21.02.2016 – Am Samstag sorgten die Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" und der norwegische Schachweltmeister Magnus Carlsen in Hamburg für einen einzigartigen Schachevent. Carlsen spielte anlässlich des 70sten Geburtstages der Zeit im Alten Hamburger Zollamt simultan an ebenso vielen Brettern. Erst nach sechs Stunden waren alle Partien beendet. Es war ein Massaker. Bericht, Bilder, Video, Partien (Update...)
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Magnus Carlsen begeistert Hamburg
Am Samstag Morgen gab der Chefredakteur und Mitherausgeber der Zeit, Giovanni die Lorenzo, im NDR-Radio ein Interview zum Zeit-Geburtstag. Heute vor 70 Jahren erschien die ersten Ausgabe der Hamburger Wochenzeitung. Mit einer großen Geburtstagsparty feierte die Zeit am Samstag ins Jubiläum rein und lud die Hamburger Bürger ein daran teilzunehmen. Über Hamburg verteilt hatte die Zeit 30 Veranstaltungen platziert und einige sehr illustre Ehrengäste eingeladen, darunter zum Beispiel Finanzminister Wolfgang Schäuble, den Autor Frank Schätzing, "Tatort-Kommissarin" Maria Furtwängler oder die Schauspielerin Fritzi Haberland, die lange am Thalia-Theater gespielt hat und deren Weggang nach Berlin die Hamburger Theaterbesucher immer noch sehr bedauern.
Auf die Frage, welche Events es denn alles gäbe, nannte Giovanni Lorenzo allerdings als Erstes eine Schachveranstaltung. Dazu hatte man keinen Geringeren als den Weltmeister selbst verpflichten können: Magnus Carlsen. Spiritus Rector des Schachprojekts war der Zeitjournalist Ulrich Stock, selber begeisterter Schachspieler mit Hang zu Zeitnot und bei der Zeit für Musik und Schach zuständig. Er hatte Carlsens WM-Kämpfe in Chennai und in Sotschi als Korrespondent vor Ort begleitet.
Ulrich Stock eröffnet das Simultan
Von Magnus Carlsen ist bekannt, dass er das macht, wozu er Lust hat. Als zweifacher Titelkampfgewinner und Star der Szene sind finanzielle Verlockungen für ihn inzwischen eher zweitrangig - was nicht heißt, dass die Zeit sich den Auftritt des Weltmeister nicht hat etwas kosten lassen müssen.
Kate Murphy, CEO, und Arne Horwei von Play Magnus
Arne Horwei räumte ein, dass man mit der Reise nach Hamburg und dem Simultan auch das Interesse verfolgte, Magnus Carlsen und sein PlayMagnus Projekt noch populärer zu machen. Play Magnus ist vor allem eine App für Smartphones und Tabletts, erst einmal kostenlos, dann mit der Möglichkeit, Angebote dazu zu kaufen. Außerdem hat die Firma auch eine Schachplane und einen Figurensatz entworfen, der in einer praktischen Röhre leicht transportiert werden kann. Das Schachset kam auch beim Simultan zum Einsatz. Jeder der Teilnehmer erhielt am Ende auf Wunsch ein Autogramm auf seine Plane und jeder konnte sein Set gratis mit nach Hause nehmen.
Für jeden ein Autogramm
Die Schachveranstaltung fand im Ehemaligen Hauptzollamt statt, das an der Spitze der Hamburger Speicherstadt liegt und inzwischen zu einer "Event Location" umgebaut wurde. Die Speicherstadt wurde kürzlich zum Weltkulturerbe erklärt.
So sieht es in der Speicherstadt aus, aber gestern nicht, da war Himmel durch Dauerregen verhangen
Brücke über einen Fleet der Norderelbe. Das Alte Hauptzollamt ist hinter der Häuserreihe links
Hinten die Elbphilharmonie. Sie wird bald eingeweiht, kein Witz
Blick auf die Hamburger Innenstadt
Schlange am Eingang zum Alten Hauptzollamt. Hier gibt es heute Schach
Früher fuhren die Schiffe hier hinein und entluden ihre Waren direkt in die Speicher. Heute geschieht dies mit Hilfe von Containern und die Lagerhäuser werden dafür nicht mehr gebraucht. Inzwischen haben hier viele interessante Anbieter ihren Sitz gefunden, zum Beispiel das berühmte Miniatur-Wunderland, der Hamburg Dungeon, Bars und Restaurants.
Da die Zeit 70 Jahre alt wurde, hatte man sich bei der Zeit für den Weltmeister die Zahl 70 als Anzahl der Gegner überlegt. Das ist allerdings auch für einen Schachweltmeister eine wackere Aufgabe. Mit der Ankündigung der Veranstaltung hatte die Zeit alle Schachfreunde aufgefordert, sich zu bewerben. Aus dem Kreis der Redaktion hörte man, dass sich innerhalb kürzester Zeit mehr als 1400 Schachfreunde um einen Platz beworben hatte. Vier Plätze wurden für geladene Gäste frei gehalten: Mit Felix Magath und Peer Steinbrück spielten zwei Hamburger Prominente mit, die sich beide immer schon für das Schach stark gemacht haben. Außerdem wurden mit Jana Schneider und dem neunjährigen Lüneburger Jeremy Hommer zwei Talente eingeladen. Alle übrigen Teilnehmer wurden ausgelost. Eine Elo-Obergrenze gab es dabei laut Ulrich Stock nicht. Über den Weg der Verlosung kamen dann einige Spieler mit recht ordentlicher Spielstärke in das Simultanfeld, allerdings keine Titelträger. Unter anderem schafften es auch Lara Schulze und Annmarie Mütsch per Los ins Feld, womit dann die ersten Drei der letzten Deutschen Mädchenmeisterschaft U14 am Start waren.
Annmarie Mütsch
Jana Schneider
Lara Schulz
Der Zuschauerandrang bei dem Simultanauftritt des Weltmeisters war gewaltig. Viele bekannte Gesichter waren zu sehen, nicht nur aus der Hamburger Schachszene. Am gleichen Wochenende war der Hamburger Schachklub Gastgeber einer Bundesliga-Runde mit Werder Bremen und Emsdetten als Gastmannschaften. Einige Schachspieler gingen erst zum Start der Bundesliga-Wettkämpfe am Samstag um 14 Uhr und eilten dann zum Simultan mit dem Weltmeister in die Speicherstadt, zum Beispiel Karsten Müller.
Warten auf den Weltmeister
Vor dem Start noch ein Foto mit Peer Steinbrück und Felix Magath
Magnus Carlsen hat bekanntlich ganz besonderer Qualitäten im Endspiel. Dort, wo andere Spitzenspieler die Partie schon remis geben, dreht Carlsen oft erst richtig auf und stellt dem Gegner knifflige Probleme. So hat er schon manche Partie in scheinbar remislichen Endspielen gewonnen. Carlsens Endspielbibel war das Buch "Grundlagen der Schachendspiele". Beide Autoren waren als Zuschauer vor Ort, was Carlsen sicher nicht wusste, neben Karsten Müller auch Frank Lamprecht.
Frank Lamprecht, Karsten Müller
"Die Diskrepanz bei der Anzahl der Zuschauer, hier und bei der Bundesliga ist schon frappierend", bemerkte Karsten Müller verblüfft. Tatsächlich wird in der Bundesliga zwar hochklassiges Schach gespielt, doch es fehlt an Zuschauern.
Zudem hatte die Zeit noch alle eingeladen, die zum Thema Schach in der Zit beigetragen haben oder noch beitragen, zum Beispiel Wolram Runkel, der früher viele Artikel zum Schach geschrieben hat, inzwischen aber im Ruhestand ist, oder Zeit-Schachblogger Johannes Fischer. Helmut Pfleger, der seit 33 Jahren die Schach-Kolumne im Zeit-Magazin betreute zeigte und kommentierte im 1. Stock aktuelle Turnierpartien von Magnus Carlsen.
Helmut Pfleger, re., im Gespräch mit Peer Steinbrück.
Das Simultan selber war ein Massaker. Zwar dauerte es so seine Zeit, bis die ersten Gegner des Weltmeisters die Segel streckten, was aber alleine schon an der Distanz lag, die der Norweger zurücklegen musste, um einmal gegen jeden Spieler gezogen zu haben. Die kürzeste Partie dauerte dann allerdings nur neun Züge. Mit beachtlicher Ruhe schritt Carlsen die Reihen ab.
Zwei Flaschen Wasser an jedem Platz
Gewaltiger Zuschauerandrang
Der Weltmeister bei der Arbeit
Zwei sehr lange "Werk"banken sind zu bearbeiten
Und Zug...
Nach und nach fielen seine Gegner um und reichten die Hand zur Aufgabe, worauf es jedes Mal Applaus gab. Nach etwa zwei Stunden stand es 30:0. Betrachtete man das Ganze als Wettkampf der Zeit-Leser gegen den Weltmeister, so wurde es langsam für die Leserschaft eng. Schließlich holte Dieter Steinwender das erste Remis für die Hamburger und verkürzte auf 32,5:0,5.
Zwischenstand zur Halbzeit
"Wahrscheinlich stand ich sogar auf Gewinn," meinte Dieter Steinwender unmittelbar nach der Partie. "Aber auf Gewinn stehen und gegen den Weltmeister gewinnen, sind zwei Paar verschiedene Schuhe. So bin ich ganz zufrieden mit dem Remis."
Dieter Steinwender schaffte eine Remis
Felix Magath und Peer Steinbrück hielten sich in etwa bis zur Mitte des Wettkampfes, was eine ordentliche Leistung ist.
Peer Steinbrück vor Beginn im Gespräch mit der jungen Dame nebenan
Am Brett von Felix Magath
Probleme, Probleme
Auch die drei jungen Damen aus der U14-Meisterschaft mussten eine nach der anderen, trotz einiger Gegenwehr, die Hand zur Aufgabe reichen. Annmarie Mütsch und Jana Schneider haben ihre Partie dankenswerterweise zugeschickt und kommentiert:
Magnus Carlsen rechnete vor dem Simultan mit einer Dauer von etwa sechs Stunden, bis auch die letzte Partie beendet sein würde. Um etwa 21 Uhr endete das Simultan. Die Spieler, die sich am längsten halten konnten, hatten zum Schluss die immer weniger geteilte Aufmerksamkeit des Schachweltmeisters, was natürlich kein Vorteil ist.
In einer Partie stand Magnus Carlsen mit ungleichfarbigen Läufern und Minusbauern lange schlecht. Dies war die letzte Partie, die noch lief. Doch nachdem Carlsens Gegner den Faden verloren hatte, landete er in einem Endspiel mit Minusqualität und verlor noch.
Am Ende unglücklich verloren, Jürgen Bildat
Ulrich Stock, der Magnus Carlsen zwischendurch immer mal wieder interviewte und zum Stand der Dinge befragte, meinte, da sei wohl etwas Glück im Spiel gewesen, doch Carlsen widersprach: "Glück? Nein. Ich hatte eine schlechte Stellung. Aber solche Stellungen muss man erst einmal gewinnen."
Ulrich Stock, Magnus Carlsen
Eine Partie ging aber doch für den Weltmeister verloren, eine weitere endete remis. Der einzige Carlsen-Bezwinger war Jens-Erik Rudolph, Stadtliga-Spieler beim Barmbecker Schachklub und Schachbuch-Verleger, der Klassiker neu auflegt.
Am Brett von Jens-ERik Rudolph (Foto: Julia Keltsch für DIE ZEIT)
Foto: Julia Keltsch für DIE ZEIT
Notation mit Autogramm des Weltmeisters
Endstand: 68:2 für Carlsen. Wow, das ist eine Ansage!
Carlsen lobte die Disziplin des Publikums und räumte ein, dass er eine Reihe von Partien durchaus "unverdient" gewonnen hätte. Das Hamburger Publikum war vom Auftritt des Weltmeisters aus Norwegen, aber auch von der guten Organisation des Events durch die Zeit nicht minder begeistert. Besser kann man es nicht machen. Und die Zeit-Redaktion freute sich über den Zuschauerzuspruch. Viele blieben bis zum Schluss. "Pures Schach, reine Konzentration. Und die Zuschauer bleiben trotzdem sechs Stunden bei der Sache. Da sieht man: es muss nicht immer Ringelpiez mit Anfassen sein," freute sich Ulrich Stock.
Hoffentlich dürfen die Hamburger solche Schach-Veranstaltungen bald wieder erleben.
Am Vormittag vor dem Simultan hatte sich Magnus Carlsen mit Sport auf seine lange Schachnacht vorbereitet und zusammen mit seinem Sekundanten Peter-Heine Nielsen, der in der Woche bei ChessBase eine neue DVD aufgenommen hatte, in einer Hamburger Schach-Fußballgruppe eingecheckt. Auch hier war der Weltmeister weit vorne, immerhin konnten aber ein paar Schachspieler fußballerisch mithalten. Peter Heine Nielsen offenbarte Qualitäten als spielender Torwart. Alleine schon durch seine körperliche Präsenz...
Technisch versiert...
... und dynamisch
Peter Heine Nielsen: Guter Torwart
Gruppenbild mit Gästen
Fotos, wenn nicht anders angegegeben: André Schulz, Frederic Friedel
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