Geschichte der Schacholympiaden (V): 1960-1966

von ChessBase
09.06.2008 – Im fünften Teil seines Überblick über die Geschichte der Schacholympiade stellt Frank Große die Ereignisse um die Schacholympiaden in Leipzig (1960), Warna (1962), Tel Aviv (1964) und Havanna dar. Besonders die Schacholympiaden im Ostblock wurden dazu benutzt, mit Hilfe von Schach die geistige Überlegenheit der werktätigen Klasse zu demonstrieren. Und hier ragen die Schacholympiaden in Leipzig und Havanna besonders heraus. Über 75.000 (!) Besucher sollen die Wettkämpfe im Ringmessehaus besucht haben, wo Topstars wie Fischer, Tal oder Botvinnik spielten. Das ursprüngliche Verbot des State Departments an die US-Mannschaft, dort teilzunehmen, sorgte schon vor dem Ereignis wochenlang für Gesprächstoff. Die Leipziger Schacholympiade wurde von der Inszenierung des Mannschaftsturniers in Havanna 1966 sogar noch übertroffen. Ein meterhohes elektronisches Demobrett mit aktuellen Partien zierte die Innenstadt von Havanna - public viewing! - und den Mannschaften standen 120 Dolmetscherinnen zur Verfügung. Alle vier Turniere wurden von der Mannschaft der UdSSR gewonnen. Die Schacholympiaden (V)...

ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024 ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024

ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan

Mehr...

Die Geschichte der Schacholympiade – Teil 5: Rekordjagden (1960 – 1966)
Von Frank Große

Leipzig 1960

Nachdem 1958 die Schachwelt im westlichen Teil Deutschlands zu Gast war, fand die Olympiade im „Osten“, genauer in der Messestadt Leipzig statt. Um es vorweg zu nehmen: Es war eine Veranstaltung der Superlative, die dadurch begünstigt wurde, dass der junge Staat sein Image polieren wollte. Liest man die Rekordeinträge der damaligen Presse, die u. a. über 75.000 (!) Zuschauer bescheinigten, scheint die Veranstaltung volksfestartigen Charakter zu tragen. Hier wurde natürlich von Seiten der Regierung auch angeschoben und ganze Kollektive wurden durch das Land zum Großereignis transportiert. Aber nicht nur die inländische Informationsflut war (erwartungsgemäß) voller Lob und Anerkennung, weltweit resümierte man positiv.


(1)      Leipziger Ringmessehaus als Austragungsort

Bevor es im Leipziger Zentrum im Ringmessehaus an die Bretter ging sorgte das Team der USA für wochenlangen Gesprächsstoff in den Medien, da die Anreise der Mannschaft vom U.S.-State-Department untersagt wurde. Erst zahlreiche Proteste (u.a. Bobby Fischers Mutter) ließen eine Kehrtwende im Denken kurz vor den Beginn der Spiele zu. Eventuell wollte man aber auch den politischen Gegner unter Druck setzen, denn einen Monat für Beginn der Olympiade hatten die Amerikaner die Mannschaftsweltmeisterschaft der Studenten gewonnen – in Leningrad. Damit traten 40 Mannschaften an, was eine neue Höchstmarke darstellte. Demzufolge wurden 1.600 Partien gespielt, von denen 416 zu einer Hängepartie vertagt wurden, 7 kampflos endeten und dabei 60.697 Züge in 416.754 Minuten ausgeführt wurden.


(2)      Bobby Fischers Mutter Regina Fischer demonstrierte vor dem Weißen Haus

Ein Zweikampf zwischen den damaligen politischen Supermächten entbrannte auch auf dem Brett, da die Amerikaner mit Bobby Fischer (17 Jahre) und William Lombardy (22 Jahre) mit jungen, ehrgeizigen Talenten anreisten, die zusammen mit Byrne, Bisguier, Rossolimo und Wainstein eine Mannschaft bildeten. Samuel Reshevsky fehlte, da er nicht an Brett 2 hinter Fischer spielen wollte und finanzielle Forderungen in Höhe von ungefähr 3.000 Dollar stellte, die der amerikanische Verband nicht bewilligte. Das Team aus der SU trat hingegen Tal, Botwinnik, Keres, Kortschnoi, Smyslow und Petrosjan an, das damit hochgradig besetzt war. „Jeder Spieler der Mannschaft erhielt 1.500 Rubel, das waren damals ungefähr elf durchschnittliche Monatseinkommen1, weiß Viktor Kortschnoi zu berichten und unterzeichnet die Brisanz in das Team berufen zu werden. Außer den USA räumte man allen anderen Teams allenfalls Außenseiterchancen gegenüber der UdSSR ein. Doch die Amerikaner griffen nicht ernsthaft in den Kampf ein, denn das sowjetische Team konnte (erstmals) alle Matches gewinnen und wurde somit auch ungefährdet Olympiasieger. Dabei wurde nur eine Partie verloren, nämlich Tal gegen den Engländer Jonathan Penrose in der letzten Runde. Apropos Tal: Seine Partie gegen Fischer wurde von allen Zuschauern mit Spannung herbeigesehnt und war sorgte der nur 21 gespielten Züge für genügend Analysestoff. Hatte Tal 1959 den Amerikaner im Kandidatenturnier noch deutlich 4:0 geschlagen, blieb diesmal nur die Punkteteilung, was beiden Publikumslieblingen keinen Abbruch in der Gunst der Fans einbrachte.


(3)      Kollage über den Verlauf der Partie Fischer – Tal, Remis – Man beachte, dass es damals noch kein Rauchverbot gab!

Beide repräsentierten das Spitzenbrett Ihrer Nation mit ordentlichen Leistungen, aber beste Ausbeute lieferte der Österreicher Karl Robatsch, der 13,5 aus 16 erzielte. Dennoch hatte das keinen Einfluss darauf, dass die USA einen souveränen zweiten und Jugoslawien einen ungefährdeten dritten Platz belegten. Im innerdeutschen Duell blieb der Kampf um die Platzierung wie zwei Jahre zuvor eine spannende Angelegenheit, die mit einem knapp besseren Resultat für die Westdeutschen endete. Ex-Weltmeister Max Euwe aus den Niederlanden wurde mit seinem ‚schwachen‘ Resultat von +3, =7, -6 ein Rekord der erste Großmeister, der bei einer Schacholympiade unter 50% blieb.

Abschlusstabelle Leipzig 1960 (2)

Auch das Rahmenprogramm war attraktiv, so präsentierte die Ausstellung „Schach im Wandel der Zeiten“ zahlreiche Kostbarkeiten und Exponate aus der jahrhundertealten Geschichte des Spiels, es wurde ein Problemturnier ausgetragen, aber auch an die Damen, Fernschachfreunde und Arbeiterverbände wurde gedacht. Außerhalb der 64 Felder wurden den Teilnehmern u.a. Besuche der Sehenswürdigkeiten von Leipzig oder Dresden ermöglicht. Als Nachbetrachtung erschien das mittlerweile unter Sammlern begehrte und sorgfältig aufbereitete Turnierbuch zur Olympiade.

(4)      Ausstellungsobjekte aus „Schach im Wandel der Zeiten“

Warna 1962

Bei der darauffolgenden 15. Olympiade im bulgarischen Seebad am Schwarzen Meer konnte der Rekordhype vorläufig nicht gesteigert werden, sodass 37 Vertretungen (von vormals 42 gemeldeten) in vier Vorrundengruppen um den Einzug ins Finale kämpften. Salo Flohr, der als Hauptschiedsrichter fungierte teilte seine Impressionen im Schach-Echo mit: „Es wimmelt hier von Großmeistern und Meistern. Das Schwarze Meer hat sich in ein Schach-Meer verwandelt. Der einzige Mangel besteht darin, dass das Lokal zu klein ist. Das Interesse ist zu groß; außerdem sind noch Schlachtenbummler aus verschiedenen Ländern hier angekommen, die das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden: Man badet und sieht sich die ganze Schachwelt an. … Die Semifinale sind ja eigentlich, besonders für die starken Schachländer, eine Formalität, manchmal sogar ein Spaziergang. Man hört immer wieder Stimmen, dass man die Vorgruppen verkürzen sollte. In Gefahr war ein so starkes und populäres Schachland wie Holland. Aber der nationale Schachheld kam gerade zum rechten Moment geflogen. Dr. Max Euwe kam an, als Holland gegen den Hauptkonkurrenten – Polen – spielte. Die Polen gewannen vier Wettkämpfe mit 4:0. Aber gegen Holland, aufgemuntert durch Euwe’s Ankunft, kam es umgekehrt – auch 4:0, aber … für Holland. … Bobby Fischer schweigt selten. Diesmal meinte er, dass es höchste Zeit sei, dass nach 25jähriger Pause die Amerikaner wieder einmal die Olympiade gewinnen. … Nach der 2. Runde hielten die USA gleichen Schritt mit dem Weltmeister (Anmerkung: In der deutschsprachigen Presse wurden die Olympiaden oft auch als Mannschaftsweltmeisterschaften bezeichnet); nach der dritten Runde war Rumänien der Dritte im Bunde. In der vierten Runde gelang es der Mannschaft der Bundesrepublik die UdSSR nebst Jugoslawien wieder einzuholen! Am besten, wenn man nun das Spiele beendete! – scherzten manche. Aber man kann doch nicht den Pokal in drei Teile zerspalten, meinten die Russen – spielen wir lieber weiter. … Nach fünf Runden stand die UdSSR gleich mit der Bundesrepublik. Aber dann begann allmählich der Endspurt der sowjetischen Bombenmannschaft. Drei Runden vor Schluss „geht die Uhr wieder richtig“ für die Großmeistermannschaft und niemand zweifelt daran, dass die Botwinnik-Mannschaft wieder Erster wird.3

(5) Botwinnik versus Fischer in Warna 1962

Apropos Botwinnik beziehungsweise Fischer, das Match der zwei Giganten während des Kampfes UdSSR-USA war mit großem Interesse erwartet. Nicht, weil der Kampf den Ausgang der Olympiade entscheiden würde, sondern wegen der möglichen Sensationspartie. Bobby Fischer hatte in Fernsehinterviews angekündigt, dass „Botwinnik Angst hat und zu dieser Partie nicht antreten wird.“ was für die Medienvertreter eine sensationswitternde Aussage darstellte, zumal er noch weiter tönte, dass er in einem Zweikampf auf 24 Partien Botwinnik eine Vorgabe von 2 Punkten geben würde und dennoch leicht gewänne. Der 19jährige hatte aber die Rechnung dieser historischen Begegnung ohne seinen Widerpart gemacht, obwohl die Partie zunächst ungünstig für Botwinnik verlief: „Die Sache war so: Die Großmeister spielten eine Variante, die vor zehn Jahren sehr modern war. Im Jahre 1953 bereitete sich Botwinnik zum Wettkampf gegen Smyslow vor und fand eine gute Fortsetzung in einer Variante, die den Namen „Smyslow-Variante“ trägt. In seinem Varianten-Koffer brachte Botwinnik diese mit nach Warna. Aber im 17. Zuge geschah etwas ganz Unerwartetes und höchst Unangenehmes für Botwinnik. Fischer fand am Brett einen Zug, den Botwinnik in der Hausanalyse im Jahre 1953 übersehen hatte (17… Df6xf4!). Deprimiert über diesen Vorfall, spielte Botwinnik in der Folge nicht am besten und man meinte, dass Botwinnik es nicht bis zum Abbruch aushalten wird. Aber in der Hitze des Gefechts beging auch Bobby (im 41. Zuge, schon nach der Kontrolle) einen Fehler. Abgebrochen. Bobby schätze die Stellung als leicht gewonnen für ihn ab. Er hatte im Turmendspiel einen gesunden Mehrbauern. Siegesgewiss gab sich Bobby wahrscheinlich wenig Mühe, die Stellung zu analysieren. Botwinnik suchte die ganze Nacht eine Rettung. Wer sucht – der findet! Nach der Partie erklärte Botwinnik, dass die Abbruchstellung Remis war, ganz egal, welchen Zug Fischer abgab. … Bleich rot, traurig sitzt Bobby am Tisch, als er sieht, dass es nicht weiter geht. Im 68. Zuge reicht er Botwinnik die Hand: Unentschieden! Einige Sekunden lang gelingt es den wartenden Kinoreportern, die zwei Großmeister zu filmen, dann … verschwindet Fischer wie ‚eine Rakete‘. Er eilt ins „Astoria-Hotel“, wo er es nicht länger aushalten kann. … Lange kann er sich nicht beruhigen. So eine Partie konnte er nicht gewinnen. Der Sieg war doch so nahe … Und es ist ja eben so auf dieser Welt: Wer den Schaden hat, der braucht für den Spott nicht zu sorgen. Fischers Kollegen machen Witze: Es ist noch nicht festgestellt, ob Fischer Botwinnik zwei Punkte vorgeben kann; aber eines ist schon klar: Botwinnik kann Bobby einen Bauern vorgeben!3 Hier die Partie:

Botvinnik,Mikhail - Fischer,Robert James [D98]

Varna ol (Men) fin-A Varna (10), 1962

 1.c4 g6 2.d4 Sf6 3.Sc3 d5 4.Sf3 Lg7 5.Db3 dxc4 6.Dxc4 0–0 7.e4 Lg4 8.Le3 Sfd7 9.Le2 Sc6 10.Td1 Sb6 11.Dc5 Dd6 12.h3 Lxf3 13.gxf3 Tfd8 14.d5 Se5 15.Sb5 Df6 16.f4 Sed7 17.e5 Dxf4 18.Lxf4 Sxc5 19.Sxc7 Tac8 20.d6 exd6 21.exd6 Lxb2 22.0–0 Sbd7 23.Td5 b6 24.Lf3 Se6 25.Sxe6 fxe6 26.Td3 Sc5 27.Te3 e5 28.Lxe5 Lxe5 29.Txe5 Txd6 30.Te7 Td7 31.Txd7 Sxd7 32.Lg4 Tc7 33.Te1 Kf7 34.Kg2 Sc5 35.Te3 Te7 36.Tf3+ Kg7 37.Tc3 Te4 38.Ld1 Td4 39.Lc2 Kf6 40.Kf3 Kg5 41.Kg3 Se4+ 42.Lxe4 Txe4 43.Ta3 Te7 44.Tf3 Tc7 45.a4 Tc5 46.Tf7 Ta5 47.Txh7 Txa4 48.h4+ Kf5 49.Tf7+ Ke5 50.Tg7 Ta1 51.Kf3 b5 52.h5 Ta3+ 53.Kg2 gxh5 54.Tg5+ Kd6 55.Txb5 h4 56.f4 Kc6 57.Tb8 h3+ 58.Kh2 a5 59.f5 Kc7 60.Tb5 Kd6 61.f6 Ke6 62.Tb6+ Kf7 63.Ta6 Kg6 64.Tc6 a4 65.Ta6 Kf7 66.Tc6 Td3 67.Ta6 a3 68.Kg1 ½–½

 

Abschlusstabelle Warna 1962 (2)

Der „Bruderkampf“ BRD – DDR endete nach spannendem Spiel zugunsten der Westdeutschen, die sich mit dem 7. Platz wohl zufrieden fühlten. Die Spieler mit den besten Leistungen: Olafsson (Brett 1, 14 aus 18), Petrosjan (Brett 2, 10 aus 12), Spassky (Brett 3, 11 aus 14) und Ivkov, sowie Sanguinetti (beide Brett 4, mit je 13½ aus 16).

Tel Aviv 1964

Mit 50 teilnehmenden Nationen im Sheraton-Hotel in der israelischen Wirtschaftsmetropole wurde erneut ein Teilnehmerrekord aufgestellt. Da sich unter den Neulingen auch Australien befand, waren zum ersten Mal Staaten von allen fünf Kontinenten vertreten! In der Mitte des Turniersaales waren in einem langegestreckten Viereck 96 Schachtische aufgestellt und die Kampfstätte wurde durch rote Seile abgegrenzt; ringsherum hatten etwa 500 Zuschauer Platz um das Geschehen an den einzelnen Brettern verfolgen zu können.

(6) Das für damalige Verhältnisse hypermoderne Sheraton-Hotel als Austragungsstätte der XVI. Schacholympiade.

(7) Bei der Eröffnungsfeier wurde der Olympische Eid in vier Sprachen geleistet: vom Weltmeister Tigran Petrosjan
in Russisch, vom US-Mannschaftskapitän Isaac Kashdan in Englisch, vom französischen Team-Chef André Muffang in Französisch und
vom schweizerischen Betreuer Walter Kühnle in Deutsch.

Dass das starke Team der Sowjetunion den Titel zum siebenten Mal in Folge erringen konnte stand von Anbeginn außer Zweifel. Bemerkenswert war in dieser Hinsicht überlegene 3:1-Sieg der BRD (mit Wolfgang Unzicker, Lothar Schmid, Helmut Pfleger und Wolfram Bialas) über die Vertreter der Sowjetunion, die mit einem Team bestehend aus Weltmeister Tigran Petrosjan, den Exweltmeistern Michail Botwinnik und Wassilij Smyslow, sowie Paul Keres, Boris Spasski, David Bronstein und Leonid Stein eindeutig favorisiert waren. Es fehlte wegen schlechtem Gesundheitszustand nur Michail Tal, dessen Brett bei den letzten Olympiaden wegen seines kombinatorischen Ideenreichtums ein Hauptanziehungspunkt war. Vielleicht war die Niederlage gegen die Bundesrepublik der Tatsache zuzuschreiben, dass das Team der Russen zwar als erstes Team in Israel angereist war, sich aber statt den sonst üblichen Blitzpartien mit Domino vergnügte, wie die Deutschen Schachblätter berichten. Es war der erste Sieg einer deutschen Mannschaft gegen die Sowjetunion und zugleich erst die zweite (!) Niederlage einer sowjetischen Mannschaft bei der Schacholympiade (1,5:2,5 1956 in Ungarn war die erste). Hätte man in der Runde zuvor nicht 3:1 gegen Spanien verloren wäre eventuell sogar noch eine bessere Platzierung als der hervorragenden 3. Platz möglich gewesen.

Das Team auf der anderen Seite der Mauer startete mit 2 Niederlagen, was auch durch eine praktisch unlösbare Aufholjagd die Qualifikation zum A-Finale (nur die ersten beiden der 7 Vorrundengruppen qualifizierten sich) um einen halben Zähler verpasste. Im B-Finale wurde zwar ein überlegener Sieg herausgestellt, aber der daraus in der Gesamtwertung resultierende 15. Platz blieb nicht ohne Folgen, der die Förderung des Schachs in der DDR in den nächsten Jahren arg beschränken sollte. Sport als Mittel der Politik wurde nur anhand von Erfolgen gemessen und diese am besten als Edelmetall und (deutlich) vor dem Klassenfeind. Die Differenz des Abschneidens der DDR bedeutete Wasser auf die Mühlen der Funktionäre, die Schach keinerlei Bedeutung zumaßen.

Abschlusstabelle Tel Aviv 1964 (2)

Von den annähernd 280 Spielern blieben nur drei unbesiegt: Weltmeister Petrosjan, Großmeister Spasski und der zu damaligen Zeitpunkt deutsche Vizemeister Helmut Pfleger. „Dabei fällt besonders ins Gewicht, dass der 22jährige Bamberger erboten hatte, öfters mit den schwarzen Steinen gegen schwere Gegner anzutreten. So übernahm er gegen Stein, Matanovic, Hort und Mititelu die Rolle des Verteidigers und holte aus diesen vier Finalpartien 2 ½ Zähler! Überdies vermochte Pfleger mit seinem nicht mehr erwarteten Sieg über den Ungarn Lengyel den dritten Platz … sicherzustellen.4

(8) Der junge Helmut Pfleger (rechts), hier im Stichkampf um die Deutsche Einzelmeisterschaft gegen Wolfgang Unzicker 1963.

Havanna 1966

Wieder wurde die Großveranstaltung im sozialistischen Lager benutzt, um von den Nöten der nationalen Bevölkerung abzulenken. Eine Veranstaltung der Superlative wurde angeboten, das auch beim Rahmenprogramm bleibende Akzente setzte: 900 Organisatoren wurden 10 Monate geschult, um den reibungslosen Ablauf zu gewähren, 120 DolmetscherInnen gehörten zum Repertoire, ebenso wie eine amerikanische (!) Luxuslimousine mit Chauffeur für jede Mannschaft. Mit Volksmusikgruppen, einer Theateraufführung „Die lebende Partie“ (CapablancaLasker, Moskau 1936) und Rumcocktail („Rochade“ genannt) wurden die zahlreichen Gäste empfangen. Doch dem nicht genug, mit einem riesigen elektronischen Schachbrett, dass an einer Häuserwand in der Hauptstadt installiert war, wurde die wichtigste Partie des Tages live übertragen.

(9) „Wer den geschlagen hat? – Er hat sich als Alleinvertreter selbst matt gesetzt“ titelte die „BZ am Abend“

Die Nationen (neuer Teilnehmerrekord: 52) die da zu Hause blieben hatten etwas verpasst und ausgerechnet hier fehlte das Team der BRD erstmalig bei einer Schacholympiade, was offiziell zuerst mit „Aufstellungsschwierigkeiten“, später mit „Flugunsicherheit“ begründet und international skeptisch belächelt wurde. Den Gegenbeweis lieferte Lothar Schmid mit seinem Brief an das westdeutsche Schach-Echo. Umso überraschender, dass die USA ein Team entsendete und somit nach vielen Jahren eine offizielle Delegation. Doch hier bahnte sich in der zweiten Runde beim Aufeinandertreffen der Sowjetunion und der USA der nächste Zündstoff an, da die Partie unglücklicherweise auf einen Samstag, 16.00 Uhr gelegt wurde und somit in Konflikt mit Fischers religiöser Einstellung kam, die ihm ein Spielen von Freitags, 18.00 Uhr bis Samstag, 18.00 Uhr nicht erlaubte. Einer Spielverlegung kam die Delegation der UdSSR nicht nach, sodass die Uhren um 16.00 Uhr angestellt wurden und der Kampf nach Ablauf einer Stunde mit 4:0 für die Sowjetunion gewertet wurde, da die Amerikaner nicht antraten. Letztlich fand man hier doch noch einen Kompromiss und wiederholte die Ansetzung weniger Tage später, die von den Mannen der UdSSR mit 2,5:1,5 gewonnen wurde. Die sportlichen Resultate schienen aufgrund des umfangreichen Rahmenprogramms und der politischen Brisanz fasst nebensächlich zu werden. Kuba konnte sich analog Israel vor 2 Jahren für die Finalrunde qualifizieren und trotz des dortigen letzten Platzes war man begeistert, wovon auch der tägliche Besuch Fidel Castros zeugte.

(10) Erstmalig in der Welt: Riesiges Elektro-Demonstrationsbrett im Zentrum Havannas

Zu Ehren des 78. Geburtstages von Capablanca traten die 371 Olympiadeteilnehmer an 6840 (!) Brettern gegen kubanische Gegner, die sich in Ausscheidungskämpfen qualifizieren mussten an. Die Presse hatte noch einige Monate nach der Olympiade rekordverdächtiges zu von dieser Veranstaltung zu berichten.

(11) 6940 Bretter am 19. November auf dem Platz der Revolution in Havanna

Abschlusstabelle Havanna 1966 (2)

(12) Seriensieger Sowjetunion bei der Siegerehrung (v.l.n.r.): Polugajewsky, Kortschnoi, Stein, Petrosjan, Bondarewsky (Kapitän) und Spassky. Es fehlt Tal, der bereits zu einem neuen Turnier abgereist war.

Bilderquellen
(1)
      XIV. Schach-Olympiade Leipzig 1960, Sportverlag Berlin
(2)
      www.chessbase.de/events/events.asp?pid=422
(3)
      XIV. Schach-Olympiade Leipzig 1960, Sportverlag Berlin
(4)
      Broschüre „Information XIV. Schach-Olympiade Leipzig“
(5)
      Schach-Echo 20/1962
(6)
      Deutsche Schachblätter 12/1964
(7)
      Deutsche Schachblätter 11/1964
(8)
      Deutsche Schachblätter 01/1964
(9)
      Schach 12/1966

(10)   Schach 01/1967
(11)
   Schach 01/1967
(12)
   Schach 01/1967

Quellenverzeichnis
(1)
     Viktor Kortschnoi „Mein Leben für das Schach“, OLMS Verlag
(2)
      olimpbase.org
Die kompletten Tabellen und Statistiken sind auf dieser Webseite einzusehen und würden aufgrund der großen Teilnehmerzahl den Umfang dieses Artikels sprengen.
(3)
      Schach-Echo 20/1962
(4)
      Deutsche Schachblätter 12/1964

 

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

Diskutieren

Regeln für Leserkommentare

 
 

Noch kein Benutzer? Registrieren