Interview mit Malte Ibs,
Vorsitzender der Deutschen Schachjugend
Es gab in den letzten Wochen viel Unruhe im Präsidium des Deutschen Schachbundes. Welche Wirkung hat das auf die Deutsche Schachjugend, die ja im Präsidium über den DSJ-Vorsitzenden auch vertreten ist?
Wir versuchen unsere Projekte, so wie wir sie geplant hatten, weiter zu verwirklichen. Aber natürlich merken wir das schon. Man weiß nicht, wie es nach der Wahl aussieht, wer wird im Präsidium sitzen, wer wird dann Ansprechpartner sein? Im Moment bewegt sich nicht viel.
Also Stillstand, zur Zeit?
In gewisser Weise ja. Man merkt, dass im Moment nichts bewegt werden kann, weil jeder abwartet, was die Wahl bringen wird. Die Wahl ist nächste Woche. Bisher ist mir nur das Ticket von Herbert Bastian bekannt. Es gibt aber viele Gerüchte. Die DSJ arbeitet nach der Wahl gerne mit jedem zusammen, der gewählt wird.
Sie sind der Vorsitzende der Deutschen Schachjugend, vielleicht können Sie etwas zu Ihrem Hintergrund erzählen?
Ich komme aus Schleswig-Holstein, war dort bis 2014 neun Jahre lang Vorsitzender der Schachjugend. Seit drei Jahren bin ich auch stellvertretender Vorsitzender der DSJ. Mein Heimatverein ist der Elmshorner Schachclub. Dort hab ich über 10 Jahre Jugendarbeit gemacht.
Wer wählt den Vorsitzenden der Deutschen Schachjugend?
Der wird alle zwei Jahre auf der Jugendversammlung gewählt. Bei der Jugendversammlung, die letzte war in Bamberg, treffen sich die Delegierten der Landesschachjugenden, wobei dort immer auch mindestens ein Jugendlicher unter 23 aus jeder Landesschachjugend dabei sein muss.
Professor Dr. Christian Warneke war ihr Vorgänger als Vorsitzender der DSJ und saß als Vertreter der Schachjugend im Präsidium, hat sich aber aus diesem im letzten Jahr zurückgezogen, mit welcher Begründung?
Christian Warneke hat eine offizielle Erklärung abgegeben, in der er darauf verwies, dass er beruflich nun mehr eingespannt sei, gab aber auch explizit an, dass er für sich keinen Weg mehr in der Zusammenarbeit zwischen DSJ und DSB sah, zumindest im Präsidium.
Was ist denn mit dem zweiten Teil der Erklärung konkret gemeint?
Der Hintergrund ist, dass wir mit unseren DSJ-Themen im DSB-Präsidium immer wieder geblockt wurden. Zum Teil gab es auch Drohungen gegen die DSJ, wenn wir die Dinge nach unseren Vorstellungen erledigt haben, und nicht so, wie im DSB-Präsidium gewünscht war. Wir haben in diesen Diskussionen stets auf unsere Eigenständigkeit aber auch auf unser Fachwissen und unsere Kompetenz verwiesen. Am Ende hat Christian gesagt: Das ist keine Atmosphäre, in der eine sinnvolle Zusammenarbeit für ihn noch möglich ist.
Können Sie das noch etwas konkretisieren?
Ein Punkt, der die DSJ sehr konkret berührt, betrifft die vom Gesetzgeber vorgegebene Eigenständigkeit in finanziellen Fragen. Zu dem unter anderen der Abschluss von Verträgen, zum Beispiel mit Veranstaltern, wie bei den Deutschen Jugendeinzelmeisterschaften, gehört. Wir sind der Auffassung, dass wir die Verträge selber abschließen und unterzeichnen müssen. Im DSB-Präsidium war man neuerdings der Meinung, dass der DSB die Verträge unterschreiben muss, sofern sie einen Rahmen von 5000 Euro überschreiten. Vom DSB Präsidium wurde dann auch schon mal gedroht, dass wir keine Haushaltsmittel mehr erhalten, wenn wir nicht den DSB die Verträge unterschreiben lassen. Das erleichtert die Arbeit der DSJ natürlich nicht.
Wurden da in der Vergangenheit Defizite erwirtschaftet, durch die der Standpunkt der DSB vielleicht gerechtfertigt wäre?
Nein. Es ist im Haushalt alles vernünftig verankert. Wir bewirtschaften jährlich einen Etat von ungefähr 500.000 EUR. Die DSJ erhielt immer die Entlastung und wir wurden sogar für unsere Transparenz gelobt. In diesem Bereich können die Gründe des DSB also nicht liegen.
Es gibt also keinen aktuellen Anlass für diesen Konflikt, sondern es ist eine prinzipielle Frage?
Ja, es geht wohl ums Prinzip. In der Vergangenheit war es bisher allerdings immer so, dass die vom Gesetzgeber geforderte finanzielle Eigenständigkeit der DSJ im DSB akzeptiert wurde, so dass die DSJ für ihre Verträge und Finanzfragen selbst verantwortlich war. In diesem Punkt gibt es nun aber keinen Konsens mehr.
Es war dann sogar so, dass uns vom DSB bei dem Vertrag der Deutschen Meisterschaft ein Ultimatum gestellt wurde - das war im letzten Dezember -, in dem die DSJ aufgefordert wurde, den Vertrag bis zu einem bestimmten Datum zur Unterschrift dem DSB vorzulegen. Falls wir dem nicht nachkämen, so hieß es, würden uns die Fördermittel vom DSB gestrichen werden. Gleiche Probleme haben wir dann auch beim Abschluss der Verträge unser weiteren Großprojekte, wie zum Beispiel Akademie, Kongresse oder Deutsche Ländermeisterschaft.
Das brachte uns in eine besondere Zwickmühle. Wenn die DSJ nämlich keine Fördermittel vom DSB bekommt, wird ihr auch die Förderung durch die Deutsche Sportjugend gestrichen, weil man eine Eigenleistung erbringen muss, um öffentlich gefördert zu werden. Wenn wir aber unsere Eigenständigkeit aufgeben, indem wir unsere Zeichnungsberechtigung an den DSB abgeben, erhalten wir auch keine öffentlichen Fördermittel mehr, weil wird nicht eigenständig sind. Das DSB-Präsidium war sich in dieser Frage übrigens ausnahmsweise sehr einig. Es wurde zwar nicht offiziell abgestimmt, aber es gab auch keinen, der sich im Präsidium für die DSJ eingesetzt hat.
Malte Ibs, Heike Quellmalz, Michael S. Langer, Herbert Bastian und Joachim Gries (Foto: Schachbund)
Wie hoch sind die Fördergelder?
Von der Deutschen Sportjugend bekommen wir sogar mehr als vom Schachbund. In diesem Jahr sind es 106.000 Euro. Vom DSB bekommen wir 67.500 Euro, wenn der Haushaltsplan am nächsten Samstag genehmigt wird.
Wie ist die DSJ aus diesem Dilemma heraus gekommen?
Wir haben darauf hingewiesen, dass das Ultimatum eben zu diesem Verlust der öffentlichen Förderung in Höhe von 106.000 EUR führen würde. Ebenso haben wir unseren Rechtsbeauftragten Jacob Roggon beauftragt festzustellen, wie die Eigenständigkeit der DSJ juristisch genau definiert ist und haben diese Expertise dem DSB vorgelegt. Daraufhin kam keine besondere Resonanz, außer dass einige sagten: "Nee, das stimmt so nicht". Wir haben daraufhin nicht mehr reagiert, bekamen aber trotz der fehlenden Einigung unser Geld.
Wann wurde die Deutsche Schachjugend gegründet?
Das war 1970. Wir feiern also in diesem Jahr unser 45-jähriges Jubiläum.
Die DSJ hat sogar einen eigenen Geschäftsführer, Jörg Schulz...
Ja, Jörg Schulz war früher Vorsitzender der DSJ und wurde später, als die Stelle vor 25 Jahren vakant war, Geschäftsführer der DSJ. Am 1. Juli ist also sein 25-jähriges Dienstjubiläum. Ohne ihn und seine Arbeit wären viele Projekte überhaupt nicht möglich. Er arbeitet nicht etwa nur Aufträge ab, die wir ihm geben, sondern ist selber aktiv, gestaltet und realisiert viel und bringt viele Ideen ein. Wir sind sehr froh, dass wir einen Mann wie ihn als Geschäftsführer haben. Das betone ich gerne öffentlich oder im Präsidium. Den können wir uns nicht wegdenken.
Wer ist der Chef von Jörg Schulz?
Der Präsident des DSB hat die Oberaufsicht über die Geschäftsstelle. Aber wenn Belange der Schachjugend berührt werden, muss das über den DSJ-Vorsitzenden geregelt werden, dem auch das Weisungsrecht zusteht. Nur so ist die Eigenständigkeit der DSJ, wie sie die DSB-Satzung vorsieht, gewahrt. Das wird leider nicht immer so gehandhabt.
Der größte Ausgabenposten der DSJ ist vermutlich die jährliche Durchführung der Einzelmeisterschaft?
Richtig, das finanzielle Volumen liegt bei knapp 300.000 Euro. Der DSJ Eigenanteil beträgt davon 15.000 EUR. Die Einzelmeisterschaft ist eine riesige Veranstaltung mit ca. 1200 Teilnehmern - Spieler, Betreuer, Eltern - und einem ca. 40-köpfigen ehrenamtlichen Organisationsteam. Sie ist der absolute Höhepunkt und mit Abstand die größte Schachveranstaltung im Schachbund. Sie findet in der zentralen Form seit mehr als 15 Jahren statt.
Gibt es denn noch weitere Meisterschaften der DSJ?
Daneben habe wir mit guter Resonanz die Ländermannschaftsmeisterschaften wiederbelebt. Ende des Jahres gibt es dann noch unsere Vereinsmannschaftsmeisterschaften. Und an diesem Wochenende finden auch wieder die Deutschen Schulschachmeisterschaften statt.
Welche weiteren Projekte gibt es neben dem Spielbetrieb von der Schachjugend?
Da gibt es einige. Wir haben Projekte, die wir jedes Jahr durchführen, zum Beispiel die DSJ-Akademie, die diese Jahr vom 12.-14. Juni in Darmstadt stattfindet, nachdem sie zuvor fünf Jahre in Rotenburg an der Fulda war. Mit der DSJ-Akademie bieten wir verschiedene Seminare für Jugendbetreuer an, alle Themen, die in der Jugendarbeit eine Rolle spielen, werden besprochen, organisatorische Fragen, aber auch schachliche Themen für das Jugendtraining. Fragen wie: Wie organisiert man eine Jugendreise? Wie organisiert man ein Schachturnier? Wie motiviert man Jugendliche und Kinder? Aber auch: Wie spiele ich eine bestimmte Eröffnung? Wir haben dort Jahr für Jahr knapp 60 Teilnehmer.
Als großes Projekt gibt es zudem den Schulschachkongress, den wir einmal im Jahr zusammen mit der Schulschachstiftung organisieren. An diesem nehmen jährlich über 100 LehrerInnen teil. Dieses Jahr wird er voraussichtlich in Lüneburg stattfinden. Außerdem führen wir auch einen Mädchen- und Frauenschachkongress durch. Das heißt, jetzt nennen wir es nur noch Mädchenschachkongress, weil der DSB sich nicht beteiligen möchte.
Was heißt das? Das DSB-Präsidium hatte doch die Frauenförderung als einen ihrer Schwerpunkte genannt. Zieht der DSB sich aus diesem Thema zurück?
Zumindest wird unser Kongress nicht aktiv unterstützt. Inhaltliche Arbeit ist halt nicht so gewollt. Wir bieten das immer wieder an, aber es kommt keine Antwort. Wir laden ein, wir fragen, was wir als Themen anbieten sollen. Aber im Endeffekt organisieren wir es und da der Kongress ja hauptsächlich aus Mittel der Deutschen Sportjugend finanziert wird, haben wir gedacht, dann können wir es auch Mädchenkongress nennen.
Neben den Ausbildungsprojekten organisieren wir Jugendseminare. Dort möchten wir das Engagement fördern, Jugendliche auch für Ehrenämter motivieren. Das sind Projekte, die auch vom Deutschen Sportjugend zusätzlich gefördert werden. Wir organisieren Jugendaustäusche, zum Beispiel mit dem Französischen Schachjugend, aber auch mit anderen, wie Japan oder China. Es gibt zudem die Zertifizierungen der Schulen als "Deutsche Schachschule", seit etwa 5 Jahren. Die Schulen können sich bewerben, wenn sie sich im Schach besonders engagieren, eine reine Schach-AG reicht da nicht, und erhalten dann die Auszeichnung "Deutsche Schachschule", die man als Plakette am Eingang sichtbar machen kann. Ich glaube, es müssten inzwischen über 50 Schulen sein, die dieses Zertifikat erhalten haben. Wir haben da jedes Jahr sehr viele Bewerbungen. Als Sonderprojekt haben wir gerade die Aktion "15 Titelträger für 15 Jahre". Seit 15 Jahren unterstützen wir als Zukunftspartner das Kinderhilfswerk "terre des hommes". Es haben sich mehr als 15 Titelträger, wie Jan Gustaffson, Niclas Huschenbeth oder Dr. Helmut Pfleger gefunden, die auf einer öffentlichen Veranstaltung eines Schachvereins ohne Gage Simultan spielen. Der Teilnahmebetrag kommt zu 100% unserem derzeitigem Projekt mit terre des hommes zu Gute. Für die Vereine wird es so eine schöne öffentliche Schachveranstaltung, die zeigt, dass man die gesellschaftliche Verantwortung und Schach sehr gut verbinden kann.
Malte Ibs in der ChessBase Geschäftsstelle
Ein großes Thema im Schachbund, in jedem Sportbund, ist die Nachwuchsförderung, bzw. die Aufgabe, überhaupt Nachwuchs zu bekommen. Der Schachbund leidet sichtbar unter einer Überalterung. Mit den Mitgliedern sterben bisweilen auch die Vereine. Was macht die DSJ als Jugendorganisation, um Nachwuchs zu generieren? Welche Rolle spielt das Schulschach?
Das Wichtigste ist erst einmal, Kontakt zu den Schulen zu bekommen, in denen Schach ein Thema ist. Dabei geht es primär erst einmal gar nicht darum, gleich Mitglieder für die Vereine zu werben, sondern darum Schach als Spiel oder als Sport populär zu machen. Je mehr Leute Schach spielen, desto mehr Leute werden dann auch in die Vereine gehen. Hilfreich wäre es, wenn wir in den Vereinen eine gute Ausbildung im Hinblick auf die Jugendbetreuung aufbauen könnten. Manche Vereine sind gar nicht richtig auf Kinder und Jugendliche eingestellt. Im Verein muss den Kindern in jedem Fall ein Mehrwert vermittelt werden. Sonst ist es langweilig. Das gilt besonders auch für Mädchen. Ein einzelnes Mädchen bleibt auch nicht im Verein - wenn sich dort eine Gruppe von Mädchen bildet, drei oder mehr, ist das schon anders.
Wir versuchen das über unsere Patentlehrgänge zu erreichen. Wir möchten auch ältere Mädchen ausbilden, um als Mädchenbetreuerinnen im Verein zu wirken. Unsere Mädchenreferentin Melanie Ohme hat dafür zusammen mit ihrem Arbeitskreis und Jörg Schulz ein sehr gutes Konzept entwickelt. Ende August werden diese Mädchenbetreuer in Göttingen ausgebildet.
Nach unserer Vorstellung wäre es auch nützlich, wenn das Thema Jugendbetreuung in die C-Trainer-Lehrgänge aufgenommen werden würde. Aber unsere Patenlehrgänge werden leider nicht in allen Ländern als Ausbildungsmaßnahme für die C-Trainer-Lehrgänge nicht anerkannt.
Warum?
Dazu müssten Sie den DSB befragen. Es scheint auch ein föderales Problem zu sein. In dem Bundesland des zuständigen Vizepräsidenten des DSB, Herr Gries, wird die Anerkennung kategorisch abgelehnt.
Die Schachjugend hat auch einen Methodenkoffer entwickelt. Der wird aber anscheinend gar nicht beworben. Weshalb nicht?
Der Methodenkoffer wurde von der Schulschachstiftung entwickelt. Die DSJ unterstützt alles, was der Entwicklung des Schachs nützt. Deswegen machen wir auf unseren Veranstaltungen Werbung für diesen Methodenkoffer, der auch richtig gut ist und kindgerecht an das Schach heranführt. Der Koffer wendet sich an Schulen, ist aber auch für die Vereinsarbeit hilfreich, wenn man dort jüngere Mitglieder hat. Da der Methodenkoffer von der Schulschachstiftung entwickelt wurde, hat er direkt nichts mit der DSJ oder dem DSB zu tun. Deswegen wird er vom DSB auch nicht beworben. Es kann auch eine Rolle spielen, dass es anfangs Überlegungen gab, ihn über die Wirtschaftsdienst GmbH des DSB zu finanzieren. Das hat dann nicht geklappt da die GmbH die Finanzmittel nicht aufbringen konnte. Der Koffer wurde dann privat vorfinanziert. Der DSB erzielt daraus keine Erlöse und bewirbt ihn wohl auch deshalb nicht.
Was erwarten Sie von den Wahlen beim kommenden Bundeskongress?
Ich hoffe, dass dann wieder Ruhe einkehrt und sich ein Präsidium bildet, dass als Team funktioniert. Als DSJ sind wir, egal wer gewählt wird, weiter bereit unsere Inhalte und Kompetenz einzubringen. Neben den Themen, die ich schon angesprochen habe, zum Beispiel in der Ausbildung, gibt es ja auch noch das Thema Fair Play, sehr aktuell derzeit. Wir haben vor zwei Jahren ein Positionspapier verabschiedet, beim DSB fehlt das noch. Es wäre schön, wenn man mit dem DSB in solchen Themen zusammenarbeiten könnte.
Viele Dank für das Gespräch.
Fotos: Rainer Woisin