Interview mit WM-Herausforderer Wladimir Kramnik
„Bonn erlebt den realen
Fight um die Schachkrone“
Von Dagobert Kohlmeyer
Nach 74 Jahren erlebt Deutschland wieder ein
Duell um die Schachkrone. Damals gewann Alexander Aljechin gegen Jefim
Bogoljuobow. Beim WM-Match in Bonn spielen der Inder Viswanathan Anand (38) und
der Russe Wladimir Kramnik (33) ab Dienstag, dem 14. Oktober, um den WM-Titel
und ein Preisgeld von 1,5 Millionen Euro. Steht es nach 12 Partien 6:6, gibt es
am 2. November einen Tiebreak mit verkürzter Bedenkzeit. Dagobert Kohlmeyer
sprach mit dem WM-Herausforderer Kramnik, der im Jahre 2000 Garri Kasparow
entthronte, sieben Jahre Weltmeister war und nun wieder auf den Schacholymp
zurück will.
Wie gut sind Sie auf das Match
eingestellt?
Ich bin seit langem dazu bereit und fest
entschlossen, den Titel zurückzuholen. Das Match ist ein sehr wichtiges Ereignis
in meiner Schachkarriere. Es wird hoffentlich angenehmer als das
nervenaufreibende WM-Duell 2006 gegen Topalow in Elista.
Anand wurde voriges Jahr in Mexiko
Weltmeister, Sie belegten Platz 2. Es war aber ein Rundenturnier. Warum hat der
Zweikampf in Bonn für Sie größere Bedeutung?
Unser Duell ist zehnmal wichtiger. Der Titel
in einem Zweikampf der beiden weltbesten Schachspieler hat einen viel höheren
Stellenwert als ein Turniersieg. Wenn du Schachweltmeister werden willst, musst
du den Hauptkonkurrenten besiegen, nicht einfach in einem Turnier Remis gegen
ihn machen und dann die schwächeren Leute vom Brett fegen. Man muss stärker sein
als der ärgste Widersacher und ihn im direkten Duell bezwingen. Sehen Sie doch
in die Schachgeschichte! Dort gab es über 120 Jahre immer große, unvergessene
WM-Kämpfe. Deshalb hat der Fight in Bonn für mich so ein großes Gewicht.
Sie sind wie Ihre Vorgänger Karpow und
Kasparow ein Schüler des legendären Michail Botwinnik. Fühlen Sie deshalb eine
besondere Verpflichtung, die Schachkrone nach Russland zurückzuholen?
Sicher. Die 12 Partien von Bonn haben für
mich aber doppelte Bedeutung. Einmal möchte ich den Titel für mein Land
zurückerobern, das eine so lange und großartige Schachtradition hat. Die
Menschen in Russland wären dann stolz auf mich. Zudem soll das Match ein
weiterer Höhepunkt meiner sportlichen Laufbahn sein. Quasi das letzte noch
fehlende Glied in einer erfolgreichen Kette. Gegen Viswanathan Anand zu
gewinnen, der ein großer Schachmeister ist, das wäre die absolute Krönung. Ich
habe mich ganz ernsthaft auf diesen ultimativen Zweikampf vorbereitet.
Wann haben Sie das WM-Training
aufgenommen? Anand präparierte sich seit April und arbeitete manchmal bis zu 10
Stunden am Tag. Sie etwa auch?
Zehn Stunden sind das Minimum! (lacht). Ich
habe schon viel früher mit der Vorbereitung begonnen, und zwar im vergangenen
Winter. Gleich, nachdem die Verträge unterschrieben waren. Zuerst studierte ich
gründlich Anands Partien, um seine Schwachpunkte zu entdecken. Im Frühjahr
intensivierte ich die Arbeit und zog meine Sekundanten hinzu. Ich bin davon
überzeugt, dass mein Gegner schachtheoretisch in Bonn bis an die Zähne bewaffnet
sein wird. Wir beide werden bestens vorbereitet sein, um möglichst starke Züge
aufs Brett zu zaubern.
Bis zuletzt haben Sie die Namen Ihres
Teams geheim gehalten. Überraschend engagierten Sie als Trainer auch
Super-Großmeister Peter Leko aus Ungarn, mit dem Sie vor vier Jahren selbst ein
WM-Finale bestritten haben. Warum haben Sie gerade ihn ausgewählt?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Erst einmal
haben wir ein gutes persönliches Verhältnis. Zweitens achte ich ihn als
glänzenden Schachspieler und vertraue ihm. Das ist ganz wichtig in unserem
Geschäft. Wir arbeiten schon seit Jahresbeginn zusammen. Es ist ein Unterschied,
ob man auf diesem Level nur gegeneinander spielt oder gemeinsam Partien
analysiert. Ich spüre das bei ihm ganz deutlich. Peter ist sehr kollegial und
ein sehr wichtiges Element meines Teams. Mit ihm hat die Vorbereitung ein viel
höheres Niveau erreicht. Darüber bin ich sehr froh.
Ihr WM-Team ist kleiner als sonst.
Eine Sparmaßnahme?
Nein. Weil die Voraussetzungen in Bonn so
gut sind, komme ich mit vier Personen aus. Es sind die Großmeister Leko
(Ungarn), Rublewski (Russland) und Fressinet (Frankreich) als Sekundanten sowie
mein Manager Carsten Hensel aus Dortmund.
Warum fehlen diesmal Ihr Koch und Ihr
Physiotherapeut?
Bonn ist nicht die südrussische Steppe,
sondern ein hervorragender Ort für einen solchen Wettkampf. In Elista war der
Koch ganz wichtig, weil gutes Essen dort nicht gewährleistet war. Hier ist es
anders. Unser Hotel ist ausgezeichnet, es gibt viele gute Restaurants. Den
Masseur brauchte ich damals dringend, weil ich langwierige gesundheitliche
Probleme hatte. Meine Schmerzen in den Beinen und im Rücken waren sehr groß, ich
konnte nicht schlafen. Deshalb war Hilfe nötig. Seit zwei Jahren habe ich diese
Dinge zum Glück überwunden.
Sie sind oft in Deutschland. Wie viele
Wochen haben Sie dieses Jahr hier im Trainingscamp verbracht?
Ich war insgesamt sogar zwei Monate im
Trainingslager. Ihr Land ist so etwas wie eine zweite Heimat für mich geworden.
In Dortmund feierte ich acht Turniersiege, und „nebenan“ liegt Bonn, wo ich in
der Bundeskunsthalle schon mehrfach gespielt habe. Zuletzt 2006 gegen das
Schachprogramm „Deep Fritz“. Und Mainz ist auch nicht so weit entfernt, wo Anand
seine großen Turniersiege im Schnellschach eingefahren hat. Beide sind wir mit
dem WM-Austragungsort sehr zufrieden.
Wie wollen Sie Anand schlagen?
Das werde ich jetzt auf keinen Fall
verraten. Die wichtigste Strategie ist, besser als er zu spielen. Ich habe
natürlich meine taktische Marschroute dafür festgelegt, aber es ist heute zu
früh, darüber zu reden.
In der Szene gelten Sie als
pragmatischer Schachspieler, der einfache Stellungen auf dem Brett liebt, so wie
früher Bobby Fischer.
Das ist etwas zu simpel dargestellt. Leute
wie Anand und ich können einfach und auch kompliziert spielen. Es wird in
unserem Match sicher Überraschungen geben. Natürlich habe ich meine Vorlieben
und er seine, aber bei unserem Level kann jeder sofort umschalten, wenn es die
Situation erfordert. Meine Hauptaufgabe ist es wie gesagt, ein maximales
Spielniveau zu zeigen und besser als mein Kontrahent zu sein. Alles andere ist
zweitrangig.
Welche Rolle spielt die Psychologie
dabei?
Sie ist notwendig und beim Schach immer
gefragt, ganz klar. Zum Beispiel, welche Sekundanten nehme ich mit ins Boot, mit
welchen Eröffnungen überrasche ich ihn? Aber Anand und ich kennen uns so lange,
spielen seit 15 Jahren gegeneinander, so dass es nicht einfach für einen sein
wird, ein klares psychologisches Übergewicht zu bekommen. Ich sage es noch
einmal, auch wenn es nicht sehr romantisch klingt: Das Match gewinnt derjenige,
der in der entscheidenden Situation die besseren Partien spielt. Nur diese
Einstellung führt zum Sieg.
Kasparow schnitt früher Grimassen und
hypnotisierte seine Gegner. Sehen Sie Ihrem Widerpart auch direkt ins Gesicht,
um Schwächen zu finden?
Nein, solche Mätzchen gibt es bei mir nicht.
Das habe ich nie gemacht. Anand ist auch nicht so eingestellt, so dass die
Zuschauer in Bonn auf dieses Vergnügen wohl verzichten müssen.
Wenn Sie aber einen starken Zug
gemacht haben oder ihm eine neue Variante servieren, wollen Sie dann nicht seine
Reaktion sehen?
Ich beobachte ihn dann nur aus den
Augenwinkeln, das genügt. Mehr ist nicht nötig. Alles andere wäre gefährlich.
Wenn man sich nur auf solche Spielchen einlässt, kann man leicht die
Konzentration verlieren.
Anand ist Titelverteidiger, erhält
aber keinen Weltmeister-Bonus. Wenn Ihr Match 6:6 endet, gibt es einen Tiebreak.
Wie haben Sie das beim Weltschachbund durchgesetzt?
Es war einmal Verhandlungssache. Und zum
anderen wird bei FIDE-WM-Kämpfen bei Gleichstand jetzt immer ein Tiebreak
gespielt. Wie vor zwei Jahren in Elista auch. Es gibt heute keine sogenannten
draw odds mehr. Damit war diese Sache bei unseren Verhandlungen schnell vom
Tisch.
Die Computer haben längst Einzug in
Ihren Denksport gehalten. Sind sie Fluch oder Segen?
Die Rechner haben das Leistungsschach
drastisch verändert. Als junger Spieler arbeitete ich noch mit Karteikarten.
Heute ist der Computer meine Eröffnungsdatei und meine Analysiermaschine, das
bedeutet eine wichtige Hilfe und einen großen Zeitgewinn. Die Rolle der
elektronischen Schachprogramme ist gewaltig, aber jeder Spieler sollte seine
eigene Arbeitsmethode wählen und sich nicht nur auf den Rechner verlassen.
Wo liegen die Gefahren des
Computer-Gehorsams?
Man darf der Kiste nicht blind vertrauen.
Das Wichtigste ist und bleibt die gedankliche Arbeit am Brett. Es kommt immer
darauf an, die goldene Mitte zu finden, die ihm hilft, die Rechenkraft des
Computers so effektiv wie möglich zu nutzen. Das ist nicht einfach, weil so eine
Maschine nicht nur Gutes bringt, sondern auch der Kreativität des Schachspielers
schaden kann.
Das WM-Match in Elista erlangte
traurige Berühmtheit, weil Ihr Gegner Ihnen Betrugsabsichten vorwarf und einen
Computer in Ihrem Waschraum vermutete. Wird es so ein „Toiletten-Gate“ auch in
Bonn geben?
Ich erwarte diesmal keinen Skandal und sehe
auch keinerlei Grund dafür. Zumal mein Gegner ein friedlicher Mensch ist. Anand
und ich mögen solche undiskutablen Dinge nicht. Ich denke, unser Match wird nur
am Brett entschieden.
Welche Sicherheitsmaßnahmen wird es in
Bonn geben?
Noch haben wir den Spielsaal in der
Bundeskunsthalle nicht besichtigt, aber ich weiß, es wird die üblichen
Kontrollen geben, die bei einem WM-Finale schon Standard sind. Die Veranstalter
installieren auch einen Sichtschutz, das heißt, einen Theatervorhang aus Gaze
zwischen Bühne und Publikum. Wenn dann der Lichtteppich erzeugt wird, sehen wir
beiden Spieler nur auf eine schwarze Wand, die Zuschauer können aber hindurch
gucken und alle unsere Figurenmanöver beobachten.
Beim Match gegen das Schachprogramm
„Fritz“ vor zwei Jahren in Bonn haben sie ein einzügiges Matt übersehen. Wurmt
Sie dieser größte Patzer Ihrer Karriere noch heute?
Es ist so lange her, dass ich es fast
vergessen habe. Die meisten meiner Erinnerungen an Bonn sind sehr gut. Es ist
eine freundliche Stadt, in der man sich prima vom Wettkampfstress erholen kann.
Verglichen mit Moskau und Paris, wo ich mich sonst aufhalte, ist sie geradezu
klein und gemütlich. Ich gehe sehr gern am Rhein spazieren und tanke dort
positive Energie. Anand wird sicher genauso froh sein wie ich, dass dieses
WM-Match in Deutschland auf höchstem Niveau organisiert wird. Ein Duell um die
Schachkrone hat so ein Ambiente und eine solche Organisation verdient, wie sie
UEP und die Bundeskunsthalle bieten. Wir können uns dort voll auf unseren Job
konzentrieren.
Sie sind jetzt 33 Jahre alt und meine
vorletzte Frage ist nicht neu: Denkt der Schachspieler Kramnik manchmal schon
ans Aufhören?
Noch habe ich das nicht vor, weil mir das
Spiel zu viel Freude macht. Es bereitet mir Vergnügen, weil ich es nicht nur als
Sport ansehe, sondern vor allem als anspruchsvolle Kunst. Solange ich gutes
Schach zeigen kann, werde ich es weiter betreiben. Also sicher ist, noch einige
Jahre, maximal vielleicht zehn. Ganz genau möchte ich mich jetzt aber nicht
festlegen, weil ich nie länger als drei Jahre voraus plane. Momentan habe ich
noch nicht vor, meinen Beruf zu wechseln.
Was hat das Schach Ihnen gegeben?
Sehr viel. Es hat mein bisheriges Leben
ausgemacht, ist meine Profession. Ich habe ihm alles gegeben. Wunderbar finde
ich andererseits, dass es nicht nur der Existenz dient, sondern auch anderen
Freude bereit. Wen du als Schachspieler einer der Besten deines Fachs bist,
verfolgen viele Schachfans mit Interesse und Begeisterung deine Partien. Es ist
schon ein großes Glück, wenn die Arbeit nicht nur Broterwerb, sondern
gleichzeitig dein Hobby ist.
Kann Schach ein Modell für das Leben
sein?
Zweifellos ist es kein Schaden, wenn Kinder
das Spiel schon früh erlernen. Es entwickelt den Intellekt und einen richtigen
Mechanismus des Denkens. Genau wie ein Schachspieler braucht jeder Mensch für
sein Leben eine gute Strategie. Er muss dafür kein Großmeister werden, er kann
Geschäftsmann oder Politiker sein, aber die Gewohnheit des klaren Denkens wird
ihm in allen Sphären des Lebens helfen. Wenn ich einmal Kinder haben werde, dann
bringe ich ihnen auf jeden Fall Schach bei. Sie müssen aber keine Profis werden,
um mit Hilfe des Schachs richtig denken zu lernen.