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Für die aktuelle Ausgabe von "Karl" hat Herausgeber Harry Schaack als Schwerpunkt "Die Geschichte der Schachtheorie" gewählt. Als Beginn der wissenschaftlichen Schachtheorie - häufig ist damit die Theorie der Eröffnungen gemeint - wird Aaron Alexandres "Encyclopédie des Échecs" von 1837 angesehen. Hier wurden erstmals alle bekannte Eröffnungsvarianten - sogar schon tabellarisch - aufgelistet. Eröffnungstheoretische Abhandlungen, zumeist zu bestimmten Eröffnungen, gab es natürlich auch vorher schon.
Der niederländische Schachhistoriker Peter J. Monté hat der Frühgeschichte des Königsgambit einen Artikel gewidmet. 1911 wurde eine altfranzösische Handschrift von Lucena entdeckt, 1922 neu veröffentlicht, in der dieser anscheinend als Erster die Eröffnung 1.e4 e5 2.f4 erwähnt. Einen größeren Platz räumte Ruy López in seinem Werk "Libro de la invención liberal y arte del juego del Axedrez" aus dem Jahr 1561 dem Königsgambit ein. Über die folgenden Jahrzehnte führten eine Reihe von Autoren die Arbeit von López fort oder kopierten sie auch einfach. Die Grundlagen der Theorie des Königsgambits wurden also im Wesentlichen schon im 16. Jahrhundert veröffentlicht.
Den moderneren Eröffnungstheoretikern Alexandre, Bilguer und Jänisch hat Michael Negele mit einem Artikel seine Aufmerksamkeit geschenkt. Aaron Alexandra stammte eigentlich aus Unterfranken und lebte in Fürth, bevor er später erst nach Straßburg, dann nach Paris zog und dort als Deutschlehrer arbeitete. Seine Eröffnungsenzyklopädie trug auf deutsch den Titel "Encyclopedie des Schachspiels oder ein in synoptischen Tabellen (...) zum Vergleich zusammengestellter (...) Inhalt, durch allverständliche Ziffersprache allen Nationen geeignet".
Es klingt eben immer etwas umständlich, wenn man den Zeitgenossen etwas ganz Neues erklären muss. Wir wissen heute: Gemeint war eine "Eröffnungsenzyklopädie in algebraischer Notation". Alexandre verdanken wir übrigens "0-0-0" als Beschreibung der langen Rochade, im Gegensatz zum zuvor üblichen "0-0l" für Rochade nach links. "0-0r" - Rochade nach rechts war damit auch hinfällig.
Alexandres bedeutendster Nachfolger war Mitte des 19. Jahrhundert Paul Rudolf von Bilguer. Er stammte aus Mecklenburg und gehörte einer Offiziersfamilie an. Seine eigene Militärkarriere endete wegen einer Tuberkulose-Erkrankung schon sehr früh, 1839. Bilguer beschäftigte sich nun mit Schach und Literatur und entwarf das Konzept zu einem "Handbuch der Schachtheorie". Allerdings starb er schon im folgenden Jahr, 1840, mit nur 25 Jahren. Sein Freund Tassilo von der Heydebrand und der Lasa setzte die Arbeit fort und brachte sie 1843 unter Bilguers Namen heraus.
Carl Friederich von Jaenischs Familie stammte ursprünglich aus Breslau, war aber im 17. Jahrhundert ins finnische Wyborg, nördlich von St. Petersburg, gezogen. Zu Zeiten von Jaenischs Geburt gehörte der Ort zum autonomen Großfürstentum Finnland. Jaenisch selbst sah sich wohl als Russe, obwohl seine Familie deutsch sprach, studierte in Moskau und lebte in St. Petersburg. Er war zeitweise Professor für Mechanik und zusammen mit Alexander Petrow der beste russische Schachspieler in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Nachdem Jaenisch 1837 eine 68-seitige Abhandlung über das Endspiel König und Springer gegen König und Bauer(n) geschrieben hatte, reiste er 1841/42 durch Europa und besuchte unter anderem den aus Bramstedt stammenden Astronomen Heinrich Christian Schumacher, der in Altona, damals noch Dänemark, in der heutigen Hamburger Prachtstraße Palmaille, in seinem Wohnhaus die erste Altonaer Sternwarte eingerichtet hatte. Schumacher war gemäß Michael Negele auch ein starker Schachspieler. Bald danach traf Jaenisch in Berlin auch mit von der Lasa zusammen und befruchtete dessen Arbeit am "Handbuch". Negeles Arbeit über die Theoriepioniere ist ausgesprochen anregend und sehr lesenswert.
In Michael Ehns Beitrag "Ben-Oni oder Ben-Jamin" erfährt der Leser von der Herkunft der Ben-Oni-Verteidigung, die in ursprünglicher Form einmal dazu gedacht war, das Damengambit zu verhindern, also statt 1.d4 d5 2.c4 nun 1.d4 c5 - das ist die Ben-Oni-Frühform, das Alt-Ben-Oni. Den Namen, der sich auf ein Bibelzitat bezieht, geht auf den Autor Aaron Herz Reinganum und dessen Werk: "Ben-Oni oder die Vertheidigungen gegen die Gambitzüge im Schach, nach bestimmten Arten klassificziert" (1825) zurück.
"Ben-Oni", Sohn meines Unmuths, (auch als "Sohn der Trauer" oder "Unglückssohn" übersetzt") nennt Rahel, Frau des Jakob, im 1. Buch Mose ihren jüngsten Sohn, kurz bevor sie bei dessen Geburt stirbt. Jakob selber nennt ihn Ben-Jamin, Sohn der Lebenskraft (auch als Sohn des Glücks übersetzt).
Reinganums Werk war kein Erfolg und wurde bald nach dem Erscheinen von einem Konkurrenten, Hirsch Silberschmidt, der selbst ein Buch über diese Verteidigung veröffentlichte, völlig verrissen. Der seltsame Eröffnungsname überlebte aber die Zeiten. Ehns Artikel ist ebenfalls voller verblüffender und interessanter Details aus der Geschichte des Schachs.
Auch die übrigen Aufsätze in der aktuellen Karl-Ausgabe haben die "Theorie des Schachspiels" zum Inhalt, aber nicht nur die Eröffnungstheorie. Der geschätzte Autor Mihail Marin beleuchtet die Entwicklung der Mittelspieltheorie. Ein Beitrag zur Endspieltheorie ist "Chefsache" - er stammt aus der Feder des Präsidenten des Deutschen Schachbundes, Herbert Bastian.
Ein Portrait des agilen Schachjournalisten Und Tischtennis-Künstlers Hartmut Metz, ein Überblick über die jüngsten Geschehnisse im Turniersaal und mehrere Rezension zu jüngst erschienenen Büchern und DVDs machen das Heft erneut zu einer runden Sache.
Im Rezensionsteil findet man auch eine Besprechung der neuen "Masterclass"-DVD über den Weltmeister Raúl Capablanca. Hier folgt ein Ausschnitt. Die ganze Besprechung kann man auch auf der Karl-Webseite zum aktuellen Heft lesen.
Ganze Besprechung bei Karl-online...
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