Wann hast Du angefangen, Schach zu spielen?
Die Regeln habe ich von meiner Mutter gelernt, als ich
drei oder vier Jahre alt war. Aber erst als ich neun war, haben wir
entdeckt, dass es Vereine und Turniere gibt. Ich fing an in Kinderturnieren
zu spielen und kurz vor meinem dreizehnten Geburtstag habe ich das erste Mal
an einem Open teilgenommen. Verglichen mit dem Standard der Generation
junger GMs hatte ich einen sehr langsamen Start.
Wer war Dein erster Trainer?
Am Anfang habe ich fast ausschließlich mit Büchern
gearbeitet, bis ich 2001 ein bisschen mit GM Lev Gutman trainiert habe.
Wer hat am meisten zur Verbesserung Deiner
Spielstärke beigetragen?
Eindeutig GM Vladimir Chuchelov, mit dem ich seit 2002
trainiere. Er hat mich den ganzen Weg von einem Spieler mit 2140-Elo zum
Großmeisterlevel begleitet!
Vladimir Chuchelov
Wichtig waren auch die Bücher von Vasily Smyslov, die
ich intensiv studiert habe, als ich jünger war. Sie haben viel zur
Entwicklung meines Positionsspiels beigetragen. Er ist immer noch eins
meiner Schachidole.
In den letzten zwei Jahren hast Du rasante
Fortschritte gemacht: Du wurdest Großmeister und Deine Elo-Zahl ist enorm
gestiegen? Woran liegt das?
Das begann, nachdem ich mein Abitur gemacht habe. Ich
hatte in den letzten Jahren auf dem Gymnasium einfach zu wenig Zeit für
Schach. Aber nach meinem Abitur hatte ich den starken Wunsch, zumindest GM
zu werden. Ich beschloss, den Beginn meines Studiums ein Jahr hinauszuzögern
und mich nur aufs Schach zu konzentrieren. Das erste Jahr war ein bisschen
schwierig, aber dann zahlte sich meine Arbeit allmählich aus, ich machte
eine GM-Norm nach der anderen und verbesserte meine Elo-Zahl in fast jedem
Turnier.
Ich betrachte mein eigenes Spiel sehr kritisch und
analysiere sehr sorgfältig, eine Einstellung, die sicher dazu beigetragen
hat, dass ich besser wurde.
Letztes Jahr in Eriwan, in Armenien, hattest Du sehr
gute Chancen, Jugendweltmeister zu werden, aber hast in der letzten Runde
gegen Ahmed Adly verloren. Was ist da passiert?
Meine Erinnerung an dieses Turnier ist noch frisch, da
dies trotz der Niederlage in der letzten Runde das beste Ergebnis war, das
ich je bei einer Weltmeisterschaft erzielt habe – aber auch die größte
Enttäuschung meiner noch jungen Karriere.Solch ein 13-rundiges Turnier
kostet eine Menge Energie. Ich habe während des gesamten Turniers sehr
schlecht geschlafen und außerdem habe ich mir eine Lebensmittelvergiftung
eingefangen und wurde krank. So war ich nach nur zehn Runden schon sehr
erschöpft, da ich immer nur an den Spitzenbrettern gespielt habe und von
allen Teilnehmern die stärksten Gegner hatte.
Aus Erfahrung weiß ich, dass Krankheit – wenn sie nicht
allzu ernsthaft ist – einen nicht daran hindert, gutes Schach zu spielen.
Aber sobald einmal ein bestimmter Punkt erreicht ist, sind die Batterien
einfach leer. In der letzten Runde kommt es meistens vor allem darauf an,
wie viel Energie man noch hat und nicht mit welcher Farbe oder gegen welchen
Gegner man spielt.
In der letzten Runde gegen Ahmed habe ich ungewöhnlich
langsam gespielt und bin irgendwann aus Erschöpfung zusammengebrochen – in
einer ungefähr ausgeglichenen Stellung, die ich normalerweise nicht
verlieren würde. Wie man sich nach einer solchen Partie fühlt, kann man
nicht beschreiben.
Du bist Teil der zweiten deutschen Mannschaft bei
der Olympiade in Dresden. Wer gehört sonst noch zum Team?
Die anderen Teammitglieder sind unser berühmter Arik
Braun, der 2006 U-18 Weltmeister wurde, Falko Bindrich, der mit 17 bereits
GM ist, sowie IM Sebastian Bogner and Niclas Huschenbeth.
Wie unterstützt euch der Deutsche Schachbund bei der
Vorbereitung auf die Olympiade?
Er übernimmt die Kosten für etliche wichtige Turniere
und etwa drei- bis viermal im Jahr organisiert er Trainingssitzungen für die
Jugendmannschaft. Auf der Trainerliste stehen so berühmte Namen wie Yusupov,
Dorfman, Karsten Müller und in der letzten Zeit vor allem Ribli, mit dem mir
das Training am meisten Spaß macht. Mit Spielern aus dem „goldenen
Zeitalter“ des Schachs zu trainieren, ist etwas ganz Besonderes. Einfach
deshalb, weil sie Schach auf klassische Weise gelernt haben, und wenn man
mit ihnen arbeitet, dann spürt man ihre Liebe zum Schach. Für mich ist das
immer sehr schön und bereichernd. Da er herausragt, erwähne ich Anatoly
Karpov gesondert. Das Jugendteam hat auch ein paar Trainingssitzungen mit
ihm absolviert, und wenn man strategische Stellungen verstehen will, dann
kann es nichts Besseres geben, als mit diesem Schachgenie zu analysieren.
Die Unterstützung, die wir zur Zeit vom Deutschen
Schachbund erhalten, ist allerdingsaußergewöhnlich, denn dies ist die
Vorbereitung auf die Olympiade in unserem Land. Nach diesem großen Ereignis
hört das leider alles auf.
Hast Du einen regelmäßigen Trainer?
Nicht mehr, aber ich arbeite immer noch mit Chuchelov,
im Vergleich zu den ersten Jahren unserer Zusammenarbeit allerdings nur noch
sehr selten. Meistens arbeite ich allein und wann immer es möglich ist auch
mit Schachfreunden von mir, was natürlich viel mehr Spaß macht.
Welche Sprachen sprichst Du?
Nur ein paar der wichtigsten: Deutsch, Französisch,
Englisch und Spanisch. Ich möchte in der Zukunft noch mehr lernen, zum
Beispiel Russisch.
Treibst Du Sport?
In letzter Zeit nicht mehr regelmäßig, was ein großer
Fehler ist; mit Sicherheit wiegt dieser Fehler schwerer, als ein paar
Eröffnungsvarianten nicht zu kennen.Aber ich habe mir für kommenden Sommer
ehrgeizige Ziele gesetzt. Wenn ich wieder zu Hause bin, dann werde ich mich
zwingen, jeden Morgen Laufen zu gehen und Yoga zu machen. Ich bin überzeugt,
dass das allein meine Ergebnisse schon sehr verbessern wird.
Was ist Dein absolutes Lieblingsschachbuch?
Endgame Virtuoso von Vasily Smyslov
Was erwartest Du von Plovdiv und Bulgarien?
Das ist das erste Mal, dass ich in Bulgarien bin und
leider weiß ich nur sehr wenig über Dein Land. Aber ich habe gelesen, dass
Plovdiv eine historisch einzigartige Stadt ist und ich hoffe, ich werde sie
mit vielen schönen Erinnerungen verlassen!
Welches Ziel hast Du für die Europameisterschaft?
Ich fühle mich in der Rolle des Außenseiters wohl – und
dazu gehöre ich als Nummer 130 der Setzliste mit Sicherheit – da ich dann
ohne Druck spielen kann. Ich werde einfach versuchen, gutes Schach zu
spielen und hoffe, gut in Form zu sein. Dann gibt es sicher eine Chance,
sich für den World Cup zu qualifizieren. Letztes Jahr war ich in einer
vergleichbaren Situation (da war ich sogar nur ungefähr Nummer 200 auf der
Setzliste) und schied erst im Tie-Break um die Qualifikationsplätze aus.
Erzähl uns noch ein bisschen mehr über Schach in
Deutschland. Die deutschen Spieler sind sehr diszipliniert und gebildet!
Warum ist das so, was ist der Grund dafür?
Es wird viel für den durchschnittlichen Vereinsspieler
gemacht, da es viele offene Turniere gibt – vor allem die Chess Classic in
Mainz, die viele Amateure anziehen und auf breites Interesse stoßen.
Andererseits gibt es für Spieler auf meinem augenblicklichen Niveau fast
keine Turniere in Deutschland, in denen ich gegen stärkere Gegner antreten
kann, was so wichtig ist, wenn man sich weiter verbessern will. Deshalb
spiele ich, von der Bundesliga einmal abgesehen, nur selten in Deutschland.
Ausnahmslos alle ursprünglich aus Deutschland
stammenden deutschen Spieler gehen aufs Gymnasium, bis sie 18 oder 19 sind.
Dann konzentrieren sie sich eine gewisse Zeit aufs Schach und fangen danach
an zu studieren. Während ihres Studiums spielen sie nur noch gelegentlich
Schach, mehr als Hobby. Es ist sehr selten, dass sich jemand dafür
entscheidet, dauerhaft Schachprofi zu werden. Und das ist leicht
nachzuvollziehen, da man mit den meisten normalen Jobs sehr viel mehr Geld
verdient als mit Schach. Schachprofi zu sein, wird in der deutschen
Gesellschaft außerdem als etwas „sehr Exotisches“ angesehen. Ich glaube, in
Deutschland kann man vom Schach nur gut leben, wenn man entweder ein sehr
guter Trainer ist oder dauerhaft Platz Eins oder Zwei der nationalen
Rangliste belegt.
Die „deutsche Disziplin“ liegt in der deutschen Mentalität begründet; es
gibt ein typisches Sprichwort: “In Frankreich arbeiten die Leute, um zu
essen, in Deutschland essen die Leute, um zu arbeiten.” Übrigens gefällt mir
Frankreich sehr gut :)
Gibt es spezielle Programme, um Schach in Schulen
oder in der Armee in Deutschland zu fördern?
In den letzten Jahren hat sich Einiges in Bezug auf
Schach-in-der-Schule Programme getan und sie werden immer beliebter. Das
liegt zum Teil daran, weil die deutschen Schüler im PISA-Test schlecht
abgeschnitten haben, was in Deutschland zu einer großen Diskussion geführt
hat, wie man die Ausbildung verbessern kann.
In der Armee gibt es ein Programm zur Förderung von
Spitzensportlern. Nach zwei Monaten Grundausbildung werden sie von weiterem
Armeedienst freigestellt und erhalten ein monatliches Gehalt, damit sie sich
auf ihre Karriere als Sportler konzentrieren können. Schach ist Teil dieses
Programms, aber Schachspieler können nur ein oder zwei Jahre dabei bleiben,
während Profisportler aus anderen Disziplinen so lange in dem Programm
bleiben können, wie sie zu den Besten des Landes gehören. Im Moment befinden
sich Elisabeth Pähtz, Arik Braun und David Baramidze in diesem
Armeeprogramm.
Elisabeth Pätz in Uniform
Danke für das Gespräch und viel Glück im Turnier!
Die Fragen stellte IM Dejan Bojkov.