Schach-WM in Libyen:
Oberst Ghaddafi wollte Israels Sportler anreisen lassen - Sohn Mohammed war
strikt dagegen.
Von René Gralla
Tripolis/Düsseldorf
- Während in Portugal das Leder jetzt unaufhaltsam seinem ultimativen Höhepunkt
entgegenrollt, rauchen in Libyen noch bis zum 13. Juli die Köpfe: Dort läuft,
über das bevorstehende Ende der Fußball-EM hinaus, die WM 2004 des
Weltschachbundes FIDE. Im Tripolis des Obersten Muammar al-Ghaddafi, der sich
die globalen Titelkämpfe rund 1,5 Millionen Dollar kosten lässt, sorgt das
Geschehen jenseits der gerne beschworenen 64 Felder freilich für mehr Wirbel als
die Turnierpartien der Denk-Athleten selber. Hinhaltendes Taktieren der
libyschen Seite hat nämlich dazu geführt, dass Israels Brettsportler ihre Reise
nach Tripolis abgesagt haben.
Die Vorgeschichte des Skandals: Die libyschen Organisatoren erklärten zunächst
schriftlich, alle WM-Qualifikanten würden Visa erhalten. Dann freilich folgte
der Rückzieher: Ghaddafi-Sohn Mohammed gab eine Pressekonferenz und beschimpfte
die Israelis als "zionistische Feinde", die zur WM ausdrücklich nicht eingeladen
seien. Was wiederum die aufgeschreckte FIDE auf den Plan rief: Die beeilte sich
zu versichern, auch israelische Sportler würden nach der Landung auf dem
Flughafen Tripolis ein Visum erhalten.
Ein unwürdiges Hin und Her, für das die "Israel Chess Federation" (ICF) nun die
FIDE zur Rechenschaft ziehen möchte. Dem Weltschachbund droht eine teure Klage,
und der Autor René Gralla hat sich die Hintergründe in einem Interview mit
Israels FIDE-Delegiertem Almog Burstein erläutern lassen. Der 54-jährige
Burstein, Mitglied der liberalen Shinui-Partei, ist im Hauptberuf
stellvertretender Bürgermeister von Hod Hasharon, einer 40.000 Einwohner-Stadt
rund 20 Kilometer nördlich von Tel Aviv.
Herr Burstein, auf welche Rechtsgrundlage wollen Sie Ihre mögliche Klage
stützen?
Nach den Statuten der FIDE muss das Gastgeberland einer WM alle Spieler gleich
behandeln und ihnen insbesondere Visa für die Einreise ausstellen. Die
zuständigen Behörden Libyens und der Schachverband des Landes haben diese
Bedingungen nicht erfüllt.
Libyen vertritt eine andere Position. Angeblich hätten israelische
WM-Teilnehmer bei der Ankunft am Flughafen Tripolis direkt vor Ort ein Visum
erhalten. Warum haben die Israelis die Libyer nicht beim Wort genommen und
wenigstens ausprobiert, ob das tatsächlich klappt? Anstelle gar nicht erst
anzureisen und jetzt womöglich gegen die FIDE zu klagen?
Das hat einen praktischen Grund: Wir haben Probleme mit den Fluggesellschaften
bekommen. Die lassen einfach keine Passagiere an Bord ohne Visum für den Flug zu
einem Zielort mit Visumzwang.
Aber es gibt doch Fälle, dass ein Land einerseits die Visumpflicht
vorschreibt, andererseits aber sehr wohl auch die Ausstellung eines Visums erst
am Flughafen nach Ankunft möglich macht. So wie das nun die Libyer im Rahmen der
Schach-WM garantieren wollten.
Liegt ein derartiger Fall vor, werden Sie am Flughafenschalter, wo Sie
einchecken wollen, aber gefragt, ob Sie eine persönliche Einladung für das
Reiseziel vorweisen können. Wir haben darüber mit den in Frage kommenden
Fluggesellschaften gesprochen, und sie alle haben auf persönlichen Einladungen
für jeden einzelnen Israeli bestanden. Und genau diese persönlichen Einladungen
hat Libyen nicht gesandt.
Der Präsident des Weltschachbundes, Kirsan Iljumschinow, hat außerdem noch
eine explizite Garantie abgegeben: dass auch die Israelis zur WM nach Libyen
einreisen könnten. Auch das hat die Airlines nicht überzeugen können?
Genau. Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Wir haben gefordert, dass es jedem
Sportler gestattet sei, einen Trainer, eine Ehefrau oder eine andere
Begleitperson nach Libyen mitzunehmen. Das haben die Libyer abgelehnt.
So dass die Israelis ohne jedwede Unterstützung bei der WM hätten starten
müssen?
Richtig. Das wäre für unsere Delegation ein Wettbewerbsnachteil gegenüber den
anderen Nationen gewesen. Das konnten wir nicht akzeptieren.
Die wechselnden Signale aus Tripolis im Vorfeld der Weltmeisterschaft haben
in der internationalen Presse den Verdacht genährt, dies sei ein abgekartetes
Spiel der Libyer gewesen, um einen WM-Start der Israelis zu sabotieren.
Das ist endgültig offenbar geworden wenige Tage vor dem WM-Beginn am 18.Juni.
Der gebürtige Israeli Vadim Milov, der seinen Wohnsitz jetzt in der Schweiz hat,
wollte für die Schweiz in Tripolis spielen und hat sich rechtzeitig dafür
angemeldet. Die Libyer haben sich viel Zeit genommen, darauf zu reagieren. Und
erst 24 Stunden vor der Eröffnungsfeier der WM, nach viel Druck seitens des
FIDE-Präsidenten Iljumschinow und anderer Offizieller, hat Vadim Milov endlich
eine persönliche Einladung gekriegt. Das ist dann natürlich viel zu spät
gewesen.
Libyen versucht neuerdings, sein Image als so genannter "Schurkenstaat" los
zu werden. Teil dieser Strategie soll offenkundig auch die Schach-WM sein. Indem
Tripolis die israelischen Sportler, wie geschehen, derart schäbig behandelt:
Konterkariert man damit nicht die eigene PR-Kampagne?
Es gibt in Libyen zwei Strömungen und einen Richtungskampf zwischen Gemäßigten
und Extremisten. Zu den Moderaten gehört, wie ich gerüchteweise gehört habe,
auch der Staatschef, Oberst Muammar al-Ghaddafi. Der soll die Meinung vertreten
haben, Libyen möge auch den Israelis Visa erteilen. Die Gegenfraktion hat das
abgelehnt; zu den Hardlinern gehört auch Ghaddafis Sohn Mohammed, der als Moslem
religiös deutlich extremer eingestellt ist.
Hätte man nicht voraussehen können, dass es mit israelischen WM-Kandidaten in
Libyen Schwierigkeiten geben würde? Warum hat der FIDE-Präsident Iljumschinow
trotzdem für eine WM in Tripolis optiert?
Ich denke, dass Herr Iljumschinow naiv genug gewesen ist anzunehmen, dass die
Libyer auch die Israelis zur WM einladen würden.
Der amtierende Weltmeister im Klassischen Schach, Wladimir Kramnik aus Russland,
hat mit Blick auf den Streitfall Israel in einem Interview gesagt, die FIDE
hätte "einen besseren Job machen" können, als ausgerechnet Tripolis als WM-Stadt
auszuwählen. Ich stimme Herrn Kramnik zu. Wenngleich ich nicht weiß, ob die FIDE
überhaupt eine Alternative gehabt hat: ob also noch ein weiteres Land anstelle
von Libyen bereit gewesen ist, die WM auszurichten - und ob man dennoch Libyen
vorgezogen hat.
Ist das aber nicht beschämend für den Schachsport? Das Spiel ist nach Fußball
und Leichtathletik eine der wichtigsten Wettkampfdisziplinen der Welt: Warum war
es da nicht möglich, für die WM 2004 ein besseres Gastgeberland als ausgerechnet
Libyen zu finden?
Lassen Sie uns ehrlich sein: Das hat etwas mit dem Grundproblem zu tun, Schach
medienwirksam zu verkaufen. Unser Denkspiel ist nicht vergleichbar mit anderen,
visuell zugänglichen Sportarten - denen jeder zusehen kann, ohne das Geschehen
als solches vollständig zu erfassen, ja sogar ohne die Regeln zu kennen. Schach
ist anders: Sie können das Spiel nicht genießen, wenn Sie selber kein
Schachspieler sind. Folglich sind kommerziell orientierte Firmen am Schach nur
wenig interessiert, und es ist generell schwierig, Sponsoren für Schach zu
finden. Geschweige denn WM-Ausrichter.
Abgesehen von den besprochenen Querelen: Bei der WM in Libyen fehlen
obendrein die Superstars. Von den internationalen Top Ten sind nur zwei
angetreten, ehemalige Weltmeister oder gar der bisherige Titelträger der FIDE,
der Ukrainer Ruslan Ponomarjow, machen einen weiten Bogen um Tripolis. Und die
Israelis sind nicht dabei - die von der Spielstärke her gleich hinter den Russen
liegen: Ist dieser Wettbewerb dann überhaupt eine echte Weltmeisterschaft?
Nur offiziell ist das eine WM. Aber die Schachwelt weiß: Das ist keine richtige
Weltmeisterschaft.
Der Champion im Klassischen Schach, Wladimir Kramnik, hat eine spezielle
Meinung zu dieser Libyen-WM: Das sei im Ergebnis kaum mehr als eine
"Amateur-WM".
Ja, vielleicht hat er recht.
Gegenwärtig erwägt die "Israel Chess Federation" (ICF), im Namen ihrer
Mitglieder, die in Tripolis unerwünscht gewesen sind, die FIDE zu verklagen. Was
verlangt die ICF ?
Wir fordern eine angemessene Kompensation für jene Sportler, die auf die WM
verzichten mussten. Die Höhe des Schadensersatzes richtet sich nach den
potenziellen Preisgeldern, die unsere Spieler in Tripolis hätten gewinnen
können; das wären dann mindestens 10.000 Dollar pro Athlet. Alternativ soll die
FIDE ein Ersatzturnier mit einem besonderen Preisfonds organisieren: nicht nur
für die Israelis, sondern auch für alle anderen Sportler, die den Austragungsort
Tripolis abgelehnt haben, zum Beispiel die Amerikaner.
Mittlerweile
hat Israel mit seiner Kritik an der WM in Libyen eine überraschende Verbündete
gefunden: die syrische Schachmäzenin Nahed Ojjeh, der in Paris ein eigener Klub
gehört. In einer ungewöhnlich scharfen Stellungnahme hat Madame Ojjeh die
libyschen Manöver, die faktisch zum WM-Ausschluss der Israelis geführt haben,
als "Provokation" bezeichnet: "Niemals zuvor in der Geschichte des Schachs" sei
"eine Weltmeisterschaft so tief gesunken". Dieses Statement ist deswegen
besonders pikant, weil Madame Ojjeh spezielle familiäre Verbindungen hat, die
der Milliardärswitwe einen direkten Zugang eröffnen zum Zentrum der Macht in
Damaskus - wo man Israel ja bisher nicht besonders wohl gesonnen war. Haben Sie,
Herr Burstein, schon mit Madame Ojjeh gesprochen?
Noch nicht. Aber haben Sie vielleicht deren Telefonnummer?
Wir werden uns darum kümmern. Vielleicht deutet sich da ja - auf dem Umweg
über das Schach - eine neue Konstellation im Nahen Osten an, zwischen Israel und
Syrien ...
... das ist sehr interessant. Ich bin bereit, mit Madame Ojjeh Kontakt
aufzunehmen.
Almog Burstein, geb.1950, studierte
Wirtschaftswissenschaften, Politik und Verwaltung an der Universität von Tel
Aviv. 1972-77 Generalsekretär des israelischen Schachverbandes, Organisator
vieler Turnier u.a. war er Generaldirektor der Schacholympiade 1976 in Haifa.
Internationaler Schiedsrichter und Nationaler Schachtrainer.
Von 1977 bis 1982 Generaldirektor der Computerfirma AKID, 1982-84
Abteilungsleiter der Haushaltsabteilung der Medizinischen Fakultät der
Universität von Tel Aviv. 1984-94 Leiter des Univeritätsschachclubs, 1994 bis
1998 Vorsitzender des Hod Hasharon Arbeiterrats. 1999-2004 Exekutivdirketor der
Liberalen Partei Israels, SHINUI, Seit 2003 Stadtratsvorsitzender der Gemeinde
Hod Hasharon, seit 2004 Isarels Delegierter in der FIDE.