Indisch Hot Curry statt Berliner Mauer
Von André Schulz
Fotos: Wolfgang Rzychon, Videos: André Schulz
Videos der ersten vier Wettkampftage
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Zur Hälfte des Wettkampfes um die Weltmeisterschaft zwischen Viswanathan Anand
und Vladimir Kramnik steht es 3:0 nach Siegen für den Titelverteidiger. Kaum
einer der Experten hätte wohl erwartet, dass der Inder seinen Herausforderer so
klar dominieren würde. Mit Ausnahme der etwas lauen Auftaktpartie hat Anand in
allen Partien das Geschehen bestimmt. "Anand hat sich ausgezeichnet vorbereitet
und die Partien in die Strukturen geführt, die er besser spielen kann als
Kramnik," beurteilte Loek Van Wely den bisherigen Verlauf des Wettkampfes. "Kramniks
bisherige Match-Strategie - mit Weiß gewinnen und mit Schwarz remis spielen -
wurde vollständig zerstört."
Der Inder stellte für diesen Wettkampf sein Weißprogramm um und fand mit den
schwarzen Steinen in der Meraner Variante gleich mehrere Hebel, mit denen er
seine enorme taktische Spielstärke zur Geltung bringen konnte. Wettkämpfe werden
heutzutage schon in der Vorbereitung mit dem Computer gewonnen, meinte
Abendblatt-Redakteur Rainer Grünberg in seinem lesenswerten
Artikel über das
Computerzeitalter im Schach noch vor dem Ende der gestrigen Partie. Das
trifft den Kern - zum Teil. Wahrscheinlich weiß der zwar vier Jahre ältere, aber
dennoch wohl in jüngeren Jahren mit moderner Technik vertraut gewordene Anand
tatsächlich besser, wie man Datenbanken und Schachengines optimal nutzt. Aber
mit seiner Vorbereitung brachte der Weltmeister keine tödlichen Neuerungen auf
das Brett, sondern für beide Seiten spielbare Stellungen, die allerdings sehr
verwickelt waren. Sein Vorteil bestand darin, dass er diese Positionen zuvor
schon (mit dem Rechner) analysiert hat, während Kramnik sich am Brett zurecht
finden musste - natürlich auch ein Fehler der Wettkampfvorbereitung des
Herausforderers. 2000 war Kasparov an der Berliner Mauer gescheitert, diesmal
verbrennt sich Kramnik am indischen Hot Chili.
In Kramniks beiden verlorenen Weißpartien wäre bei akkuratem Spiel durchaus
jeweils ein Remis möglich gewesen. Doch in der vorherige Zeitverbrauch des
Russen war zu groß - die Probleme zu kompliziert, um sie in der Restbedenkzeit zu
durchschauen. Unverständlich ist jedoch, wieso Kramnik gleich zweimal in der
gleichen Variante den Kürzeren zieht. Gerade wenn dies eine prinzipielle
Variante der ganzen Weißvorbereitung ist, muss man sich doch den nahe
liegenden Enginevorschlag 15...Tg8 auch einmal genauer anschauen. Der Vorfall
erinnert ein bisschen an die verlorene 8.Partie im Wettkampf gegen Peter Leko in
Brissago 2004. Damals hatten Kramnik und seine Sekundanten ebenfalls eine
kritische Variante im Marshall-Angriff nicht gründlich genug angesehen und
Kramnik die Partie verloren. Zweimal hintereinander mit Weiß in einem WM-Kampf
zu verlieren, - bzw. aus der anderen Sicht: zweimal hintereinander mit Schwarz
zu gewinnen - hat es lange nicht mehr gegeben.
Anand zeigte gestern aber auch eine andere seiner vielen schachlichen Stärken.
Im Vorfeld wurde seine taktischen Fähigkeiten betont. Diese basieren auf der
Fähigkeit, schnell und präzise zurechnen, kommen aber nicht nur im Angriff zum
Tragen, sondern auch in der Verteidigung.
In seiner
Analyse bei Spiegel-online sah Dorian Rogozenko Kramnik schon bald nach der
Eröffnung im Nachteil. Vielleicht hat der Herausforderer aus der Defensive
reagiert. Vielleicht wollte er aber auch mit den schwarzen Steinen nun Schärfe
ins Spiel bringen und Anand unter der Druck setzen.
Game over
Schachoper hinter dem Vorhang
Aruna im Zuschauerraum
Für Tausende mit Schachengines bewaffnete Zuschauer im Internet
war die Stellung nach Kramniks Bauernopfer "leicht" zu durchschauen, jedenfalls
konnten Sie Bewertung und Zugvorschläge ihrer Schachprogramme ablesen und als
"eigenen" Beitrag in die Chatzeile kopieren. Für die Spieler war es das jedoch
nicht. Es gehörte schon eine abgeklärte Verteidigungsleistung dazu, Kramniks
Angriff, der objektiv zwar die Opfer nicht rechtfertigte, aber die meisten
Spieler dennoch in allergrößte Schwierigkeiten gebracht hätte, abzuwehren. Anand
erledigte diese Aufgabe dank seiner Verteidigungsfähigkeiten nicht mühelos, aber
erfolgreich.
Die gestrige Pressekonferenz fand nicht gemeinsam statt - beide Spieler
erschienen nacheinander.
Die Miss Evoniks und Miss Gazproms sind immer voller Energie
Der Grund war nicht etwa ein Streit zwischen den Spielern, sondern eine
Dopingkontrolle. Zuerst musste der eine, dann der andere Spieler zur Kontrolle.
Vielleicht waren beide auch nicht gleichzeitig bereit - jedenfalls gaben sie
diesmal nacheinander die Erklärungen ab.
Ob er glaube, dass er diesen Wettkampf noch gewinnen könne, wurde Kramnik
gefragt. "Nun, natürlich sieht es nicht gut aus, aber wie jeder gute Sportler
habe ich mich noch nicht aufgegeben", lautete Kramniks Antwort.
Anand wirkte am Ende dieses Tages nun doch sehr entspannt.
Anand analysiert die Partie
Dieser Mann hat das Schwerste hinter sich
Unter den Ehrengästen des gestrigen Spieltages war Anatoly Karpov, der den
ersten Zug ausführte, damit seinem Landsmann Kramnik aber kein Glück brachte
(war ja auch ein Weißzug),
Immer gut gelaunt, Anatoly Karpov
Anatoly Karpov und Josef Resch
Prof. Christian Hesse und Matthias Deutschmann.
Prof. Christian Hesse und Matthias Deutschmann
Die beiden letztgenannten durchmaßen das Schachreich im Kommentatorraum im
gemeinsamen Gespräch philosophisch. Ob das Kaberett nicht sinnlos sei, wollte
der Mathematiker Hesse wissen.
Hier spricht die Stimme von Fritz
Deutschmann beschwört den kabarettistischen Geist der 80er Jahre
Wurde kürzlich 50 Jahre alt: Matthias Deutschmann
Prof. Christian Hesse hält dagegen
Deutschmann fachsimpelt mit GM Jussupov
Internetzuschauer hatten Gelegenheit, neben der Partie mit Kommentaren auch
dies über das Foidossystem zu verfolgen.
Draußen erschien derweil "Tourteufel" Didi Senft mit einem Schachfahrrad:
Video bei Focus.
Auf diesem Rad kann man beim Fahren Schach spielen
'
Zwei Könige
FIDE-Vizepräsident Georgios Makropoulos steht im Schach
Das Medieninteresse an der WM ist groß. Alle führenden Zeitungen berichten in
ihren Printausgaben oder im Internet. Nur im Fernsehen fehlt eine regelmäßige
Berichterstattung. Aber wer guckt schon noch Fernsehen, wenn man die spannenden
und vor allem geistreichen Dinge viel besser im Internet verfolgen kann. Der
Fritzserver erzielte mit 9709 Besuchern zur gleichen Zeit einen neuen Rekord.
Dabei blieben "Gäste" als kostenlose Zuschauer ausgesperrt, um den zahlenden
Mitgliedern "zu großes Gedränge" zu ersparen. Sonst wären die magische Zahl von
"10.000" sicher geknackt worden. Fast 10.000 Zuschauer würden schon ein
Fußball-Zweitligastadion füllen. Doch der Fritzserver ist nur ein Platz, wo sich
die Internetuser sammeln. An vielen anderen Stellen kommen ebenfalls viele
Schachfans zusammen und alle zusammen würden sie wohl auch das "Estadio Santiago
Bernabéu" füllen.
Schach lernen von den Besten der Besten: