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Die coolen
Finnen kommen
Asiaten bei der Chinaschach-WM in Paris unschlagbar
Von René Gralla
Fotos: Christoph Harder
In der letzten Runde heißt es schon wieder »Deutschland gegen Holland«.
Schwarzhosen gegen Oranje – das an diesem Sommermorgen aggressiv rot leuchtet –,
das ist mindestens so aufregend wie das unvergessene WM-Finale 1974: abgesehen
davon, dass die Hauptakteure in Paris nicht Johan Cruyff und Kaiser Franz,
sondern Gert Greeuw und Michael Nägler heißen. Auch der heilige Rasen hat sich
verändert, im dritten Jahrtausend geht der Trend unverkennbar zum Virtuellen,
entsprechend schieben der Rotterdamer Greeuw (52) und der Emsländer Nägler (48)
bloß flache Scheiben mit Symbolzeichen über ein Holzbrett. Sonst ist die
Stimmung fast so gut wie vor 31 Jahren, als Cruyff und Co. wacker Druck machten,
am Ende aber die sprichwörtlichen Rumpeldeutschen siegten – in diesem Augenblick
repräsentiert von einem Doktor Nägler als Ein-Mann-Show der Republik.
Schräg um die Ecke
Einen Pott darf der gelernte Radiologe trotzdem nicht nach Hause
tragen. Schließlich flanken und kontern die Herren Greeuw und Nägler gerade
nicht in jenem einfachen Spiel um das Runde, das irgendwie ins Eckige befördert
werden soll. Vielmehr ist das jetzt das ziemlich genaue Gegenstück, nämlich die
Weltmeisterschaft in einer Disziplin, wo vor allem schräg um die Ecke gedacht
werden muss – im besonderen Schach der Chinesen.
Besagtes »XiangQi« ähnelt dem in Europa üblichen 64-Felder-Sport – Ziel ist das
Matt des feindlichen Oberbefehlshabers –, zeichnet sich aber gleichzeitig durch
eine Reihe fieser Tricks aus. So dürfen bestimmte Figuren gewisse Zonen des
Gitternetzes aus 90 Schnittpunkten nicht verlassen: Die Antipoden, der »rote«
und der »schwarze« General, sitzen fest in ihren Hauptquartieren; der zentrale
Grenzfluss ist unüberwindbare Barriere für die Elefanten. Allein Soldaten,
Reiter, Streitwagen und Kanonen können die Furten des Huanghe passieren.
Alles recht vertrackt, folglich sind im XiangQi bisher die Asiaten kaum zu
schlagen. Bei der diesjährigen WM in Paris räumt die Volksrepublik
erwartungsgemäß ab: Der Kantonese Lu Qin (43) holt sich zum fünften Mal den
Titel. Guo Liping (24) hängt die Verfolgerinnen in der Damenkonkurrenz ab –
während sich die Deutsche Lea Schmidt (18) mit der roten Laterne bescheiden
muss, obwohl die Schülerin aus Nürnberg eigentlich mit einem gewissen Optimismus
angetreten ist (ND berichtete). Auch der Endspielthriller BRD-Niederlande –
rekordverdächtige 129 Züge, auf jeden Fall das längste Match am Schlusstag – hat
keine Bedeutung für den Turnierausgang.
Michael Nägler gegen Gert Greeuw
Wenigstens sichert der Kampfgeist
des deutschen Routiniers Nägler seiner schwarz-rot-goldenen Auswahl den zweiten
Rang unter den europäischen Mitbewerbern – hinter WM-Gastgeber Frankreich und
vor Holland.
Erstes Gastspiel
Dennoch markiert Paris 2005 eine Zeitenwende: Erstmals in der
Geschichte des XiangQi, die zurück reichen soll bis in die Bürgerkriegswirren
der »Streitenden Reiche« ab 478 bis 221 vor Christus, gastiert der WM-Zirkus
außerhalb Asiens. Das ist eine Richtungsentscheidung der Welt-XiangQi-Federation,
denn die WXF setzt auf eine Westoffensive, um Nachwuchssorgen in den Hochburgen
China und Vietnam zu kompensieren. »Neuerdings ermutigen viele Eltern ihre
Kinder, das internationale Schach zu lernen«, so Lee Shing Leung (70) von der
WXF-Studienkommission. »Langnasen« sollen frischen Wind in die Chinaschach-Szene
bringen. XiangQi goes West – symbolträchtig ist auch der Turnierort in Paris
gewählt: das wunderbar exotische Hotel »Chinagora«, ein buntes Ensemble aus
verschnörkelten Erkern und Türmen unter geschwungenen Pagodendächern auf einer
Halbinsel, wo sich Seine und Marne vereinigen. Das passende Ambiente für die
XiangQi-WM – in dem allein die Kandidaten aus dem Westen den optischen Standard
nicht halten können.
Wie von Kaurismäki persönlich gecastet
Asiens Topleute favorisieren Anzug oder gepflegten Freizeitdress, bei
den Europäern dominiert ein leicht schrulliger Mix – mit einer unbegreiflichen
Vorliebe für wuchtige Sandalen (die Füße alternativ gewärmt von kuscheligen
Socken oder kess entblößt).
Was das weibliche Publikum mit einem asiatisch-unergründlichen Lächeln registriert: ganz vorne weg die Teilnehmerinnen an der Wahl »Miss Chinese Kosmos«, die zeitgleich zur WM im »Chinagora« logieren.
Da recken selbst versponnene Denksportler ihre Hälse: eine Herausforderung, der sich allein die Finnen gewachsen zeigen. Das Trio um Senior und Mathematiker Jouni Tolonen (43) könnte vom Kultregisseur Kaurismäki persönlich gecastet worden sein.
Die Teamkollegen Jouni Ramo (22) und Arto Vaara (39) würden in ihren halblangen schwarzen Bermudas auch auf der Bühne eines Independent-Festivals eine gute Figur machen.
Um die Zukunft des XiangQi in
Europa muss einem nicht bange sein: Die coolen Finnen werden’s richten.