Kasparov als Shogi-Spieler

von ChessBase
19.12.2007 – Die japanische Schachvariante Shogi ist tief im japanischen Kulturleben verwurzelt und genießt hohes Ansehen. Da geschlagene Figuren auf der eigenen Seite eingesetzt werden können, ist das Spiel weniger gut ausrechenbar und für Computer  deshalb schwer zugänglich. Einige japanische Shogispieler haben sich auch recht erfolgreich im Westschach versucht, darunter der bekannte Shogiprofi Habu Yoshiharu. Auch in in der anderen Richtung gibt es gelegentlich ein Überschreiten der Kulturbarrieren. Sogar Garry Kasparov hat einmal eine Partie Shogi gespielt. Bei einem Besuch des japanischen Journalisten Eiichiro Ishiyama 1999 in seiner Moskauer Wohnung ließ sich Kasparov dazu überreden. In der japanischen Shogiwelt ist der Bericht von Eiichiro Ishiyama seit langem bekannt. Vor kurzem wurden Partienotation und eine deutsche Version des Berichts veröffentlicht. In einem Artikel für Neues Deutschland stellt Dr. René Gralla Kasparov als Shogispieler vor. Artikel im ND...Nachdruck, Bilder...

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Das Interview erschien in

 

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung
 

Fotos: Kyodo News / ISPS

Wenn es mit dem neuen Job im Kreml nicht klappt:

Drittkarriere im Shogi für Garri Kasparow nach dem 2. März 2008?
Von Dr. René Gralla, Hamburg

Garri Kasparow ist ein Mann mit vielen Talenten. Lange Zeit galt er als beinahe unschlagbar im Schach, war unangefochten die Nr. 1 der Weltrangliste. Heute publiziert er Bestseller über die Helden des Denksports ("Meine großen Vorgänger"), und demnächst möchte er zum Präsidenten von Russland gewählt werden.

Das macht den gegenwärtigen Amtsinhaber Wladimir Putin derart nervös, dass er den unliebsamen Konkurrenten mal mit einem Schachbrett verprügeln lässt (was die Kamarilla im Kreml offenbar für witzig hält) oder den ehemaligen Champion kurzfristig ins Gefängnis steckt, so geschehen wenige Tage vor der Wahl zur Duma am 2. Dezember 2007. 

Trotzdem gibt Kasparow nicht klein bei und fordert den übermächtigen Gegner weiter heraus, mutig wie ein Samurai. Und das kommt nicht von ungefähr, schließlich hat der Intimfeind von Wladimir Putin bereits vor Jahren damit begonnen, sich wie Nippons todesverachtende Kriegermönche den Exerzitien der mentalen Martial Arts unterziehen. Die furchtlosen Gottesmänner aus Fernost schulen nämlich ihren Geist für künftige Bewährungsproben mit Shogi: Das ist eine speziell japanische Schachvariante, die ein asketisch-strenges Design hat - statt Figuren werden mit Kanji-Zeichen beschriftete einfarbige Plättchen über ein Areal von 81 Feldern bewegt - und die äußerst anspruchsvoll ist, weil eroberte Steine zur Verstärkung der eigenen Truppe wieder eingesetzt werden dürfen. Und auch Kasparow hat sich, wie erst jetzt bekannt geworden ist, vor einigen Jahren über die Regeln des Shogi briefen lassen und quasi aus dem Stand, das heißt,  im unmittelbaren Anschluss an die Kurzeinweisung, gegen einen Träger des 3. Dan ein dramatisches Match ausgetragen.

Die Bilder dieses spannenden west-östlichen Kräftemessens kann nun ChessBase exklusiv allen Usern zeigen. Entstanden ist die Fotostrecke während eines Interviews in Kasparows Moskauer Wohnung im Jahr 1999. Der damals 42-jährige Journalist Eiichiro Ishiyama von den Kyodo News liebt wie viele Landsleute das Shogi, sein 3. Dan weist ihn als starken Amateur aus. Und so will er auch Kasparow für das Japanschach begeistern. Ishiyama schlägt eine Partie vor, und tatsächlich, Kasparow lehnt nicht ab, sondern willigt spontan ein.

Über die historische Begegnung kurz vor der jüngsten Jahrtausendwende - zum ersten Mal in der Geschichte des Shogi hat sich daran ein Supergroßmeister aus dem europäischen Kulturkreis versucht - veröffentlicht Eiichiro Ishiyama ein Feature im Fachmagazin "Shogi Sekai". Masayo und Marc Marian (Marc Marian ist Webmaster des Shogiportals www.shogi.de) haben den Text, der ein ungewöhnliches Zeitdokument ist, für die Leser von ChessBase übersetzt.

Nachfolgend der Originaltext von Eiichiro Ishiyama.

"Die vereinbarte Stunde für das Interview ging schnell vorüber. Im Gespräch musste ich ihn ..."  (das heißt: Kasparow, die Red.) "... manchmal unterbrechen, weil er auf meine Fragen sehr ausführlich geantwortet hat und mir die Zeit davonlief. Aber immer noch nicht war es Zeit für meine vorbereitete Intrige für dieses Gespräch - und zwar gegen Kasparow Shogi (Japanisches Schach) zu spielen.

Als ich dieses Interview plante, habe ich gehört, dass er sehr beschäftigt sei und viele Termine habe. Außerdem möge er keine Interviews mit Massenmedien. So habe ich einen Plan gehabt und ihm zunächst einmal einen Brief geschickt. Es war zwar nicht ungewöhnlich, per Brief einen Termin zu vereinbaren, aber der Inhalt war nicht ganz die volle Wahrheit. Ich hatte geschrieben, dass ich zwar Anfänger im Schach, aber im Shogi ein Spieler der Masterklasse sei. ' Wir möchten gerne mit Ihnen über die Beziehung zwischen Schach und Shogi reden, und wenn es geht, gegen Sie eine Partie Shogi spielen.' In Wirklichkeit ist meine Spielstärke nur der 3.Dan, aber ich habe frecherweise trotzdem 'Spieler der Masterklasse' geschrieben. ..." (was laut dem Übersetzterteam Masayo und Marc Marian in Japan jedoch viel höher einzuschätzen ist als ein außerhalb Japans im Shogi erworbener 3.Dan) "... Wenn ich jetzt daran denke, dass das mit dem Interview geklappt hat, hat ihn erst diese Beschreibung wohl zu einer Zusage zu dem Interview bewegt.

 

Nach dem offiziellen Interview habe ich mein Shogi-Spielset vor ihm geöffnet, welches ich als Souvenir für ihn mitgebracht hatte. Er kannte zwar die Regel, dass man die eroberten Figuren wieder einsetzen darf, und dass 'Nifu' ..." (japanisch für: "Doppelbauer") "... verboten sind - aber die Gangart der Figuren kannte er überhaupt nicht.

Kasparow sagte: 'Ich habe bisher nur Schach gespielt. Ich habe schon Interesse für XiangQi ...' " (das heißt: chinesisches Schach, die Red.) " '... oder Shogi, aber ich habe (beides) noch nie gespielt.' Er wäre auch noch nie in Japan gewesen, bemerkte er. Ich habe ihn vorsichtig gefragt, ob ich denn die Figuren aufstellen soll. Es schien mir, als habe er darauf bitter gelächelt. Aber danach hat er angefangen, mir (spiegelbildlich) nachzumachen, wie ich die Figuren auf meiner Seite des Shogibretts aufstellte.

Nach der Aufstellung der Figuren habe ich ihm die Gangarten gezeigt. Kasparow sagte:

'Interessant. Diese beiden Figuren ...' " ("Hissha" und "Kaku", die Red.) " '... haben dieselbe Gangart wie Turm und Läufer!'

'Gold? Kann die Figur nicht schräg nach hinten gehen?'

...

Fazit: Er hat nur ein paar Minuten gebraucht, um die Regeln vollständig zu verstehen!

Wir begannen, eine Partie zu spielen.

Ich habe gleich eine Diagonale für meinen Läufer ..." (japanisch: Kaku, die Red.) "... geöffnet. Nach kurzer Überlegung öffnete er auch die Diagonale für seinen Läufer. Er hat intuitiv gleich erfasst, was der erste Zug sein könnte. Kasparow fragte: 'Was passiert, wenn ich jetzt Ihren Läufer schlage?' Da er sich gleich für die Motive interessiert hat, die nach dem Läufertausch entstehen, kam ich seinem Wunsch entgegen, und ich habe den Läufer getauscht. Die Partie ging zu einem wilden Kampf in die 'Kakugawari'-Eröffnung über ..." ("wilder Kampf" deswegen, weil, wie das Übersetzerteam Masayo und Marc Marian kommentiert, man beim Shogi nun immer damit rechnen muss, dass die geschlagenen Figuren jederzeit wieder eingesetzt werden könnten).

"... Auch ein Schachweltmeister hat Schwierigkeiten, wenn er gerade die Regeln gelernt hat, gegen einen schlechten dritten Dan zu spielen. Aber er hat auf Anhieb nur solche Züge gemacht, die blutige Anfänger niemals ziehen würden!





Die vereinbarte Interviewzeit war schon lange vorbei. Kasparow scherte sich allerdings wenig darum. Vielmehr grübelte er ernsthaft über den nächsten Zug, und alles andere war ihm egal. Seine Mutter Klara kam öfters mal im Zimmer vorbei und sagte schimpfend auf russisch: 'Das Interview ist schon lange vorbei!' Jedes Mal antwortete er: 'Mutter! Warte noch ein bisschen!' Die Tonart gegenüber seiner Mutter war eine ganz andere Art als beim Interview. Kommt es davon, dass sie sein Talent entdeckte und ihn schon in früher Kindheit dafür erzogen hat, einmal zur Schachelite zu gehören? Es war für mich sehr interessant, dass er seiner Mutter das Wasser nicht reichen konnte. Langsam hat er angefangen, lange zu überlegen.

Ich sehe gerade den typischen Gesichtsausdruck, welchen ich nur in den Massenmedien gesehen hatte, während eines Schachwettkampfes. Aber im 51. Zug - als ich mit einem beförderten Läufer ein Tsume ..." (das heißt: "Mattkombination", die Red.) "... hatte - hat er mich angeschaut und gesagt: 'Die Partie ist zu Ende.' Er hat mir die Hand gegeben, wie beim Schach, wenn man verloren hat.

Kasparow sagte: 'Shogi ist sehr interessant. Ich würde sehr gerne noch weiterlernen, und Japan möchte ich auch sehr gerne besuchen.' Diesen Satz betrachte ich als meinen besten Erfolg dieses Interviews. Die 'Shogi Sekai' ..." (eine japanische Shogizeitschrift, die Red.) "..., die ich ihm mitgebracht hatte, hat er aufmerksam durchgeblättert und die Partien von Tanigawa 9.Dan und Habu 9.Dan interessiert angeschaut. Die Kifu ..." (das heißt: "Partienotation", die Red.) " ... habe ich aufgeschrieben als Erinnerung an die erste Shogipartie von Kasparow. Obwohl ich eigentlich gedacht habe, das wäre unhöflich, weil der Interviewer nicht so gut Shogi spielen kann. (Jedenfalls hat mein Shogi mit wirklich gutem Shogi nichts zu tun, und mit einem Tanigawa 9.Dan oder Habu 9.Dan ist es sowieso nicht zu vergleichen.)

Eine Weile nach dem Interview habe ich jedes Mal gegenüber meinen Bekannten angegeben, dass ich gegen Kasparow (Shogi) gespielt habe. Ich sagte: 'Ich habe gegen Kasparow gewonnen, mit halber Kraft.' " 

Wie wir dem Bericht von Eiichiro Ishiyama entnehmen, hat sich Kasparow, obwohl ihm gerade erst die Züge des exotischen Shogi-Defilees aus Jade-Königen, Goldgenerälen, fliegenden Streitwagen und Drachenpferden erklärt worden waren, bei seiner Premiere im Japanschach sensationell geschlagen: Das "Biest von Baku", wie Kasparow von abgestraften Spielpartnern gerne genannt wird, wird wieder einmal mehr seinem Ruf gerecht und bringt seinen Kontrahenten aus dem Stand an den Rand an einer Niederlage. Ishiyama muss alles auf eine Karte setzen und kann erst nach einem riskanten Konterschlag das Treffen drehen. 

Eine bis dato brach liegende Begabung für Shogi, die dem ehemaligen Superstar des Westschachs eine ganz neue Perspektive eröffnet: Wenn es mit dem neuen Job im Kreml nicht klappt, kann Kasparow nach einer eventuellen Wahlniederlage am 2. März 2008 sofort eine Drittkarriere starten. Weil im Oktober desselben Jahres alle aufstrebenden Talente nach Tokio geladen werden: zum 4. Internationalen Shogi-Forum, der WM 2008.

Kasparows Beinahe-Sieg im Shogi

Auf das Geheimduell im Shogi zwischen dem Reporter Eiichiro Ishiyama, Träger des 3. Dan, und Garri Kasparow, von dem bisher nur wenige Spezialisten wissen, hat Manabu Terao von der "International Shogi Popularization Society" (ISPS) aufmerksam gemacht:  

http://shogi.net/shogi-l/Archive/1999/Njul06-00.txt 

Die ISPS will mit der Promotion für Japans großes Spiel zugleich auch die Kultur des Kaiserreiches bekannter zu machen.

Vorab ein Abriss der Shogiregeln.

Das Shogi-Brett hat 9x9 Felder, 17 mehr als im Standardschach, die Linien reichen folglich von a bis i und die Reihen von 1 bis 9. Obwohl auch im Shogi eine weiße Partei - japanisch: "Gote" - mit den schwarzen Verbänden - japanisch: "Sente" - um die Vorherrschaft ringt, sind alle Steine bloß einfarbige flache und vorne zugespitze Plättchen. Die Chips in Form von Pentagrammen tragen Schriftzeichen, die angeben, um welche Spiel-Einheit es sich jeweils handelt. Weist die Spitze einer dieser Flach-Figuren - wie bei einer mittelalterlichen Attacke der Lanzenträger - , direkt auf mich, so weiß ich: Das ist der Feind. Kehrt mir das Teil dagegen die stumpfe breite Hinterseite zu, in meine Richtung, dann ist klar: Das ist unser Mann.

Der typisch japanische Look des Shogi soll jene für FIDE-Schachspieler zunächst ungewohnte Regel praktikabel machen, dass eroberte Steine des Gegners hinterher wieder zur Verstärkung der eigenen Truppen eingesetzt werden dürfen: durch so genannte "Drops". Habe ich Kämpfer des Gegners gefangen genommen, werden die Betreffenden sofort eingegliedert in meine eigene Reserve hinter der Front, das heißt, zunächst außerhalb des Feldes, als Figur "in der Hand", englisch: "in hand". Will ich die frisch gewonnene Verstärkung ins Gefecht werfen, platziere ich sie auf einem freien Feld meiner Wahl, unabhängig von der Schrittfolge, die normalerweise den Aktionsradius der Einheit definiert.

Beispiel: Nach frühzeitigem Läufertausch – international üblich für diese Angriffsfigur ist die englische Bezeichnung „Bishop“ (Abk.: B) – auf der Diagonale a1/i9 schon im zweiten Zug kriegen als Ergebnis der Transaktion sowohl Weiß als auch Schwarz eine dieser beiden Angriffswaffen für "Drops" in die Hand. Im dritten Zug kann Schwarz seinen Bishop zentral postieren auf dem Feld d5. Für den derart attackierten Weißen ist das einer der gefürchteten "Shogi-Schocks", die sich mit Überfallangriffen von Fallschirmjägern vergleichen lassen. Die Notation für die beschriebene Läuferaktion aus heiterem Himmel lautet:

3. … B-d5 drops

In diesem Zusammenhang eine Klarstellung: Im Shogi eröffnet Schwarz das Match gegen Weiß. Daher stehen Japanschachdiagramme aus westlicher Sicht "auf dem Kopf": Weiß ist „oben“ angesiedelt, Schwarz „unten“.

Übertragen wir nach einem Vorschlag von Douglas Crockford die japanischen Figurensymbole in eine westliche Optik (siehe www.crockford.com/chess/shogi.html), sieht die Anfangsstellung aus wie ein Blick von Down Under in Richtung Rest der Welt.


Um aber die Gemeinsamkeiten zwischen japanischem und westlichem Schach zu demonstrieren, drehen wir im Nachfolgenden die Shogi-Diagramme einfach um 180 Grad, so wie das in der FIDE-Community bewährt, beliebt und üblich ist.

 


Für die verschiedenen Steine haben sich weltweit die englischen Namen durchgesetzt.

Die Einheiten von Weiß:

King e1; Gold Generals d1, f1; Silver Generals c1, g1; Knights b1, h1; Lances a1, i1; Bishop b2; Rook h2; Pawns a3, b3, c3, d3, e3, f3, g3, h3, i3.

Die Einheiten von Schwarz:

King e9; Gold Generals d9, f9; Silver Generals c9, g9; Knights b9, h9; Lances a9, i9; Bishop h8; Rook b8; Pawns a7, b7, c7, d7, e7, f7, g7, h7, i7.


Und so ziehen die Akteure im 81-Felder-Shogi-Quadranten:

Der "König" - englisch: "King" (Abkürzung: K) - operiert wie sein Kollege im westlichen Schach. Die Rochade ist unbekannt; will sich der König verschanzen, muss er sich in mehreren Schritten seitwärts in die Büsche schlagen und dort rasch eine Burg ("Castle") bauen. Wird der Shogi-Herrscher attackiert, braucht der Angreifer keineswegs "Schach" - japanisch: "ote!" - zu sagen, diese Warnung ist unüblich, weil laienhaft. Sollte tatsächlich jemand die tödliche Bedrohung seines Oberkommandierenden übersehen, kann der Shogi-Monarch einfach geschlagen werden. Es ist freilich nicht überliefert, dass es jemals zu einem derart unrühmlichen Ende einer Partie gekommen ist.

Der "Gold-General" - englisch: "Gold General" (G) - bewegt sich ähnlich wie sein Chef, der König; allerdings mit der Einschränkung, dass die beiden rückwärtigen Diagonalfelder (nach hinten schräg links bzw. schräg rechts) für den hochrangigen Offizier off limits sind. Der "Silber-General" - englisch: "Silver General" (S) - zieht diagonal jeweils ein Feld pro Schlagwechsel; alternativ darf sich die Figur um ein Feld vorwärts bewegen.

Der "Springer" - englisch: "Knight" (N) - galoppiert wie ein Pferd im FIDE-Schach, jedoch mit deutlich eingeschränktem Radius. Der Ritter kann Ziele allein bekämpfen auf den beiden Feldern, die er erreicht mit einer Bewegung um ein Feld vorwärts plus ein Feld entweder diagonal nach halblinks oder nach halbrechts. Nehmen wir einen weißen Panzerreiter, der bereits die Position d5 erreicht hat: Der Reisige visiert dann die Punkte c7 und e7 an, darf aber ansonsten weder nach seitwärts links (b6) oder rechts (f6) ausbrechen (geschweige denn sich feige zurückziehen ).

Auf den FIDE-Schachturmpositionen in den Ecken an der Peripherie sehen wir die "Lanze" - englisch. "Lance" (L) - , die sich bewegt wie eine schwere mechanisierte Einheit, deren Lenkung ausgefallen ist. Die Lanze kann auf ihrer Linie allein nach vorne preschen; ein Rückzug oder laterale Operationen sind ausgeschlossen.

Der "Turm" - englisch: "Rook" (R) - rollt wie das westliche Gegenstück, ist aber nur einmal vorhanden. Entsprechendes gilt für den einsamen "Läufer" - englisch: "Bishop" (B) - , der ebenfalls ohne Kompagnon auskommen muss.

Auf den Reihen a3 - i3 (Weiß) und a7 - i7 (Schwarz) ist die Infanterie aufmarschiert. Ein Shogi-"Bauer" - englisch: "Pawn" (P) - zieht wie ein Landmann im FIDE-Schach, vorausgesetzt, er will keinen Gegner einkassieren. Soll der Shogi-Bauer einen feindlichen Stein aus dem Verkehr ziehen, schlägt er ebenfalls direkt geradeaus zu, nicht schräg nach vorne links bzw. rechts wie im westlichen Schach.

Die beiden Bauernreihen der Shogi-Anfangsstellung markieren zugleich die Grenzen jener zwei Promotionszonen für Weiß respektive Schwarz, wo alle Figuren, sobald sie den betreffenden Sektor erreicht haben, befördert werden können. Für Weiß ist die entscheidende Demarkationslinie die Horizontale a7 - i7, für Schwarz die Laterale a3 - i3 . Allein König und Goldgeneral werden nicht befördert. Schafft eine Einheit den Vorstoß in die Promotionszone, wird der betreffende Symbolstein einfach umgedreht; auf der Rückseite markiert ist der neue Dienstgrad, den der beförderte Stein fortan trägt. Der Vorgang der Beförderung wird deutlich gemacht durch Anhängen des Zusatzes „promotes" direkt an die Aufzeichnung der konkreten Figurenbewegung. Bei einem Folgezug erhält die Einheit, deren Wirkungsgrad entsprechend gesteigert worden ist, ein zusätzliches „pr.“ dem Figurenkürzel vorangestellt.

Bauer, Lanze, Ritter und Silbergeneral, die befördert worden sind, stürzen sich als "pr. P", "pr. L", "pr. N" beziehungsweise "pr. S" erneut ins Getümmel und fechten jeweils wie ein "Gold-General". Der aufgewertete Turm erlangt den Rang eines "Drachenkönigs" - englisch: "Dragon King" (Abkürzung: "pr. R") - und beherrscht zusätzlich, ergänzend zu seinen Standardfeldern als Schwerfigur, jeweils das diagonal nächstgelegene Feld. Der Läufer mit Promotion verwandelt sich in das feurige "Drachenpferd" - englisch: "Dragon Horse" (abgekürzt: "pr. B") - , das nicht nur diagonal traben, sondern eventuellen Widerstand auch auf dem jeweils vertikal und horizontal in alle vier Richtungen angrenzenden Feld in Grund und Boden stampfen kann. Abschließend ein wichtiger Hinweis für den Fall, dass eine beförderte Einheit dem Feind in die Hände fällt: Zur Strafe wird sie zurückgestuft auf ihren ursprünglichen Dienstgrad vor der Promotion.

Wer das Vorstehende aufmerksam gelesen hat, kann sein erstes Match Shogi wagen. Und das sollte entspannt angegangen werden, weil Königsangriffe gleich mit den ersten Zügen im Shogi praktisch ausgeschlossen sind. Der Grund: Durch die weitgehend freie zweite Reihe hat der Shogi-Herrscher in der Grundstellung reichlich Auslauf, ein "Narrenmatt"-Überfall kann deswegen im Normalfall nicht zum Erfolg führen.

Anders sieht die Lage natürlich aus in einem späteren Stadium der Partie, nachdem beide Seiten schnelle Eingreifreserven für Luftlandeunternehmungen in die Hand bekommen haben. Da schlägt das Verhängnis oft gnadenlos drein wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Bis dahin ist es jedoch meist ein weiter Weg, so dass selbst ein unerfahrener Spieler gegen einen Shogi-Routinier mit Würde eine angemessene Zahl von Zügen durchhalten kann, die es ihm erlauben, sogar im Fall der unvermeidlichen Niederlage asiatisch cool das Gesicht zu bewahren.

Wettlauf zum Matt

Nun die Shogi-Begegnung zwischen Garri Kasparow und Eiichiro Ishiyama in einer dem Westschach angepassten Notation.

Jeweils in Klammern hinzugefügt wird die in der Shogi-Szene übliche Bezeichnung der Züge. Die basiert darauf, dass - anders als im hierzulande üblichen Schach - die Linien mit den Nummern 1 bis 9 und die Reihen mit den Buchstaben a bis i definiert werden. Ein Drop wird kenntlich gemacht, dass dem Stein, der auf ein bestimmtes Feld einfliegt, das Sternzeichen "*" hinzugefügt wird. Einem Zug, der eine Figur befördert, wird das Zeichen "+" angehängt; das Kürzel darf nicht verwechselt werden mit dem FIDE-Symbol für ein Schachgebot (in einer Shogipartie wird das Schachgebot weder ausgesprochen noch hinterher in der Notation vermerkt). Nach erreichter Promotion wird dem Figurenkürzel das Zeichen "+" vorangestellt.

Weiß: Garri Kasparow (ELO 2851)
Schwarz: Eiichiro Ishiyama (3.Dan) 
März 1999, Moskau, Wohnsitz von Garri Kasparow

Die Begegnung kannin Original-Optik und Original-Auftsellung nachgespielt werden unter dem folgenden Link (anders als im nachfolgenden Text findet sich dann allerdings in den animierten Diagrammen die schwarze Partei "unten" und die weiße Partei "oben" verortet):

http://www.shogi.de/games/shogiviewer_davin/kasparow_1st.html

Genshi Sujichigai Kaku -
Einfacher Parallel-Diagonalläufer 

1.... g7-g6 (1.P7f …)

Für FIDE-Spieler ein ungewohnter Auftakt: Im Shogi eröffnet Schwarz die Partie.

2.c3-c4 Bh8xb2 promotes ?!? (1…. P3d 2.Bx2b+ ?!? …)

Auf ausdrücklichen Wunsch von Garri Kasparow tauscht Schwarz frühzeitig den Läufer ab. Ein Schlagwechsel, der eigentlich eher unüblich ist, weil er der Entwicklung von Weiß hilft - ungeachtet der Tatsache, dass Schwarz auf diese Weise einen Bauern gewinnen kann.

3.Sc1xb2 b7-b6 ?!? (2…. Sx2b 3.P2f ?!? … )

Wenn Schwarz schon die Läufer tauscht, dann sollte er auch konsequent fortsetzen und durch das sofortige Einfliegen des neu gewonnenen Läufers  3.... B-d5 drops (3.B*4e ...) einen Bauern gewinnen - weil jetzt die weißen Bauern c4 (P3d) und f3 (P6c) angegriffen sind.

Eine mögliche Parade wäre 4.Gf1e2 ... (3. ... G6a5b), die außer dem Bauern f3 (P6c) auch dessen Kollegen d3 (P4c) stützt. Nach 4....Bxc4 (4.Bx3d) hat Schwarz einen Infanteristen mehr, dafür ist aber sein Läufer auf die parallel zur wichtigen Diagonale c3-h8 (3c-8h) verlaufende Kurzdiagonale c4-e6 (3d-5f) verwiesen, während Weiß seinen Läufer aus der Reserve "in der Hand" immer noch nach Gutdünken auf der Hauptschrägen einfliegen lassen kann.

4.g3-g4 b6-b5 (3. ... P7d 4.P2e …)

Droht mit dem Durchbruch 5....b4 (5.P2d ...).

5.Sb2-c3 ... (4…. S3c)

Verhindert 5....b4 (5.P2d ...).

5.... Gf9-g8 6.Nh1-g3 ... (5.G7h N7c)

Der frühe Einsatz der Reiterei ist im Shogi ungünstig, da die Pferde nur vorwärts traben können; ein Rückzug  oder auch bloß ein Ausbruch zur Seite ist ihnen verwehrt. Deswegen geraten die Ritter im Mittelspiel leicht ins Gedränge.

6.... Sg9-h8 7.h3-h4 Sh8-g7 8.h4-h5 B-d6 drops! (6.S8 h P8d 7.S7g P8e 8.B*4f ! …)

Der Läufer fesselt den weißen Ng3 (N7c) - weil er den diagonal dahinter postierten Rh2 (R8b) auf's Korn nimmt.

9.Sg1-f2 Sg7-f6 (8…. S6b 9.S6f … )

Das ist der Geist der Samurai - die Offiziere (hier: ein Silbergeneral) stellen sich vor die Front und attackieren.

10.h5-h6 ... (9…. P8f)

Kasparow, wie wir ihn kennen: Er sucht sofort die direkte Konfrontation.

10.... h7xh6 11.Rh2xh6 P-h7 drops! (10.Px8f Rx8f 11.P*8g ! …)

Riegelt die h-Linie (Linie 8) ab - und attackiert den Turm.

12.Rh6-h1! ... (11. ... R8a!)

Erkennt richtig, dass der schwarze Bauer g6 (P7f) vergiftet ist: 12.Rxg6?? Gg7! (11. ... Rx7f?? 12.G7g), und der weiße Turm ist verloren, da er keine Fluchtfelder mehr hat. 

12. ... Nh9-g7 13.B-d4 drops … (12.N7g B*4d)

Kasparow schlägt zurück.

13…. g6-g5 14.g4xg5 Sf6xg5 15.P-g6 drops! ... (13.P7e Px7e 14.Sx7e P*7f)

Ein echter "tesuji", ein geschickter Zug vom Shogi-Neuling Kasparow: Der Fallschirmspringer attackiert den Kopf des Pferdes.

15.... P-g4 drops! (15.P*7d ! … )

Im Shogi ist Gegenangriff die beste Verteidigung: Ishiyama revanchiert sich, indem er seinerseits Kasparows rechte Schwadron aus heiterem Himmel unter Feuer nimmt.

16.g6xg7 promotes g4xg3 promotes (15…. Px7g+ 16.Px7c+ …)

Nun beginnt ein dramatischer Wettlauf: Wer schlägt sich zuerst zum gegnerischen Oberbefehlshaber durch?!

17.pr.Pg7xg8 ... (16. ... +Px7h)

Die Bauern, die durch die Promotion die Stärke von Goldgenerälen erlangt haben und deswegen jetzt "tokin" heißen, mähen die feindlichen Reihen nieder (Foto: Christoph Harder; Design des Sets in 3D: Dr. René Gralla). 

17. ... pr.Pg3xf2 check 18.Gf1xf2 ... (17. +Px6b Gx6b)

Jetzt liegt Kasparow materiell bereits vorne: Er hat seine Reserven mit einem Goldgeneral, einem Schimmel und zwei Fußsoldaten aufgefüllt; Eiichiro Ishiyama verfügt dagegen bloß über einen Silbergeneral und einen Rappen.

18.... b5-b4 (18.P2d …)

3.Dan-Mann-Ishiyama lässt sich nicht schocken: Er startet auf der rechten Flanke einen neuen Vorstoß.

19.Bd4xi9 promotes? ... (18…. Bx9i+ ?)

Zu gierig - auch wenn Weiß, neben der eingesackten Lanze, sich obendrein noch einen beförderten Läufer verschafft: das sogenannte "Drachenpferd", das zusätzlich zur Läuferwirkung jeweils ein Feld vertikal und horizontal beherrscht. Kasparow hätte eher auf Verteidigung umschalten müssen.

19.... B4xb3 promotes! (19.Px2c+ ! … )

Die Luft brennt: Die weißen Vorauskommandos rücken dem schwarzen König auf die Pelle, aber ... auch Kasparows Herrscher ist äußerst gefährdet.

20.Rh1xh7 promotes ... (19…. Rx8g+)

Der Turm wird zum "Drachenkönig" - mit erweiterter diagonaler Einsatzmöglichkeit um jeweils ein Feld schräg zusätzlich zur Wirkung als Schwerfigur.

20.... pr.Pb3xc3! 21.Nb1xc3 Rb8-b1 promotes (20.+Px3c! Nx3c 21.R2a+ …)

Und hier nun der frisch gebackene schwarze Drachenkönig - der sogleich den weißen Goldgeneral d1 (G4a) fesselt.

22.G-f8 drops & check ... (21…. G*6h)

Das sieht allerdings übel für den schwarzen König aus: Der eingeflogene weiße Goldgeneral auf f8 (6h) setzt, im Verbund mit dem weißen "Tokin" - einem zum Goldgeneral beförderten Bauern - auf g8 (7h), zum Mattangriff an und bietet Schach. Dahinter lauern Kasparows Drachenkönig auf h7 (8g) und das weiße Drachenpferd auf i9 (9i). Kann Ishiyamas Drachenkönig auf b1 (2a) die Wende bringen? Merke: Der weiße Reitereinheit auf c3 (3c) kann den beförderten schwarzen Turm b1 (2a) nicht ausschalten, weil japanische Ritter bekanntlich immer bloß vorwärts stürmen müssen und sich niemals rückwärts orientieren dürfen (Foto: Christoph Harder; Design des Sets in 3D: Dr. René Gralla). 

22.... Ke9-d8 23.Gf2-e2 ... (22.K4h G6b-5b)

Tatsächlich hat Weiß kein Anschluss-Schach - und muss zwischendurch auf Verteidigung umschalten.

23.... S-c2 drops! (23.S*3b ! …)

Nutzt die Fesselung des Gd1 (G4a) aus.

24.Ge2-d2 Sc2xd1 promotes & check 25.Gd2xd1 S-c2 drops! (23…. G5b-4b 24.Sx4a+ Gx4a 25.S*3b ! …)

Das ist Shogi: Die zweite Angriffswelle der Fallschirmjäger schwebt ein.

26.pr.Rh7xf7 ... (25…. +Rx6g)

Kasparows Entlastungsaktion tief im schwarzen Lager kommt zu spät.

26.... Bd6-g3 promotes & check (26.B7c+ …) 


Der Knock-out in original japanischer Optik. Der schwarze Läufer schießt hervor aus der Lauerstellung auf d6 (4f), bietet Schach auf g3 (7c) und verwandelt sich gleichzeitig in ein Drachenpferd.

Weiß ist verloren

I. Wenn 27.Ke1-d2 ... (26. ... K4b), dann: 27.... pr.Rb1xd1# (27.+Rx4a#).
II. Falls 27.Ke1-e2 ... (26. ... K5b), so: 27.... pr.Rb1xd1# (27.+Rx4a#).
III. Auch 27.Ke1-f1 ... (26. ... K6a) hilft nicht: 27.... G-f2 drops # (27.G*6b#).

Ein schwarzer Goldgeneral springt direkt ab auf f2 (6b) und zwingt, gestützt von Ishiyamas Drachenpferd auf g3 (7c), Kasparows Feldherrn auf f2 (6a) zur Kapitulation (Foto: Christoph Harder; Design des Sets in 3D: Dr. René Gralla). 


IV. Die letzte Möglichkeit: Der Versuch eines Rettungsdrops eines Silbergenerals auf f2 (6b) - die alternativ einsetzbaren Lanze bzw. Läufer machen keinen Unterschied. Mithin: 27.S-f2 drops ... (26. ... S*6b). Und jetzt: 27…. pr.Rb1xd1#  (27.+Rx4a#).

Ergo:

27. Aufgabe   (26…. Aufgabe)  0:1

Dr. René Gralla, Hamburg, Germany

 

 

 

 

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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