Kramnik über Kramnik: My Path to the Top

von ChessBase
08.10.2013 – Vladimir Kramnik, Weltmeister von 2000 bis 2007, ist einer der stärksten und interessantesten Spieler der (jüngeren) Schachgeschichte. Kramnik überzeugt durch seine Partien und durch die Art, wie er über seine Partien spricht. 2007 hat er seine Karriere auf der DVD My Path to the Top geschildert. Johannes Fischer hat sich die DVD angeschaut - und war angetan.  Zur Rezension...

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 Interessant, sachlich, kompetent, gut: Vladimir Kramniks My Path to the Top

 My Path to the Top

Vladimir Kramnik: My Path to the Top

Vladimir Kramnik wurde am 25. Juni 1975 in Tuapse am Schwarzen Meer geboren. Sein Vater ist Maler und Bildhauer, die Mutter Lehrerin. Schach lernt Kramnik mit vier, mit elf ist er Meisterkandidat, 1992 kommt er bei der Schacholympiade in Manila als FM ins russische Nationalteam, 1996 liegt er als damals jüngster Spieler aller Zeiten auf Platz eins der Weltrangliste und vier Jahre später wird er nach einem Sieg über Garry Kasparov im WM-Kampf 2000 – der einzige Wettkampf, den Kasparov im Laufe seiner Karriere je verloren hat – der 14. Weltmeister der Schachgeschichte.

Doch nach diesem steilen Aufstieg bleibt Kramnik als Weltmeister blass und gerät in die Kritik: Zu viele Remis, zu viele kurze Remis, zu wenig Erfolge. 2004 verteidigt er seinen WM-Titel in Brissago mit einem 7:7 gegen Peter Leko denkbar knapp, 2005 landet er bei Turnieren in Wijk aan Zee, Sofia, Dortmund und Moskau im Mittelfeld oder sogar dahinter. Wie Kramnik dann enthüllte, litt er seit Ende 2000 an einer schweren rheumatischen Erkrankung. Er macht ein halbes Jahr Pause vom Turnierschach, um sich zu kurieren und kehrt dann wieder mit Erfolg in die Turnierarena zurück. 2006 verteidigt er seinen Weltmeistertitel in einem skandalumwitterten Match gegen Veselin Topalov in Elista, 2007 verliert Kramnik seinen WM-Titel im WM-Turnier von Mexiko-City an Vishy Anand.

Doch mittlerweile ist Kramnik hinter Magnus Carlsen wieder die Nummer zwei der Weltrangliste. Beim Kandidatenturnier in London 2013 wurde er nur nach Wertung Zweiter hinter Carlsen, den World Cup 2013 gewann er souverän. Kramniks Fangemeinde wächst. Das liegt auch an den Pressekonferenzen bei großen Turnieren. Denn kaum ein Spitzenspieler spricht so fesselnd und aufschlussreich über seine Partien wie Kramnik. Grund genug, sich seine ChessBase-DVD My Path to the Top anzuschauen.

Kramnik hat die DVD im Juli 2007 aufgenommen, kurz vor dem Verlust seines WM-Titels, doch obwohl sich in der Schachwelt und in Kramniks Karriere seit 2007 einiges getan hat, bleibt die DVD faszinierend.

 

Screenshot der DVD

In 20 Videos stellt Kramnik wichtige und interessante Partien aus seiner Laufbahn vor und spricht ausführlich (die DVD hat eine Laufzeit von über sechs Stunden plus 44 Minuten Bonusmaterial) über seine Karriere. Er erzählt, wie er Schach gelernt hat, wie ihn die Partien Karpovs inspiriert haben und wie er in die Kasparov-Botvinnik Schachschule aufgenommen wurde. Dazu brauchte Kramnik bei allem Talent und Fleiß ein wenig Glück – und gute Verbindungen. Die hatte ein Förderer Kramniks. Im wahrsten Sinne des Wortes. Er arbeitete bei der Post, sah, wie talentiert Kramnik war und suchte die Telefonnummer Michail Botvinniks heraus, um den Ex-Weltmeister und Leiter der besten Schachschule der Sowjetunion anzurufen und ihn auf das Talent Kramniks aufmerksam zu machen. Botvinnik bat um einige Partien Kramniks und nachdem er sich zwei oder drei angeschaut hatte, entschied er: „Den Jungen nehmen wir.“

 Mikhail Botvinnik 1962.jpg

Mikhail Botvinnik, der Patriarch des Sowjetschachs (Foto: Wikipedia)

Doch nicht nur Botvinnik, auch Kramniks späterer Rivale Kasparov, förderte das junge Talent nach Kräften. Denn gegen alle Widerstände im russischen Schachverband machte sich Kasparov dafür stark, den 17-jährigen Kramnik bei der Schacholympiade 1992 in Manila ins russische Team aufzunehmen, obwohl Kramnik zu diesem Zeitpunkt noch FM war und keine nennenswerten internationalen Erfolge aufzuweisen hatte. Kasparov setzte sich durch und Kramnik zeigte sich als Siegertyp mit starken Nerven: Mit 8,5 Punkten aus 9 Partien holte er als Ersatzmann das beste Ergebnis der russischen Mannschaft und trug wesentlich zum klaren Olympiasieg bei. Kramniks Spiel bei dieser Olympiade verschaffte ihm bald Einladungen zu internationalen Spitzenturnieren.

Mit einem Hauch Nostalgie über die vergangenen Tage jugendlicher Unbekümmertheit berichtet Kramnik offenherzig, wie wenig professionell die Vorbereitung der russischen Mannschaft bei der Olympiade aussah. Denn mit Ausnahme von Kasparov und Dolmatov bereitete sich die russischen Profis vor allem mit viel Gin Tonic und nächtelangem Kartenspiel auf die nächste Runde vor.

 

Porträt des Künstlers als junger Mann (Foto: Wikipedia)

Kramnik erzählt solche Anekdoten, aber verrät bei seinen Schilderungen über die WM-Kämpfe gegen Kasparov in London 2000, gegen Leko in Brissago 2004 und gegen Topalov in Elista 2006 auch viel über die Psychologie von Weltmeisterschaftskämpfen und enthüllt ein paar Geheimnisse seiner Vorbereitung. So hat Kramnik vor dem WM-Kampf gegen Topalov im Anschluss an vier bis fünf Stunden harter Eröffnungsanalyse mit seinen Trainern jeden Tag Studien gelöst, „insgesamt wahrscheinlich etwa Tausend, jeden Tag, immer schwierigere und kompliziertere“. Die Idee war, so ein Gegengewicht zu Topalovs robusterer körperlicher Verfassung zu schaffen und auch in der fünften und sechsten Stunde der Partie noch mit voller Konzentration spielen zu können.

Interessant – nicht zuletzt in Hinblick auf vergangene und zukünftige Weltmeisterschaftskämpfe – ist Kramniks These, dass in diesen Wettkämpfen stets der Spieler triumphiert, der weniger „unforced errors“ macht. In Analogie zum Tennis bezeichnet Kramnik damit Fehler, mit denen man dem Gegner halbe oder ganze Punkte schenkt. Zum Beispiel, so Kramnik, war der Wettkampf zwischen Fischer und Spassky in Reykjavik „etwa ausgeglichen“, aber Spassky unterliefen einfach zu viele „unforced errors“. Mit dieser These begründet Kramnik auch, warum der WM-Kampf gegen Peter Leko in Brissago 2004 so knapp war – denn Leko mache kaum „unforced errors“, er „schlägt zwar nicht besonders viele Winner, aber bringt den Ball immer wieder ins gegnerische Feld zurück“.

 

Vladimir Kramnik

Begleitend zu diesem erzählerischen Rückblick auf seine Karriere zeigt Kramnik wichtige, interessante und schöne Partien aus seiner Laufbahn. Hier überzeugt er durch Objektivität, die souveräne Selbstverständlichkeit, mit der er weiß und erläutert, was in den jeweiligen Stellungen wichtig ist, sowie sein Gespür für Dynamik und seine immer wieder verblüffenden taktischen Fähigkeiten.

Was die Art des Vortrags betrifft, so spricht Kramnik engagiert, lebhaft, aber dennoch angenehm zurückhaltend, in gut verständlichem, fast fehlerfreiem Englisch mit leichtem russischem Akzent. Herausgekommen ist dabei eine informative, lehrreiche und in mehr als einer Hinsicht interessante DVD, die viel über einen der besten und interessantesten Spieler der Schachgeschichte verrät.

 http://en.chessbase.com/portals/4/files/news/2007/kramnik05-marie.jpg

 Vladimir Kramnik mit seiner Frau Marie Laure. Die beiden leben in Paris und haben zwei Kinder.

My Path to the Top

Vladimir Kramnik, My Path to the Top
Videospielzeit: über 6 Std. (+ 44 min. Bonusmaterial). Sprache: Englisch
39,99 Euro

Beispielvideo (1:21)
Beispielvideo (2:29)

Inhaltsverzeichnis der DVD

  • Part 1 (no game) Childhood and development of his chess talent, 37:43
  • Part 2 Olympiads Manila 1992, Kramnik – Nunn, (ol) Manila 1992, 26:45
  • Part 3 Linares 1993 and 1994, the first win against Kasparov: Kramnik – Kasparov, Linares 1994, 20:04
  • Part 4 Chess in the 90s, game Kasparov – Kramnik, Dos Hermanas 1996, 16:46
  • Part 5 Chess in the 90s: Kramnik – Karpov, Dortmund 1997, 8:21
  • Part 6 Chess in the 90s: Kramnik – Kasparov, Novgorod 1997, 11:37
  • Part 7 Chess in the 90s: Topalov – Kramnik, Linares 1997, 9:03
  • Part 8 Preparation for the World Championship match against Kasparov in London 2000, 27:55
  • Part 9 The Berlin Defence I, Kasparov – Kramnik, London 2000 (m/1), 20:34
  • Part 10 The Berlin Defence II, Kasparov – Kramnik, (m/3 and m/9); London 2000, 29:31
  • Part 11 Kramnik - Kasparov, London 2000 (m/2), 18:01
  • Part 12 (no game) The World Championship match against Leko, Brissago 2004, 23:46
  • Part 13 The decisive fi nal game, Kramnik - Leko, Brissago 2004 (m/14), 34:34
  • Part 14 (no game) Reunifi cation World Championship Match against Veselin Topalov, 9:53
  • Part 15 (no game) Elista Match preparation II, 4:42
  • Part 16 Topalov – Kramnik, Elista 2006 (m/2), 31:43
  • Part 17 Kramnik – Topalov, Elista 2006 (m/12), 10:46
  • Part 18 Decision by tie-break: Kramnik – Topalov, Elista 2006 (rapid 2) 14:30
  • Part 19 Decision by tie-break: Kramnik – Topalov, Elista 2006 (rapid 4), 12:15
  • Part 20 Looking forward to the World Championship tournament in Mexico, 2:04
  • Exclusive Interview with Vladimir Kramnik (44 min) on the intrigues the intrigues surrounding the 2006 world championship, and the state of the chess world in general

Systemvoraussetzung: Windows Vista oder XP (SP 2), DVD-ROM Laufwerk, Soundkarte.

Vladimir Kramnik, My Path to the Top im Shop…

 

Über den Autor der Rezension:

 

Johannes Fischer wurde 1963 geboren und ist FIDE-Meister. 1978 wurde er Deutscher Meister U15, 1981 und 1982 gewann er die Hamburger Jugendmeisterschaft. Nach Abitur und Zivildienst in Hamburg studierte er in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft. Er lebt in Nürnberg, spielt für den Schachverein Schwarz-Weiß Nürnberg Süd und arbeitet als freiberuflicher Übersetzer, Lektor, Redakteur und Autor.

Er schreibt regelmäßig für ChessBase, die Schachzeitschrift KARL und bloggt unter dem Titel „Schöner Schein“ über Literatur, Film und Schach. Kurze Notizen über diese Themen findet man auch auf seiner Facebook-Fanpage.

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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