Karpow in Briesen

von ChessBase
17.05.2005 – Ex-Weltmeister Anatoli Karpow eröffnete am Pfingstsonntag eine Schachschule im Theaterschloss Briesen (Brandenburg). Anlässlich dieses Ereignisses stellte sich der knapp 54-jährige Moskauer am Abend in einem Simultanturnier 20 Gegnern. Nach zweieinhalb Stunden hatte er 19 Spiele gewonnen und ein Remis abgegeben. In Zukunft will Karpow regelmäßig Schachinteressierte in Briesen begrüßen. Die Simultanvorstellung fand im Rahmen der Feierlichkeiten zur Gründung der Deutsch-Russischen Grafschaft Briesen statt. Karpow unterstützt mit seiner Schachschule auch das Anliegen der Grafschaft, die wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit beider Länder zu stärken. Dagobert Kohlmeyer berichtet vom Simultan und hat Anatoli Karpov interviewt. Themen waren u.a. die gegenwärtige FIDE-Politik, Karpovs eigene Ambitionen als möglicher FIDE-Präsident, sein Urteil zur Rolle Kasparovs als Politiker und zum Einfluss des Computers auf das Schach. Dr. René Gralla interviewte Dr. Roland Lipp zur Idee einer "Deutsch-Russischen-Grafschaft". Dieses Interview erschien im Neuen Deutschland. Interview mit Dr.Roland Lipp im neuen Deutschland... Zum Schloss Briesen...Bericht und Interview mit Karpov...

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Das Theaterschloss

 

 


Kennen Sie Briesen? Orte mit diesem Namen gibt es allein sieben (!) in Brandenburg. Wir haben am Pfingstsonntag den richtigen gefunden. Gemeint ist der kleine Ortsteil von Halbe, etwa 70 km südöstlich Berlins. Dorthin zogen an diesem Tag diejenigen, die an der Einweihung des restaurierten Theaterschlosses oder an der Schachveranstaltung mit Karpow teilnehmen wollten. Den ganzen Tag über gab es Musik, gut zu essen und zu trinken, aber das Hauptspektakel sollte am Abend über die Bühne gehen.


Aufwärmen für das Simultan

 


Die Kasse stimmt
 


Kommt er, oder kommt er nicht? Es ist schon nach 19 Uhr, aber von Anatoli Karpow noch nichts zu sehen. Sein Flugzeug aus Alicante (Spanien) hat Verspätung und so sitzen die 20 Glücklichen, die einen Platz ergattert haben, geduldig am Tischoval und warten, bis der Maestro erscheint. Um 19.47 Uhr ist es so weit.

 


Karpov kommt

 

Ein Mercedes kommt herangebraust, ihm entsteigt ein lächelnder Karpow, der vom Schlossherren sowie zwei Fernsehteams empfangen wird und sogleich an die Bretter tritt.

 


Roland Lipp begrüßt Anatoly Karpov

 

Nach ein paar kurzen Begrüßungsworten beginnt der Kampf, bei dem zwei Gegner Karpows von sich reden machen: ein Neunjähriger aus Leipzig, der als Jüngster gegen den hohen Gast antritt und ein Schachfreund aus Berlin, der Karpow als Einziger ein Remis abknöpft. Alle anderen müssen die Überlegenheit des Schachgenies anerkennen, darunter Christian Greiser vom DSB, Schatzmeister Michael Lange aus Braunschweig

 

 

sowie Gerd Borris, Vorsitzender des Schachklubs Weiße Dame aus Berlin, dessen Verein Mitausrichter der Veranstaltung ist. Als Gäste des Events wurden auch Bundestrainer Uwe Bönsch und seine Gattin begrüßt.

 


Bundestrainer Bönsch als Kiebitz

 

Maximilian Bessert ist aufgeregt. Der neunjährige Leipziger rutscht auf seinem Stuhl hin und her, kaut ständig an seinem Kugelschreiber.

 

 

Erst seit Oktober spielt der Junge aktiv Schach. Maximilian lernte es in einer Arbeitsgemeinschaft seiner Schule, denn seine Eltern können das Spiel nicht richtig gut. Im Herbst 2004 trat der Junge in einen Klub ein. „Es macht ihm Spaß, er spielt auch viel gegen Erwachsene und freut sich, wenn er gewinnt“, erklärt seine Mutter Romy, die hinter ihm steht.




Die Eltern entdeckten die Ausschreibung im Internet, und Vater Jan Bessert ersteigerte dem Filius bei ebay einen Simultanplatz. Es soll erschwinglich gewesen sein. Und so erlebt Jan in Briesen seine große Stunde.

 

 

Bisher hat er in Leipzig verschiedene Stadtmeisterschaften in seiner Altersklasse bestritten und auch beim Porzellancup in Dresden mitgespielt. Aber was ist das schon gegen eine Partie mit Karpow!

 


Immerhin 29 Züge schafft der Knirps, ehe er nach zwei Stunden das Spiel aufgibt. „Es war ein großes Erlebnis, einmal als Schachkind gegen einen Ex-Weltmeister antreten zu dürfen. Ich wollte nicht als Erster vom Tisch gehen. Trotz meiner DWZ von 968 habe ich länger gespielt als vier Erwachsene mit höherer Wertzahl und mehr Spielerfahrung. Das kann sich doch sehen lassen oder!? Das Spielen vor vielen Leuten war einfach cool. Das Schloss Briesen war sehr schön.“



Und zum Partieverlauf sagt Maximilian: „Zuerst habe ich mit Läufer und Springer das Zentrum besetzt. Daraufhin kam es zu einem Abtausch und er griff mich mit seiner Dame an. Ich habe die Verteidigung bis zum 17. Zug gut organisiert. Als ich dann aber einen Turm hinstellte und die Fesselung durch den weißen Läufer übersah, kam Anatoli Karpow in Vorteil, den er logischerweise ausnutzte und meine Chancen zerstörte. Trotzdem war ich mit meinem Spiel sehr zufrieden.“

 

Mehr als zufrieden konnte an diesem Abend auch Ant Özgen sein. Der türkisch-stämmige Schachfreund aus Berlin erreichte als Einziger ein Remis. Von Beruf ist er Dozent für Mathematik und Bautechnik und lehrt an der Staatlichen Technikerschule in Berlin. Özgen ist 1. Vorsitzender beim SC Freibauer Schöneberg, einem der kleinsten Schachvereine unserer Hauptstadt.
 


Anatoli Karpow – Ant Özgen: Partie zum Nachspielen...


Schachfreund Özgen beschreibt seine Gefühle am Ende der Partie so:

„…und dann, fast im Affekt und mit Zweifeln gepaart, überkam mich der Mut, ein Remisgebot auszusprechen, was Karpow nach kurzem Blick auf das Brett auch tatsächlich annahm. Wahnsinn! Eine Art Jugendtraum ging in Erfüllung - überhaupt gegen Karpow antreten zu dürfen und dann noch mit diesem nie erwarteten Ergebnis. Für mich war dies sportlich definitiv eine Sternstunde“.



Shake hands mit Christian Greiser
Am Ende des gelungenen Abends gab es ein Dankeschön von DSB-Vertreter Christian Greiser an Anatoli Karpow. Obwohl die Zeit schon fortgeschritten war und das Abendsessen auf ihn wartete, war der Exweltmeister so liebenswürdig, dem Schachreporter noch ein Interview zu geben.




„FIDE-Präsident kann ich später noch werden“
Interview mit Anatoli Karpow
Von Dagobert Kohlmeyer

Als UNICEF-Botschafter Ihres Landes setzen Sie sich für die Nachwuchsförderung ein, besonders natürlich im Schachsport. Es ist nicht Ihre erste Schule in Deutschland, die Sie eröffnet haben.

Ich freue mich über diese neue Schachschule, umso mehr, da sie ein deutsch-russisches Gemeinschaftsprojekt ist. 1988 leitete ich zum ersten Mal eine Schachschule in Moskau. Ein Jahr später eröffnete ich eine in Berlin, die allerdings nicht sehr lange existierte. Aber das hing mit dem Ende der DDR zusammen. Seit 1998 arbeitet in Baden-Baden die erste Schachakademie Deutschlands unter meiner Schirmherrschaft.

Ihr Vorgänger auf dem WM-Thron, Bobby Fischer, machte vor knapp zwei Monaten Schlagzeilen, als er nach Island reisen durfte. Welche Erinnerungen haben Sie an den Amerikaner?

Sehr viele, auch wenn wir uns am Brett nicht begegnet sind. Aber wir haben uns Mitte der 70er Jahre dreimal zu Geheimgesprächen getroffen: in Japan, in Spanien und in den USA. Leider kam unser WM-Match auf Grund von Fischers starrer Haltung nicht zustande, - das nenne ich immer ein Versäumnis der Schachgeschichte.

Findet der 11. Weltmeister nun auf der Insel seine Ruhe?

Es ist ihm zu wünschen. Gut, dass seine Odyssee jetzt zu Ende ist. Ich denke, es wurden Fehler gemacht, und zwar auf beiden Seiten. Schlecht war, wie sich Fischer mit Hasstiraden gegenüber seinem Heimatland aufgeführt hat. Aber auch die Amerikaner mussten sich ihm gegenüber nicht so rigide verhalten. Die Isländer dagegen sind großartig.

Wie kommentieren Sie den Abschied Ihres Dauerrivalen Garri Kasparow vom Profischach?

Was ihn betrifft, so ist es durchaus möglich, dass er noch einmal zurückkommt. Ich denke, er hat sich diesen Schritt vielleicht nicht gründlich genug überlegt.

Die Krise der FIDE in Bezug auf die Ermittlung des einzigen Schachweltmeisters dauert an. Haben Sie einen brauchbaren Vorschlag, wie man das Problem lösen kann? Oder halten Sie das geplante 8ter Turnier in Argentinien für eine gute Idee?

Nun, es war völlig klar, dass Kasparow dort niemals spielen würde, auch wenn er seine Karriere nicht beendet hätte. Und dass sie zuerst auch Kramnik einluden, ohne ihn zu fragen, zeigt, man denkt in der Chefetage des Weltverbandes einfach nicht realistisch.

Verstehen Sie die Position Wladimir Kramniks, dort nicht anzutreten?

Ja natürlich, er trägt den Titel. Das Problem ist, in der FIDE sitzen derzeit unfähige Funktionäre. Diejenigen Personen, die im Moment die Geschäfte leiten und lenken, denken nicht genug. Es wollen Schachspieler sein, aber sie überlegen nicht, und das sollte doch die hervorstechende Eigenschaft von Leuten sein, die mit Schach zu tun haben. Zurzeit sind andere Typen am Ruder, als wir brauchen. Vernünftige Überlegungen sind für sie offensichtlich nicht notwendig.

In der Schachwelt wird deshalb der Ruf immer lauter: Wann wird Anatoli Karpow FIDE-Präsident?

Die Frage ist heute noch nicht aktuell. Für die Zukunft schließe ich sie aber nicht aus. Auf jeden Fall müssten die jetzigen Leute erst einmal verschwinden. Das ist die erste Voraussetzung, wenn ich mich engagieren soll. Die derzeitige Politik unserer Föderation zerstört das Schach, das ist klar.

Wer wird aus Ihrer Sicht der nächste Schachweltmeister?

Es gibt etliche Talente in der Welt. Ich denke, dass der Ukrainer Sergej Karjakin die größten Chancen hat. Er durchlief eine gute Schule und bringt die notwendigen Fähigkeiten sowie das entsprechende Spielverständnis mit.

Das ist schon eine andere Generation. Früher nahmen Sie zu einem WM-Duell Tonnen von Schachbüchern mit. Heute genügt den Spielern ein Notebook. Welche Zeit war angenehmer?

In der Tat nahmen mein Team und ich zu den WM-Matches gegen Kortschnoi 1978 nach Baguio und 1981 nach Meran jeweils mehrere Container Bücher mit. Ein Notebook hilft zwar sehr, aber es reicht nicht aus. Das Problem besteht darin, dass es die jungen Leute überhaupt verlernt haben, Bücher zu lesen. Der Computer kann einem Schachspieler nicht alles geben. Vor allem vermittelt er keine solide schachliche Bildung.

Was bedeutet das konkret?

Die Maschine kann Züge und Varianten vorgeben, aber was das schachliche Wissen angeht, so sind ihr klare Grenzen gesetzt. Ein Computer kann auch kein Verständnis für die Geschichte unseres alten Spiels vermitteln, ohne das man jedoch auf höchstem Niveau nicht auskommt. Ich bin der Meinung, wir alle müssen das Verhältnis zwischen Mensch und Computer überdenken.

Sie betreiben seit längerem nicht mehr das harte Wettkampfschach, sondern gingen schon früh in die Politik. Kasparow hat das jetzt auch getan. Wird er damit Erfolg haben, oder zweifeln sie daran?

Ich glaube nicht, dass er viel Erfolg haben wird. Aber er hat eben sehr starke Ambitionen, und diese will er jetzt unbedingt verwirklichen. Ich denke, Kasparow ist für Putin geradezu ein Wunschgegner. Weil er dem Kreml-Chef im Kampf als Oppositioneller überhaupt nicht gefährlich werden kann. Seine Erfolgsaussichten sind sehr gering.

Sie hingegen sammelten in der Politik schon viele Meriten, zum Beispiel als langjähriger Präsident des russischen Friedensfonds und als UNICEF-Botschafter. Das bedeutet aber auch sehr viele Reisen. Wie oft sehen Sie Ihre Frau und Tochter in Moskau?

Leider viel zu selten. Dennoch kann ich Sie beruhigen. Bei uns zu Hause ist alles in Ordnung.

 


Karpow mit Frau Natalja und Tochter Sofia

 




 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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