Lasker vs Tarrasch: Ein himmlisches Streitgespräch

von ChessBase
24.12.2017 – Was wohl Emanuel Lasker, der am heutigen Tag Geburtstag feiern würde, und sein Widersacher Siegbert Tarrasch gerade machen? Wenn es einen Himmel gibt, glaubt Timo Sträter, dann sitzen sie jetzt dort am Schachtisch und tauschen sich über ihr Schach aus, Und dann kommt vielleicht Viktor Kortschnoj dazu...

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Lasker und Tarrasch – ein himmlisches Streitgespräch

Lasker (tritt in Tarraschs altmodisch möblierte Stube ein): Hi, Siegbert!

Tarrasch (wenig begeistert ): Wo ist hier ein Hai, wenn ich fragen darf?

Lasker: So spricht die heutige Jugend, Siegbert! Hi, Digger! Chill out! Mir bereitet das keinerlei Unbehagen. Ich war ja Kosmopolit, musst du wissen.

Tarrasch: So, so. Was hast du denn da?

Lasker: Die neue Grönemeyer – CD. Ein Meisterwerk voller unerhörter Gedankengänge, dabei von strengster innerer Logik strukturiert. Lass uns doch einmal reinhören, was sagst du?

Tarrasch: Geh mir weg mit diesem metaphysischen Geraune. Und außerdem passen deine Scheiben nicht auf meinen Plattenspieler.

Lasker: Wer im Alten, Abgestorbenen verharrt, dem droht die ewige Verkalkung.

Tarrasch: Und wer weder singen noch tanzen kann, der muss nicht unbedingt Schlagersänger werden. Nuff said.

Lasker: Bitte?

Tarrasch: So spricht die heutige Jugend, Emanuel.

Siegbert Tarrasch

Lasker: Schmock.

Tarrasch: Wie bitte?

Lasker: Es hat mir einen Schock versetzt, dass du Grönemeyer nicht leiden magst, Siegbert. Wie wäre es mit einem Partiechen? (setzt sich ans Schachbrett ).

Tarrasch: Meinetwegen. Aber lasse deine ekelhaften Zigarren in der Tasche. (Sie beginnen das Spiel).

 

Tarrasch: Als fortgeschrittener Spieler solltest du wissen, dass die Steinitz – Verteidigung nicht korrekt sein kann.

Lasker: In meiner Welt werden Partien durch die größere Spielkraft entschieden (steckt sich eine Zigarre an).

Emanuel Lasker

Tarrasch: In deiner Welt ziehen die Springer an den Rand und die Bauern bleiben zuhause. Geschmackvolles Schach sieht anders aus, Emanuel. Wer stets krankhafte Schleichzüge spielt, endet als Frettchen in der Gosse, das weiß ein jeder.

Lasker: Ich bin lieber freies Frettchen in der Gosse als unmündiger Sklave deiner Peitschen-Pädagogik, Siggi. Und deine kräftigen Normalzüge sind nichts als hohler Schein, Tätärätä im Dampferstil, Opium für die Geschundenen des Geistes. Das Schachspiel musst du dir als Geliebte vorstellen: wunderschön und begehrenswert, aber störrisch und voller innerer Widersprüche. Du musst ihre Forderungen erfüllen, um sie bei Laune zu halten, auch wenn sie dir merkwürdig oder gar pervers erscheinen. Dann winkt dir als höchster Preis die vollkommene eheliche Harmonie. Du verlierst übrigens die Qualität, mein Lieber.

Tarrasch: Geliebte, sagst du? Das Schachspiel ist eine Erbtante: Reich und alt, aber geizig. Da sie von selbst nicht in Vorleistung tritt, musst du sie eben ein wenig kitzeln, um zu deinem Zweck zu kommen. Das ist übrigens ein Opfer, du Gimpel. Und nenne mich nicht Siggi, wenn ich bitten darf.

Lasker: Vielleicht liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte: Das Schachspiel ist eine Erbtante neuen Stils, schön und begehrenswert, aber auch alt und geizig. Und diese uralte, wunderschöne Erbtante will von uns, ihren gehorsamen Neffen, gekitzelt sein, bei Tag und Nacht. Kompensation kann ich nicht erkennen, du etwa?

Tarrasch: Vielleicht liegt die Wahrheit auch näher am Rand: Du bist ein intellektueller Wirrkopf, der erst die Fresken von den Wänden schwätzt und sich dann über die kahle Bude wundert. Im Schachspiel ist man Hammer oder Amboss. Feile und Kehrblech haben keine Spuren in der Geschichte hinterlassen, das merke dir. Kompensation... für dich wird es noch reichen, mein Wort darauf. Und mache diese grässliche Zigarre aus, das ist ja wie bei Ypern hier.

Lasker: Du hast das Hackenklappen vergessen, Siegbert.

Kortschnoi (kommt hinzu ): Ihr könnt es nicht lassen, was? Bobby ist auch in der Nähe. Wie wäre es mit einer Runde Tandem?

Lasker: Gute Idee. Und dazu hören wir Grönemeyer.

Kortschnoi: Sag mir Bescheid, wenn es losgeht. Dann schalte ich mein Hörgerät ab.

Viktor Kortschnoj

Tarrasch: Viktor, sage mir jetzt endlich die Wahrheit: Wie wird meine Verteidigung von der Nachwelt beurteilt? Du musst doch etwas wissen! Du sagst immer nur: Frag doch Kasparow.

Kortschnoi: Frag Kasparow.

Tarrasch: Erinnerst du dich an unsere letzte Blitzpartie? Dame schlägt f6! Den hattest du nicht gesehen, was? Ich hingegen hatte den Einschlag schon einige Züge im voraus gesehen und zögerte natürlich keinen Augenblick, als die Gelegenheit sich schließlich darbot. Sehen, Viktor, sehen (!) muss ein erstklassiger Meister; und zwar auch das, was gerade nicht auf der Hand liegt. Du aber nahmst den Bauern a2. Und riefest „Zackzack“ dazu, wenn ich mich recht erinnere.

Kortschnoi: Mich lockst du nicht aus der Reserve, nicht so.

Lasker: Ich glaube, er rief „Schnappschnapp“. Die Freibauern sahen ja auch bedrohlich genug aus. Hast du vor, heute noch einen Zug zu machen, Siegbert? Lass es mich wissen.

Tarrasch: In der Tat. Dann aber: Dame schlägt f6! Der Schlag ins Kontor, der Stich ins Gekröse! Und dabei logisch und folgerichtig vorbereitet durch Operationen am anderer Flügel!

Kortchnoi: Eure tiefgründige Analyse von Blitzpartien geht mir langsam auf den Geist, Kruzifix.

Tarrasch: Nur durch die Manöver am Damenflügel wurde ja die pikante Schlusswendung erst möglich. Das Nehmen auf a2, ja... es war sicherlich männlich und unerschrocken, zugleich aber auch von fast rührender Naivität. Ein Meister sollte doch nicht glauben...

Kortschnoi: Siegbert, es reicht.

Tarrasch: Es genügt zu sagen, dass die Partie mit dem Preis für die pikanteste Kombination des vergangenen Halbjahres ausgezeichnet wurde.

Lasker: Nun ja, wenn Botwinnik und Kotow in der Jury sitzen, wen wundert's. Kortschnoi: Du willst die Wahrheit über deine Verteidigung wissen? Kein Schwanz spielt sie mehr! Und weißt du, warum nicht? Weil selbst Kasparow an deinem hoch gelobten Einzelkämpfer erstickt ist, du oller Kommißkopp! Weil deine ewigen Werte nur glitschige Phantome sind, die allenfalls als Lesezeichen taugen. Und du bist als verbohrter Dogmatiker verschrien, dass du es weißt! Das ist die Wahrheit! Pikant, was?

Tarrasch: Ach nein. Und wie wird Lasker beurteilt?

Kortschnoi: Vorbildlich.

Tarrasch: Wie belieben?

Lasker: Vor – bild – lich.

Kortschnoi: Also, wenn hier schon in Sachen Tandem nichts läuft – soll ich euch meine fünfte Gewinnpartie gegen Karpow zeigen? Baguio 78?

Tarrasch: Nicht schon wieder.

Kortschnoi: Hört mal zu, Karpow bekam damals alle 30 Minuten einen Joghurt mit geheimen Botschaften serviert. War die Lage schwierig, erhöhten die Sowjets die Frequenz. Nach fünf Stunden Spielzeit hatte Karpow also 17 Joghurts intus, da merke ich: es geht ihm nicht gut. Die Sowjets schickten sofort Nachschub...

Lasker: ...ich höre jetzt Grönemeyer. Dieses Lied über den Menschen, das spricht mich irgendwie an. Wie war das noch mit dem Qualitätsopfer, Siegbert?

Tarrasch: Genug! Fort mit euch räudigen Philistern fort aus dem Tempel der Wahrheit! Finger weg vom Plattenspieler, Emanuel! Auch ihr werdet dereinst verstehen, dass es eherne Gesetze gibt, die ewiglich gelten; ja, auch dann noch, wenn wir alle längst tot sind.

Lasker: Wir sind schon tot, Siegbert.

Tarrasch: Papperlapapp. Und merke dir eines, Emanuel: Grönemeyer ist inkorrekt!

Kortschnoi: Amen!

 

Master Class Band 5: Emanuel Lasker

Auf dieser DVD zeigen unsere Autoren alle Facetten des Spiels von Emanuel Lasker, der von 1884 bis 1921 Weltmeister war, länger als jeder andere vor oder nach ihm: Eröffnungen, Strategie, Taktik und Endspiele!

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Schlechte Montage! Da hilft nur ein Blick auf das Original:

 


  


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