Der
folgende Artikel erschien in Neues Deutschland. Nachdruck mit freundlicher
Genehmigung des Autors.
„Notfalls
gehen wir unseren eigenen Weg weiter – ohne die FIDE“
Sprechgesänge,
Trillerpfeifen und rote Fahnen im Turniersaal: Die sind wohl auch in Zukunft
nicht zu erwarten, jetzt nachdem sich die ACP gegründet hat, die „Association
of Chess Professionals“ mit Hauptquartier in Paris. Doch immerhin: Überall
wird von der Individualisierung der Gesellschaft gesprochen, aber ausgerechnet
die als super eigenbrötlerisch verdächtigten Schachspieler stemmen sich der
modischen Attitüde gegen kollektives Handeln entgegen - und bringen eine
eigene Gewerkschaft auf den Weg.
Wofür die ACP streitet,
darüber hat mit ihrem Präsidenten Joel Lautier der Journalist Dr. René Gralla
gesprochen. Der 31-jährige Franzose Lautier hat vor einem knappen Jahr mit
fünf Mitstreitern angefangen; inzwischen bekennen sich rund 240 Top-Sportler
zum kleinen, aber feinen Interessenverband. Das Ergebnis unermüdlicher
Lobbyarbeit von Lautier, der selber Großmeister ist, fünf Sprachen spricht
(Französisch, Englisch, Russisch, Deutsch und Spanisch) und obendrein noch
Shogi spielen kann, die äußerst anspruchsvolle japanische Variante des
Schachspiels; schließlich stammt die Mutter des energischen
Jung-Gewerkschafters aus dem fernöstlichen Kaiserreich.
Das Multitalent Lautier ist
ab Ende September Match-Direktor des Weltmeisterschaftskampfes zwischen
Titelträger Wladimir Kramnik (Russland) und dessen Herausforderer Peter Leko
(Ungarn) im Schweizer Brissago. Wegen der gebotenen Neutralität mag Lautier
dafür keine Prognose abgeben, dafür kommentiert er noch einmal aus Sicht der
ACP die aktuelle Affäre um den Ex-Weltmeister Bobby Fischer und dessen
Verhaftung in Japan.
Joel Lautier bei der Presseerklärung der ACP
Herr
Lautier, Sie sind Präsident der ACP, der ersten Gewerkschaft der
Berufsschachspieler. Wozu brauchen wir eine Gewerkschaft für Schachprofis?
Viele Dinge laufen schief,
so wie der Weltschachbund FIDE Schach managt. Ein Beispiel waren die
Europameisterschaften 2003 in der Türkei. Die FIDE hatte die Teilnehmer
gezwungen, ein bestimmtes Hotel zu buchen – zu überhöhten Preisen, anstelle
eines Discounts, der eigentlich normal gewesen wäre. Mit diesem Zuschlag hat
die FIDE den Wettbewerb finanziert; im Ergebnis sind die Spieler selber die
Sponsoren gewesen. Das macht keinen Sinn! Wozu brauchen wir dann noch einen
Weltschachbund? Da können wir Spieler unsere Turniere gleich selber
veranstalten: Jeder zahlt in einen Topf ein, und wie beim Poker heißt es am
Ende: „The winner takes it all.“
Der FIDE
gelingt es nicht, Geldgeber für Schach zu gewinnen?
Genau. Allein durch die
Verbindungen ihres Präsidenten, des Herrn Kirsan Iljumschinow, hat der
Weltschachbund Sponsoren finden können. Und Herr Iljumschinow ist ein etwas
merkwürdiger Geschäftsmann, um es mal so zu sagen: Er arbeitet zusammen mit
Leuten wie Muammar al-Gaddafi; früher ist das ein Saddam Hussein gewesen.
Herr
Iljumschinow, der nebenbei auch noch die Russische Federationsrepublik
Kalmückien regiert, soll während der Amtszeit von Saddam Hussein eine WM in
Bagdad geplant haben?!
Das ist richtig. Auf diese
Weise bekommt unser Spiel einen sehr schlechten Ruf: Seriöse Sponsoren möchten
nicht mit den erwähnten Leuten in Verbindung gebracht werden. Entsprechend das
Hauptanliegen der ACP: Wir wollen wieder eine gewisse Ordnung in das
internationale Schach bringen. Die FIDE ist nicht mehr dazu in der Lage,
Turniere vernünftig zu organisieren. Nehmen wir den wichtigsten Wettbewerb,
die Weltmeisterschaft: Die FIDE hat die diesjährige WM im libyschen Tripolis
durchgeführt – an einem Ort, zu dem die israelischen Spieler nicht reisen
konnten. Obendrein hat der FIDE-Präsident den Oberst Gaddafi zum „Großmeister“
ernannt, am Ende der WM. Das ist total lächerlich! Wir Schachspieler wissen,
welcher Einsatz notwendig ist, um Großmeister zu werden – aber Herr
Iljumschinow gibt den Titel einfach an jemanden weg, der ein Turnier
veranstaltet. Von solchen Dingen haben wir genug.
Ihre
ACP, Herr Lautier, will verhindern, dass sich so etwas wiederholt?
Wir wollen für Schach
wenigstens einen Teil des Prestiges wiedergewinnen, das es während der
vergangenen Jahre verloren hat. Wenn die FIDE auf unsere Forderungen nicht
reagiert und mit uns kooperiert: Wir können die FIDE dazu nicht zwingen. Wir
wären glücklich, mit der FIDE zu arbeiten, wenn sich die FIDE vernünftig
verhalten würde. Da sie es aber nicht eilig zu haben scheint, das zu tun, dann
gehen wir eben unseren eigenen Weg weiter. Ohne die FIDE.
Das
typische Kampfmittel einer Gewerkschaft ist der Streik. Wird die ACP ihre
Mitglieder auffordern, Turniere der FIDE zu boykottieren?
Insofern unterscheiden wir
uns von einer üblichen Gewerkschaft. Wir wollen nicht nur protestieren und
Streik oder Boykott als die einzigen Mittel einsetzen, um uns Gehör zu
verschaffen. Wir nehmen die Dinge selber in die Hand: Als ACP organisieren wir
Turniere künftig nach professionellen Gesichtspunkten. Und das an ganz
normalen Austragungsorten – und nicht mehr dort, wo das Geld aus dubiosen
Quellen stammt.
Deswegen
haben Sie jetzt Ihre neue „ACP-Tour“
gestartet – eine Serie von Turnieren, die das Gütesiegel der ACP tragen.
Ja. Die lächerlichen
Vorfälle aus der Vergangenheit – das die Teilnehmer ihre eigenen Turniere
finanzieren - , die werden sich bei uns nicht wiederholen. Außerdem: Wir
wollen so viele Wettbewerbe wie möglich realisieren, das werden während der
laufenden ersten Saison über 30 sein: damit eine große Zahl von Spielern die
Chance erhält, sich nach unserem eigenen Rating-System für die „ACP Master’s“
am Ende des Turnierzyklus 2004/2005 zu qualifizieren. Die
„ACP Master’s“
werden entschieden zwischen September und Dezember 2005, und der Sieger wird
zum „Besten Spieler
der Saison“
erklärt. Insofern orientieren wir uns am Vorbild Tennis, wo dieses Modell sehr
gut funktioniert. Bisher ist das in der Schachwelt ja anders gewesen: Leute
fangen damit an, sich einen Namen zu machen, dann werden sie zu Eliteturnieren
eingeladen. Ergebnis: Nur eine sehr begrenzte Zahl von Spielern kann Geld
verdienen. Wir wollen viele offene Turniere einbeziehen, um das System
dynamischer und offener zu machen.
Wie
viel Geld kann ein Schachprofi verdienen?
Das hängt natürlich sehr
stark von der einzelnen Person ab. Die Top Ten nehmen sicher mehr als 100.000
Dollar im Jahr ein, die besten hundert Spieler der Welt kommen vielleicht auf
50.000 Dollar.
Was ist
mit dem Weltmeister Wladimir Kramnik oder mit Ex-Champ Garri Kasparow: Sind
die beiden Millionäre?
Das nehme ich an.
Wird
sich aus Ihrer ACP ein Gegenverband zum Weltschachbund FIDE entwickeln?
Sie können das ruhig eine
Konkurrenz nennen. Die Profis werden dort sein, wo das Geld ist. Wenn wir
genügend Sponsoren für Schach finden, werden die Spieler bei uns mitmachen. Dafür
arbeiten wir hart, und die Dinge entwickeln sich gut. Die FIDE hat nicht
einmal ein eigenes Team, das sich mit der Sponsorensuche beschäftigt: Sie
wissen nicht, wie das überhaupt funktioniert. Schließlich hat der
Weltschachbund auch schon Turniere derart finanziert, dass der Präsident
selber – also Herr Iljumschinow – sein eigenes Geld dafür ausgegeben hat. Was
eine eigenartige Vorgehensweise ist, so arbeitet eine Sportvereinigung
normalerweise nicht. Zumal es noch nicht einmal ganz sicher ist, ob das
eingesetzte Geld das persönliche Geld von Herrn Iljumschinow gewesen ist –
oder ob jenes Geld, auf das er Zugriff gehabt hat, aufgrund seiner
Geschäftsaktivitäten oder seiner politischen Position geflossen ist.
Sie sind
jetzt Spitzenfunktionär Ihrer Schachgewerkschaft, aber gleichzeitig auch
Profispieler. Haben Sie überhaupt noch Zeit für das Training?
Ich muss mich wirklich
anstrengen, um ein wenig freie Zeit zu finden, damit ich mein Schach
verbessern kann. Normalerweise habe ich dafür wenigstens sechs bis sieben
Stunden am Tag investiert; heute schaffe ich höchstens zwei bis drei Stunden.
Immerhin
spielen Sie aber ein wenig Shogi. Da gibt es ja die Theorie, dass man im
üblichen internationalen Schach besser wird, wenn man parallel auch noch eine
asiatische Variante pflegt. Haben Sie diesen Effekt an sich beobachtet: dass
Sie Shogi spielen – und dann bessere Einfälle im Schach haben?
Manchmal bekommt man
vielleicht einige recht originelle Ideen. Aber die beste Methode ist es doch,
am Schach selber zu arbeiten.
Welchen
Grad haben Sie im Shogi erreicht?
Ich bin da nicht besonders
stark. Bei Turnieren bin ich nicht gestartet; ich schätze, es ist der 1. Kyu.
Schach
hat viele Schlagzeilen in den vergangenen
Tagen gemacht, wegen der Verhaftung von Bobby Fischer in Japan; der
Ex-Weltmeister soll an die USA ausgeliefert werden. Der Nordamerikaner ist der
erste gewesen, der größere Summen für Schach gefordert und erstritten hat; er
ist damit Gründervater des Profisports im Schach. Abgesehen von Fischers
unerträglichen Hetzreden gegen Israel und sein Heimatland USA: Wäre es nicht
an der Zeit, dass sich die Profi-Organisation ACP für Fischer einsetzt?
Wir wissen, dass Fischer ein
großer Schachspieler war. Aber viele mögen nicht besonders, was er über andere
Themen jenseits vom Schach meinte sagen zu müssen. Sicherlich wird im Fall
Fischer ein ziemlich seltsames Spiel gespielt: Es scheint eine Idee der
gegenwärtigen US-Administration zu sein, ihm Probleme zu machen.
Vor
allem wohl wegen seines Beifalls für die Terroranschläge vom 11. September
2001 …
… das ist einfach nur dumm
gewesen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass es für Menschen, die
wegen der Ereignisse gelitten haben, schrecklich gewesen ist, Fischer zu
hören. Deswegen wohl will die US-Administration zeigen, dass sie solche Leute
bestraft. Das ist ein kompliziertes Thema; außerdem ist nicht klar, wie man
ihm helfen kann. Mehrere Schachverbände haben sich in Washington für Fischer
verwandt, aber ohne jeden Erfolg. Wir müssen die juristische
Auseinandersetzung abwarten: ob Fischer tatsächlich rechtliche Regeln verletzt
hat, als er trotz eines Embargos gegen Jugoslawien dort 1992 einen Wettkampf
mit Boris Spassky ausgetragen hat - oder ob hier ein Rechtsmissbrauch der
US-Administration vorliegt.
Wird die
ACP wenigstens einen Rechtsanwalt für Fischer besorgen?
Ich denke, er hat schon
einen Rechtsbeistand in Japan.
Interview: Dr. René Gralla