Interview mit Anatoly Karpov

von ChessBase
03.02.2015 – In einem Interview mit dem russischen Sport-Express gab Anatoly Karpov freimütig Einblicke in seine Karriere und seine privaten Leidenschaften. Im ersten Teil berichtet der 12. Weltmeister von seinen Reisen und der Unterstützung durch die US-Army bei seinem WM-Kampf gegen Kortschnoi, 1978 in Baguio City, die sich allerdings auf seine Liebe zum Tennis beschränkte. Mehr...

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Gespräch mit Anatoly Karpov, 1.Teil

Über Eisbäder, Reisen und das Gedächtnis von Schachspielern

Getroffen haben wir uns in seinem Arbeitszimmer in der Duma um Neujahr herum. Draußen schneite es. Die Ferien in wärmeren Gefilden zu verbringen war nicht Karpovs Absicht.

Wenn möglich, habe wir die Feiertage immer in der Familie verbracht und blieben in Moskau. Auch dieses Mal werden wir die Feiertage bescheiden verbringen. Meine Frau und ich sind keine Freunde von großen Festen. sagte der 12. Weltmeister.

Wir haben Dokumentarfilme über Sie gesehen und erfahren, dass Sie Eisbäder mochten. Ist das immer noch so?

Ich weiß nicht so recht, ob ich das noch machen soll. Mit den Jahren wird das Eisbaden immer gefährlicher. Ich habe es zum ersten Mal am Vorabend des Jahres 2000 ausprobiert. Ich bin in der Nacht vor Neujahr ins eiskalte Wasser getaucht, um den Übergang zum neuen Jahrtausend zu feiern.

Was empfindet man dabei?

Stress. Man darf es nicht zu lange machen. Es gibt Leute, die sehr lange nicht wieder aus dem Eisloch auftauchen. Das ist aus medizinischer Sicht nicht richtig. Aber wenn man es nur kurz macht, spürt man, wie es den Kreislauf anregt.

Sie hatten mal geplant im Eisloch eine Partie Schach zu spielen.

Das beschränkte sich auf einen Zug. Ich bin drei Mal untergetaucht und dann schnell in die Sauna um mich aufzuwärmen.

Wir haben Mikhail Boyarsky nach dem ungewöhnlichsten Neujahr gefragt. Ihm fiel sofort etwas dazu ein: „Im Hubschrauber über Gudermes (Tschetschenien).“ Welches war Ihr ungewöhnlichstes Neujahr?

Ich kann mich an das Neujahr erinnern, an dem ich am wenigsten gefeiert habe. Die ganze Nacht von 1971 auf 1972 habe ich Schach gespielt. Ein traditionelles Turnier im englischen Hastings. Wir spielten die letzte Partie. Ich musste unbedingt gewinnen. Vier Runden vor dem Ende lag ich 2,5 Punkte vor Kortchnoi. Aber dann verlor ich eine Partie, es gab zwei Remis und Kortchnoi begann zu gewinnen. Um Erster zu werden, musste ich den Engländer Markland besiegen, der noch nicht einmal Großmeister war. Die Partie wurde auf 11 Uhr abends gelegt, was nach Moskauer Zeit Mitternacht bedeutete. Ich fuhr ins Hotel und setzte mich hin, um mich vorzubereiten. Zwei Stunden später machte ich mich auf den Weg. Um 5 Uhr morgens nach Moskauer Zeit hatte ich dann gewonnen.

 

 

 

Ich habe Neujahr oft im Ausland verbracht, 1966 in der Tschechoslowakei, 1968 in Holland. 1972 war ich zusammen mit Paul Keres in Mexiko. Die Rückkehr von dieser Reise war abenteuerlich.

Warum?

Der Flug wurde plötzlich abgesagt und wir kamen nicht mehr mit einem Direktflug nach Europa. Heuet im Zeitalter des Internets ist das alles ganz einfach. Damals hat Paul Petrovich uns gerettet. Er hatte interessante Hobbys. Ihm gehörte eine der fabelhaftesten Schallplattensammlungen in der Sowjetunion, er hatte viele Erstausgaben. Dieses Hobby half uns in Mexiko nicht, aber ein anderes. Er hatte immer den Flugplan der verschiedenen Fluglinien dabei. Keres setzte sich hin und erstellte eine Flugstrecke. Geflogen sind wir dann folgendermaßen: Mexiko – USA– Montréal – Amsterdam – Prag – Moskau. Die Alternative wäre gewesen 5 Tage zu warten.

Paul Petrovich Keres

 

Man hat uns gesagt, dass Kasparov sich durch den Unterricht mit Carlsen eine goldene Nase verdient hat. Wann hat man Ihnen das letzte Mal angeboten für ein solides Honorar als Trainer zu arbeiten?

Ich weiß nicht, ob es stimmt, dass Kasparov dadurch reich geworden ist. Das wird eher nicht der Wahrheit entsprechen. Ich habe niemanden persönlich trainiert.

Nicht interessant?

Die Zeit reicht nicht. Ich kann als Berater fungieren. Aber jemanden auf den WM-Kampf vorbereiten, am Eröffnungsrepertoire arbeiten ... nein. Ich spiele weiter Schach, weil es mir Spaß macht. In der Regel Blitzschach. Gerne mit Karjakin und Morozevich.

Das Gehirn eines Schachspielers ist etwas Besonderes. Bemerken Sie mit dem Alter Veränderungen?

Die Geschwindigkeit ist eine andere. Die Reaktion ist nicht mehr so gut wie früher. Ich spiele schon nicht mehr auf dem Niveau der großen Schachspieler unseres Planeten.

Was haben die Ihnen voraus? Worin sind sie besser?

Sie haben bessere Kenntnisse. Sie sitzen täglich mehrere Stunden am Computer. Ich mache das überhaupt nicht. Ich spiele vom Blatt. Aber wenn ich aus der Eröffnung komme und man mich nicht vorher „erwischt“ hat, ist die Position erträglich. Dann habe ich mit niemandem Probleme. Auch deshalb nicht, weil die Qualität der Spieler schlechter geworden ist. Im Herbst haben Carlsen und Anand gespielt, ich kam zum Finale. Da kommt der Vizepräsident der FIDE, Georgios Makropulos zu mir und sagt: "Den heutigen Partien nach zu urteilen würde sogar ein Karpov in schlechter Form sowohl den einen als auch den anderen schlagen...“

Wird das Gedächtnis schlechter?

Es braucht mehr Zeit um sich an Varianten zu erinnern.

Und im Alltag?

An Städte, in denen ich mehrmals war, kann ich mich gut erinnern. Ich könnte auf der Stelle eine Karte zeichnen, auf der alle Straßen eingezeichnet sind. Ich habe mich nur einmal verlaufen – in einem Vorort von Brüssel.

Gibt es jemanden, der Sie durch sein Gedächtnis in Erstaunen versetzt hat?

-Jura Balashov war einzigartig, Er kannte schon in der Botvinnik-Schule die Aufstellung aller Teilnehmer bei den Meisterschaften der SU, alle Partien und natürlich, die Resultate. Er konnte augenblicklich ausrechnen, auf welchen Wochentag, sagen wir mal, der 5. März 1923 fiel. Die Antwort kam nach einer Sekunde. Er hatte spezielle Techniken.

Warum ist aus Balashov kein herausragender Schachspieler geworden?

Das Gedächtnis ist eine gute Stütze, aber nicht das Wichtigste. Mein Vater hatte, was Technik angeht, ein phantastisches Gedächtnis.

Wodurch kam das zum Ausdruck?

Er war Chefingenieur in einem Werk in Tula. 13.000 Arbeiter. Sie können sich vorstellen, um wie viele Einzelheiten es da geht. Mein Vater hatte die staatlich festgelegte Norm jedes einzelnen Arbeiters im Kopf! Da geht es um eine achtstellige Zahl und dann werden noch Buchstaben hinzugefügt. Mein Gedächtnis ist schlechter als das meines Vaters.

Dafür kennen Sie sich hervorragend in der Geografie Ihrer Reisen aus. Besser als Senkevich.

Afrika mag ich nicht besonders, in Zentralafrika war ich nicht. Ebenso wenig in Neuseeland, auf Tasmanien und Feuerland.

Gibt es in Europa „verpasste“ Länder?

Nein, noch nicht einmal große Städte, in denen ich nicht war.

 

Der Wettkampf um die Weltmeisterschaft gegen Korchnoi, 1978

 

Die folgende Geschichte ist bekannt. Beim WM-Kampf gegen Korchnoi, 1978, in Baguio hat man versucht Sie zu vergiften. Die besonderen Sicherheitsvorkehrungen waren offenbar nicht umsonst.

Wir hatten mit Schwierigkeiten gerechnet. Schon als wir uns auf das Match mit Fischer vorbereiteten. Bei diesen Kämpfen ging es nicht nur um Schach. Für Korchnoi war es, was die allgemeine Situation anging, noch komplizierter. Die Filipinos waren mir gegenüber sehr freundlich. Persönliche Kontakte spielen eine sehr große Rolle. In Baguio bin ich von Seiten der Organisatoren von einem ehemaligen Piloten von Eisenhower betreut worden.

Klingt spannend...

Ja, ein Oberst der amerikanischen Luftfahrt. Seine Frau war entweder Miss Asien oder Miss World, eine eindrucksvolle Dame. Er selbst hatte den Abschied eingereicht und war auf die Philippinen gezogen. Nach ein paar Tagen hatten wir uns angefreundet. Er war es, der mir bei der Lösung eines Problems half: Ich spielte Tennis. Ringsherum gab es nur „schwierige“ Tennisplätze. Direkt unter den Fenstern meines Hotels war die Erholungsbasis der amerikanischen Flieger, die in Vietnam gekämpft hatten. Der Oberst lud mich zum Empfang ein, führte mich mit dem General, dem Chef der Basis zusammen. Der hatte keine Einwände: „Anatoly kann kommen, wann immer er möchte und nutzen, was er braucht!“ Wenn ich eine Zeit zwischen den Taifunen erwischte, ging ich sofort auf den Tennisplatz. Die Taifune wüteten ziemlich stark. So etwas habe ich nur ein einziges Mal in meinem ganzen Leben gesehen!

Wie war das genau?

Der erste ging um 8 Uhr morgens zu Ende, der nächste kam eine Stunde später. In drei Monaten ergossen sich über uns das Vierfache dessen, was in Moskau in einem Jahr an Niederschlägen verzeichnet wird. Immer wenn Ruhe einkehrte rief ich in der Basis an: „Ich komme in 20 Minuten!“ Einmal wurde für die Delegation eine Feier organisiert. Wir fuhren zu einer Kegelbahn, die zu jener Basis gehörte und ich sah, dass es den Ausdruck „wegen Reinigung geschlossen“ nicht nur in der  SU gab. Genau das gleiche Schild hingen die Amerikaner an die Tür, nachdem sie uns reingelassen hatten.

War Korchnoi über Ihre Freundschaft mit den Amerikanern informiert?

Nachdem er erfahren hatte, dass sie uns unterstützten, entfachte er mithilfe der Presse einen Skandal. Er war der Meinung, dass die Amerikaner ihm helfen sollten.

Tal hat gesagt: Wenn Sie in Baguio verloren hätten, wäre der Schachsport in der SU zu einer Pseudowissenschaft erklärt worden.

Vielleicht hatte er gerade einen Kater und sich das ausgedacht. Damals hat er ja auch behauptet, ich hätte alles vorbereitet, um nicht in die Sowjetunion zurückzukehren, falls ich den Wettkampf verloren hätte. Totaler Blödsinn.

Wir haben darüber gelesen, wie sich Korchnoi auf das Spiel mit Ihnen vorbereitet hat. Einige Schachspieler haben dies bestätigt. Viktor Lvovich hat ihr Portrait an die Wand gehängt und es bespuckt.

Das höre ich zum ersten Mal. Es würde mich sehr erstaunen, wenn das wahr wäre. Ich selbst habe niemals das Verlangen gespürt das Portrait eines Gegners aufzuhängen um mich auf diese Weise auf das Spiel einzustimmen. Hat man Ihnen das tatsächlich erzählt?

Ja, Mark Taimanov, und nicht nur er.

Hm. Botvinnik, Korchnoi und Kasparov mussten den Gegner hassen, um erfolgreich zu spielen. Ich gehöre zu einem anderen Typ von Schachspielern. Ich bin ähnlich wie Keres, Spassky und Portisch. Am Brett kämpfen wir, aber im Leben kommen wir bestens miteinander aus.

Korchnoi wurde überdies noch von seiner Frau angespornt den Gegner zu hassen.

Petra Leeuwerik konnte nichts leiden, was in irgendeiner Beziehung zur Sowjetunion stand. Das zeigte sie in Ihrem Verhalten und in Ihren Äußerungen.

War sie nicht in sowjetischen Lagern?

Damit hat es auch zu tun. Sie hat die besten Jahre im sowjetischen Gefängnis verbracht. Aber aus triftigem Grund. Sie hat es selbst erzählt. Sie war eine - wie mir scheint nicht allzu erfolgreiche -  Spionin. Sie hat allerdings nur drei Tage in dieser Eigenschaft gearbeitet.

 

Zweiter Teil folgt...

 

Nachdruck aus Sport Express.

Zum Original-Interview in russischer Sprache...

 

 


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