nichts
eingebracht.
14.Lc2 c6 15.Lg5? …
Weiß revanchiert sich – und möchte auch mal an einem
Flügel herumstochern.
15…. Tc8?
Auf das falsche Flankenspiel 15.Lg5? … reagiert Magath
mit Verlegung wichtiger Kräfte nach rechts. Stattdessen hätte er sofort im
Zentrum losschlagen müssen – 15…. Sxd5!

Weiß hätte Materialverlust nur mit Mühe kurzfristig
verhindern können: 16.exd5 Lxg5 17.Sxg5 Dxg5 18.dxc6 Tfd8 19.Le4 …. Auf
Dauer wäre der in die Irre gelaufene weiße c-Bauer aber nicht zu retten
gewesen.
16.Lxf6 Lxf6 17.Ld3 cxd5 18.exd5 Lg5

Noch eine Aktion just for show auf der linken schwarzen
Flanke: Magath verdirbt allmählich seine Position.
19.Sxg5 Dxg5 20.a4 …

Als Konter eine Aktion auf dem linken Flügel, die
ausnahmsweise richtig ist: Weiß rollt Magaths rechte Flanke auf.
20…. Sc4 21.b3 Sb6 22.axb5 axb5
Falls 22…. Sxd5, dann: 23.Lxh7+ Kxh7 24.Dxd5 Txc3
24.bxa6 Txh3 25.a7! …
23.Lxb5 Txc3 24.Ta6 Tb8 25.Da1 Tcc8
Die möglichen Alternativen sind noch ungünstiger oder
bringen bestenfalls gar nichts ein: A.25…. Txh3? 26.Txb6 …; B.25…. Txb3?
26.Txb6 Txb5 27.Txb5 …;
C.25…. Sxd5 26.Lc6 Txc6 (26…. Sf4? <26…. e4 27.Lxd5+ …
und 28.Dxc3 …> 27.Dxc3 Sxh3+ hilft Schwarz auch nicht weiter) 27.Txc6 Sf4
28.g3 Sxh3+ 29.Kg2 …, und der schwarze Scheinangriff ist abgeschlagen.
26.Lc6 Dd2 27.Da5 Dxa5 28.Txa5 Td8 29.Tea1 Sc8
30.Tb1 Tb4 31.Ta4 Txa4 32.bxa4 …
Ein gefährlicher Freibauer, der unaufhaltsam Richtung
a8 marschiert ...
32…. Sa7 33.a5 Kf8 34.a6 Tc8 35.Tb7! …

Ein kleines, aber entscheidendes Opfer.
35….. Sxc6
Alternative: 35…. Ta8 36.Td7 Sxc6
37.dxc6 Txa6 38.c7 … (Freibauer Nr. 1 ist eliminiert, aber nun geht
der c-Kollege vor) 38…. Ke8 39.Td8+ und c8=D.
36.dxc6 Txc6
Schwarz hat einen Bauern gewonnen, aber das ist ein
Scheinerfolg: Der Durchstoß des a-Mannes auf die Grundreihe ist nicht mehr
zu stoppen.
37.a7 Ta6 38.Tb8+ Ke7 39.a8=D …
Die Pille im Netz von Magath: Weiß holt sich für den
Bauern eine Dame.
39…. Txa8
Magath muss für diese neu geborene Dame seinen Turm
opfern, sonst wäre es natürlich noch schneller aus.
40.Txa8 …
Weiß hat jetzt eine schwere Einheit mehr; Magath kann
diesen Rückstand nicht mehr aufholen.
40…. Ke6 41.Kf1 h5 42.Ke2 Kf5 43.Ta7 Ke6 44.Ke3 g6
45.g3 f6 46.g4 hxg4 47.hxg4 f5 48.f3 d5 49.Ta6+ Kf7 50.g5 Kg7 51.Td6 d4+
52.Kd3 Kf7 53.Tf6+ Kg7 54.Te6 e4+ 55.fxe4 fxe4 56. Kxe4 Aufgabe 1:0
Gut gestartet –
trotzdem verrissen …
Partie zum Durchklicken...
Weiß: Marco Bode
Schwarz: Dr. René Gralla
Zentrale von ChessBase, Hamburg/Germany, 4. April 2003,
5-Minuten-Blitzpartie (online)
Nordisches Gambit
1.e4 e5 2.d4 exd4 3.c3 …
Die Opfervariante: Das Nordische Gambit
3…. Sf6!?
Schwarz lehnt das freundliche Angebot, mit 3… dcx3
4.Lc4 cxb2 5.Lxb2 … zwei Bauern zu gewinnen, dafür aber dramatischen
Entwicklungsrückstand zu riskieren, auf eine Weise ab, die der große
Strategietheoretiker Aaron Nimzowitsch vorgeschlagen hat: 4.e5 Se4 5.Ld3!?
d5!. Die Sache hat bloß einen Haken: Nach 4.e5 Se4 5.De2! … (eine Empfehlung
von Dr. Max Euwe) gerät Schwarz unter Druck.
4.e5 …
Bode hält sich an die strategische Faustregel für
Brettschach – die sich analog auch auf’s Rasenschach übertragen lässt: im
Zentrum Druck machen.
4…. Se4

5.Dxd4 …
Besser ist, wie erwähnt, 5.De2! …
5…. d5 6.exd6 e.p. Sxd6 7.Sf3 Sc6 8.Lb5 Ld7 9.Lxc6
Lxc6

Bode hat, wenn auch kurzfristig, die Stellung der Dame
im Zentrum behauptet.
10.Sbd2 De7+!
Schwarzer Gegenschlag – ebenfalls durch die Mitte:
Entweder muss Bode die Rochade aufgeben – oder er bleibt auf einem
isolierten Bauern in der halboffenen e-Linie sitzen.
11.De3 …
Bode riskiert den Isolani; offenbar will er das Recht
nicht verlieren, seitwärts seinen König aus der gefährlichen Zentralregion
in Sicherheit zu bringen.
11…. Dxe3+ 12.fxe3 0-0-0 13.Se5 …
Brav bleibt Bode bei der Zentralstrategie.
13…. Ld5 14.0-0 f6 15.Sef3 Se4
Der Autor will Bode nicht das Feld im Zentrum
überlassen und geht ebenfalls im Mittelabschnitt vor.
16.Sxe4 Lxe4 17.Sd4 Lc5 18.b4 …
Der Mythos von der Flanke: Unvermittelt erliegt ihm
auch ein Marco Bode – irrtümlich glaubt er wohl, den schwarzen Läufer am
linken weißen Flügel zu umdribbeln und idealerweise auszuschalten.
18…. Lb6
Schwarz will einen verfrühten weißen Flankensturm
provozieren.
19.a4 a6 20.a5(?) …
Und Bode hat sich auf dem linken Flügel festgerannt.
20…. La7

21.Se6 …
Zurück ins Zentrum – so weit, so gut.
21…. Td6
Bietet tückisch den Bauern g7 an …
22.Sxg7?? …

Bode flankt sehr leichtsinnig weit nach Rechtsaußen.
22…. Tg8! 23.Sh5 Txg2+

Die entscheidende Bresche in der rückwärtigen weißen
Abwehrkette.
24.Kh1 Tf2+??
Übersieht im Stress der Blitzpartie das simple Matt
durch Abzugsschach des vorgeschobenen schwarzen Turms:24…. Tg3+.

Der Turm deckt dadurch, dass er sich um einen Schritt
zurückfallen lässt, den Angriff des Läufers auf den weißen Teamchef Kh1 auf,
so dass weder der weiße Bauer h2 noch der weiße Springer h5 rechtzeitig zur
Hilfe kommen und auf der ansonsten selbstmörderischen Position g3 dazwischen
grätschen können. Die Folge nach dem – hypothetischen – 24…. Tg3+ ist
selbstverständlich: 25.Tf3 Lxf3#.
25.Kg1 Tg2+
Hektisch sucht der Autor nach der Mattstellung, findet
sie aber einfach nicht …
26.Kh1 …
Noch ginge 26…. Tg3+ und #.
26…. Te2+??
Unglaublich …
27.Kg1 Tg2+
… und Unentschieden durch Zugwiederholung: zum
dritten Mal steht dieselbe Stellung auf dem Brett. 0,5:0,5
Und wieder rackert Takahara …
Schauen wir uns zum Schluss die Begegnung des Autors
mit dem japanischen Stürmer Naohiro Takahara an, der gegenwärtig beim HSV
unter Vertrag steht. Die besagte Begegnung wurde nach den Regeln des
speziellen Nippon-Schachs "Shogi" ausgetragen.
Dabei sind folgende Besonderheiten zu beachten. Das
Shogi-Brett hat 9x9 Felder; und obwohl auch hier Weiß (japanisch: gote)
gegen Schwarz (sente) antritt, sind alle Steine einfarbige flache und
vorne zugespitze Plättchen. Die Chips in Form von Pentagrammen tragen
japanische Schriftzeichen, die angeben, um welche Spiel-Einheit es sich
jeweils handelt. Weist die Spitze einer dieser Flach-Figuren - wie bei einer
mittelterlichen Attacke der Lanzenträger - , direkt auf mich, so weiß ich:
Das ist der Feind. Kehrt mir das Teil dagegen die breite stumpfe Seite zu,
in meine Richtung, dann ist klar: Das ist unser Mann.

Dieses Design - das vorstehende Diagramm haben wir
entnommen bei
www.chessvariants.org/shogi.html - soll die spannende Shogi-Regel
praktikabel machen, dass eroberte Steine des Gegners hinterher wieder zur
Verstärkung der eigenen Truppen eingesetzt werden dürfen: durch sogenannte
"Drops". Habe ich nämlich einen Gefangenen beim Gegner gemacht, wandert der
Betreffende zunächst in meine Reserve hinter der Front, mithin auf meiner
Seite, aber zunächst außerhalb des Feldes (als Figur "in der Hand",
englisch: "in hand"). Will ich die frisch gewonnene Verstärkung
mobilisieren, drehe ich den dafür ausgewählten Stein einfach um (indem nun
die Spitze weg von mir und auf den Kontrahenten zeigt) und setze das Teil
direkt auf dem Gefechtsfeld ein, wie es die Lage gerade erfordert. Das kommt
Überfallangriffen von Fallschirmjägern ziemlich nahe - und versetzt dem wie
ein Blitz aus heiterem Himmel Attackierten häufig genug einen der
gefürchteten "Shogi-Schocks".
Noch eine Zusatzregel haben sich die Japaner
ausgedacht: In ihrem besonderen Schach eröffnet nicht Weiß die Partie,
sondern Schwarz. Außerdem ist die Rochade unbekannt: Will sich der König
verschanzen, muss er sich in mehreren Schritten seitwärts in die Büsche schlagen
und dort rasch eine Burg ("Castle") bauen.

Shogiaufstellung mit westlichen Figuren
Hier eine kurze Einführung in die Gangarten der
Shogi-Figuren; um den Vergleich mit dem westlichen Schach zu erleichtern,
wird dabei die asiatische Optik auf dem Shogi-Brett transformiert in
westliche Diagramme - ein Konzept, das Douglas Crockford für seine Seite
www.crockford.com/chess/shogi.html erarbeitet hat - sowie ein
internationalisierter Set verwandt, der Schlüsselmomente der Shogi-Schlacht
sichtbar macht.

Der King - da es relevante
nicht-japanische Literatur nur auf Englisch gibt, werden im Folgenden primär
die englischen Begriffe und Abkürzungen verwandt - zieht wie der König im
westlichen Schach. Abkürzung: K. Die Startpositionen der
beiden Monarchen sind e1 (Weiß) bzw. e9.
Der Gold General - Abk.: G
- auf der Damenposition, jedoch in zweifacher Ausführung - d1/f1 (Weiß) bzw.
d9/f9 (Schwarz) - , bewegt sich ähnlich wie sein King: allerdings mit der
Einschränkung, dass die beiden rückwärtigen Diagonalfelder (nach hinten
schräg links bzw. schräg rechts) für ihn off limits sind. Der Silver
General - Abk.: S (Startfelder c1/g1 bzw. c9/g9
) zieht auf den Diagonalen jeweils ein Feld pro Schlagwechsel;
außerdem darf er sich alternativ auch um ein Feld vorwärts bewegen.
Der Knight - Abk.: N'' - ,
in der Grundstellung auf b1/h1 (Weiß) respektive b9/h9 (Schwarz), galoppiert
wie ein Schachspringer, erreicht jedoch allein die beiden Felder vorne links
und vorne rechts; mithin ein Knight von Gote, der bereits bis d5 getrabt
ist, ausschließlich die Punkte c7 und e7. Der berittene Samurai darf sich
weder zurückziehen noch zur Seite ausbrechen.
Die Lance - Abk.: L - , zu
Beginn einer Partie auf a1/i1 (Weiß) und a9/i9 (Schwarz) -, bewegt sich wie
ein Schachturm, dessen Manövrierfähigkeit eingeschränkt ist: Die Lanze kann
auf ihrer Linie allein nach vorne preschen; ein Rückzug oder horizontale
Operationen sind ausgeschlossen.
Der Rook - Abk.: R - ,
anders als im internationalen Schach bloß als Solitär auf dem Shogi-Brett
(Startposition: h2 bzw. b8 ) unterwegs, rollt wie der
westliche Kollege. Das gleiche gilt für den Bishop - Abk.:
B - , der ebenfalls ohne zweiten Mann auskommen muss
(Startposition: b2 und h8 ); es sei denn, der feindliche
Läufer wird den Herrschaften von der anderen Feldpostnummer abgejagt.
Auf den Reihen c3 - i3 (Weiß) und c7 - i7 (Schwarz) ist
die Linie der Pawns - Abk.: P'' - aufmarschiert.
Ein Shogi-Bauer zieht, wenn er keinen gegnerischen Stein angreift, wie ein
Schachbauer, abgesehen davon, dass der einleitende Doppelschritt
ausgeschlossen ist. Will aber der Pawn einen Feind eliminieren, schlägt er
ebenfalls direkt geradeaus zu, nicht schräg nach vorne links bzw. rechts wie
im westlichen Schach.
Die Bauernreihen markieren zugleich den Beginn der
Promotionszonen, in denen alle Steine, wenn sie den betreffenden Sektor
erreicht haben, nach Wahl des Spielers befördert werden können
(nicht: müssen, sofern wir dabei Ausnahmetatbestände für den Pawn
, den Ritter und die
Lanze einmal außer Acht lassen), um auf diese Weise ihren Wirkungsgrad zu
steigern. Für Weiß ist die entscheidende Demarkationslinie die Horizontale
a7 - i7, für Schwarz die Laterale a3 - c3 . Allein König und Goldgeneral
werden nicht befördert.
Dringen Bauer, Lanze, Ritter oder Silbergeneral in den
Promotionssektor ein und kriegen entsprechend jeweils einen höheren
Dienstgrad verliehen, dann ziehen sie fortan - als prP'',
prL, prN'' oder prS - wie ein
Goldgeneral. Der Rook nach der Beförderung, Abk.: prR - , auch
Drachenkönig (englisch: Dragon King)
genannt, beherrscht zusätzlich, neben seinen üblichen Fähigkeiten als Turm,
jeweils das nächstgelegene Feld auf den angrenzenden Diagonalen.
Der Bishop mit Promotion - Abk.: prB -
verwandelt sich in das feurige Drachenpferd (englisch:
Dragon Horse).
Dieser beförderte Läufer erweitert seinen Aktionsradius
um die Zugriffsmöglichkeiten jeweils ein Feld vertikal oder horizontal in
alle vier Richtungen.
Abschließend ein wichtiger Hinweis für den Fall, dass
eine beförderte Einheit dem Feind in die Hände fällt. Zur Strafe wird sie
degradiert: Nur herabgestuft zum ursprünglichen Dienstgrad kann sie in
fremden Diensten von ihrem neuen Kommandeur ins Shogi-Theatre of Operations
beordert werden.
Jetzt sind wir fit, um zu verfolgen, wie Naohiro
Takahara auf den 81 Feldern des Japan-Schachs aufspielt.
Weiß: Naohiro Takahara, Shizuoka/Japan
Schwarz: Dr. René Gralla,
Hamburg/Germany
Partie im Japanschach „Shogi“, Hamburg,
HSV-Vereinslokal „Lindenhof“, Juni 2003
Unregelmäßig
1.... g7-g6 2.h3-h4 Gf9-g8 3.h4-h5 ...
Takahara versucht sofort, sich außen an der schwarzen
Verteidigung vorbeizuschlängeln - und mit 4.h5-h6 ... durchzubrechen.
3.... Bh8-f7
Verhindert 4.h5-h6 ... .
4.R2-h4 ...
Möchte Schwarz offenbar überrumpeln.
4.... f7-f6 5.Rh4-e4 ...
Gote-Takahara will Sente liebend gern den
Pawn e7 wegschnappen; gleichzeitig würde der Turm nach einem Einschlag in
die schwarzen Bauern-Phalanx zum Drachenkönig avancieren.
5.... Gg8-f7
Der Goldgeneral – der von seiner vorherigen Position g8
den bedrohten Pawn e7 nicht hatte erreichen können, deckt nun von f7 aus den
P''e7, den der Re4 anrempelt.
Daraufhin versucht Takahara - wie ein Stürmer, der vor
der gegnerischen Abwehr hin und her tänzelt - , eine Lücke in der schwarzen
Front aufzureißen, indem er seine schwere Einheit, den weißen Turm, über die
vierte Reihe rumpeln lässt. Leider ohne greifbaren Erfolg: Als Ergebnis des
Handgemenges verliert Takahara eine Lance, beide Knights und seinen Läufer;
als eher mageren Kompensation knöpft er dem ChessBase-Autor zwei Soldaten
und einen Goldgeneral ab.

Schwarz ist es gelungen, seinen König zu verschanzen in
einem provisorischen "Castle" - aus Lance a9, Knight b9, Silver c8 sowie dem
Pawn-Trio a7/b7/c7 - , während Takaharas King in der Mitte stecken geblieben
ist. "In der Hand" - bereit für den Absprung als Paratrooper - hat der Autor
einen Läufer und einen Ritter, der HSV-Japaner seinerseits drei Fußsoldaten
und einen Goldgeneral.
Sehr unangenehm für Takahara ist auf a1 das schwarze
Drachenpferd – der aufgerüstete Läufer mit zusätzlicher Nahkampfwirkung
horizontal und vertikal (hier momentan: nach b1 und a2 -), das sich im
weißen Lager festgebissen hat. Und von dort kaum zu vertreiben ist.
Versucht Takahara, mit 1.G-drops-b2 ... das
Monster einzukreisen, fliegt ein schwarzer Knight ein - 1....
N''-drops-c4 - , und der säubert gemeinsam mit dem Drachenpferd die
Sperre auf b2. Der weiße Goldgeneral kann vorher dem schwarzen prB
keineswegs ans Leder, weil das Feld a1 außerhalb der Zugriffsmöglichkeit des
Gb2 liegt.
Möchte der Goldgeneral d2 seinem bedrohten Kollegen -
Schwarz plant den sofortigen Ausbruch 2.... N''c2xb2 (promotes) 3.Sc1xb2
prBxb2 - zur Hilfe eilen, wäre das natürlich ein schlimmer Patzer:
2.Gd2-c2??? B-drops-a5 ... - und der weiße Rook b4 ist gefesselt
und geht verloren.
Auch der Versuch 1.G-drops-c2 ... - mit dem Plan
2.Sc1-b2 ... – funktioniert nicht; schließlich kann das Drachenpferd
sofort davonschnauben: 1.... prBa1-e5 2.e3-e4??? N''d6xe4.
Interessant ist die Idee einer Fernabriegelung mit
1.G-drops-c3 ... ; aber am Ende setzt sich Sente doch durch: 1....
N''-drops-c4 2.Gd2-c2 B-drops-a5 3.Rb4-a4 Ba5xc3
(promotes)+ 4.Gc2xc3 prBa1xc3+ mit Angriff.
Für den weißen Monarchen wird es ungemütlich, jeder
Schritt daneben führt in den Untergang - so bei 5.Ke1-d1??? G-drops-e1#.

Der weiße König ist Matt durch die Paratrooper-Attacke
eines schwarzen Gold Generals auf e1. Warum? Der eingeflogene schwarze Gold
General greift seitwärts den weißen König auf d1 an – und wird selber
gedeckt vom schwarzen beförderten Läufer auf c3. Außerdem – durch seine
rückwärtige Wirkung nach e2 – nimmt der schwarze Gold General e1 dem
kommandierenden weißen „Jade-General“ d1 das besagte Fluchtfeld e2. White
King kann auch nicht über d2 entkommen; das verhindert die Diagonalwirkung
des schwarzen Drachenpferdes auf c3. Überdies liegt das potenzielle
Fluchtfeld c2 unter Beschuss durch die (in diesem Fall: vertikale)
Feuerwirkung von Black Dragon Horse c3. Und das Hintertürchen c1 ist
versperrt, weil dort bräsig der weiße Silver General c1 hockt.
Aber auch nach 5.Ke1-f1! ... geht es heftig zur
Sache: 5.... G-drops-e1+
6.Kf1-g2 ... .
Und dem weißen Feldherrn auf der Flucht bläst der Wind
ins Gesicht: Es drohen einerseits das simple, aber effektive 6....
prBc3xd3, andererseits aber auch die sofortige Promotion des Black
Knight c4 - mit 6.... N''c4-d2 (promotes) - ; sowie, last not
least, das frugale 6.... Lh8xh5 mit den möglichen Weiterungen
7.... G-drops-h3+ respektive erst jetzt 7.... N''c4-d2 (promotes).
Das alles sieht Naohiro Takahara. Längere Zeit grübelt
er - bis er plötzlich murmelt, er müsse zurück zum Training. Daraufhin
bietet ihm der Autor Remis an - was Taka sofort annimmt, sichtlich
erleichtert vom Tisch aufsteht ... und verschwindet.
Wobei anzumerken bleibt: Im Shogi ist es eigentlich
unzulässig, ein Unentschieden zu vereinbaren - aber eine besondere Situation
verlangt eben auch ein besonderes Handeln.
Shogi macht's möglich. Deswegen kann das Japanschach
für den „Sushi-Bomber“ des HSV (so die typische Diktion der BILD-Zeitung)
durchaus eine Chance sein, nach dem Fußball eine Zweitkarriere zu starten.
Für die diesjährige Amateur-WM am 22. Und 23. Oktober 2005 in Tokio ist das
freilich zu spät. Aber die nächste WM in Tokio winkt bereits 2008 – und das
wieder in gewohnt inspirierender Atmosphäre.
Vielleicht sollte der Doppel-Champ im Rasen- und
Japanschach, Naohiro Takahara, da schon mal anfangen, ein paar
Shogi-Eröffnungen zu üben.
Goooooaaaaaaaaaaaaaaal.

Dr. René Gralla, Hamburg/Germany