Kortschnoj-Festspiele und ein Film-Guru
Von Dagobert Kohlmeyer
Schachreporter aus Berlin hatten in den vergangenen Tagen gut zu tun. Neben dem
Treffen von acht Mannschaften der 1. Bundesliga im Schöneberger Rathaus gab es
noch ein anderes Ereignis, das mindestens genauso zog, wie die halbe Liga. Die
Rede ist von den Kortschnoj-Festspielen in Fredersdorf am Rande der Hauptstadt.
Am Sonntag hatte der Schweizer Großmeister einen erfolgreichen Einsatz in der 2.
Bundesliga. Am Spitzenbrett unterstützte Viktor Kortschnoi das Team des SV
„Glück auf“ Rüdersdorf in der Staffel Nord. Im Kampf gegen den SK Zehlendorf
besiegte Kortschnoj den aus Bosnien stammenden Großmeister Borki Predojevic.
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Mit Schwarz zwang der Seniorenweltmeister seinen Gegner in einer Französischen
Partie nach 50 Zügen zur Kapitulation.
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Es blieb allerdings der einzige Sieg für Rüdersdorf. Das Team erreichte noch
drei Remis und verlor gegen den Bundesliga-Absteiger Zehlendorf mit 2,5:5,5.
Bürgermeister Wolfgang Thamm begrüßte den Ehrengast, der seit Juni 2006
Ehrenmitglied von Glück auf Rüdersdorf ist und verwies auf dessen einmalige
Schachkarriere. Kortschnoj, der aus Leningrad stammt und viermal sowjetischer
Landesmeister war, schrieb durch seine spektakulären WM-Duelle 1978 und 1981
gegen den damaligen Weltmeister Anatoli Karpow Schachgeschichte.
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Bürgermeister Wolfgang Thamm und Viktor Kortschnoj
1976 blieb er aus politischen Gründen im Westen. Seit drei Jahrzehnten spielt
Kortschnoj für die Schweizer Nationalmannschaft.
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Ehrung für Kortschnoj
Ehe es Sonntagvormittag ans Brett ging, war für Viktor den Schrecklichen
zunächst Warten angesagt. Um 10 Uhr fehlte noch die halbe Zehlendorfer
Mannschaft, weil das Navigationssystem ihrer Nobelkarosse den Weg ins Hotel
„Flora“ nicht fand.
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Ehepaar Kortschnoj. Petra Kortschnoj begleitet ihren Mann auf
allen Reisen.
Nach zwanzig Minuten waren sie dann angekommen und das Spiel konnte beginnen. Es
wurde eine feine Partie so recht im Kortschnoj-Stil. Auf 1.e4 war Französisch
angesagt und der Zug 9…Da5 laut Viktor so etwas wie eine Neuerung.
An frühere wenige Bundesliga-Einsätze kann sich Kortschnoj kaum noch erinnern:
„Es war um 1977, als ich noch bei Porz als Spielertrainer unter Vertrag war. Ich
habe damals eine oder zwei Partien absolviert, mehr nicht.“ Hier nun Viktors
Comeback als Bundesliga-Spieler.
B. Predojevic – V. Kortschnoj
2. Bundesliga,
Fredersdorf 04.02.2007
Französisch C11
1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sf6 4.e5
Sfd7 5.f4 c5 6.Sf3 Sc6 7.Le3 a6 8.Dd2 b5 9.a3 Da5 10.Ta2 Dc7 11.Se2 Lb7 12.g3
cxd4 13.Sfxd4 Sc5 14.Lg2 Se4 15.Dd1 Lc5 16.0–0 0–0 17.Kh1 b4 18.axb4 Sxb4 19.Ta1
a5 20.c3 Sc6 21.Da4 Se7 22.Tfe1 Db6 23.Lg1 h5 24.Dc2 Tfd8 25.Lf3 h4 26.Kg2 Sf5
27.Tad1 a4 28.Sxf5 exf5 29.Sd4 Dg6 30.Lxe4 dxe4 31.Le3 La6 32.Ta1 Lxd4 33.Lxd4
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33... e3! 34.Txe3 Lb7+ 35.Kf2 a3
36.bxa3 Dc6 37.Tg1 Txa3 38.e6 Dd5 39.exf7+ Kxf7 40.gxh4 Ta2 41.Txg7+ Kf8 42.Dxa2
Dxa2+ 43.Te2 Dd5 44.Th7 Ta8 45.Th8+ Kf7 46.Th7+ Kg6 47.Tg7+ Kh6 48.Tg3 Ta2
49.Le5 Txe2+ 50.Kxe2 La6+
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0–1
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Schiedsrichter Hans-Christian Funke
Montagvormittag trainierte Kortschnoj dann gratis mit Rüdersdorfer Jugendlichen,
und das einige Stunden lang. Er zeigte seine schöne Partie vom Vortage und
behandelte u. a. auch Turmendspiele, die bekanntlich am schwierigsten sind.
Am Abend dann der Höhepunkt. 25 Schachamateure aus Berlin, Brandenburg und
Sachsen Anhalt haben einen Platz beim Simultan mit dem Seniorenweltmeister
ergattert. Einer seiner Gegner ist der bekannte Filmproduzent Artur Brauner.
Mit ihrer Aktion unterstützen die Rüdersdorfer die Vorbereitung der
Schacholympiade 2008 in Dresden. Bis zum Herbst des kommenden Jahres wollen
Spitzenspieler des Schachvereins bei zahlreichen Gelegenheiten insgesamt 2008
Simultanpartien absolvieren.
Filmguru „Atze“ Brauner kommt etwas später. Der legendäre Produzent zeigt an
diesem Abend trotz seiner 88 Jahre noch immer filigrane Züge.
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Artur Brauner spielt die Larsen-Eröffnung
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Mit 88 Jahren noch topfit
Als einziger Teilnehmer darf er mit Weiß spielen. Brauner baut seine Steine
solide auf und wartet geduldig, bis Kortschnoj seine Runde gedreht hat. Zwei
Bretter weiter sitzt Dietmar Bartsch, Geschäftsführer der Linkspartei.PDS.
Schon nach 16 Zügen muss er die Segel streichen: „Kortschnoj ist zu stark für
mich. Ich bin ja nur Hobbyspieler“. Nicht besser ergeht es Stefan Hansen von der
Lasker-Gesellschaft.
Atze Brauner befindet sich noch im tiefen Mittelspiel. Er steckt seine Nase in
die Figuren, die großen Augen huschen über das Brett. Aber sie erfassen nicht
jeden Winkel. Kortschnoj bricht am Damenflügel durch. Am Ende erobert er einen
Turm und droht Matt. Brauner muss nach vier Stunden aufgeben. Er gratuliert dem
Seniorenweltmeister in Russisch und lädt Kortschnoj zur Revanchepartie nach
Berlin ein.
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Schräg gegenüber grübelt der 13-jährige Martin Wapenhans von „Glück auf“
Rüdersdorf. Vor zwei Jahren hat er gegen „Viktor den Schrecklichen“ beim
Simultan nur knapp verloren. Heute läuft es nicht so gut. Martin verteidigt sich
sizilianisch, aber Kortschnoj überrascht ihn schon in der Eröffnung mit einer
seltenen Variante. Der Schacheleve gibt einem Rat des früheren Weltmeisters
Botwinnik folgend, rechtzeitig auf.
Nach fünfeinhalb Stunden hat Kortschnoj seine Arbeit beendet, 20 Spiele gewonnen
und kein Remis abgegeben.
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Aber fünf glücklichen Amateure konnten die Schachlegende bezwingen: Ralf Michael
Kuna (SC Rochade Magdeburg), Dr. Volker-Hans Ludsteck (SC Pasing), Dan-Peter
Poetke (Burger SK Schwarz-Weiß), Dr. Herbert Mayer (SC Rochade Berlin) und Uwe
Keil (SC Friesen Lichtenberg).
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Dan-Peter Poetke
mit Siegerpokal
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Schachfreund Herbert
Herbert Mayer aus meinem Klub SC Rochade Berlin freut sich besonders über seinen
Großmeister-Skalp.
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Er hat es auf die großen K. des Weltschachs abgesehen. Bei früheren
Simultanspielen in Berlin schaffte er 1998 gegen Karpow, 2001 gegen Khalifman
und 2004 gegen Kasparow keinen Sieg. „Heute hatte ich das notwendige Glück. Ein
Damenzug von Kortschnoj brachte mich in große Bedrängnis. Ich konnte aber einen
starken Freibauern bilden und seinen König attackieren. Im 31. Zug leistete sich
Kortschnoj einen Fehler und gab nach meiner Antwort sofort auf. Darin zeigt sich
der wahre Großmeister“.
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Wahre Größe bewies Kortschnoj auch, als er mit den Rüdersdorfer Jugendlichen
gratis trainierte. Für seine Verdienste um den Schachsport wurde der 75-Jährige
vor dem Simultan übrigens mit der goldenen Ehrennadel des Landesschachbundes
Brandenburg ausgezeichnet. Organisator Raymund Stolze sagt: Viktor Kortschnoj
lebt Schach. Er ist ein Vorbild für jeden jungen Spieler.“ Stolze gab noch zu
bedenken, dass Garri Kasparow selbst in seinen besten Zeiten niemals
Simultanspieler mit einer ELO-Zahl über 2000 Punkten akzeptiert hat, während
Viktor Kortschnoj keinerlei Grenze forderte. Vier der Sieger von Fredersdorf
hatten eine Zahl deutlich über 2000. Anzumerken ist ferner, dass ihnen mehr als
fünf Stunden in dieser Partie zur Verfügung stand, während Viktor Kortschnoj im
Durchschnitt 12-15 Minuten hatte, dazu bis weit in die zweite Hälfte auch
physisch ein enormes Pensum zurückzulegen hatte, weil er ja von Brett zu Brett
laufen musste. In der Zeit seines Wettkampfes trank er lediglich vier keine
Flaschen Kirschsaft. Am Tag zuvor bei der 2. Bundesliga war es Orangensaft.
Jörg Zähler, Geschäftsführer des SV „Glück auf“ Rüdersdorf dankte der Sparkasse
Märkisch-Oderland und dem ND für ihre tatkräftige Unterstützung der
Veranstaltung. Ebenfalls dem Hotel „Flora“, wo das Ehepaar Kortschnoj drei Tage
lang zu Gast war. „Wir sind auf einem guten Weg, bis zur Schacholympiade in
Dresden die 2008 Simultanpartien zu schaffen und damit für dieses Ereignis zu
werben.“
Hier die Partie Kortschnoj - Mayer mit Anmerkungen des Siegers, der sich von
Fritz analytische Hilfe holte.
Kortschnoj,Viktor (2629) - Mayer,Herbert,Dr. (1832)
Simultan Fredersdorf, 05.02.2007
B28: Sizilianisch
(Frühes a7-a6) 1.e4 c5 2.Sf3 a6 3.c4 Sc6 4.d4 cxd4 5.Sxd4 e5 6.Sc2 Sf6 7.Sc3
Lc5 8.Le2 Sd4 [8...d6 9.0-0 0-0 10.Kh1 Sd4 11.Tb1 b5 12.Lg5 h6 13.Lxf6 Dxf6
14.b4 Lb6 15.Sd5 Dd8 16.Sce3 Le6 17.Ld3 Tc8 18.Tc1 La7 19.a4 Dd7 20.axb5 axb5
21.cxb5 Txc1 22.Dxc1 Sxb5 23.Dd2 Valiente,C (2310)-Sursock,S (2220)/Thessaloniki
1988/TD/1/2-1/2] 9.0-0 Sxc2 [9...d6 10.Kh1 Sxc2 11.Dxc2 0-0 12.Lg5 h6
13.Lxf6 Dxf6 14.Sd5 Dd8 15.f4 exf4 16.Tad1 a5 17.Txf4 Le6 18.Dd3 Dg5 19.Tdf1
Lxd5 20.cxd5 Tae8 21.Lg4 g6 22.Df3 De7 23.Dh3 Kg7 24.Ld7 Da Silva Fo,A
(2101)-Trois,F (2364)/Sao Paulo 2003/CBM 096 ext/1/2-1/2 (50)] 10.Dxc2 d6
11.Lg5N [11.Dd3 Le6 12.Lg5 h6 13.Le3 Tc8 14.b3 0-0 15.Tac1 Se8 16.Lf3 Tc7
17.Tfd1 Lxe3 18.Dxe3 De7 19.Td3 Kh7 20.Tcd1 g6 21.g4 Dh4 22.Sd5 Tc5 23.De2 f5
24.Se3 fxg4 25.Sxg4 Txf3 Muri,E (2080)-Kristovic,M (2290)/Ljubljana 1995/EXT
98/0-1 (48)] 11...h6 12.Lh4 Le6 13.Tad1 g5 14.Lg3 Dc7 15.Kh1 [15.Sd5 Sxd5
16.exd5 Ld7+/=] 15...Tc8 16.Sd5 Sxd5 17.exd5 Ld7 18.Ld3 Ld4 Dort gehört
der Läufer hin. 19.De2 0-0 20.f4 f5 [20...exf4!? ist zu überlegen 21.De4
f5 22.Dxd4 fxg3 23.hxg3 Dc5+/=] 21.fxg5 Dd8 22.gxh6 Dg5 Will f4 spielen
23.Lf2 Lxf2 24.Txf2 e4 25.Lc2 e3 26.Tf3 f4 27.h3 [=27.h7+!? Kh8
28.Tdf1+/-] 27...Dxh6+/= 28.Kg1 Dg5 29.Tdf1 Tf6 30.g4 Kg7 31.Dh2? vergibt
den Vorteil [31.Ld3+/= war der einzige Versuch] 31...Txc4-+ [31...Txc4
32.Lb3 Td4-+] 0-1