01.03.2015 – Mihail Tal war nur ein Jahr lang, von 1960 bis 1961, Schachweltmeister, aber sein spektakuläres Angriffsschach hat Generationen von Schachspielern inspiriert. Deshalb beschäftigt sich Band 2 der ChessBase Master Class Reihe mit den Stärken und Schwächen im Spiel des "Schachzauberers". Dr. Mario Ziegler hat sich die DVD angeschaut. Zur Rezension...
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Rezension: Fritztrainer Master Class Band 2: Mihail Tal
Von Dr. Mario Ziegler
Mihail Tal
Eine Datenbank über Michail Tal verspricht eine Menge faszinierenden Materials. Der 1936 in Riga geborene Großmeister galt Zeit seines Lebens als Inbegriff spektakulären Angriffsschachs, das ihm den Beinamen „Schachzauberer“ einbrachte und trotz seiner nur kurzen Regentschaft als Weltmeister (1960-1961) einen besonderen Ehrenplatz in der Gunst der Schachliebhaber sicherte. „Tal - das ist Melodie, schwungvoll, unberechenbar, zündend, mitreißend.“, so charakterisierte Heinz Schewe in der „Welt“ das Spiel des Weltmeisters anlässlich seines schicksalhaften Rückkampfes gegen Mihail Botwinnik im Jahre 1961 (abgedruckt auch in Schach-Echo 19 (1961), S. 122), als es dem „Patriarchen des Sowjetschachs“ gelang, dem halb so alten Tal die Krone wieder zu entreißen.
Tals Partien wurden schon des Öfteren als Lehrmaterial verwendet, zuletzt im Buch von Karsten Müller und Raymund Stolze („Zaubern wie Schachweltmeister Michail Tal“, Oetwil am See 2010) und der DVD „Play Like Tal“ von Simon Williams (2011). Nun legt also auch ChessBase eine Trainingsdatenbank über diesen außergewöhnlichen Spieler wahlweise in deutscher oder englischer Sprache vor. Nach der Installation sind über das Inhaltsverzeichnis verschiedene Kapitel auswählbar: Eröffnungen, Strategie, Taktik und Endspiele (jeweils als Videobeiträge, Gesamtlänge 4 Std. 22 Min.) sowie als Zusatzmaterial eine Kurzbiographie Tals, eine Datenbank mit allen seinen Partien (2897, plus Einführung und Tabellen der Turniere Tals im Zeitraum 1948 bis 1992), sein Weiß- und sein Schwarzrepertoire als Powerbook sowie 245 Partien Tals mit Trainingsfragen. Diese Gliederung folgt dem Konzept der Reihe „Fritztrainer Master Class“, in der ebenfalls Datenbanken zu Bobby Fischer und Alexander Aljechin erschienen sind. Und doch ist man im ersten Moment verblüfft: Tals Strategie? Tals Endspiele? Das sind nicht die Aspekte, mit denen man diesen herausragenden Taktiker verbindet. Und doch gehören zum Gesamtbild eines Weltmeisters auch diese Punkte. Für die Trainingsdatenbank untersucht eine Riege hochranginger Autoren die unterschiedlichen Phasen der Tal‘schen Partien.
Dorian Rogozenco
Bundestrainer Dorian Rogozenco widmet sich Tals Eröffnungen, die neben seinem Lieblingszug 1.e4 auch 1.d4, 1.c4 und 1.Sf3 beinhalteten. Oft gelang es ihm, unabhängig von der gespielten Eröffnung scheinbar ruhige Stellungen urplötzlich zu verschärfen. Ein schönes Beispiel dafür ist die von Rogozenco besprochene Partie gegen Smyslow, Kandidatenturnier 1959. Nach den Zügen 1.e4 c6 2.d3 d5 3.Sd2 e5 4.Sgf3 Sd7 5.d4 dxe4 6.Sxe4 exd4 7.Dxd4 Sgf6 8.Lg5 Le7 ergab sich folgende Stellung:
Weiß hätte nun mit 9.Sd6+ Lxd6 10.Dxd6 De7+ 11.Dxe7+ Kxe7 forciert ein günstigeres Endspiel herbeiführen können, doch verwarf Tal diese Möglichkeit zu Gunsten des weitaus schärferen 9.0-0-0 und gewann in der Folge eine Glanzpartie.
Allerdings gehörte die Eröffnungsphase eindeutig nicht zu Tals Stärken. Selbst in bedeutenden Wettkämpfen blieb seine Vorbereitung oft vergleichsweise oberflächlich. So konnte er in dem erfolgreichen ersten Weltmeisterschaftskampf 1960 gegen Botwinniks Caro-Kann weder mit dem unkonventionellen 1.e4 c6 2.Sc3 d5 3.Sf3 Lg4 4.h3 Lxf3 5.gxf3 noch in den Hauptvarianten nach 2.d4 viel erreichen, so dass er in der 11. Partie auf 1.Sf3 umschwenkte.
Auf diese Partie, die Tal selbst später als entscheidende des Wettkampfs bezeichnete, geht auch der Autor der zweiten Rubrik ausführlich ein. Es handelt sich um den rumänischen Großmeister Mihail Marin, der mit der Untersuchung der Strategie Tals ein weiteres unterschätztes Kapitel aufschlägt.
Mihail Marin
Marin, der dem Exweltmeister bei einem von dessen letzten Turnieren persönlich begegnete, lässt immer wieder Anekdoten, eigene Ansichten und die Sicht von Tals Zeitgenossen auf das Spiel des „Schachzauberers“ einfließen. Über den didaktischen Wert dieser Rubrik kann man aber meines Erachtens streiten. Natürlich gelingt es Marin aufzuzeigen, dass Tal auch zu strategischen Meisterwerken fähig war, doch ist dies bei einem Mann, der sich über viele Jahr in der Weltspitze behaupten konnte, keine Überraschung. Ebenso wenig überraschend ist, dass das scharfe Auge Tals jederzeit taktische Ressourcen in scheinbar strategischen Stellungen aufspüren konnte, wie in der bereits angesprochenen 11. Partie 1960 gegen Botwinnik. Nach den Zügen 1.Sf3 Sf6 2.g3 g6 3.Lg2 Lg7 4.0–0 0–0 5.c4 c6 6.b3 Se4 7.d4 d5 8.Lb2 Le6 9.Sbd2 Sxd2 10.Dxd2 Sa6 11.Tac1 Dd6 12.Se5 Tfd8 13.Tfd1 Tac8
fand Tal den giftigen Zug 14.Da5, nach dem Schwarz viele Fehler machen kann (14...Db4 15.Sxc6 Txc6 16.Dxd8+; 14...Dc7 15.Sxc6 bxc6 (15...Dxc6 16.cxd5) 16.Dxa6). Botwinnik gab mit 14...dxc4 das Zentrum auf und verlor später die Partie, obwohl sie lange haltbar war.
Die dritte Rubrik „Taktik“ bedarf der wenigsten Worte. Tal und Taktik passen so eindeutig zusammen, dass die Aufgabe für den Internationalen Meister Oliver Reeh lediglich darin bestand, geeignete Beispiele aus den vielen brillanten Kombinationen Tals auszuwählen. 20 solcher interaktiver Aufgaben werden präsentiert, in die Reeh jeweils mit einem kurzen Video einführt, danach die Trainingsfrage stellt und anschließend diskutiert.
Oliver Reeh
Der bekannte Endspielexperte und Großmeister Karsten Müller widmet sich in der letzten Rubrik Tals Endspielen.
Karsten Müller
Nicht unpassend für den „Schachzauberer“ wird das erste von drei Kapiteln mit „Magische Momente“ überschrieben. Es beinhaltet unerwartete, spektakuläre Züge wie den folgenden, der eine scheinbar unvermeidliche Niederlage vermeidet:
In Lipnitsky-Tal, Voroshilovgrad 1955, verliert 49...Kf7?, wie Müller nachweist (z.B. 50.Kf5 Kg7 51.Ld6 a2 52.Le5+ Kh6 53.g4 a1D 54.g5+ Kh5 55.Lxa1 h6 56.g6+–). Ganz anders verhält es sich nach dem Partiezug 49...Kf6!: 50.Le5+ Kg6 51.La1 a2 52.Lb2 h5 53.La1 Kh6 und Remis wegen 54.Kf5 h4 55.gxh4 (55.g4?? h3–+) 55...Kh5 56.Lf6 a1D 57.Lxa1 Kxh4.
Das zweite Kapitel nimmt Turmendspiele in den Blick, und zwar besonders solche, in denen dynamische Faktoren im Vordergrund stehen. Zuletzt werden drei berühmte Tal-Endspiele analysiert: Tals verpasster Gewinn im Turmendspiel der 14. WM-Partie gegen Botwinnik 1961, der Gewinn in der 17. Partie des gleichen Wettkampfs im Endspiel Läuferpaar gegen Springer sowie der instruktive Sieg gegen Smyslow (Moskau 1964) zum Thema „guter Läufer gegen schlechter Springer.
Fazit:
Der „Fritztrainer Mihail Tal“ ist keine Biographie - dafür fällt der Lebenslauf Tals im Zusatzmaterial viel zu gering aus, auch wird weitgehend auf Bildmaterial verzichtet (lediglich in der Datenbank der Partien Tals sind einige davon „versteckt“). In dieser Hinsicht kann sich die Datenbank nicht mit den Monographien zu Morphy, Steinitz, Lasker und Fischer messen, die ebenfalls bei ChessBase erschienen sind. Doch verfolgt der „Fritztrainer“ ohnehin ein anderes Konzept - im Vordergrund steht nicht der historische Aspekt, sondern eben das Training. Dem Nachspielenden wird ein interessanter Überblick über das Schaffen eines der größten Schachgenies aller Zeit mit seinen Stärken und Schwächen geboten. Die Taktik steht - wenn man die zahlreichenden ergänzenden Aufgaben bedenkt - mengenmäßig klar im Vordergrund, doch waren es eher die anderen Kapitel, die mir persönlich neue Einblicke in das Spiel Tals geboten haben, der ein taktischer „Zauberer“ war - aber noch weit mehr als das.
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ChessBaseDie ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.
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