Skandinavisch mit 3...Dd6
Es ist noch gar nicht so lange her, da gehörte die Skandinavische Verteidigung
keineswegs in den Kreis der vollends anerkannten Eröffnungen. Den Meistern des
20 Jahrhunderts war der frühe Ausflug der Dame ins Zentrum nicht richtig
geheuer. Immerhin stammt die erste Erwähnung, die man in der Mega finden kann,
aus dem 15. Jahrhundert. Allerdings gewinnt Weiß recht schnell. Aus dem Jahr
1858 ist eine Partie von Adolf Andersen überliefert, der im Wettkampf gegen
Paul Morphy zur Skandinavischen Verteidigung griff und nach 3.Sc3 die Dame nach
a5 zurück zog. In der frühern Turnierzeit wird die Skandinavische Verteidigung
durchaus
auch von starken Spielern immer mal wieder ausprobiert. In der Anwenderliste
findet man Namen wie Tarrasch, Pillsbury, Blackburne, Schlechter, Marshall und
besonders Mieses - nicht die schlechteste Referenzliste für eine Eröffnung.
Später geriet die Skandinavische Verteidigung aber irgendwie in Verruf und
verlor an Popularität. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts kommt sie zwar sporadisch
vor, aber die Aufnahme in den Kreis der angesehenen Eröffnungen wird ihr
verweigert. Mitte der 1970er Jahre fangen aber einige Australier an, so zu
spielen: Cecil Purdy, Peter Parr und Ian Rogers, zum Bespiel. Der junge Yasser
Seirawan probierte Skandinavisch aus und auf dem GM-Turnier von Montreal 1979
spielt Bent Larsen gleich zweimal 1...d5 gegen stärkste Gegner - Spassky und Karpov,
und den amtierenden Weltmeister schlägt der originelle dänische Weltmeister
damit sogar- oder trotzdem.
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Das dürfte der Ausgangspunkt der dann zunehmenden Popularität der Skandinavischen
Verteidigung gewesen sein, denn nun findet man die Skandinavische Verteidigung
immer öfter. Die ganz großen Namen fehlen allerdings in der Liste der Anwender.
Immerhin: 1995 wählt Anand gegen Kasparov Skandinavisch als Überraschungswaffe
im WM-Kampf in New York und erreicht eine sehr gute Stellung.
Genau genommen ist die Skandinavische Verteidigung eine Verwandte der Caro-Kann
Verteidigung und ebenso solide. Schwarz zieht irgendwann c7-c6, um die Dame von
a5 nach nach c7 zu bugsieren und kann außerdem - wie in der
Caro-Kann-Verteidigung - den weißfeldrigen Läufer außerhalb der Bauernkette
entwickeln. Wenn Schwarz alles richtig macht, ist seine Struktur schwer zu knacken. Der Vorteil der Skandinavischen
Verteidigung gegenüber der "großen Schwester" besteht darin, dass man die
gewünschte Struktur häufiger erreicht - in der Caro-Kann-Verteidigung hat Weiß
einige andere Optionen zur Verfügung und kann, z.B. mit dem Panov-Angriff, dem
Spiel einen anderen Stempel aufdrücken.
Auf das Feld c7, wenn Schwarz zuvor c7-c6 gespielt hat, kann die schwarze Dame von a5
gelangen, aber auch von d6. Dame auf d6 - wie kommt sie da denn hin? Nun sind
wir beim Thema der neuen DVD von Sergey Tiviakov angelangt. Nachdem die
Schachfreunde sich daran gewöhnt hatten, dass Skandinavisch - mit 3...Da5 -eine
vollwertige Eröffnung ist, begannen einige Spieler damit, die Schachgemeinde mit
dem Zug 3...Dd6 zu erschrecken. Reine Provokation, oder? Nicht wirklich.
Es gibt ein paar Vorläufer, aber es scheint, als sei der Ursprung diese
provokanten Damenrückzuges in der Hamburger Schachszene zu finden. Zumindest gab
es in dem Kreis junger Spieler um GM Matthias Wahls, z.B. bei Stefan Sievers,
großes Interesse an diesem Zug. Dem großen David Bronstein gefiel 3... Dd6 so gut, dass er ihn, als über
70-Jähriger, einige Male auf Turnieren anwandte. Die Idee blieb anfangs aber
mehr oder weniger eine Episode, wenn auch mit einigen regelmäßigen Befürwortern
wie der jungen Jovanka Houska, Vadim Zaitsevs, Dragan Sermeks oder des jungen
Laurent Fressinet. Nach 2000 ist aber auch 3...Dd6 regelmäßiger Gast auf den
Turnierbrettern.
Im Jahr 2005 wendet sich schließlich der niederländische Großmeister Sergey
Tiviakov dieser Variante der Skandinavischen Verteidigung zu.
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In der regelmäßig
aktualisierten Mega 2011 sind 101 Partien von ihm enthalten. davon hat er
- wir reden über Schwarz - unglaubliche 48 gewonnen. 14 Partien gingen verloren.
Dabei spielt Tiviakov 3...Dd6 nicht etwa als Überraschungswaffe, sondern
als Hauptverteidigung, und zwar gegen jeden, auch stärkste Gegner, die sich
vorher darauf einstellen und sich vorbereiten konnten. Tiviakov kam von der
Drachenvariante, aber da der Wahlniederländer auch viel auf Open spielt, stellte
sich diese Verteidigung als wenig nützlich heraus "Jeder Amateur weiß, wie man
gegen den Drachen spielt", erläuterte Tiviakov gelegentlich. "Ich habe etwas
gesucht, mit dem man als Großmeister gegen Amateure gut auf Gewinn spielen kann,
das aber gleichzeitig sehr solide ist.
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Tiviakov hat diese Variante populär gemacht, indem er sie z.B. in Wijk aan Zee
2006 gegen Anand oder 2010 gegen Ivanchuk "auf großer Bühne" spielte und relativ
mühelos remis hielt. Es gibt einige wenige Rückschläge, von denen vielleicht die
Niederlage gegen Shirov im letzten Jahr in Hoogeveen die spektakulärste ist. Auf
der anderen Seite hat Tiviakov mit seiner Variante auch eine Reihe von Siegen
gegen starke Gegner erzielt. Inzwischen wagen sich auch einige absolute
Topspieler an diese Variante heran, manche nur im Blitzen oder Schnellschach,
z.B. Kramnik, Ivanchuk, Polgar oder Gashimov.
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Mit Tiviakovs DVD erhält man ein komplettes und lückenloses Repertoire gegen
1.e4. Alle Nebenvarianten, die Weiß nach 1.e4 d5 wählen könnte, werden
vorgestellt. In den insgesamt 14 Clips mit einer Gesamtlaufzeit von über vier
Stunden zeigt der frührer Europameister anhand beispielhafter Musterpartien alle
Varianten, mit denen Schwarz rechnen muss und erläutert, wie man dagegen
erfolgreich spielt, wobei sein eigenes Reperoire die Grundlage für die
Empfehlungen bildet.
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Außer den Video-Lektionen bietet die DVD weitere Highlights. Der Autor
veröffentlich hier nämlich auch seine private Datenbank mit Partien zu
Skandinavisch mit 3... Dd6. Es sind 177.896 und damit praktisch doppelt so
viele, wie in der Mega Database zu diesem Thema enthalten sind. Außerdem eine
Sammlung eigener Partien zur Variante, 181 Partien, und eine Datenbank mit 27
kommentierten Partien.
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André Schulz