Die Geschichte der Schacholympiade
Teil 3: Vor dem Zweiten Weltkrieg (1931 – 1939)
von Frank Große
Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs fanden 5
offizielle und ein inoffizieller Wettbewerb statt.
Prag 1931
Bei der vierten Olympiade 1931 in Prag
(anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Tschechoslowakischen
Schachverbands) hatten sich 22 Nationen eingeschrieben, von denen
letztendlich 19 an den Start gingen, die aber mit
Weltklasse-Einzelspielern aufwarten konnten. Polen war mit dem
Siegerteam von Hamburg 1930 angetreten, musste sich aber z.B. gegen
Österreich, die sich vor der Olympiade mit Grünfeld, Spielmann, Kmoch,
Bekker und Lokvenc selbst zum Favoriten kürten, das Team aus Deutschland,
das mit Jefim Bogoljubow verstärkt wurde und die Amerikaner behaupten. Der
Parcours war gewaltig: Jeder gegen Jeden, sodass in 15 Wettkampftagen
18 Partien ausgefochten wurden. Dementsprechend war es nicht
verwunderlich, dass der Wettstreit ausgeglichen, abwechslungsreich und bis
zuletzt spannend blieb, da sich keine der Mannschaften einen nennenswerten
Vorsprung erarbeiten konnte. Mit den jungen Spielern Dake und Horowitz
hinter den Spitzen Kashdan und Marshall hatten die USA die größere
Kondition, sodass die Goldmedaille über den Atlantik ‚wanderte‘.
Abschlusstabelle Prag
1931 (1)
Es wurden keine Schönheitspreise ausgelobt, obwohl es
natürlich auf Favoritenstürze gab, so z.B. den Niederlage Aljechins (für
Frankreich spielend) gegen den Letten Hermann Mattison, der 1924 noch
den Titel des ersten Amateurweltmeisters erspielen konnte. Dennoch konnte
der amtierende Weltmeister mit 75 % (13,5 aus 18) am ersten Brett das
beste Resultat erspielen.
(1)
Folkestone 1933
Die kleine englische Küstenstadt, die an der Nordküste des Ärmelkanals
liegt, dürfte den Autofahren heutzutage insbesondere durch den Eurotunnel
ein Begriff sein. Aus unerklärlichem Grund nahmen nur 15 Nationen an
diesem Wettbewerb statt und klassifizierten ihn damit zur
teilnehmerschwächsten Olympiade. Um es vorweg zu nehmen: Nachdem die USA
1931 in Prag den Titel zum ersten Mal gewannen, wiederholten Sie Ihren
Erfolg. Dieser schien zunächst auch völlig ungefährdet, da man mit 36
Punkten und durchschnittlichen 3:1-Siegen klar in Führung lag, bevor
man auf der Ziellinie zu straucheln begann, was durch eine überraschende
1,5 – 2,5-Niederlage gegen Schweden eingeläutet wurde. Somit
konnte die Tschechoslowakei noch einmal vom Titel träumen, zumal es in der
letzten Runde zu einem echten Finale der beiden Teams gekommen war. Die
Hürde, die Amerikaner mit mindestens 3,5 - 0,5 zu besiegen war zu
hoch, wenngleich ein Sieg (2,5 : 1,5) errungen wurde. Hierbei gelang
es Salo Flohr (Tschechoslowakei) am Spitzenbrett den bis dato
ungeschlagenen Isaac Kashdan (USA) in einer “wilden Partie“ zu
besiegen:
Flohr,Salo - Kashdan,Isaac [A18]
Folkestone ol (Men) Folkestone (15.1), 23.06.1933
1.c4 Sf6 2.Sc3 e6 3.e4 d5 4.e5
d4 5.exf6 dxc3 6.bxc3 Dxf6 7.d4 b6 8.Sf3 Lb7 9.Le2 Sd7 10.0–0 Ld6 11.Lg5 Df5
12.Da4 c6 13.c5 bxc5 14.dxc5 Dxc5 15.Tfd1 Le7 16.Txd7 Kxd7 17.Le3 Da3
18.Dd4+ Ke8 19.Dxg7 Tf8 20.Sg5 Td8 21.Lh5 Lxg5 22.Lxg5 Td5 23.c4 Txg5
24.Dxg5 Kd7 25.Td1+ Kc8 26.Lxf7 Kb8 27.Lxe6 Dxa2
Flohr – Kashdan: Stellung nach
27... Dxa2. Weiß spielte nun 28. Td8+,
wonach Lc8 die Partie auf den Kopf gestellt hätte, aber der Amerikaner zog
28… Kc7 und Weiß gewann.
28.Td8+ Kc7 29.De7+ Kb6 30.c5+ 1–0
Zum ersten Mal fehlte
Deutschland bei der Olympiade, das von seitens der FIDE wegen des
Arierparagraphen einen Ausschluss zu erwarten hatte. Dem war man zuvor
gekommen und trat nicht an.
Abschlusstabelle
Folkestone 1933 (1)
(2) Das US-Team in Folkestone v.l.n.r. Dake, Kashdan und seine Frau,
Simonson, Marshall, Fine
Warschau 1935
In
den letzten beiden Olympiaden waren die Amerikaner ob ihrer Punktverluste in
den Schlussrunden glimpflich davongekommen und konnten sich den Sieg
sichern. Diesmal sollte der Verlauf einen anderen Weg nehmen, wenngleich die
USA einen Hattrick hinlegten und den dritten Sieg in Folge
erreichten!
Die 20 teilnehmenden Mannschaften absolvierten
wieder den „Jeder-gegen-Jeden“-Marathon und nach knapp der Hälfte der
gespielten Duelle waren die Schweden überraschender Spitzenreiter (u.
a. 4 Punkte auf die USA). Das ausgeglichene Team aus
Skandinavien zollte mit zwei knappen Niederlagen (1,5 – 2,5 gegen
Polen und Jugoslawien) der Kondition Tribut und vor der letzten
Runde kam es zum Showdown zwischen den USA, Polen (1 Punkt
Rückstand auf die USA) und Schweden (2 Punkte Rückstand zu den
USA). Erstmals ohne Kashdan angetreten erhielten die Amerikaner aber
Schützenhilfe von Jugoslawien, die das Gastgeberland besiegten und
damit auf den dritten Rang verwiesen. Interessant die Aufzählung der Berufe
der 99 angetretenen Spieler: „22 Profispieler, 14 private Geschäftsleute,
11 Beamte, 11 Universitätsstudenten, 8 Kaufmänner, 7 Journalisten, 6
Hochschullehrer, 4 Ingenieure, 3 Universitätsprofessoren, 2 Fabrikbesitzer,
2 Gutsherren und jeweils 1 Sachverständiger, Doktor, Bankdirektor, Autor,
Zeichner, Musiker, Landwirt, Gärtner).“ (1)
Zwei Spieler sorgten auf für den meisten Wirbel: So war
es der erstmals auf internationaler Bühne aufgetretene 18-jährige Este Paul
Keres, der mit 3 Remisen (+11, -5) einen glanzvollen Einstand feierte und
maßgeblichen Anteil am Erfolg seinen Teams hatte. Diese Leistung wurde von
dem herausragenden Resultat von Arthur Dake (USA) mit 15,5 aus 18
(Brett 4: +13, =5) in den Schatten gestellt. Eine Kostprobe von Keres:
Keres,Paul - Winter,William [B29]
Warsaw ol (Men) Warsaw (14), 26.08.1935
1.e4 c5 2.Sf3 Sf6 3.e5 Sd5 4.Sc3 e6 5.Sxd5
exd5 6.d4 d6 7.Lg5 Da5+ 8.c3 cxd4 9.Ld3 dxc3 10.0–0 cxb2 11.Tb1 dxe5 12.Sxe5
Ld6 13.Sxf7 Kxf7 14.Dh5+ g6 15.Lxg6+ hxg6 16.Dxh8 Lf5 17.Tfe1 Le4 18.Txe4
dxe4 19.Df6+ 1–0
Wieder ausgelobt: der Preis
für die beste Partie, den sich Erich Eliskases (Österreich)
gegen André Muffang (Frankreich) sichern konnte.
Abschlusstabelle Warschau
1935 (1)
(5) Die USA nehmen den Hamilton-Russell-Cup zum dritten Mal entgegen.
München 1936
Die letzten beiden Veranstaltungen fanden ohne deutsche Beteiligung statt
und dem Mitgliedsantrag, den Großdeutschen Schachbund in die
Weltorganisation FIDE zu integrieren wurde 1935 nicht stattgegeben,
aber mit einem Trostpflaster: dem Ausrichten einer inoffiziellen Olympiade
zu den zeitgleich stattfindenden Sommerspielen auszurichten. Die
FIDE-Mitgliedsnationen wurde hierbei eine Teilnehme freigestellt. Trotzdem
traten 21 Nationen in Nazi-Deutschland an. Überall in Deutschland
wurde die Werbetrommel kräftig und mit markanten Slogans gerührt. Aus
schachlicher Sicht spielte das Turnier dem zeitlich in Notthingham
stattfindenden Superturnier (u. a. mit Botwinnik, Capablanca, Euwe,
Aljechin, Lasker) nur die zweite Geige.
(6) Flyer zur Schacholympiade 1936
Aber auch am Reglement wurde fleißig geschraubt, so
dass 10 Spieler zu einer Mannschaft gehörten, wovon 8 Bretter
mit Spielern besetzt wurden (damit wurde diese Veranstaltung zum größten
bisherigem Mannschaftswettbewerb). Das führte dazu, dass einige Nationen
kaum in der Lage waren ihre Mannschaften schlagkräftig zu füllen, was
eventuell aber beabsichtigt gewesen sein könnte, da von Seiten des
Großdeutschen Schachbund die Goldmedaille erwartet wurde. Man wollte dabei
nichts dem Zufall überlassen und trainierte das Team über ein Jahr hinweg
durch Willi Schlage und Jefim Bogoljubow. Durch einen übermotivierten
Zeitplan mussten die Teilnehmer im Schnitt drei Partien an zwei Tagen
schaffen, was ein permanentes Zerrbild an der Tabelle ergab. So täuschte ein
Freilos für die Ungarn in der ersten Runde einen Zweikampf zwischen
Deutschland und Polen vor. Die Magyaren gewannen alle Kämpfe
und somit diese inoffizielle Olympiade, auch aufgrund eines souveränen
mittlerweile 66-jährigen Geza Maroczy. Das Turnierbuch2
berichtet, dass in der nachfolgenden Stellung nach 11. h4 Weiß für sein
phantasievolles Spiel nicht belohnt wurde und verschweigt den Rest der
Partie:
Karel Hromadka (Tschechoslowakei) – Kornel Havasi (Ungarn): Stellung nach
11. h4
Die Megabase kann mit der vollständigen Partie aufwarten:
Hromadka,Karel - Havasi,Kornel [A02]
Munich ol (Men) Munich (7), 21.08.1936
1.f4 f5 2.e4 fxe4 3.Sc3 Sf6
4.g4 g6 5.g5 Sh5 6.d3 exd3 7.f5 Sg7 8.fxg6 hxg6 9.Lxd3 Sf5 10.Lxf5 gxf5
11.h4 e6 12.h5 De7 13.h6 Df7 14.Lf4 d6 15.De2 Sc6 16.Dg2 Se7 17.0–0–0 Ld7
18.Dxb7 Lc6 19.Dxc7 Lxh1 20.Dxd6 Sc6 21.Sb5 Lxd6 22.Sxd6+ Kf8 23.Sxf7 Kxf7
24.Td7+ Kg6 25.Tg7+ Kh5 26.h7 e5 27.Ld2 f4 28.g6 Le4 29.Tc7 Kxg6 0–1
Abschlusstabelle
Inoffizielle Oylmpiade München 1936 (1)
Das Schachleben in Deutschland in den Jahren 1933 -
1945 unterlag denselben Bemühungen und Wahnvorstellungen der Diktatur.
Mit der Gleichschaltung, die in der ersten Jahreshälfte 1933 alle
Bereiche der Gesellschaft erreichte etablierten die Nazis in allen
wesentlichen Positionen nützliche Parteigänger. So trat auch Walter Robinow,
der Organisator der Schacholympiade 1930 in Hamburg von seinem Amt
des DSB zurück. Bogoljubow durfte in der Zeit von 1934 – 1943 an
keiner der neun ausgetragenen Deutschen Meisterschaften teilnehmen, obwohl
er zuvor mehrfach Sieger war.
Stockholm 1937. Ob im Weltschach oder bei den
Schacholympiaden ein Generationswechsel der großen Meister kündigte sich an
und wurde langsam aber stetig vollzogen. Nicht gewechselt wurde zum
Austragungsmodus der inoffiziellen Olympiade von München, sodass eine
Mannschaft wieder aus 4 Brettern und 5 Spielern bestand. Und
auch auf der Triumphtafel gab es keine Änderung, denn die USA sollten
ihren vierten Triumph in Folge erringen.
Abschlusstabelle
Stockholm 1937 (1)
Das Team erreichte den
erneuten Titelgewinn ohne ernsthafte Gegenwehr, wenngleich Polen
anfängliche in Führung lag, was auf die Paarungen mit schwächeren
Mannschaften zurückzuführen ist. Unterstützt wurden sie hierbei vom Einstand
des 25-jährigen Samuel Reshevsky, der 1935 noch nicht für die
Amerikaner spielberechtigt gewesen war und gleich das erste Brett übernahm.
Der in Stockholm seinen 60. Geburtstag feiernde Frank Marshall, der vormals
das Spitzenbrett zierte fand sich an vierter Position zwischen Reuben Fine
und Isaac Kashdan wieder.
Buenos Aires 1939. Die Welt stand am Vorabend des
zweiten Weltkrieges und zum ersten Mal wurde außerhalb europäischen Bodens
die Schacholympiade ausgerichtet: in der argentinischen Hauptstadt Buenos
Aires! Und hierbei wurde mit 27 teilnehmenden Nationen (was an der
Teilnahme vieler südamerikanischer Nationen zurückzuführen ist) sofort ein
neuer Teilnehmerrekord erreicht. Damit wurde der Modus geändert und vier
Gruppen gebildet, deren jeweils ersten vier Teams in die nächste Runde
einzogen. Kaum war die Vorrunde beendet, brach der Zweite Weltkrieg aus und
auch die Olympiade war von diesem Ereignis überschattet: Eine Versammlung
der Mannschaftsführer wurde eine einberufen, derer Mehrzahl sich für den
Abbruch aussprach.
Dem Veranstalter gelang es auf den organisatorischen Aufwand und die
ökonomischen Opfer hinweisend den Wettbewerb aufrecht zu halten. Bis auf die
englische Mannschaft, die sofort abreiste spielten alle Teams weiter. Mit
den USA und Ungarn fehlten die beiden Erstplatzierten der
vorigen Olympiade. Das Ausbleiben der Amerikaner war aber nicht der
weltpolitischen Lage oder den Anreisekosten geschuldet – nein, Starallüren
waren der Grund der reinen Profimannschaft. Marshall verlangte freie Passage
und Logis für seine Frau (Reisekosten und Aufenthalt der Spieler wurde vom
Gastgeberland Argentinien übernommen), was noch geduldet wurde. Als Fine,
Kashdan und Reshevsky ebenfalls Ansprüche meldeten musste sehr wohl der
Ausrichter, als auch der amerikanische Schachverband passen.
(8) Erich Eliskases 1913-1997
Die Finalrunde nicht nur durch den Rücktritt Englands
von Verzerrungen gekennzeichnet, sondern allein sechs Begegnungen wurden
ohne Spiel 2:2 gewertet, da die politischen Streitigkeiten auch hier
Einfluss ausübten. Dennoch blieb das deutsche Team über die volle Distanz (20
Runden) ungeschlagen und wurde auch nach Ansicht der internationalen Presse
verdient Sieger. Deutschland wurde zum ersten Mal Olympiasieger, was
in der heimischen Presse als großer Erfolg gewertet und politisch
entsprechend verarbeitet wurde. Sie setzen sich gegenüber Polen und
Estland durch und waren u. a. durch die ehemaligen Österreicher
Becker und Eliskases verstärkt.
Letzterer spielte das Brett 1 und war 1930 in Hamburg als
17-Jähriger noch Teil der österreichischen Mannschaft, die den vierten Platz
belegte. Auch 1933 und 1935 war er für Österreich noch
am Start, bevor er 1939 mit Deutschland Olympiasieger wurde,
um schließlich 1952, 1958, 1960 und 1964 die
argentinischen Farben zu vertreten.
Milner-Barry – Foltys,
Buenos Aires 1939: Weiß leitet mit 28. Sf5+ Kf7 29. h4 einen
eleganten Damenfang ein
Die komplette deutsche Mannschaft verweigerte die
Rückreise nach Deutschland. Auch einige Frauen der zeitgleich ausgetragenen
Damen-Weltmeisterschaft verblieben in Argentinien und andere europäische
Spitzenspieler (z.B. Miguel Najdorf, Polen) schlossen sich diesem
Vorhaben an und blieben auch nach dem Ende des 2. Weltkrieges ihrer neuen
Heimat treu, was dazu führte, dass Argentinien viele Jahre der Weltspitze
zugehörig war. Der nachfolgende Brief(3) vom deutschen
Mannschaftsleiter Albert Becker an Max Blümisch gibt einen Einblick in die
Geschehnisse und Emotionen:
Brief
von Albert Becker an Max Blümisch...
Abschlusstabelle Buenos Aires 1939 (1)
Bilderquellen
(1)
surf-forecast.com
(2)
kenilworthchessclub.org
(3)
content.answers.com
(4)
ajedrezargentina.org
(5)
Mirosława Litmanowicz,
„VI Wszechświatowa Olimpiada Szachowa Warszawa 1935“
(6)
evrado.com
(7)
koenig-plauen.de
(8)
schach.wienerzeitung.at
Quellenverzeichnis
(1)
olimpbase.org
Die kompletten Tabellen und Statistiken sind auf dieser Webseite einzusehen
und würden aufgrund der großen Teilnehmerzahl den Umfang dieses Artikels
sprengen.
(2) Kurt
Richter „Schacholympiade München 1936“
(3)
Deutsche Schachzeitung, 01/1940