"SCHACH SOLLTE VERSTÄRKT
IM SCHULUNTERRICHT EINGESETZT WERDEN!"
Ein Wahl-Berliner gehört
zu den Topfavoriten bei der diesjährigen Schachweltmeisterschaft vom 11.
September bis 1. Oktober 2007 in Mexiko: der gebürtige Armenier LEVON
ARONIAN (24), der in der Bundesliga beim SC Kreuzberg unter Vertrag steht.
Der RENÉ GRALLA hat für die Tageszeitung „Neues Deutschland“ mit dem
WM-Kandidaten gesprochen.
ND: Bei der Schacholympiade 2006 in Turin haben Sie Gold gewonnen mit der
Auswahl Armeniens. Wollen Sie diesen Erfolg 2007 krönen mit dem Gewinn der
Weltmeisterschaft in Mexiko?
LEVON ARONIAN: Ich werde
mein Bestes geben. Und hoffentlich werde ich Erfolg haben.
ND: Bei den gerade zu Ende gegangenen Kandidatenkämpfen im kalmückischen
Elista haben Sie in überzeugender Weise die WM-Qualifikation geschafft. Gute
Vorzeichen für Mexiko?
ARONIAN: Ehrlich gesagt
denke ich darüber nicht nach. Ich trainiere, um meine Form für die WM noch
zu steigern. Dann werde ich sehen, wie das Turnier läuft.
ND: Den amtierenden Weltmeister Wladimir Kramnik aus Russland haben Sie vor
knapp zwei Monaten bei einem Zweikampf in Armeniens Hauptstadt Eriwan
überzeugend mit 4:2 Punkten geschlagen. Macht Sie das optimistisch mit Blick
auf die WM?
ARONIAN: Das war
Schnellschach, 25 Minuten pro Spieler und Partie, und vorher habe ich auch
schon mal gegen Kramnik verloren. Daher lässt sich daraus kaum eine Prognose
für die Weltmeisterschaft ableiten.
ND: Nach der Pleite von Eriwan sollte Weltmeister Kramnik eigentlich Angst
vor Ihnen haben.
ARONIAN: Das müssen Sie
ihn fragen, außerdem weiß ich gar nicht, ob Angst das richtige Wort ist.
Abgesehen davon hat Kramnik schon vorher gewusst, dass ich ihn bei einem
direkten Zusammentreffen in Schwierigkeiten bringen kann.
Aronian und Kramnik in Dortmund
ND: Der andere große WM-Favorit in Mexiko ist der Inder Viswanathan
Anand, Titelträger des Jahres 2000 und momentan die Nr. 1 der Weltrangliste.
Wie schätzen Sie Ihre Chancen gegen Anand ein?
ARONIAN: Was ich zu
Kramnik gesagt habe, lässt sich auch auf Vishy Anand übertragen. Ich freue
mich auf unsere Begegnung, die wird bestimmt sehr interessant.
ND: Sie haben sich
öffentlich schon mal darüber gewundert, wie Sie es an die Weltspitze
geschafft haben, obwohl Sie selber Ihren Stil am Brett als "chaotisch"
bezeichnen ...
ARONIAN: ... ich liebe
unklare Stellungen, in denen niemand genau sagen kann, wie die Lage ist. Da
kann ich meine Kreativität entfalten.
ND: Die Massenmedien im Westen tun sich schwer damit, Schach als Sport ernst
zu nehmen.
ARONIAN: Schach ist ein
schwieriges Spiel. Außerdem kann eine Partie bis zu sieben Stunden dauern,
und das ist sehr anstrengend. Daher denke ich, dass Schach eher Sport ist
als irgendetwas anderes.
ND: Vor dem Hintergrund, dass geschätzte 600 Millionen Menschen weltweit
Schach spielen: Findet Schach in der Presse die ihm gebührende
Aufmerksamkeit?
ARONIAN: Fragen Sie einen
Fußballer, ob der meint, dass sein Sport mehr Raum in den Medien verdient,
und der wird Ihnen antworten: Selbstverständlich, aber ja! Deswegen sage ich
auch: Natürlich wünsche ich mir, dass Schach noch populärer wird. Und das
Spiel sollte verstärkt im Schulunterricht eingesetzt werden, weil es den
Verstand trainiert. Studien aus den USA und Russland belegen das.
ND: In Ihrer Heimat Armenien sind Sie ein Superstar, vergleichbar dem Status
eines Fußballhelden. Woher diese Schachbegeisterung in Armenien?
ARONIAN: Die Begeisterung
gilt weniger dem Schach als unseren Erfolgen mit der Nationalmannschaft. Das
Land hat schwere Zeiten hinter sich, die Menschen haben sich nach etwas
Glanz gesehnt. Um so größer ist die Begeisterung
gewesen, als wir mit Gold aus Turin zurückgekehrt sind.
ND: Tigran Petrosjan, Weltmeister von 1963 bis 1969, stammt aus Armenien.
Sehen Sie sich in der Nachfolge von Petrosjan, wenn Sie zur WM 2007
antreten?
ARONIAN: Manche Leute
verwechseln unsere Vornamen und nennen mich sogar "Tigran" (lacht). Aber im
Ernst: Die Frage ist verfrüht, warten wir erst einmal den Ausgang der WM
ab.
ND: Sollten Sie den Titel in Mexiko gewinnen, bekommt der noch amtierende
Weltmeister Wladimir Kramnik eine zweite Chance: Der Weltschachbund FIDE hat
Kramnik das Recht zugestanden, den Sieger von Mexiko zu einem Zweikampf
herauszufordern. Ist dieses Privileg für den Titelverteidiger fair?
ARONIAN: Die WM 2007 in
Mexiko ist ein Rundenturnier. Aber nach meiner Meinung sollte die
Weltmeisterschaft eigentlich in einem Match ausgetragen werden zwischen
Titelverteidiger und Herausforderer, denn das entspricht dem traditionellen
Austragungsmodus in der Schachgeschichte. Daran wird angeknüpft, wenn der
Gewinner des WM-Turniers von Mexiko anschließend einen Zweikampf um den
Titel austragen muss.
ND: Nachdem die Konkurrenz zweier Titelträger in der Schachwelt beendet
worden ist durch die sogenannte Wiedervereinigung-WM von Elista 2006, bei
der sich Wladimir Kramnik gegen den Bulgaren Wesselin Topalow durchgesetzt
hat, ist Kramnik der momentan unbestrittene Weltmeister. Der Verlierer von
Elista 2006 ist ausgeschlossen von der diesjährigen WM: eine besondere
Klausel, der seinerzeit sowohl Topalow als auch Kramnik zugestimmt haben.
Trotzdem versucht die bulgarische Seite inzwischen mit allen Mitteln, den
2006 unterlegenen Topalow nachträglich in den WM-Zyklus 2007 zu pushen.
ARONIAN: Sie haben
gewusst, unter welchen Bedingungen die WM von Elista 2006 ausgetragen worden
ist und welche Konsequenzen eine Niederlage nach sich ziehen würde. Und sie
haben das akzeptiert. Die Art, wie sich das Topalow-Lager nun verhält,
gefällt mir nicht besonders.
ND:
Während der Schacholympiade 2006 in Turin standen Sie im Fokus eines
Zwischenfalls. Als Sie der britische Großmeister David Gormally während
einer Party mit der australischen Spielerin Arianne Caoili tanzen sah,
wurden Sie von Gormally zu Boden geschlagen. Aktuelle Pressefotos zeigen Sie
bei offiziellen Terminen in Begleitung von Frau Caoili zeigen. Ein privates
Happy End nach dem viel publizierten "Gormally-Gate"?
ARONIAN: Ich will das
nicht kommentieren, ich möchte über mein Privatleben nicht sprechen. Zur
Klarstellung der Dinge sage ich nur so viel: Ich bin glücklich in meinem
Privatleben.