ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
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Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781), Juan Huarte (1529-1588) und das Schachspiel
Lessing war von 1770 an Bibliothekar in
Wolfenbüttel
und hatte dort Zugang zu Schachliteratur. Zuvor
hatte er den deutschen Dichter
F. G. Klopstock
(1724-1802) in Hamburg als "guten Schachspieler" kennen gelernt (vergl.
Lessing Chronik - Daten zu Leben und Werk, zusammengestellt von Gerd Hillen,
Carl Hanser Verlag 1979, S. 55). Am Beginn von Lessings Freundschaft mit dem
Buchhalter und Philosophen
Moses Mendelssohn
(1729-1786) im Jahre 1754 soll die Empfehlung durch einen gemeinsamen Bekannten
als "guter Schachspieler" gestanden haben (vergl. Lessing Chronik, S. 28;
ferner mit weiteren Quellenangaben: M. Steinschneider, Schach bei den Juden
in: Antonius van der Linde, Geschichte und Literatur des Schachspiels,
Reprint Olms 1981, Bd. 1, S. 193). Lessing war zweifellos am Schachspiel sehr
interessiert.
Der Schachhistoriker van der Linde erwähnt in seinem 1874 erstmals publizierten
Standardwerk (s.o., Bd. 2, S. 419 ff.) im Abschnitt Würdigung des
Schachspiels ein Buch, das 1557 geschrieben, 1575 erstmals gedruckt und 1752
von Lessing aus dem Spanischen übersetzt wurde: Johann Huart's Prüfung der
Köpfe zu den Wissenschaften, Zerbst 1752. Wieviele Ausgaben dieses Werkes
seit dem ersten Druck 1575 erschienen sind, wusste van der Linde nicht genau. Er
nannte einen Experten, der 14 Ausgaben in spanischer und "wenigstens" 27 in
lateinischer, französischer, italienischer und englischer Sprache gezählt habe.
Martin Franzbach, der 1968 das Werk des spanischen Arztes
Juan Huarte (1529-1588) Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften
(Examen de ingenios para las ciencias) als Nachdruck der Lessing-Übersetzung von
1752 mit einer kritischen Einleitung und einer Bibliographie neu herausgab
(Wilhelm Fink Verlag München), listete von der Erstausgabe 1575 in
Baeza (Spanien) bis
zur Ausgabe Gainesville 1959 (Florida/USA) insgesamt 77 Ausgaben mit 89
Titelvarianten auf, darunter 31 Ausgaben in Spanisch, 25 in Französisch, 8 in
Englisch, 7 in Italienisch, 3 in Lateinisch, 2 in Deutsch und 1 in Holländisch!
Schon diese Zahlen vermitteln eine Ahnung von der Wirkung des Buches. Ausgaben
des Examen de Ingenios befanden sich in zahlreichen bedeutenden
Privatbibliotheken. In der Zeit, in der Lessing seine Übersetzung in Angriff
nahm, war das Buch "als bestes und umfassendstes Kompendium auf seinem Gebiet im
täglichen Gespräch und gehörte zum festen Bildungsbesitz der Professoren"
(Franzbach). Lessings Vater, ein evangelischer Pfarrer, hatte bei seiner
Magisterarbeit 1712 in Wittenberg als lateinische Quelle Huartes Scrutinium
Ingeniorum angeführt, und Gotthold Ephraim Lessing erwarb am 29. April 1752
in Wittenberg durch lateinische Vorarbeiten zur Biographie und Kritik Huartes
den Magistertitel. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Huartes Buch eifrig von
Schopenhauer gelesen und kommentiert. Seither erst hat der spanische Autor nur
noch historische Bedeutung.
Herder schrieb nach dem Tode Lessings: "Das erste Buch, das ich von ihm habe,
ist seine Übersetzung Huartes. Eine Übersetzung aus dem Spanischen war in
Deutschland 1752 wieder ein seltnes Ding, so häufig unsre liebe Vorfahren ein
Jahrhundert vorher aus dem Spanischen übersetzt hatten, zumal die Übersetzung
eines so paradoxen Schriftstellers, als Huarte ist. In der kurzen Vorrede zu ihm
ist Lessing schon ganz kenntlich."
In der Vorrede erklärte Lessing, dass er sich hauptsächlich wegen des geringen
Werts der lateinischen Übersetzung an eine deutsche Übersetzung gemacht habe.
Zur Bedeutung des über 150 Jahre zuvor verfassten Werkes von Huarte sagte er:
"Das Buch an sich selbst hat seine Vortrefflichkeit noch nicht verloren, ob
gleich die Art zu philosophiren welche man darinnen antrift jetzo ziemlich aus
der Mode gekommen ist. Es ist immer noch das einzige welches wir von dieser
Materie, deren Einfluß in die ganze Gelehrsamkeit ganz unbeschreiblich ist,
haben."
Das von Huarte bearbeitete Grundproblem ist immer noch aktuell - die
Begabungsauslese, bzw. in der Sprache des Sportes die Talentsichtung. Während
heute jedoch der konjunkturabhängige Personalbedarf der Wirtschaft im
Vordergrund steht, der auf der Austauschbarkeit von Arbeitskräften basiert und
die Bereitschaft voraussetzt, sich - unabhängig von einer inneren Berufung - auf
einen anderen Job/Beruf umschulen zu lassen, ging Juan Huarte von einer anderen
Prämisse und einem anderen Bildungsziel aus: "Denn da das menschliche Genie
so schwach und eingeschrenkt und nicht mehr als zu einer Sache aufgelegt ist, so
habe ich allezeit geglaubt, daß es kein Mensch in zwo Künste zur Vollkommenheit
bringen könne, ohne in einer zu fehlen." Dies sei allen alten Weltweisen
klar gewesen, nur habe keiner zu erklären gewußt, "was das für eine Natur sey
die den Menschen zu einer Wissenschaft fähig und zu einer andern unfähig macht.
Keiner hat es bestimmt wie viel Verschiedenheiten des Genies in dem menschlichen
Geschlecht anzutreffen sind und welche Künste und Wissenschaften einer jeden
davon zukomme. Keiner, welches das Hauptwerk ist, hat uns die Merkmahle woran
man diese Verschiedenheiten erkennt, angegeben."
Im achten Hauptstück seines Werkes beschäftigte sich Juan Huarte mit der Frage,
"wie man einer jeden Verschiedenheit des Genies diejenige Wissenschaft welche
sich besonders für sie schickt anweisen und sie von der welche ihn zuwider ist
abhalten soll" (S. 134 ff.). Zunächst widersprach er Cicero, welcher der Ansicht
war, dass nur in der Dichtkunst eine besondere Begabung erforderlich sei; "in
keiner einzigen Wissenschaft ... wird es derjenige dem das Genie dazu fehlt zu
etwas bringen, wenn er auch schon sein ganzes Leben an Erlernung ihrer
Grundsätze und Regeln wendet". Sodann teilte Huarte Künste und Wissenschaften in
drei Gruppen ein (S. 135 f.):
- solche, die mit dem Gedächtnis erlangt werden: die Sprachkunst, die lateinische oder jede andre Sprache, die theoretische Rechtsgelehrsamkeit, die "positivische" Gottesgelehrtheit, die Geographie und die Rechenkunst;
- solche, die von dem Verstand abhängen: scholastische Gottesgelehrtheit, die theoretische Arzneigelehrtheit, die Dialektik, die natürliche und moralische Weltweisheit und die ausübende Rechtsgelehrsamkeit (Anwälte/Richter);
- solche, die eine gute Einbildungskraft benötigen: "alle Künste und Wissenschaften, welche Bilder, Gleichheiten, Harmonie und Verhältnisse zu Gegenständen haben", insbesondere die Dichtkunst, die Beredsamkeit, die Baukunst, die ausübende Arzneigelehrtheit, die Mathematik, die Astrologie, die Regierungskunst, die Kriegswissenschaft, Malen, Zeichnen, Schreiben und Lesen; "gleichfalls hangt es von der Einbildungskraft ab, daß der Mensch artig, höflich, aufgeräumt, scharfsinnig ist; daß er Ränke und Kunststücke erfinden kann; daß er jene Gabe besitzt welche der Pöbel so sehr bewundert, nämlich vier Schreibern auf einmal vier verschiedne Materien in die Feder zu sagen und sich in keiner zu verwirren".
Amüsant ist es, wie Huarte im Folgenden ausführlich zu belegen versuchte, "daß
sich die lateinische Sprache mit der scholastischen Theologie sehr schwer
verbinden lasse und daß es etwas sehr rares sey, wenn ein großer lateinischer
Styliste zugleich ein großer Scholastiker ist". Das zielt ausdrücklich auf
Thomas von Aquin und
Duns Scotus, die
vortrefflichste Gedanken "in dem allerschlechtesten und niedrigsten Lateine
vorgetragen haben" (S. 140). Huartes Buch wurde übrigens 1581/83 in Portugal und
Spanien auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt! Die nächsten Ausgaben des
Buches erschienen daher in anderen Ländern (Venedig, Cremona, Paris, London,
Leyden, Antwerpen). Huartes Sohn gab sechs Jahre nach dem Tod des Vaters 1594
eine zensierte Version des Werkes in Baeza heraus.
Huarte zählte mehrere Spiele auf (Primenspiel, Hundertaugen, Triumphspiel,
deutsches Primenspiel - "alle Augenblicke kömmt etwas darinne vor wodurch der
Spieler zeigt, wie er sich bey gleichen Umständen in wichtigern Sachen, wenn sie
ihm vorstossen sollten, verhalten würde"), deren Beherrschung er der
Einbildungskraft zurechnete. Dann fuhr er fort:
"Dasjenige Spiel aber woraus man die Einbildungskraft am besten schliessen
kann ist das Schachspiel." (S. 147).
Immer wieder betonte Huarte die Trennung von Gedächtnis, Verstand und
Einbildungskraft - auch im Zusammenhang mit dem Schachspiel (S. 148):
"Wenn ein gewisser sehr gelehrter scholastischer Gottesgelehrte den ich ganz
wohl gekannt habe, dieses eingesehen hätte, so würde er sich gar bald aus dem
Zweifel der ihn unruhig machte, gefunden haben. Er spielte nämlich
verschiednemal mit seinem Famulo, hatte aber allezeit das Unglück zu verlieren.
" Was soll das heissen? sagt er ganz zornig. Ihr
" der ihr weder die lateinische Sprache, noch die
" Dialektik, noch die Theologie (ob ihr sie gleich
" studiret habt) verstehet, ihr gewinnt mir die Spie-
" le ab, mir der ich ganz mit dem Scotus und dem
" h. Thomas angefüllt bin? Sollte ich nicht mehr
" Witz haben wie ihr? Wahrhaftig, ich kann mir
" es nicht anders einbilden, der Teufel muß euch
" diese Züge eingeben.
Das ganze Geheimnis aber bestand darinne, daß der Herr einen grossen Verstand
hatte wodurch er das Schwerste was in dem H. Thomas und Scotus ist, begreifen
konnte; es fehlte ihm aber an derjenigen Art der Einbildungskraft welche
nothwendig erfordert wird, wenn man gut im Schache spielen soll: der Famulus
hingegen hatte einen schwachen Verstand und ein schwaches Gedächtniß dagegen
aber eine desto feinere Einbildungskraft."
1575 mochte es durchaus gefährlich gewesen sein, wenn man von einem angesehenen
Theologen verdächtigt wurde, mit dem Teufel im Bunde zu sein!
Als Lessing sich später in einem polemischen Streit mit der protestantischen
Orthodoxie befand, zitierte er in seinem 4. Anti-Goeze (1778) aus Huarts
Prüfung der Köpfe. Martin Franzbach bewertete den Zeitbogen von über
einem Vierteljahrhundert als "sichere Bestätigung, daß das Buch seinen inneren
Werdegang unauffällig begleitet hat" (aaO., S. XLIII). Das gegen Lessing 1778
verhängte Verbot, sich weiter zu theologischen Themen zu äußern, war dann der
Anlaß, das Stück "Nathan der Weise" zu schreiben.
Im 13. Hauptstück seines Werkes ("Wie man es erkennen solle, welcher
Verschiedenheit des Genies die Kriegskunst zugehöre und aus welchen Merkmahle
man schliessen könne, ob ein Mensch diese Verschiedenheit besitze"; S. 271-324)
ging Huarte ausführlich auf das Schachspiel ein (S. 296 ff.).
Der Schachhistoriker van der Linde berichtete (aaO., Bd. 2, S. 420), dass von
Oppen die Schachstellen Huartes nach der Übersetzung Lessings in der
Schachzeitung (1849, S. 195-200) mitgeteilt habe. Da seither auch schon über
150 Jahre vergangen sind, ist es an der Zeit, die Kenntnis dieser Passagen
aufzufrischen, was freilich nicht an dieser Stelle geschehen kann, sondern für
die nächste Ausgabe des ChessBase Magazins vorgesehen ist.
In dem gleichen Jahr, in dem Lessings Huarte-Übersetzung erschien, kam von
Lessing das Buch Des Herrn von Voltaire kleinere Historische Schriften
heraus (Aus dem Französischen übersetzt, Rostock, verlegts Johann Christian
Koppe, 1752). Darin enthalten ist Voltaires Abhandlung über die Geschichte
der Kreuzzüge (S. 237 - 288), in der Voltaire
Saladin würdigte und eine kritische Bilanz der Kreuzzüge zog ("... so wird
man finden, daß der Orient das Grab von mehr als zwo Millionen Europäern
geworden ist. Verschiedene Länder wurden dadurch entvölkert, und in Armuth
versetzet" (aaO., S. 286 f.).
Eine Episode, die Voltaire in seiner Abhandlung nur kurz streifte, veranlasste
die (Rück-) Eroberung Jerusalems 1187 durch Saladin. Guido von Lusignan wurde
1186 in einer "Nacht-und-Nebel-Aktion", in die der Großmeister der Templer und
der Patriarch verwickelt waren, zum König von Jerusalem gekrönt. Einer der
Helfer Guidos war der wegen seiner Habgier und Grausamkeit berüchtigte Reinald
von Chatillon. Dieser überfiel trotz einem 1185 auf vier Jahre geschlossenen
Waffenstillstandes Ende 1186 eine moslemische Karawane auf dem Weg von Kairo
nach Damaskus. Nach manchen
Berichten
soll sich in dieser Karawane die Schwester Saladins befunden haben: Sitt es Sham,
d.h. die Herrin von Syrien. Eine Legende besagt, dass sie den Feldzug Saladins
gegen Jerusalem finanziert haben soll, da ihr Bruder all sein Geld weggegeben
hatte.
Vielleicht wollte Lessing in Nathan der Weise die vorhandene Legende
durch eine weitere "historisch" plausibel ergänzen, indem nämlich Saladins
Schwester Sittah das Geld im Schachspiel gewonnen hätte. Vielleicht haben aber
auch jene Interpreten recht, die es nicht für einen Zufall halten, dass Saladins
Finanznot ausgerechnet beim Schachspiel aufgedeckt wird (Nathan der Weise;
II,1 u. 2), insofern nämlich Zeremoniell und Spiele an den absolutistischen
Fürstenhöfen zur Zeit Lessings die Funktion hatten, die Souveränität des Fürsten
zu repräsentieren, was mit einem beträchtlichen Geldverbrauch verbunden war, der
von der aufklärerischen Staatsphilosophie kritisiert wurde (vergl. Lessing:
Epoche, Werk, Wirkung, München 1975, S. 285 f.).
Gar zu sehr freilich sollte man nicht in der Geschichte kramen, denn Lessing
hielt in einer seiner Notizen zum Stück fest(Gotthold Ephraim Lessing, Das
dichterische Werk, dtv 1979, Bd. 2, S. 744 f.): "In dem Historischen was in
dem Stücke zu Grunde liegt, habe ich mich über alle Chronologie hinweggesetzt;
ich habe sogar mit den einzeln Namen nach meinem Gefallen geschaltet. Meine
Anspielungen auf wirkliche Begebenheiten, sollen bloß den Gang meines Stücks
motivieren."
Gerald Schendel/6.2.2002