Beatriz Marinello: "Schach hat mich immer sehr glücklich gemacht"

von ChessBase
10.09.2018 – Beatriz Marinello ist Vizepräsidentin der FIDE, Vorsitzende der FIDE-Kommission für Soziales Handeln und Internationale Frauenmeisterin. Sie wurde in Chile geboren, aber zog 1990 in die USA, wo sie Schachprojekte unterstützt hat und später Präsidentin des US-Schachverbandes wurde. In einem Interview mit der spanischen Zeitschrift "Ajedrez Terapéutico" spricht sie über Schach und Bildung, Frauenschach, Phiona Mutesi und Bobby Fischer. | Foto: Dora Martínez / Ajedrez Social y Terapéutico

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Ein Instrument der sozialen Entwicklung

Von Juan Antonio Montero

Sie sind Präsidentin der FIDE-Kommission für Soziales Handeln und machen Ihre Arbeit mit Leidenschaft. Was heißt Soziales Schach für Sie?

Um diese Frage zu beantworten, möchte ich auf meine eigenen Erfahrungen zurückgreifen. Ich stamme aus einer dysfunktionalen Familie und war ein gefährdetes Kind. Meine Situation verbesserte sich, als ich im Alter von 7 bis 11 in von Nonnen betreutes Heim geschickt wurde. Mit 13 lernte ich dann Schach spielen. Für mich war Schach eine Möglichkeit, Gefühle und Emotionen zu kanalisieren und zugleich hat es mein Selbstvertrauen gestärkt. Meine Leidenschaft für das Schach und meine Liebe zum Spiele boten mir einen Weg, um meine Fähigkeiten zu entwickeln. Schach hat mich immer sehr glücklich gemacht.

Ich wurde eine gute Schachspielerin. Aber ich habe nie aufgefhört, mich zu fragen, was Schach eigentlich ist — daher stammt auch mein Interesse an Schach und Bildung. Ich war erst 17, als ich begriffen habe, dass Schach ein Mittel und kein Selbstzweck ist. Meine katholische Erziehung — wobei ich allerdings an Religionsfreiheit glaube — führte bei mir zu einem Hang, Gutes zu tun und anderen zu helfen, und deshalb ist es nur logisch, wenn ich der Meinung bin, dass Schach dazu benutzt werden sollte, Gutes zu tun.

Ich glaube, wir sollten vor allem dafür eine Umgebung schaffen, in der Schach durch Leute und Organisationen gefördert werden kann. Ich bewundere Leute, die das Schach in ihrem Bereich fördern, als Lehrer, Berater oder Sozialarbeiter — Leute, die kontinuierlich eine Basis schaffen.

Beatriz Marinello hat das Schach in Afrika sehr gefördert | Foto: Dora Martínez

Sie selbst haben Schach unter schwierigen Umständen unterrichtet — zum Beispiel in Harlem, in New York. Wie war das?

Schachunterricht muss von Herzen kommen. Natürlich gibt es Techniken, die man kennen sollte, aber man muss vor allem aufmerksam sein und darauf achten, wie Mädchen und Jungen lernen.Beatriz Marinello, Vicepresidenta de la FIDE y presidenta de su Comisión de Acción Social Fotos: Dora Martínez

Bei meinem ersten Job in den USA habe ich als Assistenztrainerin an der Dalton School gearbeitet, einer Eliteschule. Dalton ist eine wunderbare Schule, aber ich wollte Schach ins öffentliche Schulsystem bringen, und war sehr froh, als ich bei der New Yorker Schulbehörde arbeiten konnte — ich konnte Schach an einer öffentlichen Schule unterrichten, als Teil des Lehrplans, vom Kindergarten bis zur fünften Klasse. Ich hatte auch zweisprachige Klassen, Förderklassen und Klassen für Gehörgeschädigte.

Ab 1997 habe ich für den US-Schachverband gearbeitet. Als Direktorin der landesweiten Schulprogramme bin ich fünf Jahre quer durch die USA gereist, um dabei zu helfen, Strukturen zur Förderung des Spiels zu schaffen. Diese Arbeit brachte mir viel Anerkennung und ich wurde Vorsitzende des US-Schachverbands. Anfang 2000 habe ich Pilotprogramme in Harlem und in anderen Schulen des Landes eingeführt und meine ehrenamtliche Arbeit als Managerin und Führungskraft fortgeführt.

Ich habe viel gearbeitet und ich habe es mit großem Vergnügen getan. Ich glaube, dass eine gute Führungskraft das Herz eines Lehrers haben muss, denn diese Aufgabe ist ein Dienst an der Gemeinschaft. Verantwortung zu übernehmen kann sehr undankbar sein, dann oft haben die am Ende das Sagen, die sich auf den eigenen Machterhalt konzentrieren. Das habe ich immer abgelehnt: ich bin stets bereit, Macht und Posten abzugeben. Aber meine Arbeit geht weiter...

Sie haben sich immer sehr für Afrika eingesetzt. Wie kann man das Schach in Afrika fördern? Wo kann man Bildungsinitiativen stärken und wo den schachlichen Wettbewerb?

Afrika stimuliert die Sinne. Es ist bunt, riecht nach Erde, klingt nach Trommeln und fühlt sich jung und groß an. All das ist wunderbar, bis man sieht, welche extreme Armut dort herrscht... Umstände, bei denen man weinen möchte, während man lächelnde Kinder sieht. Diejenigen unter uns, die das Schach lieben und wissen, dass Schach ein Instrument sozialer Entwicklung sein kann, kommen unweigerlich zu dem Schluss, dass wir Schach nutzen können, um dafür zu sorgen, dass es anderen Menschen besser geht.

Schach kostet nicht viel — man braucht keine Ausrüstung, keinen teuren Geräte, sondern einfach nur Figuren und Brett. In manchen Ländern Afrikas haben wir Trainer ausgebildet, Schachlehrer, Organisationen, etc. Wir haben Seminare für Trainer und Organisatoren veranstaltet. Kindern, die weder lesen noch schreiben können — Analphabeten — ist befriedigend.

Beatriz Marinello en África | Photo: Dora Martínez

Beatriz Marinello in Afrika | Foto: Dora Martínez

Wie kommt es, dass Kinder, die nicht lesen und schreiben können, keine Probleme haben, Schach zu lernen?

Ich glaube, sie können alles lernen, wenn sie nur die Gelegenheit haben.

Sie haben sich auch für die Förderung von Phiona Mutesi eingesetzt, eine Schachspielerin aus den Slums von Uganda, die nicht lesen und schreiben konnte,  aber dann Schach entdeckte und später für Uganda bei der Olympiade gespielt hat.

Die Geschichte von Phiona Mutesi und ihrem Lehrer Robert Katende wurde später unter dem Titel "Queen of Katwe" verfilmt. Bei der Schacholympiade 2010 in Khanty-Mansiysk hat sie für Uganda gespielt, und dort habe ich gehört, welche Geschichte sie hat. Später kam sie dann auf Einladung von Sport Outreach, eine amerikanische Organisation, bei der Robert Katende arbeitet, nach New York. Wir haben ein paar Tage zusammen verbracht. Phiona sprach damals noch kein Englisch und konnte nicht lesen und nicht schreiben. Ich war von ihr beeindruckt und wir haben Freundschaft geschlossen.

Beatriz Marinello con Bibiana Aido, Phiona Mutesi y Robert Katende | Fotos: Dora Martínez

Beatriz Marinello (zweite von rechts) mit Bibiana Aido (ganz links), Phiona Mutesi (zweite von links) und Robert Katende | Foto: Dora Martínez

Damals in New York bin ich mit Phiona zu UN Women gegangen, wo uns eine Freundin von mir empfangen hat, die ehemalige spanische Ministerin für Gleichstellung, Bibiana Aido. Ich nahm sie auch zum Marshall Chess Club mit, wo ich überrascht war, dass mich die Leute immer wieder nach Phionas Elo-Zahl gefragt haben — sie haben nicht begriffen, wie wichtig ihre Botschaft war und wofür sie stand. Genau dort habe ich Robert Katende gesagt, dass wir die Kommission für Soziales Handeln gründen würden, und dass er der Generalsekretär sein würde — er hat wahrscheinlich geglaubt, ich mache Witze. Doch 2012 wurde die FIDE Kommission für Soziales Handeln dann tatsächlich gegründet und ich habe mich sofort mit Robert in Verbindung gesetzt, mit dem wir seitdem sehr eng zusammenarbeiten. Die Entwicklung von Phiona ist unglaublich: aus dem schüchternen Mädchen ist eine selbstbewusste Frau geworden, die sie für ihre Überzeugungen einsetzt. Sie ist der lebende Beweis, was mit Schach erreicht werden kann. Jetzt studiert Phiona mit Hilfe eines Stipendiums in den USA und wir stehen regelmäßig in Verbindung. Es ist wichtig, dass sie ihr Studium erfolgreich beendet.

Themenwchsel: Ich weiß, dass Sie eine große Bewunderin von Bobby Fischer sind.

Ich bin tatsächlich eine große Bewunderin von Bobby Fischer. Mein politischer Mentor in den USA ist Dr. Leroy Dubeck, und als Fischer 1972 Weltmeister wurde, war er Präsident des US-Schachverbands.

Master Class Band 1: Bobby Fischer

Kein anderer Weltmeister erreichte auch über die Schachwelt hinaus eine derartige Bekanntheit wie Bobby Fischer. Auf dieser DVD führt Ihnen ein Expertenteam die Facetten der Schachlegende vor und zeigt Ihnen u.a die Gewinntechniken des 11.Weltmeisters

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Er hat mir Geschichten erzählt, die bislang nie veröffentlicht wurden. Der große Unterstützer von Bobby Fischer war Ed Edmondson, ein ehemaliger Colonel der US-Armee. Er hatte Verbindungen zu sehr hohen Regierungskreisen und war Geschäftsführender Direktor des Schachverbands. Ein paar Jahre zuvor fand ein FIDE-Kongress in Puerto Rico statt, und es gab Gerüchte, dass der Kopf der sowjetischen Delegation in sehr kompromittierenden Umständen fotografiert worden war — Edmondson bekam diese Fotos und als eine Entscheidung anstand, wo der Wettkampf zwischen Fischer und Petrosian gespielt werden sollte, wird gerne erzählt, dass die Delegierten der USA und der Sowjetunion diese Frage per Münzwurf entschieden hätten: die Sowjets wollten das Match in Moskau spielen lassen, die Amerikaner waren für Buenos Aires. Ich weiß allerdings, dass keine Münze geworfen wurde, und dass der Wettkampf in Buenos Aires stattgefunden hat.

Ich kenne auch noch andere Geschichten, und ich hoffe, sie werden irgendwann einmal veröffentlicht — zum Beispiel wie Fischer politisch unterstützt wurde, um Weltmeister zu werden.

Fischers Laufbahn ist die größte Erfolgsgeschichte des amerikanischen Schachs und zugleich die größte Tragödie, da er sich geweigert hat, gegen Karpow anzutreten. Jetzt ruhen alle Hoffnungen auf Fabiano Caruana, der im November gegen Magnus Carlsen um die Weltmeisterschaft spielt.

Sprechen wir über Frauenschach und Diskriminierung im Schach. Eine komplizierte Angelegenheit, denn viele Schachspieler haben viel getan, um mehr Frauen und Mädchen zum Schach zu bringen. Wie denken Sie über das Frauenschach?

Ich sehe das genauso: viele Leute versuchen, das Schach Mädchen nahezubringen. Das ist ein geschichtliches Problem — Frauen nehmen erst seit weniger als hundert Jahren an Schachturnieren teil. Es ist sehr wichtig, dass wir Mädchen und Jungen in der Schule gleich behandeln. Wir müssen kulturelle Barrieren überwinden und deutllich machen, dass Mädchen genauso gut Schach spielen können wie Jungs. Ich persönlich befürworte auch die Organisation von reinen Mädchenturnieren, vorausgesetzt, die Botschaft lautet, dass Mädchen die gleichen Ziele erreichen können wie Jungs.

Vielen Dank für das Interview und weiter viel Glück für Ihre Arbeit!

"Ajedrez social y terapéutico", eine etwas andere Schachzeitschrift | Foto: Dora Martínez

 

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